2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - 1-3 - 02. Januar 2023 GASTKOMMENTARE ERNÄHRUNGSSICHERHEIT VERSUS ARTENSCHUTZ? Realitäts-Check PRO Die Vorstellung einer Bio-Landwirt- »Liste der Sünden ist lang« JOHANNES VOGEL Der Berliner Museums-Generaldirektor zieht ein kritisches Fazit zur Weltnatur- konferenz – sieht aber Chancen Lassen Sie uns einmal nicht über andere, sondern über Deutschland reden: Hier ha- ben wir 18 Prozent der Landfläche unter verschiedenen Schutzstatus zusammenge- fasst. Nur für zwei Prozent gilt, dass man der Natur freien Lauf lässt. In den anderen 16 Prozent sind verschiedene Formen von Fischerei, land- oder forstwirtschaftlicher Nutzung möglich. Mit solchen Maßnah- men sind in den letzten Jahrzehnten 70 bis 85 Prozent der Biomasse von Insekten ver- loren gegangen - eine Hiobsbotschaft. Es zeigt, dass nur mit Schutzgebieten das Ar- tensterben nicht reduziert oder aufgehalten werden kann. Alle Flächen und Meere der Welt müssen naturfreundlicher genutzt werden. Und das geht insbesondere, wenn wir unsere Ernährung umstellen. Gibt es etwas, dass Sie hoffen lässt? Ja, unsere wissensbasierte Demokratie. Ich glaube, dass es ähnlich wie beim Klima- Thema neue, breite gesellschaftliche Strö- mungen und neue Koalitionen aus Wissen- schaft, Wirtschaft und Gesellschaft für ein verändertes Verhältnis von Mensch und Natur geben – und da am Ende auch die Politik mitgehen wird. Dafür könnte die Konferenz ein Startschuss gewesen sein. Wir haben in Montreal zum Beispiel das erste Mal gesehen, dass Business sich für das Thema Biodiversität interessiert. Wirt- schaft und Finanzwirtschaft sehen voraus, dass es Regulierungen geben wird, Ziele, die zu erreichen, Gesetze, die einzuhalten sind – darauf bereitet man sich vor. Welche Schritte sollte die Bundesre- gierung jetzt als nächstes gehen? Ich hätte eher einen Wunsch an das Parla- ment. Jetzt wäre doch die Zeit, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission zum Thema einrichtet und Deutschland in den nächsten Jahren eine Debatte zum Thema führt. Ich war Co-Vorsitzender des Wissen- schaftsjahres 2022 „Nachgefragt“: Vier Fünftel aller 14.000 Fragen aus der Gesell- schaft an die Wissenschaft drehten sich um die Themen Klima, Natur, Gesundheit, eben das übergeordnete Thema „Gesunder Mensch - Gesunder Planet“. Dieses immen- se Interesse sollte das Parlament nutzen, um das Thema groß zu machen. Die He- rausforderung ist auch als Chance für unse- re Demokratie zu begreifen. Inwiefern? Ich glaube, dass die globalen Großkrisen mit Blick auf Natur und Klima viel enger mit dem Überleben unserer Demokratie verknüpft sind, als die Politik sich eingeste- hen will. Können Sie das erklären? Nur eine Gesellschaft, die zusammenhält, trägt in sich die Kraft, großen Herausforde- rungen zu trotzen – wie wir in der Ukraine gerade sehen. Auf der anderen Seite sehen wir auch, wie Corona unsere Gesellschaft verändert hat. Der Putschversuch soge- nannter Querdenker und Reichsbürger zeigt das deutlich. Man kann also sehen, wie die wissensbasierte Bekämpfung einer Pandemie, die durch nicht nachhaltige Nutzung von Natur ausgelöst wurde, zu ei- ner Radikalisierung eines Teils der Bevölke- rung geführt hat und dann zu demokratie- feindlichen Aktionen. Was passiert erst, wenn Pandemien, Hitzejahre oder ausfal- lende Ernten zur Norm werden? Für mich ist deshalb eine nachhaltige Nutzung der Welt unmittelbar damit verbunden, dass wir ein gutes und demokratisches Leben führen können. Das Gespräch führte Michael Schmidt. t a v i r P © Wolfgang Mulke, freier Journalist t a v i r P © Claudia Ehrenstein, »Die Welt«, Berlin Zu einfach gemacht CONTRA W er auf Ernährungssicherheit ver- tendenziell schaft in Einklang mit der Natur, von Artenvielfalt bei gleichzeitig hoher Er- zeugung von Lebensmitteln ist ro- mantisch, hält einem Realitäts-Check auf abseh- bare Zeit jedoch nicht stand. Je nach Beschaffen- heit der Regionen und den dort herrschenden wirtschaftlichen Notwendigkeiten stehen dem Ide- al handfeste Interessen entgegen. Es gibt einige kaum auflösbare Zielkonflikte. So konkurrieren in Europas Industriestaaten unter- schiedliche Nutzungen begrenzter Agrarflächen miteinander. Der Boden wird für den Anbau von Nahrungsmitteln oder von Energiepflanzen benö- tigt. Zunehmend geht Fläche für Solarkraftwerke oder Windparks verloren. Im globalen Süden geht es vor allem darum, unter immer schwierigeren klimatischen Bedingungen genug Nahrungsmittel für die Bevölkerung zu erzeugen. Vor diesem Problem stehen auch die bevölke- rungsreichen Schwellenländer. Hinzu kommen die mit zunehmendem Wohlstand wachsenden An- sprüche an Menge und Qualität der Lebensmittel. Es gibt daher eine für die Natur toxische Mischung politischer Stabilitätsinteressen und ökonomischer Chancen für die Produzenten der Nahrungsmittel. Da das Bevölkerungswachstum anhält, ist ein wie- der sinkender Bedarf an Nahrungsmitteln nicht absehbar. In der Abwägung zwischen Ertragsein- bußen durch eine umweltverträgliche Erzeugung und der Ernährungssicherheit in politisch global unsicheren Zeiten wird es die langfristig nachhalti- gere Strategie gegenüber den kurzfristigen Vortei- len erfahrungsgemäß schwer haben. Nötig wäre hier eine globale faire Zusammenarbeit zur Auflö- sung der Zielkonflikte. Davon ist die Welt derzeit aber so weit entfernt wie schon lange nicht mehr. weist, um nichts für Artenschutz zu tun, macht es sich zu einfach. Wir müssen nicht um jeden Preis mehr produzieren, um alle Menschen satt zu be- kommen. Der Hunger im globalen Süden ist vor al- lem eine Folge von Verteilungsproblemen, Kriegen und Katastrophen. Bei der Ernte und Lagerung kommt es noch immer zu starken Verlusten. Und ein großer Anteil des weltweit produzierten Ge- treides landet im Trog statt auf dem Teller. Von den inzwischen mehr als 14 Millionen Tonnen Weizen und anderen Feldfrüchten, die im Rahmen des UN- Getreideabkommens aus der Ukraine exportiert wurden, gingen mindestens 2,5 Millionen Tonnen vor allem als Viehfutter allein nach Spanien. Wür- den weniger Tiere gemästet, bliebe mehr Getreide für den menschlichen Verzehr. Weltweit werden heute mehr Kalorien produziert als rechnerisch nötig sind, um die Menschheit zu ernähren. Auch Deutschland ist mit Kalorien über- versorgt, und in einer alternden Gesellschaft nimmt der Bedarf eher noch ab. Es bleiben also Spielräume, dem Artenschutz mehr Raum zu ge- ben und den Auftrag des Grundgesetzes zu erfül- len, die „natürlichen Lebensgrundlagen“ zu be- wahren. Hierzulande schuf einst die Landwirt- schaft mit kleinteiligen Feldern und Wiesen die ökologischen Nischen für den Artenreichtum, den wir als schützenswert empfinden. Jetzt müssen wir monotone Agrarflächen so umgestalten, dass wieder neue Lebensräume entstehen und mög- lichst auch die Landwirtschaft profitiert – indem etwa die kluge Anlage von Hecken und Grünstrei- fen wertvollen Ackerboden vor Winderosion schützt. Das wäre doch ein guter Anfang. Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Herr Vogel, knapp zwei Wochen ha- ben rund 5.000 Delegierte aus fast 200 Ländern in Montreal getagt, gestritten und gerungen, 120 Minister wurden ein- geflogen – und am Ende steht ein neues Artenschutzabkommen. War die 15. Welt- naturkonferenz ein Erfolg? Leider ist es nach wie vor so, dass die über- ragende Wichtigkeit des Themas in der Po- litik überhaupt nicht angekommen ist. An- ders als beim Klimagipfel in Scharm el Scheich vor wenigen Wochen ist außer dem gastgebenden kanadischen Premier Trudeau kein einziges Staatsoberhaupt ge- kommen. Das ist kein gutes Zeichen. Denn hier geht es um den Ast, auf dem wir alle sitzen und an dem wir alle kräftig sägen. Wenn der bricht, dann ist es vorbei. Das ist noch nicht verstanden worden. Warum ist das so? Als Menschen, so wie wir uns entwickelt haben in den letzten zwei Millionen Jah- ren, denken wir, dass die Natur – sei es das Klima, das Tier, die Pflanze, der Boden oder das Wasser – einfach da ist und wir sie nutzen können. Es fehlt das Bewusstsein, wie wertvoll eine funktionierende Natur für uns ist. Wir begreifen nicht, dass wir diese riesige Erde und die komplexe Natur so verändern, dass die Folgen für menschli- ches Leben dramatisch sein können. Das neue Artenschutzabkommen defi- niert 23 Ziele… … wir haben vor zwölf Jahren eine ähnli- che Jubelveranstaltung in Japan gehabt mit zahlreichen Vereinbarungen, von denen keine einzige eingehalten wurde. Das darf uns nicht nochmal passieren. Gibt es Anlass zu der Hoffnung, dass das nicht wieder passiert? Ja. Es gibt jetzt eine viel größere Aufmerk- samkeit für das Thema. Klimawandel ist in den letzten Jahren parteienübergreifend zu einem Thema für die Politik geworden, weil es Wählerstimmen brachte. Ich glau- be, dass Natur und Biodiversität in den nächsten Jahren einen ähnlichen Effekt auslösen werden. In Montreal wurde hart ums Geld ge- stritten. Bundeskanzler Scholz hatte schon vor Konferenzbeginn angekündigt, Deutschlands Beitrag auf 1,5 Milliarden Euro jährlich verdoppeln zu wollen. Ins- gesamt gibt es nun Zusagen in Höhe von 20 Milliarden Euro für die armen Län- der, in denen 80 Prozent der artenreichs- ten Regionen der Erde liegen. Das klingt nach viel Geld – aber reicht es? Das ist jede Menge Geld, keine Frage. Und es ist toll, dass die Bundesregierung hier in- ternational sichtbar vorwegmarschiert. Wir müssen das Geld aber in Relation setzen: Derzeit gibt die Welt mindestens 150-mal so viel Geld zur Zerstörung der Natur aus - 3,1 Billionen Dollar jährlich - wie sie in Montreal für den Naturschutz zugesagt hat. Woran denken Sie dabei? Es werden zum Beispiel riesige Summen investiert, um nicht nachhaltige Landwirt- schaft zu pushen, Wälder zu roden, Gewäs- ser zu regulieren, unberührte Böden umzu- brechen und nicht nachhaltige Fischerei. zu subventionieren. Europa ist hier tatkräf- tig dabei. Die Liste der Sünden ist lang. Das ist das eine. Das andere ist: Der deut- sche Beitrag, 1,5 Milliarden Euro, ent- spricht gerademal den Kosten für sechs Wochen kostenlose Corona-Tests für die Bürger während der Pandemie. Corona ins- gesamt hat noch viel, viel mehr gekostet. Corona war eine Auswirkung des Klima- wandels plus einer nicht nachhaltigen Nut- zung von Natur: Der Klimawandel hat die Verbreitungsgebiete der Fledermäuse ver- schoben, und beim Wildtierhandel und -verzehr kam es zur Übertragung des Erre- gers. Ich würde sagen: Für uns als – kapita- © picture-alliance/dpa/Oliwia Nowakowska insgesamt sehr viel ressourcenschonender und bescheidener wirtschaften. Ich weiß nicht, wie der Schaden, der jetzt angerich- tet wird, am Ende bezahlt werden soll. Wenn das so weitergeht, befürchte ich, hält unser Wirtschaftssystem und auch unsere Demokratie das nicht aus. listische – Gesellschaft würde es sich rech- nen, in den Schutz von Natur zu investie- ren, anstatt im Nachhinein ein Vielfaches dafür zu bezahlen, dass wir nicht achtsam mit ihr umgegangen sind. Was muss die Politik konkret tun? Eine lebenswerte Zukunft wird vor allem von uns große Anstrengungen und ein Umdenken verlangen. Der Geldtransfer von Nord nach Süd ist das eine. Das ande- re ist: In Deutschland, Europa, in der gan- zen nördlichen Hemisphäre müssen wir Als eines der wichtigsten Ergebnisse der Konferenz gilt die Vereinbarung min- destens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Was ist davon zu halten? Johannes Vogel ist Professor für Biodiver- sität und Public Science an der HU, Mit- glied der Leibniz-Sozietät der Wissen- schaften und Generaldirektor des Muse- ums für Naturkunde in Berlin. Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur Christian Zentner (cz) V.i.S.d.P. 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Dezember 2022 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4– 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 32 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 32 E-Mail: fazit-com@cover-services.de Anzeigenverkauf, Anzeigenverwaltung, Disposition Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 36 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 36 E-Mail: fazit-com-anzeigen@cover-services.de „Das Parlament“ ist Mitglied der Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) Für die Herstellung der Wochenzeitung „Das Parlament“ wird Recycling-Papier verwendet. PARLAMENTARISCHES PROFIL Der Systematische: Harald Ebner Ein Gespräch mit Harald Ebner über Politik geht kaum oh- ne Kuli. „Ich mal Ihnen kurz was auf“, sagt er nach weni- gen Minuten, zeichnet Kreise auf ein Blatt Papier – die Gefahrenradien für Tiere bei Windkraftanlagen, oder Schlangenlinien, „das sind mäandernde Gewässer“; wichtig für die Biodiversität. Seit 2011 sitzt der Schwabe im Bundestag. Aber noch länger hat er vorher als Landschaftsökologe gearbeitet, und rasch denkt man: Ein Klischeepolitiker sitzt da nicht vor einem, eher der Prototyp eines organisierten Naturschützers. „Wir können zum Mond fliegen, haben aber nicht verstanden, wie Ökosysteme funktionieren“, sagt der 58-Jährige. Der Rückgang der Biodiversität treibt ihn um. „Kein Ökologe der Welt kann sa- gen, wie weit wir vom Kipppunkt entfernt sind“, also jener Punkt, ab dem Ökosysteme ihre Funktion verlieren. „Aber wenn man es merkt, ist es zu spät.“ Der Grünen-Politiker fordert bis zum Jahr 2030 Zahlen als Ziele: 30 Prozent von Land und Meer sollen unter Schutz gestellt werden. „Nur um es zu veranschaulichen“, sagt er, „für sauberes Wasser brauchen wir Biodiversität im Boden, etwa Pilze, Mikroben, Gliederfüßler“. Es sei ein Zusammenspiel. Ebner neigt zu längeren Reden, wenn es darum geht, ums Ökosys- tem. Aber er lässt sich unterbrechen. Seine Website zeigt ihn mit Anzug, Weste und Krawatte, junges Gesicht vom Typ Lieblings- schwiegersohn, aber so ist es mit Klischees: Heute trägt Ebner Jeans. Und der Schwiegersohn hat bereits drei Enkelkinder. Dass es in seinem Leben auf Berufspolitik hinauslief, war nicht vorherzusehen. Die Leidenschaft für die Natur indes schon. Auf ei- nem Bauernhof aufgewachsen, wurde ihm die Frage der Nachfol- ge aus der Hand genommen, als in den 1970ern, der Zeit des gro- ßen Höfesterbens, in seinem Teenageralter die letzten Tiere den Hof verließen. Der Vater hatte sich beruflich umorientiert, über- nahm die Leitung des örtlichen Bauhofs. „Ich hab mich nie davon gelöst, den Verlustschmerz nie überwunden.“ Es folgten der Zivil- dienst im landwirtschaftlichen Betrieb einer sozialen Einrichtung und das Studium zum Diplom-Agraringenieur. Da habe er ge- ..................................................................................................................................................... e c n a i l l a - e r u t c i p / a p d © »Wir können zum Mond fliegen, haben aber nicht verstanden, wie Ökosysteme funktionieren.« merkt, dass so viel zu verändern sei, in der Landwirtschaft, im Ar- tenschutz, dass er an einer Stelle arbeiten wollte, die das Ökologi- sche in seiner Gesamtheit stärkt. Er heuerte bei der staatlichen Naturschutzverwaltung des Landes Baden-Württemberg an. Dann wurde er gefragt. Den Grünen im Ländle war er wohl aufgefallen, der Naturschützer. 1999 zog er in den Stadtrat von Kirchberg/Jagst ein, auf der Unab- hängigen Grünen Liste, wurde erst 2002 Parteimitglied und über- nahm weitere Ämter, zum Beispiel 2008 den Kreisverbandsvorsitz Schwäbisch-Hall. 2011 rückte er in den Bundestag nach – und ging zurück zu seinen Wurzeln, betrieb Agrarpolitik. Verhandelte die Koalitionsverträge in seinem Bundesland mit, kämpfte für Gentechnikfreiheit und gegen Pestizide in der Landwirtschaft. „Die EU versucht gerade wieder, sich gegen die Gifte zu stellen, aber sie wird von gleich mehreren Seiten ausgebremst“, sagt er und zieht auf dem Blatt einen langen Strich. Neben dem Doku- ment steht auf dem Rundtisch ein fußballgroßer Tannenbaum aus Papier. 2021 stand ein erneuter Wurzelwechsel an, weg von der Landwirt- schaftspolitik und hin zur Übernahme des Vorsitzes im Umwelt- ausschuss. „Zwischen Agrar und Natur gibt es thematische Ver- schränkungen“, sagt er und lächelt, als sei er darüber glücklich. Ausschussvorsitzende, das seien für ihn Sachwalter des Anliegens, der Demokratie im Parlamentarismus. Sein Anliegen liegt auf dem Tisch, der Kuli zeichnet weiter, Ebner spricht von Moorverwässe- rung und CO2-Bindung, von Fließgewässernaturalisierung und Schlupfwespen, die er sich holte für daheim, zur Mottenbekämp- fung. „Die sind so klein, dass man sie kaum sieht – aber sie sind ungemein wichtig gegen Schädlinge.“ Eine Lobby bräuchten sie, wie die Bienen. „Da haben wir irgendwann begriffen, dass wir sie brauchen.“ Das Blatt ist voll, es ist halb sieben am Abend. Für das, was an Anliegen vor ihm liegt in den kommenden Jahren, braucht er noch eine Menge Papier. Jan Rübel T