4 INNENPOLITIK Das Parlament - Nr. 14 - 03. April 2023 umgebaut. K ommunen und Gemeinden haben für die Unterbrin- gung von Geflüchteten und Asylbewerbern immer weni- ger Kapazitäten. In Städten, aber auch im ländlichen Raum, werden deshalb bundesweit stillge- legte Wohncontaineranlagen reaktiviert, Turnhallen oder stillgelegte Flughäfen zu Flüchtlingsunterkünfte Um schneller und unbürokratischer Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünfte zu schaffen, fordert die CDU/CSU-Fraktion in einem Antrag (20/6174), Sonderregelungen des Baugesetzbuches zu verlängert. Über den Antrag hat der Bundestag am vergangenen Donnerstag erstmalig beraten. Konkret wird gefordert, jene Befristungsregelungen, die als Reaktion auf die Migrationsbewegungen eingeführt wurden und bis Ende 2024 gel- ten, bis zum 31. Dezember 2027 zu verlän- gern. Zudem sollten im Rahmen des Bauge- setzbuches Sonderregelungen für den Aus- bau der sozialen Infrastruktur – wie Kinder- gärten, Schulen und Unterkünfte – geschaf- fen werden. Nach der Aussprache wurde der Antrag an den Ausschuss für Wohnen, Stadt- entwicklung, Bauwesen und Kommunen überwiesen. Enak Ferlemann (CDU) beschrieb „die dringende Aufgabe der Unterbringung von geflüchteten Menschen“. Vertreter aus Kommunen und Länder schilderten die La- ge, dass Plätze für die Unterbringung der Geflüchteten kaum noch zur Verfügung stünden. Wenn jedoch nicht genug Wohn- raum vorhanden sei, müsse erneut auf Turnhallen und Messehallen ausgewichen werden. seien 1,3 Millionen Menschen nach Deutsch- land gekommen, sie alle seien unterge- bracht worden, und in diesem Jahr sei mit „einer weiteren, sehr großen Zahl von Menschen, die zu uns kommen, zu rech- nen“, sagte Ferlemann. In dieser Lage müs- se die Bundesregierung dafür sorgen, dass die kommunale Ebene, die für die Unter- bringung der Geflüchteten zuständig ist, vom Bund besser unterstützt werde. Die Kommunen sollten eine erleichterte bau- rechtliche Genehmigung erteilen können. Diese Frist solle bis Ende 2027 verlängert werden, „damit Kommunen Planungssi- cherheit bekommen“. Das jetzige Baurecht gebe das nicht her. Ferlemann begrüßte, dass das Bundeskabinett der Fristverlänge- rung bis 2027 bereits am Mittwoch zuge- stimmt hat. Im vergangenen Jahr Bund reagiert Brian Nickholz (SPD) ver- wies darauf, dass die Bundesregierung schon auf „die angespannte Lage in den Kommunen reagiert hat“. Drei Beispiele verdeutlichten dies. So habe die Bundesan- stalt für Immobilienaufgaben (BimA) über 330 Liegenschaften und rund 69.000 Un- terbringungsplätze bereitgestellt, weitere seien in der Prüfung. Im vergangenen Jahr seien dreieinhalb Milliarden Euro an die Länder geflossen, zudem übernehme der Bund die Kosten für die Ukrainer, die Leis- tungen nach dem SGB II erhielten. Carolin Bachmann (AfD) kritisierte den Antrag, ihrer Meinung nach sei es nicht der richtige Weg, „weitere Containerdörfer zu errichten“. Landräte und Bürgermeister hätten den Bund wegen der Unterbrin- gung kritisiert. Ihrer Meinung nach sei ei- ne andere Politik nötig, demnach sollten Am Limit FLÜCHTLINGE Bundestag debattiert über Antrag der CDU/CSU zur Entlastung der Kommunen beim Bau von Unterkünften für schutzsuchende Menschen Viele Geflüchtete sind dauerhaft in Containerdörfern untergebracht, aus Mangel an regulärem Wohnraum. © picture-alliance/W. Rothermel schafft Wohnraum“, abgeschoben so abgelehnte Asylbewerber werden. „Das Bachmann. Dem widersprach Karoline Otte (Bündnis 90/Die Grünen). Die Bürger in den Kom- munen hätten im letzten Jahr über eine Million geflüchtete Menschen „willkom- men geheißen“ und damit erneut „die In- tegrationskraft vor Ort unter Beweis ge- stellt“. Der Bund sehe die Anstrengungen und sehe die Herausforderung, deshalb stünden in diesem Jahr 2,75 Milliarden Euro für Unterbringung, Versorgung und Integration für die Länder zur Verfügung. Für den fehlenden Wohnraum brauche es pragmatische Lösungen, deshalb habe die Bundesregierung eine Änderung des Bauge- setzes beschlossen. Damit werde den Kom- munen schneller geholfen, schneller zu bauen. Jedoch brauche es eine neue Wohn- gemeinnützigkeit, damit Miete bezahlbar bleibe und bestehende Sozialwohnungen nicht aus der Sozialbindung herausfielen. „Daran arbeiten wir“, sagte Otte. Neustart Das unterstrich auch Caren Lay (Die Linke), es brauche „einen Neustart im Sozialen und Gemeinnützigen Wohnungs- bau“, damit würden nicht nur Geflüchtete, sondern auch Menschen mit geringem Ein- kommen eine Chance auf bezahlbaren Wohnraum bekommen. Der Unionsantrag hingegen führe lediglich dazu, dass „noch mehr Zwischenlösungen am Stadtrand ent- stehen“, solche Notstrukturen müssten die Ausnahme sein, „auch für Geflüchtete brauchen wir dauerhafte Wohnungen“, sagte Lay. Wer in Hallen oder Container le- ben müsse, dem werde Integration er- schwert oder gar unmöglich gemacht. Für Rainer Semet (FDP) hat das Problem Wohnungsknappheit andere Ursachen. Es brauche eine Reform des Baugesetzbuches, schnellere Verwaltungsprozesse und mehr „serielles Bauen und Holz als Baustoff“. Die Vorschläge im Unionsantrag seien in einigen Punkten bereits überholt, da das Bundeskabinett schon reagiert habe und die Sonderregelungen nach Paragraf 246 bis Ende 2027 verlängert worden seien, zu- dem stünden durch den Bund in diesem Jahr 2,7 Milliarden Euro für die Unterbrin- gung und Versorgung Geflüchteter zur Ver- fügung. Nina Jeglinski Ausbeutung stoppen ARBEIT Linke fordert Verbesserung bei Saisonbeschäftigung Saisonbeschäftige aus ganz Europa machen sich aktuell auf den Weg nach Deutsch- land, um in der Landwirtschaft zu arbeiten und Spargel, Erdbeeren und Co. von den Feldern zu ernten. Nicht immer herrschten dabei angemessene Arbeits- und Unter- bringungsbedingungen, mahnt die Frakti- on Die Linke und fordert in einem Antrag (20/6187), die „Ausbeutung von Saisonbe- schäftigten“ zu unterbinden. So sollten ausländische Arbeitskräfte nach Vorstel- lung der Fraktion grundsätzlich sozialversi- cherungspflichtig beschäftigt sein und die Arbeitszeit „tagesaktuell, elektronisch und manipulationssicher“ erfasst werden. Der Bundestag debattierte vergangenen Don- nerstag über den Antrag. Ohne soziale Absicherung bliebe vielen Beschäftigten nur eine private Gruppenver- sicherung. „Das sind Billigversicherungen mit unzureichendem Schutz“, sagte Susan- ne Ferschl (Die Linke). Beschäftige blieben dadurch selbst bei akuten Erkrankungen auf einem Teil der Kosten sitzen. Fehlende Kontrollen Es sei schon viel ge- schehen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, betonten Manuela Gava (SPD) und Grünen-Politikerin Beate Müller-Gem- meke. So würden auch Saisonbeschäftigte von einem höheren Mindestlohn profitie- ren (Gava). Durch das Nachweisgesetz müssten die Arbeitsbedingungen außer- dem schriftlich vereinbart werden (Müller- Gemmeke). Es gebe aber noch einiges zu tun. Dass Saisonarbeit grundsätzlich als „sozialversicherungslose kurzfristige Be- schäftigung“ gelte, sei „ein ganz merkwür- diges Konstrukt“, sagte Müller-Gemmeke. Für Carl-Julius Cronenberg (FDP) liegt das Problem für Saisonbeschäftigte vor allem darin, dass geltendes Recht nicht angemes- sen kontrolliert und durchgesetzt werde. Überregulierung Unionspolitikerin Jana Schimke betonte, dass besonders die Land- wirtschaft von hohe Lohnkosten geprägt sei und unter massivem Preisdruck stehe. Allein durch die Einführung des Mindest- lohns in Deutschland verzeichne die Bran- che eine Lohnkostensteigerung von 62 Pro- zent. Es müsse zwar über Missbrauch des Arbeitsrechts gesprochen werden, aber eine „Regulierung mit der Gießkanne“ könne nicht die Lösung sein. Die Linke erweise den Beschäftigten mit ihrem Antrag „einen Bärendienst“, Stephan Protschka (AfD) sprach von „künstlichen Kosten“, die der Antrag verursache und da- durch eine Gefährdung für die „Versor- gungssicherheit mit heimischen Obst und Gemüse“ darstelle. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Ar- beit und Soziales überwiesen. des T Schimke. sagte Demokratie stärken FAMILIE Experten sehen Verbesserungsbedarf bei Entwurf Nachdem das „Wehrhafte-Demokratie-Ge- setz“ in der letzten Legislaturperiode an Unstimmigkeiten im Bundeskabinett scheiterte, startet die Ampel-Koalition mit dem Demokratiefördergesetz einen neuen Versuch. Laut Entwurf (20/5823) soll der Bund künftig eigene oder die Maßnahmen Dritter fördern können, die sich für Demo- kratie, Vielfaltgestaltung und Extremismu- sprävention einsetzen. Wie bereits bei der ersten Lesung des Ent- wurfs im Bundestages beschäftigte auch die Sachverständigen bei einer öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf vergangenen Montag besonders die Frage, wer die Pro- jekte am Ende nach welchen Kriterien aus- wählen wird. Planbarkeit Timo Reinfrank von der Ama- deu Antonius Stiftung zeigte sich begeistert von dem Entwurf, der auf „dauerhafte De- mokratieförderung“ abziele und ein „weg von der Befristung“ auf höchstens zwei För- derperioden bedeute. Reinfrank forderte zudem, eine „institutionalisierte Form der Beteiligung“ von Projektträgern im Gesetz festzuschreiben. Von einem „Krieg gegen die Demokratie“ sprach der Passauer Politikwissenschaftler Lars Rensmann, der den Gesetzentwurf be- grüßte. Er beklagte eine „verbreitete Abkehr vom demokratischen Verfassungsstaat“. Der Staat müsse daher reagieren, um freiheits- gefährdenden Ideologien zu bekämpfen. Nicht alle Sachverständigen teilten indes die Ansicht, dass der Staat aktiv in die De- mokratieförderung eingreifen solle. So mahnte Christopher Gohl vom Weltethos- Institut in Tübingen, dass das Gesetz kein „Instrument der Erziehung von Bürgerin- nen und Bürgern“ werden dürfe. Er forder- te daher eine breite Debatte darüber, wel- ches „Leitbild von Demokratie“ gefördert werden solle. Auch der Psychologe und Islamismusex- perte Ahmad Mansour, der das Gesetz ge- nerell wegen der Planungssicherheit für Projekte begrüßte, forderte Transparenz bei den Auswahlkriterien. Die Chance auf Förderung dürfe nicht von der „Ideo- logie“ eines Projektes oder dessen Nähe zu Regierenden abhängen, sagte Man- sour. Ländersache Ob der Bund überhaupt die Regelungskompetenz habe, um eigene Pro- jekte im Bereich der Extremismuspräventi- on zu fördern, bezweifelte der Verfassungs- jurist Tim Wihl: Dies sei schließlich Län- dersache. Auf die praktischen Herausforderungen vor Ort ging Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag ein. Er bewertete den Entwurf insgesamt positiv, mahnte aber, dass dieser die Vernetzung der Akteure auf lokaler Ebene zu wenig im Blick habe. Dies müsse als Förderkriterium in das Gesetz aufge- nommen werden, sagte Ritgen. hari T Ringen um »Rückführungsoffensive« Kriminelle Kinder ASYL Die Koalition weist Forderungen von Union und AfD nach verschärften Abschiebemaßnahmen zurück RECHT AfD will nach Gewaltfällen das Strafrecht ändern »Wir wollen mit unserem Antrag Abschiebe- hürden beseitigen.« Christoph de Vries (CDU) Nicht immer wird unter ein und demsel- ben Begriff auch von allen ein und dassel- be verstanden. Das zeigte sich vergangene Woche auch in der Bundestagsdebatte über Oppositionsforderungen nach einer „Rück- führungsoffensive“. Eine solche zu starten, „um Ausreisen konsequenter umzusetzen“, hatten die Ampel-Parteien in ihrem Koali- tionsvertrag angekündigt; sie „umgehend auf den Weg zu bringen“, fordert nun die CDU/CSU-Fraktion in ei- nem Antrag von der Bun- desregierung (20/6173), während die AfD-Fraktion einer weiteren Vorlage zu- folge „die Zeitenwende in der Migrationspolitik mit einer Rückführungsoffensi- ve einleiten“ (20/6184) möchte. 2023 „alle Kooperationsfelder Verstöße ahnden Was die beiden Fraktionen dazu für erforderlich halten, mach- ten sie in ihren jeweiligen Anträgen deutlich, die erstmals auf der Ta- gesordnung des Bundestagsplenums stan- den. So fordert die CDU/CSU, bei der Aus- handlung und Umsetzung von Rücknah- meabkommen mit Herkunfts- und Transit- ein- staaten schließlich der Visavergabe, Entwicklungs- und Wirtschaftsbezie- zusammenarbeit hung einzubeziehen“. Auch dringt sie da- rauf, Verstöße gegen Einreise- und Aufent- haltsverbote „konsequent zu ahnden“ und sicherzustellen, „dass insbesondere Verstö- ße von Straftätern unmittelbar in Abschie- bungshaft und unverzügliche Aufenthalts- beendigung münden“. Ferner plädiert sie etwa dafür, „pragmatische Lösungen“ für Rückführungen von Gefährdern und Straf- tätern nach Afghanistan zu finden. Nach dem Willen der AfD-Fraktion soll die Bundesregierung gegenüber Herkunftsstaa- ten, die bei der Rücknahme ihrer Staats- bürger nicht oder nur unzureichend ko- operieren, Maßnahmen im Bereich der Vi- savergabe, der Handelspolitik, des Techno- logietransfers und der Entwicklungszusam- menarbeit „konzertiert“ einsetzen. Zudem soll die Bundesregierung dem AfD-Antrag zufolge im Verbund mit den Bundeslän- sorgen, dass dern dafür Straftäter ausländische „ausnahmslos abgescho- ben werden – entweder in ihr Herkunftsland oder in einen aufnahmebereiten Drittstaat“. Ferner fordert die Fraktion die Bundesre- gierung unter anderem auf, „im Verhältnis zu Syrien Verhandlungen mit der Re- gierung aufzunehmen, um eine von Straftätern sowie von nur subsidiär Schutzberechtig- ten (...) in die befriedeten Gebiete Syriens zu ermöglichen“. Rückführung »Pull-Faktor« Christoph de Vries (CDU) warf Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in der Debatte vor, weder Maßnah- men zu ergreifen, um die illegale Migrati- on zu unterbinden, noch Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um die Rückführung ausreisepflichtiger Ausländer wirksam durchzusetzen. Dagegen wolle die Union mit ihrem Antrag Abschiebehürden beseiti- gen und Ausreisepflichten durchsetzen. Das deutsche Asylrecht könne nur Bestand haben, wenn Menschen ohne Schutzan- spruch auch zurückgeführt werden. Gottfried Curio (AfD) beklagte, dass die Aufnahmekapazitäten „mit deutlich über »Wir geben freiwilligen Ausreisen den Vorzug vor zwangsweiser Abschiebung.« Stephan Thomae (FDP) 200.000 Asylbewerbern letztes Jahr – ne- ben einer Million Ukrainern“ endgültig überfordert seien. Dabei seien von mehr als 300.000 abgelehnten und vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbern vergan- genes Jahr 96 Prozent in Deutschland ge- blieben. Diese „Rechtsbruchmentalität Deutschlands, dass Unberechtigte bleiben können“, sei ein „Pull-Faktor erster Güte“. Abkommen Helge Lindh (SPD) betonte dagegen, es sei niemals machbar oder realistisch, mehrere Hun- derttausende von Ausreise- pflichtigen auszuweisen. Stattdessen konzentriere sich die Ampel „auf Ge- fährder und Straftäter, und dies nach Recht und Ge- setz“. Auch setze sie auf Mi- grationsabkommen. Diese bedeuteten aber nicht Wirt- schaftssanktionen oder von Entwick- Streichung lungshilfe, wie es auch die Union fordere. Der Ansatz der Koalition und des Bevoll- mächtigten der Bundesregierung für Migra- tionsabkommen, laute vielmehr „faire Abkommen, Reduktion ir- regulärer Migration, ein strategisches Ver- ständnis von Abschiebung“. Stephan Thomae (FDP) argumentierte, die Koalition habe von der Vorgängerregierung 300.000 vollziehbar Ausreisepflichtige „so- zusagen geerbt“ von denen viele seit fünf oder acht Jahren im Land seien, ohne ab- geschoben werden zu können. Da es un- wahrscheinlich sei, dass ihre Abschiebung in den nächsten Jahren gelinge, sei es sinn- voller, diese Menschen besser zu integrie- ren, damit sie hier arbeiten und auf eige- nen Beinen stehen können. Auch gebe die Joachim Stamp, Abschiebungen Koalition der Förderung freiwilliger Ausrei- sen, bei denen die Zahlen anstiegen, den Vorzug vor zwangsweisen Abschiebungen. Daneben habe Stamp bereits Gespräche mit Regierungen wichtiger Herkunftsstaa- ten begonnen über Abkommen, „die auch eine Rücknahme beinhalten“. Damit werde vorbereitet, dass Rückführungen künftig besser funktionieren können als bisher. Filiz Polat (Grüne) sagte, die Koalitions- fraktionen seien sich einig, dass in Kriegs- und Krisengebiete oder Länder, in denen Fol- ter und Verurteilung ohne faire gerichtliche Verfahren drohen, „der Vergangenheit angehören“. Daher komme eine Aufhebung des Ab- schiebestopps nach Afgha- nistan oder Syrien für die Koalition wie auch für die Bundesländer meisten nicht infrage. Abgelehnte Asylbewerber seien aus ver- schiedensten Gründen geduldet, etwa weil sie sich in einer Ausbildungsduldung be- fänden, von ihren Botschaften keine Pässe erhalten könnten oder es von den Bundes- ländern einen faktischen Abschiebestopp etwa nach Syrien oder Afghanistan gebe. Der Großteil darunter seien Minderjährige und Menschen im erwerbsfähigen Alter. Darauf brauche man eine „politische Ant- wort“, bei der das sogenannte „Chancen- Aufenthaltsrecht“ eine große Hilfe sei. Clara Bünger (Linke) kritisierte, wer eine Abschiebeoffensive fordere, nehme Brutali- tät und Menschenrechtsverletzungen in Kauf und zerstöre Menschenleben. Dage- gen fordere Die Linke „ein sicheres Bleibe- recht für alle Menschen mit prekärem Auf- enthaltsstatus“. Helmut Stoltenberg T Nach mehreren krassen Fällen von Kinder- gewalt fordert die AfD-Fraktion eine Ver- schärfung des Strafrechts. Das Problem der Kinderdelinquenz sei durch den aktuellen Fall der 12-jährigen Schülerin Luise aus Nordrhein-Westfalen in den Fokus der Öf- fentlichkeit gerückt, heißt es in einem Ge- setzentwurf (20/6194) der Fraktion, der vergangene Woche erstmals auf der Tages- ordnung stand. Die Abgeordneten fordern in dem Gesetz- entwurf, die Altersgrenze für die Strafmün- digkeit auf zwölf Jahre zu senken. Gleich- zeitig soll der Staatsanwaltschaft das Recht eingeräumt werden, beim Familiengericht die Unterbringung eines Kindes zu bean- tragen. Dadurch könne künftig angemes- sen auf Straftaten von Kindern unter zwölf Jahren reagiert werden. Auch solle eine vorläufige Festnahme durch Staatsanwalt- schaft und Polizei zu diesem Zweck ermög- licht werden. Individuelle Reife Thomas Seitz (AfD) sagte, es gehe nicht mehr um Einzelfälle. So sei 2022 die Zahl der Tatverdächtigen unter 14 Jahren bundesweit um ein Drittel gestiegen. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, weil vielfach keine Anzeige erstattet werde, wenn der Geschädigte wisse, dass der Täter strafunmündig sei. Eine Herabset- zung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre sei daher dringend geboten. In Ungarn, Kanada oder den Niederlanden beginne die Strafmündigkeit ebenfalls mit zwölf Jahren. Auch bei einer niedrigeren Strafmündig- keitsgrenze sei im Übrigen individuell zu prüfen, ob ein Tatverdächtiger die nötige Reife aufweise, um das Unrecht seiner Tat einzusehen. Reifeverzögerungen und Per- sönlichkeitsstörungen könnten zum Aus- schluss der Verantwortlichkeit führen. Nach Ansicht von Ingmar Jung (CDU) ist es legitim, nach einem Geltungszeitraum von 100 Jahren über die Grenzen der Straf- mündigkeit zu reden. Einzelfälle dürften aber nicht zum Anlass genommen werden, scheinbar einfache Lösungen zu präsentie- ren. Auf dem Rücken der Opfer Politik zu machen, sei schäbig. Jung sprach sich dafür aus, eine Studie in Auftrag zu geben und eine Art Gleitzone für Fälle unter 14 Jahren zu erwägen. Sebastian Fiedler (SPD) sagte, die Absen- kung der Strafmündigkeit sei ein untaugli- ches Mittel, um mit solchen Fällen umzu- gehen. Das Jugendstrafrecht trage nicht den Gedanken der Vergeltung, sondern der Erziehung. Die Idee sei, „Leute wieder zum Besseren zu bewegen“. Auch Helge Lim- burg (Grüne) verwies auf den Sozialgedan- ken. Das Strafrecht gehe von dem Grund- satz aus, dass Kinder und Jugendliche Chancen, Hilfe und Unterstützung bräuch- ten und nicht in erster Linie Strafen. Wer die Strafmündigkeit herabsetze, ermögli- che, dass Kinder ins Gefängnis gesperrt würden. Im Fall Luise bleibe die Tat für die Täterinnen im Übrigen nicht folgenlos. Ähnlich argumentierte Stephan Thomae (FDP), der vor überzogenen Reaktionen auf den Fall in Freudenberg warnte. Rufe nach Strafverschärfungen aus Anlass kon- kreter Taten seien regelmäßig unklug. Die dienten weniger dem Recht als der Regulie- rung des Empörungsbedürfnisses und seien vom Gedanken an Sühne und Genugtuung getragen. Vergeltung an Kindern sei aber nicht Teil des Justizsystems. Clara Bünger (Linke) sagte, das Ziel könne nicht sein, Kinder wegzusperren. Sie for- derte, für mehr pädagogische Fachkräfte an Schulen zu sorgen und über Gewalt und Mobbing aufzuklären. Sie betonte: „Kinder gehören nicht in den Knast.“ pk T