2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 12-13 - 20. März 2023 GASTKOMMENTARE GRUNDMANDATSKLAUSEL STREICHEN? Konsequenter Schritt PRO M an mag den überfallartigen Cha- p s T © Albert Funk, »Der Tagesspiegel«, Berlin t a v i r P © Helene Bubrowski, »Frankfurter Allgemeine Zeitung« Politisierung schadet CONTRA Es ist gute Tradition, dass eine Wahlrechts- rakter der Entscheidung der Am- pel-Koalition kritisieren, wenige Tage vor der Beschlussfassung zur Wahlrechtsreform im Bundestag die Grundman- datsklausel aus dem Wahlgesetz zu kippen. Im- merhin sehen sich zwei im Parlament vertretene Parteien – Linke und CSU – davon in ihrer Existenz betroffen. Aber der Schritt ist konsequent. Und er ist wohl auch verfassungskonform. Denn zum einen ist die Grundmandatsklausel im neuen Wahlgesetz schwerlich noch zu rechtferti- gen. Die Erststimmen sollen, so der Wille des Ge- setzgebers, künftig keinen Einfluss mehr auf die Zusammensetzung des Bundestags nach Parteien haben. Mit der Grundmandatsklausel wäre daher ein Systembruch verbunden gewesen, der mit der vom Bundesverfassungsgericht gern betonten Normenklarheit kollidiert. Zum anderen aber hat die Klausel nie eine echte Rechtfertigung gehabt. Ihrem Charakter nach ist sie ein krummer Weg an der Fünf-Prozent-Hürde vorbei. Dass die CSU nun mit dem Bundesstaatsprinzip argumentiert, dürfte in Karlsruhe kaum verfangen. Denn dort lautete die Linie meist, dass der Gesetzgeber beim Wahl- recht auf das Föderale Rücksicht nehmen kann, aber nicht muss. Ankreiden kann man der Ampel zum einen, dass sie nicht auch den Fremdkörper der Kandidatur von Parteilosen in den Wahlkreisen aus dem Ge- setz streicht. Auch damit können Erststimmen aber Einfluss auf die Zusammensetzung des Bun- destags haben – ein Systembruch. Zum anderen hätten SPD, Grüne und FDP das Ende der Grund- mandatsklausel mit einer Herabsetzung der Zu- gangshürde – etwa von fünf auf vier Prozent – verbinden können. Fair wäre das gewesen. reform nicht mit den Stimmen der regie- renden Mehrheit durchgedrückt wird. Ih- re Akzeptanz ist umso größer, je breiter die Mehrheit im Parlament ist, die sie trägt. Die Kämpfe in den vergangenen Jahren um das Wahl- recht haben bereits zu einer unguten Politisierung des Themas geführt. Seit die Ampel den Vorschlag unterbreitet hat, Überhangmandate nicht zu ver- geben, gibt es eine Frontstellung zwischen Regie- rung und Opposition. Und seit der nochmaligen Überarbeitung, die die Streichung der Grundman- datsklausel mit sich brachte, ist das Terrain vergif- tet. Vor Wochen waren CDU-Politiker noch scho- ckiert über das Gerede der CSU vom „Wahlbe- trug“, nun stimmen sie mit ein. Grund für die Eskalation ist, dass CSU und Links- partei durch den Wegfall der Grundmandatsklau- sel existentiell bedroht sind. Eine Partei, die bun- desweit weniger als fünf Prozent der Zweitstim- men erzielt, bekommt keine Sitze nach dem Zweit- stimmenergebnis zugeteilt, egal wie viel Wahlkrei- se ihre Kandidaten gewinnen. Denn ein Sieg im Wahlkreis garantiert nach der neuen Rechtslage kein Mandat mehr. Der CSU würden auch die 45 Wahlkreise, die sie 2021 gewonnen hat, nicht helfen, wenn sie unter fünf Prozent rutscht. Dieses Ergebnis beeinträchtigt die Glaubwürdig- keit. Die Ampel hatte für ihren Vorstoß mit dem Ar- gument geworben, er sei fair und betreffe alle gleichermaßen. Das stimmt nun nicht mehr. Natür- lich ist die CSU ein Sonderfall, aber den gibt es eben schon seit Jahrzehnten. Es ist ein Gebot der politischen Klugheit, darauf Rücksicht zu nehmen. Nun droht die Gefahr, dass jede neue Mehrheit im Bundestag ein neues Wahlrecht beschließt. Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Herr Glaser, waren Sie überrascht, als die Ampelkoalition im Kern den AfD- Vorschlag aufgriff, zur Verkleinerung des Bundestages auf Überhang- und Aus- gleichmandate zu verzichten und Wahl- kreismandate nur noch zuzuteilen, wenn sie vom Listenergebnis der betreffenden Partei gedeckt sind? Offen gesagt: ja. Ich erinnere mich, dass im Mai vergangenen Jahres – einen Tag, bevor wir in der Wahlrechtsreform-Kommission überhaupt darüber gesprochen haben – in der „Frankfurter Allgemeinen“ ein offener Brief von drei, wie sie selbst schrieben, „autorisierten“ Abgeordneten der Ampel- koalition veröffentlicht wurde. Da haben die in der Tat diesen Offenbarungseid ge- leistet, dass sie genau dieses Modell wäh- len würden, mit ein paar Verzierungen. Dass dabei Direktkandidaten, die in ihren Wahlkreisen die meisten Erststim- men erhalten, gegebenenfalls trotzdem kein Mandat erhalten, stört Sie nicht? Nein, das stört mich nicht, und zwar aus systematischen, fundamentalen Gründen. Das Mehrheitswahlrecht, mit dem die Di- rektkandidaten gewählt werden, hat im Unterschied zum Verhältniswahlrecht im- mer das Phänomen, dass alle Stimmen, die nicht auf den Gewinner entfallen, gewis- sermaßen verlorene Stimmen sind. Die Engländer, die das Mehrheitswahlrecht ha- ben, sagen dazu salopp: „The winner takes it all“. Dass Direktbewerber mit den relativ schlechtesten Ergebnissen in einem Bezirk oder Bundesland ausscheiden, finden wir heute schon im Landtagswahlrecht von Ba- den-Württemberg und Bayern. Das könnte aber bedeuten, dass mög- licherweise ganze Regionen – wahr- scheinlich vor allem Großstädte – nicht mehr von direkt gewählten Abgeordneten im Parlament vertreten sind. Sehen Sie darin kein Problem? Auch da sehe ich kein Problem. Erstens ist festzustellen, dass der Kult um das Direkt- mandat schon deshalb brüchig ist, weil die Kandidaten, die dann ausscheiden, um die 20 Prozent der Stimmen erhalten haben. Früher gab es die Leitidee, der Direktkandi- dat sei das Transportmedium zwischen Po- litik und Bürger, hinter dem eine demokra- tische Legitimation steht, wenn er die Mehrheit der Stimmen in seinem Wahl- kreis hat. Das gilt schon lange nicht mehr. Wenn jemand 20 Prozent der Stimmen im Wahlkreis erreicht, heißt das auch, dass 80 Prozent derer, die zur Wahl gegangen sind, ihn gar nicht gewählt haben. Dann zu behaupten, das sei jetzt der regionale politische König, ist eine Legende. Und zweitens? Das Zweite zeigt sich, wenn Sie das Wahl- ergebnis von 2021 umlegen auf das neue Modell mit einer Begrenzung der Abgeord- netenzahl auf 598. Dann hätten wir 34 un- besetzte Erstmandate, von denen 20 Kandi- daten auf aussichtsreichen Plätzen der Lan- deslisten standen. Die sitzen also ohnehin im Parlament und sind natürlich auch in ihrem Wahlkreis präsent. Zudem ist gar nicht vorstellbar, dass sich ein Abgeordne- ter ohne Direktmandat nicht auch um sei- nen Wahlkreis kümmert. Funktional haben Abgeordnete mit Direktmandat keine he- rausgehobene Rolle gegenüber den ande- ren. Für einen guten Listenplatz sind Par- teitage und –gremien, mithin die Partei- arbeit, erstmal wichtiger als Wahlkreis- arbeit und Wählervotum. Befürchtungen, dass der Abstand zwischen Bürgern und Politik dadurch wächst, teilen Sie nicht? Dafür haben wir in unserem Vorschlag ein Gegenrezept, das die Ampelkoalition als einziges nicht von uns übernommen hat, nämlich die „offene Listenwahl“. Das be- deutet, dass die Reihenfolge der Kandida- »Kult ums Direkt- mandat« ALBRECHT GLASER Der AfD- Wahlrechtsexperte über die Reduzierung der Bundestagsgröße und die Forderung nach einer »offenen Listenwahl« © Deutscher Bundestag/von Saldern ten auf den Landeslisten nicht unveränder- lich feststeht, sondern die Wähler diese Reihenfolge mit mehreren Zweitstimmen ändern und Bewerber weiter vorne oder hinten platzieren können. Das ermöglicht ganz nebenbei mehr Partizipation der Wählenden. Wenn dieser Mechanismus existiert, ist das Kümmern um die Wähler- schaft so installiert, dass das von Ihnen be- schriebene Defizit nicht entsteht. Derzeit kommt eine Partei, die die Fünf-Prozent-Hürde reißt, trotzdem ent- sprechend ihrem Zweitstimmenergebnis ins Parlament, wenn sie drei Wahlkreis- mandate direkt gewinnt. Diese Grund- mandatsklausel kippt die Ampel nun, was Sie im Kern auch wollten. Warum? Wir wollen sie kippen, weil sie systema- tisch nicht zu rechtfertigen ist. Wenn ein Direktbewerber, ob parteilos oder von ei- ner Partei, die unter fünf Prozent bleibt, seinen Wahlkreis gewinnt, muss man ihm das Entrée natürlich gewähren; das hat auch das Bundesverfassungsgericht festge- stellt. Aber wenn eine kleinere Partei drei Direktmandate gewinnt und die dann noch 30 Kumpels mitbringen dürfen, ist PARLAMENTARISCHES PROFIL das durch nichts zu rechtfertigen und wür- de die Idee verfehlen, mit der Fünf-Pro- zent-Hürde eine Aufsplitterung des Parla- ments in allzu viele Grüppchen zu vermei- den. Bei der Ampel, behaupte ich, war das rein taktisches Kalkül. Inwiefern? In der Kommission war sie nicht bereit, das überhaupt zu diskutieren. Meine Schlussfolgerung ist, dass sie dann überlegt hat, wie viele Abgeordnete sie durch die Reform verliert. Um den Schaden für ihre Mandate zu mindern, erhöht sie die Zahl der Abgeordnetensitze insgesamt auf 630, nicht aber die der Direktmandate. Und zum Zweiten stünden die derzeit 32 Sitze, die Die Linke ohne Ausgleichsmandate hat, gegebenenfalls zur Verteilung an die übrigen Parteien zur Verfügung. Damit wird der Leidensdruck der eigenen Partei vermindert, der durch die Verkleinerung des Bundestages entsteht. Die Linke, die derzeit nur dank der Grundmandatsklausel in Fraktionsstärke im Bundestag sitzt, beklagt, dass der Wegfall dieser Klausel vor allem darauf ziele, sie aus dem Parlament zu drängen. Unsereinem macht das natürlich Plaisir. Dass die Koalition das macht, hat mich aber wirklich überrascht. SPD und Grüne hatten ja 2021 die Hoffnung, dass zumin- dest rechnerisch eine Koalition mit der Linken möglich wäre. Diese Option würde dann natürlich entfallen. Drohungen, gegen das neue Wahl- recht vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, machen Ihnen keine Sorge? Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, wo solche Klagen ansetzen wollen. Es ist im- mer wieder zu hören, dass Direktkandida- ten in den Bundestag gewählt seien und ih- nen dann das Mandat weggenommen wer- de. Nein: Er ist nicht gewählt, sondern muss dafür neben der relativen Mehrheit im Wahlkreis die zweite Bedingung erfül- len, kein Überhänger zu sein. Das ist ganz rational und systemisch, und deshalb bin ich der Überzeugung, dass das verfassungs- rechtlich nicht problematisch ist. Ein parteiloser Einzelbewerber erhält auch nach dem neuen Modell bei einem Sieg im Wahlkreis ein Mandat, obwohl es dabei logischerweise keine Zweitstim- menabdeckung gibt. Dann wären es doch wieder mehr Sitze als die Regelzahl? Im Prinzip ja. Ich halte es aber für einen hohen demokratischen Wert, Direktman- date als Wahlchance anzubieten, um ins Parlament zu kommen. Dass es diese Mög- lichkeit geben muss, hat auch das Bundes- verfassungsgericht gesagt. Wenn man sagt, eine Demokratie muss hier offen sein, hät- te man in solchen Fällen eben die Regel- größe plus x – das geht gar nicht anders. Ich glaube aber, dass dieser Fall bislang noch nie eingetreten ist. Insofern ist es ein Scheinproblem. Anders als Parteikandidaten wäre parteilosen Erststimmen-Siegern das Di- rektmandat garantiert. Ist das nicht ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und mithin verfassungswidrig? Das ist vom Denkansatz her richtig. Wenn es aber auch parteilose Mandatsträger ge- ben können soll, hat die entsprechende Zielgruppe auch Nachteile, weil ihr die Un- terstützung einer Partei fehlt. Dieser struk- turelle Nachteil wird durch dieses kleine Privileg kompensiert. Auch das lässt sich systemisch gut rechtfertigen. Die Fragen stellt Helmut Stoltenberg. Albrecht Glaser (81), seit 2017 AfD- Abgeordneter im Bundestag, gehört in der laufenden Wahlperiode der Kommission zur Wahlrechtreform an. Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur Christian Zentner (cz) V.i.S.d.P. Stellvertretender Chefredakteur Alexander Heinrich (ahe) Verantwortliche Redakteure Lisa Brüßler (lbr) Claudia Heine (che) Nina Jeglinski (nki) Claus Peter Kosfeld (pk) Johanna Metz (joh) Elena Müller (emu) Sören Christian Reimer (scr) CvD Sandra Schmid (sas) Michael Schmidt (mis) Helmut Stoltenberg (sto) Alexander Weinlein (aw) Redaktionsschluss 17. März 2023 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4 – 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 32 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 32 E-Mail: fazit-com@cover-services.de Anzeigenverkauf, Anzeigenverwaltung, Disposition Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 36 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 36 E-Mail: fazit-com-anzeigen@cover-services.de Abonnement Jahresabonnement 25,80 €; für Schüler, Studenten und Auszubildende (Nachweis erforderlich) 13,80 € (im Ausland zuzüglich Versandkosten) Alle Preise inkl. 7% MwSt. Kündigung jeweils drei Wochen vor Ablauf des Berechnungszeitraums. Ein kostenloses Probeabonnement für vier Ausgaben kann bei unserer Vertriebsabteilung angefordert werden. Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar. Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Nachdruck nur mit Genehmigung Redaktion. Für Unterrichtszwecke können Kopien in Klassenstärke angefertigt werden. der „Das Parlament“ ist Mitglied der Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbrei- tung von Werbeträgern e. V. (IVW) Für die Herstellung der Wochenzeitung „Das Parlament“ wird Recycling-Papier verwendet. Der Wertschätzende: Michael Frieser A uf der Fraktionsebene im Bundestag herrscht betrieb- same Stille. Noch tagen die Fraktionen in den ihnen zugewiesenen Sälen, im Rundbau dagegen wartet ei- ne Handvoll Kameraleute, Referenten und Reporter. Stress ist angesagt, zwischen den Fraktionen: Eine von der Regie- rungskoalition avisierte Wahlrechtsreform erzürnt die Geister der Opposition. Da öffnet sich eine Nebentür aus dem Sitzungsraum der Unionsabgeordneten, und entgegen kommt ein Mann, bei dem man sich nur schwer vorstellen kann, dass sein Gesicht je- mals schlechte Laune trägt: Michael Frieser, CSU, 58, langer Hän- dedruck, scannender Blick, weist lächelnd den Weg zu einem Ne- benraum; ein paar Minuten Zeit habe er, dann müsse er wieder rein. „Was die Ampel plant, ist schlicht eine Sauerei“, sagt er an- fangs unverblümt. „Es ist ein Angriff auf die föderalen Strukturen und das Vertrauen der Bürger in die Politik.“ Harter Tobak. Worum geht es? Die Ampelkoalition plant, die Zweitstimme mehr zu gewichten. Durch die Reform würde der auf 736 Abgeordnete angewachsene Bundestag bei der nächsten Wahl wieder auf 630 Mandate ver- kleinert. Hauptpunkt ist, dass es künftig keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben soll. Gestrichen wird ebenfalls die sogenannte Grundmandatsklausel. Sie bewirkt, dass eine Par- tei wie aktuell die Linke auch dann nach ihrem Zweitstimmener- gebnis in den Bundestag einzieht, wenn sie zwar die Fünf-Pro- zent-Hürde verfehlt, aber mindestens drei Direktmandate gewon- nen hat. Hätte Frieser jemals gedacht, dass er die Linkspartei verteidigen würde? „Natürlich, weil ich die Demokratie insgesamt verteidige. Eine Volkspartei macht nicht nur Politik für die Mehrheitsgesell- schaft, sondern für alle.“ Durchs Kuppelfenster oben wirft die Frühlingssonne ein stechendes Nachmittagshell. Eine Deutsch- landfahne liegt schlaff im Himmel über Berlin. „Fünf Vorschläge haben wir zur Reform gemacht“, sagt Frieser. Sein dunkelblaues Einstecktuch funkelt neben der Krawatte in karierten Blautönen. ..................................................................................................................................................... r e s e i r F o r ü B - B d M © »Schon die letzte noch nicht komplett umgesetzte Wahlrechtsreform hat die Zahl der Mandate auf 736 statt 781 reduziert.« Aufgeräumt wirkt er. Nicht wie einer, dem gerade eine „Sauerei“ widerfährt. Aber Frieser spricht ungerührt über Fristversäumnisse der Regierenden bei Unterlagen und Tagesordnungspunkten, von aberhunderten von Seiten, die erst am Vorabend einer Debatte zur Verfügung gestellt werden. „So geht man mit einem Parla- ment nicht um“, sagt er, „das war früher anders“. Klar, man müs- se den Bundestag verkleinern. „Aber schon die letzte noch nicht komplett umgesetzte Wahlrechtsreform hat die Zahl der Mandate auf 736 statt 781 reduziert. Außerdem haben wir eine Vergröße- rung der Wahlkreise vorgeschlagen.“ Draußen schwindet die Sonne im Nu. Mit Wahlkreisen kennt sich Frieser aus, seit 2009 hat er den von Nürnberg-Süd gewonnen. Der Franke sitzt unter anderem im Rechtsausschuss und ist Justiziar der Fraktion. Vorher zeigte sich der Nürnberger lokal verwurzelt: Sein Vater mit 25 Jahren Erfahrung als CSU-Politiker im Stadtrat, er dies als Junior zwischen 1996 und 2009 auch; seit 2003 als Fraktions- vorsitzender. Der Jurist hatte sich bekannt gemacht, galt als nahbar. Und, war man auf ihn für den nächsten Schritt, eine Bundestags- kandidatur, zugekommen, hatte man ihn gefragt, wie es gern heißt? „Das ist meist Pustekuchen“, sagt er, „man muss einfach auch mal sagen: Ich will das. So läuft es oft und so lief es auch bei mir“. Die politische Arbeit, sagt er, habe sich in den letzten Jahren nicht zum Vorteil entwickelt. „Für eine eingehende Beschäftigung mit Themen fehlt zunehmend die Zeit, die Abläufe werden immer ra- santer.“ In der beschleunigten Kommunikation sehe er den Hauptgrund. „Auch ich denke zuweilen in kurzen Clips, daran, was welche Wirkung draußen zeitigt.“ Dabei wirkt Frieser selbst entschleunigt, wie es sich für einen Vizepräsidenten des Deut- schen Knigge-Bundes gehört. „Uns geht es in erster Linie nicht um Etikette oder Tischkultur, sondern um den wertschätzenden und respektvollen Umgang miteinander.“ Ein Blick zur Uhr. Er muss zurück zur Fraktion. Draußen peitschen plötzlich Regen und Schnee. Die Fahne schlägt hart gegen den Mast. Jan Rübel T