2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 42 - 17. Oktober 2022 GASTKOMMENTARE ALTER WEIN IN NEUEN SCHLÄUCHEN? Chance vertan PRO r e d ü L l e a h c i M © Margaret Heckel, freie Journalistin s b e r K s a e r d n A © Eva Quadbeck, Redaktionsnetzwerk Deutschland Beim Bürgergeld gehe es um „einen Sozi- alstaat auf der Höhe der Zeit“ schreibt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf der ministeriumseigenen Webseite. Men- schen, die in Not sind, sollten „verlässlich abgesi- chert werden“. Diese Wortwahl ist eindeutig: Wieder ist das Ziel nicht, Menschen so zu aktivieren, dass sie ihr Le- ben eigenverantwortlich meistern können. Bei der Vorgängerleistung Hartz IV gab es wenigstens noch anfangs die Idee vom „Fordern und För- dern“. Kaum etwas wurde davon umgesetzt. Nun soll ein „Kooperationsplan“ für die Arbeitsaufnah- me erarbeitet werden, der allerdings in den ersten sechs Monaten nicht mehr sanktioniert wird. Angesichts des Arbeits- und Fachkräftemangels ist das kontraproduktiv. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Gelegenheit günstig, Menschen so in Arbeit zu bringen, dass sie selbst für sich sorgen können? Leider wird diese Strategie beim Bürgergeld eben- so wenig genutzt wie bei Hartz IV. Die Gründe sind dieselben – und zwar die Konstruktion der Sozialabgaben. Zwar gibt es über die Midi-Jobs ab Januar 2023 eine Gleitzone bis 2.000 Euro statt wie bei Hartz IV 1.300 Euro im Monat. Dann setzt die Sozialabgabenpflicht für Arbeitneh- mer in voller Höhe ein. So lohnt sich gering be- zahlte Arbeit im Vergleich mit dem Bezug von Bür- gergeld und gegebenenfalls einem Minijob oft nicht. Ganz anders ist es bei den Steuern: Hier gibt es nicht nur einen Freibetrag, sondern sie steigen entsprechend der Leistungsfähigkeit an. Hier wurde eine Riesen-Chance vertan. Denn es stimmt ja, dass Hartz IV stigmatisiert ist bezie- hungsweise wurde. Das einzig Gute ist deshalb der neue Name, Bürgergeld. Ansonsten ist es lei- der alter Wein in neuen Schläuchen. Sozialleistung, bei der die Bürger vom Staat auf Augenhöhe behandelt werden. Genau das ist die im Koalitionsvertrag erklärte Absicht der Ampelregierung. Und in der Tat: Die bisherige Sozialhilfe mit dem verheeren- den Namen Hartz IV ändert sich in einigen zentra- len Punkten: Der monatliche Satz für Alleinstehen- de steigt um 50 Euro. Die Regelungen bei Schon- vermögen und Wohnungsgröße werden großzügi- ger. Sanktionen erwischen die Betroffenen nicht mehr so schnell. Kurzum: Der Staat bringt den künftigen Bürgergeld-Beziehern mehr Vertrauen entgegen. Das ist eine Reform mit Substanz. Abzuwarten bleibt allerdings, ob das neue Vertrau- en des Staats auch dazu führen wird, dass tat- sächlich mehr Arbeitslose nachhaltig den Weg zu- rück in den Arbeitsmarkt finden. Da darf man skeptisch sein. Denn die beiden grundlegenden Probleme des bisherigen Hartz-IV-Systems sind nicht behoben. Erstens: Zu viele Menschen richten es sich in einer Kombination aus Hartz-IV-Bezug und Schwarzarbeit ein, wogegen die Behörden nicht genug unternehmen. Zweitens: Die Vermitt- lung von Langzeitarbeitslosen in neue Jobs ist trotz zahlreicher Programme auch in Zeiten, in de- nen überall Fachkräfte und auch Geringqualifizier- te dringend gesucht werden, nicht gelungen. Das lag nicht an mangelnden Finanzen für entspre- chende Programme. Vielmehr waren die Konzepte offensichtlich nicht gut. Nun darf man gespannt sein, ob die neue Chefin der Bundesagentur für Ar- beit, die frühere Arbeitsministerin Andrea Nahles, in dieser Frage eine Kehrtwende schafft. Sollte das nicht gelingen, müssen die neuen Regeln für das Bürgergeld nachgebessert werden. Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Reform mit Substanz CONTRA Bürgergeld klingt gut – klingt nach einer Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur Christian Zentner (cz) V.i.S.d.P. 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Oktober 2022 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4– 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 32 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 32 E-Mail: fazit-com@cover-services.de Anzeigenverkauf, Anzeigenverwaltung, Disposition Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 36 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 36 E-Mail: fazit-com-anzeigen@cover-services.de „Das Parlament“ ist Mitglied der Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) Für die Herstellung der Wochenzeitung „Das Parlament“ wird Recycling-Papier verwendet. Herr Strengmann-Kuhn, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Ar- soziale Siche- mut und fordern, dass rungssysteme armutsfest sein müssen. Wie groß waren Ihre Bauchschmerzen bei der Agenda 2010 der rot-grünen Bundes- regierung? Ich habe das aus politischer und aus wis- senschaftlicher Perspektive sehr kritisch ge- sehen. Die Zusammenlegung von Arbeits- losenhilfe und Sozialhilfe war richtig, aber man hätte es besser und sozialer machen und damals auch schon mit einem Min- destlohn verknüpfen müssen. Das ist leider nicht passiert. Deswegen habe ich mich über die Forderung im Koalitionsvertrag nach Überwindung von „Hartz IV“ gefreut und mich auch dafür stark gemacht. Mit dem Bürgergeld soll ein „Sozial- staat auf Augenhöhe“ geschaffen werden. Reicht es dafür, auf die Sanktionsdrohun- gen in den Anschreiben zu verzichten? Das ist ein Baustein. Aber wir verändern grundsätzlich die Systematik des Umgangs miteinander. Das fängt mit dem Kooperati- onsplan an, der am Anfang erstellt wird. Gemeinsam sollen die Kunden und Ar- beitsvermittler überlegen, was sinnvoll und notwendig ist, um den Bürgergeldbezug wieder zu überwinden. Danach beginnt die sechsmonatige „Vertrauenszeit“ – weitge- hend ohne Sanktionen. Im Moment gibt es viel Misstrauen und ein wesentliches Ziel der Bürgergeld-Reform ist, beidseitiges Ver- trauen aufzubauen. Was unterscheidet den Kooperations- plan von der jetzigen Eingliederungsver- einbarung? Die Eingliederungsvereinbarung kann ein- seitig vorgegeben werden und der Kunde oder die Kundin muss sie dann unter- schreiben. Das ist beim Kooperationsplan nicht mehr so. Können sich Arbeitssuchen- de und Arbeitsvermittler nicht einigen, soll erstmal einen Mechanismus greifen, um zu vermitteln. Das neue System ist wirklich auf Kooperation aufgebaut, während die Eingliederungsvereinbarung teilweise ein einseitiger und kaum verständlicher Ver- waltungsakt war. Arbeitgeberverbände kritisieren die entschärften Sanktionen als fehlenden Anreiz, sich ernsthaft um eine neue Ar- beit zu bemühen. Es ist eine grundsätzlich falsche Annahme, dass Menschen nur deswegen eine Arbeit aufnehmen oder eine Weiterbildung ma- chen, weil sie mit Sanktionen bedroht wer- den. Dahinter steckt ein fragwürdiges Men- schenbild. Die überwiegende Mehrheit ist motiviert, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Auf diese Motivation setzen wir. Deswegen soll es künftig unter anderem ein Weiterbildungsgeld geben und das hin- zuverdiente Einkommen soll weniger an- gerechnet werden. führt das neue System zu mehr Motivation und bes- serer Arbeitsvermittlung. Insgesamt Ihre Partei möchte eigentlich ein En- de jeglicher Sanktionen. Wie viel von der grünen Garantiesicherung steckt im neu- en Bürgergeld? Was das Verhältnis von Jobcentern zu den Betroffenen angeht, steckt da eine Menge von unserem Konzept drin. Das wollten wir insgesamt neu aufstellen und da waren wir uns in der Koalition auch einig. An- sonsten werden zwar Sanktionen nicht komplett abgeschafft. Aber die meisten Bürgergeld-Beziehenden werden nach den geplanten überhaupt nichts damit zu tun haben. Momentan steht auf jedem Schreiben grundsätzlich ei- ne Sanktionsandrohung unten drunter, künftig soll das erst nach mehrfachen Ter- min- oder Mitwirkungsverweigerungen so sein und dann können auch Sanktionen verhängt werden. Neuregelungen »Es reicht noch nicht« WOLFGANG STRENGMANN- KUHN Der Armutsforscher und Grünenpolitiker fordert eine neue Berechnungsgrundlage für das Bürgergeld. © Stefan Kaminski Sie sind schon lange ein Verfechter des Grundeinkommens. Warum lohnt es sich, für diese Idee zu streiten? Zunächst einmal ist das Bürgergeld keines- wegs so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es derzeit öfter be- hauptet wird. Es bleibt eine bedürftigkeits- geprüfte Grundsicherung, die beantragt werden muss. Das Grundeinkommen ist dagegen die Idee, dass Menschen eine fi- nanzielle Leistung bekommen, ohne dass sie sich als bedürftig erklären müssen. Der Vorteil ist, dass die Hürden, die es im jetzi- gen Sozialsystem gibt, abgeschafft werden und allen Menschen das Existenzmini- mum garantiert wird, was ja im Übrigen ein Grundrecht ist. Verdeckte Armut wird dadurch deutlich reduziert, vielleicht sogar ganz beseitigt. Ich glaube, dass es die Ge- sellschaft und die Arbeitswelt positiv ver- ändern würde. Deswegen steht das für uns Grüne als Leitidee nach wie vor auf der Agenda. Die Gesellschaft lebt seit Jahren in ei- erst Corona, nem Ausnahmezustand, PARLAMENTARISCHES PROFIL dann Ukraine-Krieg und Inflation. Das sind nicht gerade gute Voraussetzungen, um diese Idee umzusetzen, oder? Im Gegenteil: Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie gut es gewesen wäre, wenn es ein Grundeinkommen gegeben hätte und dadurch bestimmte Berufsgruppen wie Künstler abgesichert gewesen wären. Auch bei den Entlastungspaketen hatten wir Mü- he, dafür zu sorgen, dass wirklich alle, die es brauchen, Hilfe bekommen. Wenn es bereits ein Grundeinkommen gegeben hät- te, dann hätten wir diesen Auszahlmecha- nismus schon, der jetzt erst mühsam ge- schaffen werden muss. Mit dem Bürgergeld werden auch die Regelsätze deutlich angehoben. Sozialver- bände wie Ökonomen kritisieren, dass auch dies wieder nicht armutsfest ist. Bei der geplanten Anhebung geht es um ei- nen Inflationsausgleich. Der beseitigt aber nicht das grundsätzliche Problem: Der Re- gelsatz ist insgesamt zu gering und die Be- rechnung muss so umgebaut werden, dass er existenzsichernd ist. Ein paar finanzielle Verbesserungen gibt es immerhin. So wer- den Erwerbseinkommen weniger angerech- net, für Kinder gibt es schon seit dem 1. Ju- li 20 Euro im Monat mehr, in Weiterbil- dungsphasen gibt es 150 Euro im Monat mehr. Für bestimmte Gruppen bewegen wir uns also in Richtung armutsfeste Leis- tungen. Aber das reicht noch nicht. Der Niedriglohnsektor hat sich seit der Agenda 2010 auf einem Niveau von zirka 20 Prozent verfestigt. Das Problem wird seit Jahren beklagt - ohne Folgen. Es war explizit ja Ziel von Gerhard Schrö- der, Wolfgang Clement und anderen, den Niedriglohnsektor auszuweiten. Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 wurde auf die krassesten Auswüchse reagiert. Noch wichtiger ist: Wir wollen die Tarifbindung verbessern durch ein Tarif- treuevergabegesetz, das die Vergabe öffent- licher Aufträge an die Tarifbindung regelt. Das ist in Vorbereitung, damit mehr tarif- gebundene Beschäftigung entsteht. Die Löhne müssen so hoch sein, dass man nicht noch Bürgergeld beziehen muss. Was bedeutet Armut für Menschen? Armut bedeutet, dass Menschen aufgrund fehlenden Einkommens vom normalen ge- sellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. Für Kinder ist das besonders schwierig, weil es den ganzen Lebensverlauf prägt, wenn sie in Armut aufwachsen. Aber es ist auch für Erwachsene ausgrenzend, wenn sie sich zum Beispiel keinen Gaststätten- oder Kinobesuch mehr leisten können, denn das gehört zum normalen Leben da- zu. Deswegen sollte das Ziel sein, dass je- der Mensch am normalen Leben teilhaben kann und das ist auch möglich. Viele Menschen, die Anspruch auf So- zialleistungen hätten, nehmen diese nicht in Anspruch, aus Scham oder we- gen der umständlichen Beantragung. Er- warten Sie eine spürbare Veränderung mit dem Bürgergeld? Ja, denn wir bauen Stigmatisierungen ab und auch bürokratische Hürden, indem wir in den ersten zwei Jahren Vermögen und Wohnung nicht antasten. Aber wir müssen noch mehr für die Information tun, denn viele Menschen wissen gar nicht, dass sie Hilfe bekommen könnten, gerade auch Erwerbstätige mit geringem Verdienst. Das Gespräch führte Claudia Heine. Der Volkswirt Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit 2008 Mitglied des Bundestages und dort für Renten-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zuständig. Derzeit ist er Obmann seiner Fraktion im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Erfahrene Newcomerin: Annika Klose Im dritten Stock des Reichstags wird gekärchert. Es ist kurz nach acht in der Früh, nur ein Bodenreiniger, Typ „Professio- nel“, dreht seine Runde auf der Fraktionsebene, lässt die elek- tronische Tür zur SPD wie von Geisterhand öffnen. Dann läu- ten Kirchenglocken. Aus dem Lautsprecher, sie rufen zur Morgen- andacht. Schließlich ist der Boden gereinigt, das Gebet im Gang, alles wird still – da tritt Annika Klose aus dem Fahrstuhl, gleich muss sie ins Plenum, aber ein paar Minuten Zeit hat sie, in dieser für sie so wichtigen Woche. Denn Klose, 30, muss demnächst ihre Website umbauen. „Für ei- nen Abschied von Hartz IV“ steht dort, und daran arbeitet sie nicht erst, seit sie im Herbst 2021 als Abgeordnete in den Bundestag einzog. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir einen echten Kultur- wandel hinkriegen“, sagt sie über den Gesetzentwurf zum Bürger- geld, der nun erstmals im Parlament diskutiert wurde. Sein Kern: Die Regelsätze sollen um rund 50 Euro steigen, die arbeitslos Ge- wordenen sollen sich stärker auf die Arbeitssuche konzentrieren können, die Jobcenter mehr kooperieren als fordern. Klose geht in den leeren Sitzungssaal der SPD-Fraktion und setzt sich in die erste Reihe. „Es geht darum, bei den Langzeitarbeitslosen ihr Potenzial zu heben, durch Qualifizierungen und Umschulungen“, sagt sie. „Das sind auch wichtige FDP-Punkte, denn es ist eine Aufsteiger- geschichte, die Liberale wie Sozialdemokraten teilen.“ Klose bezeichnet sich als Mitglied der „Generation Hartz IV“. In Clausthal-Zellerfeld sah sie in der Jugend die „Hartz-IV-Familien“ und ihre geminderte Teilhabe, die „unfassbare Ungerechtigkeit“. Ihre Eltern: aus Arbeiterfamilien, in denen Politik nicht ständig The- ma, aber eben klar gewesen sei, dass SPD gewählt werden würde; Vater und Mutter lernten sich in einem Zeltlager der linken Ju- gendorganisation „Die Falken“ kennen. Ihre Oma leitete die örtli- che Arbeiterwohlfahrt, nahm ihre Enkel zu den Seniorentreffs zu Kaffee und Kuchen, und irgendwann bekam der Teenager mit, dass manche der Alten sich ansonsten den Kuchen in einem Café wür- den kaum leisten können. Das prägte. ..................................................................................................................................................... / e c n a i l l a - e r u t c i p / a p d © »Es geht darum, bei den Langzeitarbeitslosen ihr Potenzial zu heben, durch Qualifizierungen und Umschulungen.« Klose sagt, sie habe die Jugend im Harz genossen, die Natur, sich aber auch eingeschränkt gefühlt, etwa mit ihren ablehnenden Ideen gegenüber dem dreigliedrigen Schulsystem. Nach dem Abi- tur dann ab nach Berlin, ein Studium der Sozialwissenschaften, schon vor dem Master begann sie als Gewerkschaftssekretärin; Gerechtigkeitsthemen schienen bei ihr stets im Gepäck zu sein, auch bei ihrem Engagement für Geflüchtete und ihrer Beteiligung an einem Seenotrettungseinsatz der Sea-Eye-Mission auf dem Mittelmeer. Dass sie mit Politik auch ihr Geld verdienen würde, zeichnete sich als Möglichkeit irgendwann nach 2015 ab, als Klose Landes- vorsitzende der Berliner Jusos wurde. Die Jugendorganisation sagte der Großen Koalition den Kampf an, Klose organisierte mit und merkte, dass sie „nicht nur kritisieren, sondern dann auch Verantwortung übernehmen will“. Ihr Wahlkreis, Nummer 75, ist prominent: Berlin-Mitte ist wie ein Querschnitt der Gesellschaft, mit den vielfältigen Kiezen in Wedding und Moabit, den ostge- prägten Meilen von Alt-Mitte und auch nicht wenigen Bürgern, die wie Klose in der Politik arbeiten und die sie schon Mal mit Wahlkreisthemen ansprechen, seien es beim Sicherheitsdienst des Bundestages Angestellte, die sich über die Arbeitsbedingun- gen beschweren, oder Neueingezogene über den Baulärm in der Europacity und überhaupt: Wie funktioniert das auf den Bürger- ämtern? Das Jahr, sagt sie, sei rasant verflogen. „Ich fühle mich noch immer wie eine Newcomerin.“ In diesem schwierigen wie historischen Moment sei es schnell losgegangen, „ich hatte keine Zeit anzu- kommen“. Das Handwerkszeug des Hauses, die Abläufe, habe sie im Nu erlernen müssen. Bleibt aus ihrer Sicht der sich abzeichnen- de Erfolg des Bürgergeldes. „Wir haben uns richtig beeilt“, sagt sie, „aber dennoch habe ich das Gefühl, wir stehen noch am An- fang.“ Die Minuten sind um. Klose steigt in den Aufzug und fährt hinab gen Plenum. Jan Rübel T