2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 20-21 - 15. Mai 2023 GASTKOMMENTARE MEHR BÜRGERNÄHE? Ressource Konsens PRO t a v i r P © Hannes Koch, freier Journalist t a v i r P © Hagen Strauß, »Rheinische Post«, Düsseldorf In der Politik das Los entscheiden zu lassen, mag als sperrige Idee erscheinen. Warum sol- len politische Akteure durch die Zufallsaus- wahl bestimmt werden, wenn man sie auch wählen kann? Doch der erste ausgeloste Bürger- rat beim Bundestag wird demnächst diesen neuen Weg beschreiten. Das Verfahren könnte sich zu ei- ner Ergänzung der parlamentarischen Demokratie entwickeln. Diese ist nicht fundamental bedroht, doch büßt sie Vertrauen ein. Mitunter sinkt die Wahlbeteiligung auf bedenkliche Niedrigstände. Die öffentliche De- batte zerfasert; Extremisten versuchen, die Glaub- würdigkeit demokratischer Politik zu zersetzen. In dieser Situation können Bürgerräte helfen. Wer dem Verfahren einmal beigewohnt hat, stellt fest: Es nehmen Leute teil, die sich sonst nicht engagie- ren. Sie treffen auf andere, mit denen sie sonst niemals reden würden. Und meistens kommen die Laien am Ende ihrer Debatten zu überraschend konsensualen, wenig polarisierten Lösungen. Das macht Hoffnung. Bereitschaft zum Engage- ment, Durchlässigkeit, Offenheit, Konsensfähigkeit sind wichtige Ressourcen, die die parlamentari- sche Demokratie dringend braucht. Bürgerräte können sie bereitstellen. Dabei sollte man sie aber nicht überschätzen. Entscheiden müssen weiter die gewählten Abgeordneten – mitunter beraten von den ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern. Allerdings muss die Politik diese dann auch ernst nehmen. Eine Debatte im Plenum über den Ab- schlussbericht des Bürgerrates und eine weitere im Ausschuss reichen nicht. Wenn Leute sich enga- gieren, wollen sie mindestens wissen, was aus ih- ren Arbeitsergebnissen wird. Der Bundestag sollte ein Verfahren entwickeln, bei dem er über einzelne Bürger-Vorschläge abstimmt. bekommen in ihren Wahlkreisen sams- tags am Infostand oder in ihren Orts- verbänden zu hören, welche Themen den Menschen unter den Nägeln brennen. So soll- te es zumindest sein. Und gerade jetzt, wo es et- wa um die große Frage des Heizungsaustausches geht, laufen die digitalen Postfächer voll. Wer da- von nichts in seine politische Arbeit einfließen lässt, dürfte fehl am Platze sein. Bürgerräte sind da – wenn überhaupt – lediglich ein zusätzlicher Arbeitskreis, falls man nicht mehr weiter weiß. 160 sollen dem Rat beim Bundestag angehören. Die Zahl sagt schon etwas über den geringen demokratischen Mehrwert aus, der durch Auswahlkriterien und Losverfahren, also durch ge- lenkte Zufälligkeit, nicht höher wird. Auch das ers- te Thema zündet wenig: „Ernährung im Wandel“. Ziemlich abstrakt und aus Sicht vieler Menschen reine Geschmackssache. Vor allem nichts, bei dem die Politik dringend Nachhilfe benötigen würde. Neue Erkenntnisse sind davon nicht zu erwarten. Bürgerräte bedeuten nicht automatisch mehr Bür- gernähe. Sie sind nicht repräsentativer, als das Par- lament es ist. Darum geht es ja im Kern, wenn man solche Gremien fordert. Müllmänner und die derzeit gut beschäftigten Handwerker werden sich eher nicht beteiligen, dafür aber jene, die bereits als Weltverbesserer unterwegs sind. Soll heißen: Ein Wesen der repräsentativen Demokratie ist, dass sie die Bevölkerungsstruktur eben nicht adä- quat widerspiegeln kann. Denn am Ende entschei- den immer noch die Wähler, welche politischen Entscheidungen überzeugt haben und wer in den Bundestag einzieht. Nicht Bürgerräte – und schon gar nicht ein Losverfahren. Geringer Mehrwert CONTRA Grundsätzlich gilt doch: Abgeordnete Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. 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Und nötig sind Inputs und Vor- träge für Mitglieder des Bürgerrats, die in die Lage versetzt werden, kenntnisreich und verantwortungsvoll politische Ent- scheidungen zu treffen. Warum braucht es neben dem Parla- ment und der Öffentlichkeit in Form von Medien und sozialen Netzwerken über- haupt noch einen weiteren Ort für die politische Debatte? Das eine ist: Mit dem Bürgerrat lassen sich die Kompetenzen der nicht in der prakti- schen Politik tätigen Bevölkerung nutzen. Denn es wäre dumm, darauf zu verzichten. Das zweite ist: Man kann die Politik mit den Denkergebnissen aus dem nichtpoliti- schen Raum konfrontieren. Häufig kommt an dieser Stelle der Hinweis, dafür hätten Abgeordnete ja ihre Wahlkreise. Aber da reden sie eben auch nicht mit einem Quer- schnitt der Bevölkerung, sondern in aller Regel versammelt sich da die parteinahe Community. Und das dritte ist: Der Bürger- rat hat sich als ein Mittel der Politisierung und der Befähigung von Menschen be- währt, die Mechanismen der Politik besser zu verstehen. Welchen Vorteil haben Bürgerräte ge- genüber zum Beispiel einem Volksent- scheid als Mittel direkter Demokratie? Es gibt zwei Haupteinwände gegenüber der Praxis von Volksentscheiden und anderen Instrumenten direkter Demokratie. Zum einen ist recht beliebig, welches Thema es schafft, aufgerufen zu werden – das ist oft eine Frage von Ressourcen, von Geld und Zugang zu Medien zum Beispiel, um für ei- ne Frage mobil zu machen. Zum anderen besteht das Risiko, dass die Frage zu ver- einfachend gestellt, die Komplexität eines Themas nicht berücksichtigt wird. Deswe- gen finde ich persönlich die Kombination von Bürgerrat und Volksentscheiden reiz- voll. Da, wo die Fragestellung dies zulässt, da wäre auch die Frage beantwortet, was aus den Ergebnissen wird. Apropos: Wenn die für die Politik nicht bindend sind – im Koalitionsver- trag heißt es ja lediglich, „eine Befas- sung des Bundestags mit den Ergebnissen wird sichergestellt“ – verkommt der Bür- gerrat dann nicht zu einem demokrati- schen Feigenblatt und fördert eben jenen Politikverdruss, dem er eigentlich abhel- fen soll? Die Frage nach der Schnittstelle zwischen Bürgerrat und Politik ist ganz wichtig. Denn wenn der Bundestag einen Rat an- regt und finanziert, dann muss er sich auch Gedanken machen wie er mit den Ergeb- nissen umgeht. Da braucht es verbindliche Vereinbarungen. Sonst entsteht der Ein- druck, man habe es dem Ofen erzählt. Wie ließe sich das vermeiden? Beispielsweise könnten aus jeder Fraktion Mitglieder des mit dem jeweiligen Thema befassten Bundestagsausschusses kommen, Ergebnisse zur Kenntnis nehmen und sich dazu verhalten, vielleicht mit Vertreterin- nen und Vertretern darüber diskutieren. Das könnte reichen. Besser wäre ein Wech- selspiel von Parlament und Bürgerrat, an dessen Ende ein Gesetzentwurf steht oder eine Beschlussvorlage oder ein verbindli- cher Volksentscheid. »Anders raus als rein« MARIANNE BIRTHLER Die Grünen-Politikerin über Bürger- räte, ihre Stärken, ihre Probleme – und was sie bewirken können © picture-alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka Gibt es dafür Beispiele? Ich verweise da immer gern auf Irland. Ir- land ist das große Vorbild, das seit einigen Jahren schon Bürgerräte kennt. Das katho- lische Land hatte eines der ältesten und strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Jahrzehntelang wurde darum gestritten. Schließlich hat man einen Bürgerrat einbe- rufen, der, von Experten unterstützt, beriet und das Thema letztlich auf eine Ja-Nein- Frage zuspitzte, über die 2018 in einem Bürgerentscheid abgestimmt wurde – mit einem für die Politik verbindlichen Ergeb- nis, nämlich einer deutlichen Mehrheit für ein liberaleres Abtreibungsrecht. Das war möglich, weil es eine Arbeitsteilung zwi- schen steuerndem Parlament und dem in Ruhe beratenden, Argumente wägenden Bürgerrat – und am Ende das bindende Re- ferendum gab. Wer sich als Demokratin und Demo- krat versteht, müsste ja eigentlich jedes Mehr an Beteiligung und Mitsprache be- grüßen – warum sind Bürgerräte den- noch umstritten? Da gibt es einmal gibt die Befürchtung, dass damit dem Parlament Entscheidungs- gewalt, die ihm verfassungsmäßig garan- tiert ist, genommen und die repräsentative Demokratie ausgehöhlt wird. Da ist zum anderen die Angst vor unsachgemäßen Entscheidungen. Und es gibt außerdem Politiker, die dazu neigen, die Kompetenz der Bürger zu unterschätzen. Die Ratsmitglieder sollen per Los be- stimmt werden – wie lässt sich damit Re- präsentativität herstellen? Das ist nicht ganz einfach. In der Praxis wird zwar mit Hilfe der Bürgerämter eine wirklich zufällige Gruppe von Beteiligten angeschrieben und gebeten mitzumachen. Aber natürlich ist die Entscheidung freiwil- lig und damit abhängig davon, ob die An- gesprochenen sich für das Thema interes- sieren, ob sie das Ganze für sinnvoll halten – und ob sie überhaupt die Zeit haben. Und deshalb befürchte ich, dass die Zu- sammensetzung am Ende doch nicht ganz repräsentativ ist. Für dieses Problem ist noch keine Lösung gefunden worden. Können Bürgerräte grundsätzlich von der Ernährung bis zur Verteidigungspoli- tik alles behandeln – oder gibt es Politik- bereiche und Themen, die ausgenommen bleiben sollten? Ich glaube, prinzipiell gibt es da kein Gren- zen. Sicher gilt: Je konkreter die Fragestel- lung, desto besser. Aber man darf Bürgerrä- te nicht unterschätzen, die können durch- aus, eine vernünftige Organisation und Moderation vorausgesetzt, ziemlich kom- plexe Fragestellungen diskutieren. Wobei selbst die Befürworter von mehr Beteili- reine Haushaltsent- gung zum Beispiel scheidungen – wie viel Geld soll wofür ausgegeben werden – für nicht so gut ge- eignet halten. Das beträfe dann ja auch die Gesamtpolitik und die Relationen zwi- schen den verschiedenen Politikfeldern. 2021 waren Sie Vorsitzende des ersten Bürgerrats auf nationaler Ebene, der sich mit „Deutschlands Rolle in der Welt“ be- fasste. Was haben Sie daraus mitgenom- men? Am eindrucksvollsten war für mich, wie viele Teilnehmer die Einsicht gewonnen haben, dass Politik doch eine sehr komple- xe Angelegenheit ist, bei der es nicht nur um Meinungen und Streit, sondern um In- teressen und Kompromisse geht. Manche haben ihre Lust an der Politik entdeckt, nicht wenige wollten sich danach aktiver einmischen. Die Mitglieder sind jedenfalls anders aus dem Bürgerrat rausgegangen, als sie reingekommen sind. Inwiefern? Mit mehr Verständnis für die Politik. Das wurde an einem Beispiel besonders deut- lich. Dabei ging es um das Verhältnis zu China. Es wurden verschiedene Gruppen, gebildet. Die einen kümmerten sich um Wirtschaft, die anderen um Menschenrech- te. Die kamen natürlich mit sehr verschie- denen Ansätzen wieder zurück, mussten aber zusammenfinden. Denn am Ende ging es darum, eine gemeinsame Formulie- rung und Empfehlung für die Politik zu entwickeln. Das war der Moment, in dem einige sagten, so schwierig hätten sie sich Politik nicht vorgestellt. Eine wichtige Er- kenntnis, ein schöner Lerneffekt. Das Gespräch führte Michael Schmidt. Marianne Birthler (Bündnis 90/Die Grünen) war Anfang der 1990er Jahre Bundessprecherin ihrer Partei. Von 2000 bis 2011 war sie die Bundes- beauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. 2021 übernahm sie den Vorsitz des Bürgerrats „Deutschlands Rolle in der Welt“. PARLAMENTARISCHES PROFIL Der Erreichbare: Helge Lindh Dass das Abgeordnetenleben kein Zuckerschlecken ist, erfährt Helge Lindh in diesem Moment. Es ist 20:15 Uhr, er schleicht sich aus einem Festakt im dritten Stock des Reichstages, nach einem langen Tag im Plenarsaal. Vor einer Stunde noch hatte er dort eine Rede über Bürgerräte gehalten, morgen muss er zweimal reden, nun, am Abend, bereitet er sie vor. Aber dann ist da noch dieses Interview. „Gestern Nacht hatte ich mir einen Wecker gestellt, damit ich noch über die Bundestagsreden nachdenke, ich spreche ja frei“, sagt er, „aber dann bin ich doch wieder eingeschlafen“. Anderer- seits scheint Lindh keiner zu sein, der sich gern beschwert. Der mehr ein halbvolles als ein halbleeres Glas betrachtet. Also, was hatte er im Bundestag über Bürgerräte gesagt? Er nimmt die Brille ab, reibt sich kurz die Augen. „Bürgerräte stellen nicht die repräsentative Demokratie in Frage, sondern beginnen ein Wechselspiel, eine gegenseitige Stärkung“, sagt der SPD-Poli- tiker aus Wuppertal. Die Ampel-Koalition hatte mit den Linken ei- nen Antrag vorgelegt, um einen ersten Bürgerrat einzusetzen: „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staat- lichen Aufgaben“ heißt dieser und wurde mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen sowie der Linken beschlossen. „Das sind keine Versammlungen, bei denen die üblichen Verdächtigen auf- tauchen“, wirbt Lindh, „sondern sie tragen die Chance in sich, bei Wahlen und politischen Prozessen sonst unterrepräsentierte Leute einzubinden“ – per Losverfahren und Nachgewichtung. Ei- ne Auswahl nach Gesinnung dürfe es nicht geben, sagt er. In Wuppertal hat er selbst einmal einen Bürgerrat initiiert. „Da kommen dann Fragen auf, an die ich nie gedacht hätte. Das ist eine Art Schule des Gemeinwohls und wirkt entpolarisierend.“ Sowieso hat man den Eindruck, dass Lindh ein ziemlich öffent- lich lebender Mensch ist. Seine Handynummer findet man auf der Website, er plakatierte sie sogar großflächig in seinem Wahlkreis – wie es so ist, wenn man ihn 2017 und 2021 ge- wonnen hat, oder nicht? Nein, Lindh ist eine Ausnahme. „Frü- ..................................................................................................................................................... k e h t o t o h p / n o i t k a r F - D P S © »Bürgerräte stellen nicht die repräsentative Demokratie in Frage, sie beginnen ein Wechselspiel, eine gegenseitige Stärkung.« her standen die Abgeordneten im Telefonbuch“, sagt er. „Die Wähler sollen schon die Möglichkeit haben, sich zu melden.“ Die Folge ist ein eingeschränktes Privatleben. „Die rufen ja durchaus an und schreiben, zu verschiedensten Zeiten, und können auch schon mal ungeduldig werden.“ Aber diesen Preis zahle er gern. Überhaupt beschreibt er seinen Beruf wie ein Ge- schenk. In sehr vielen Vereinen und Organisationen ist er Mit- glied. Das ist seinen Kollegen nicht unähnlich, nur erscheint die Auflistung wenig strategisch, mehr wie ein Sammelsurium. „Ich bin neugierig und möchte gern vieles kennenlernen. Das ist ja das Privileg unseres Mandates als Abgeordnete.“ Wenn er über seinen Heimatort spricht, gerät Lindh ins Schwär- men, und nur einen kurzen Moment fragt man sich, ob es über- trieben ist. „Ich bin ja gegen Nationalismus“, sagt er, „aber wäre Wuppertal ein Nationalstaat, wäre ich glühender Nationalist“. Eine Stadt, die spätestens auf den zweiten oder dritten Blick ihre Schönheiten offenbare. „Wuppertal ist sehr divers und fliegt nie auseinander. Das Stadtleben überzeugt auch rational.“ Lindh wurde als Sohn eines Finnen und einer Deutschen geboren, studierte Geschichte, Germanistische Sprachwissenschaft und So- ziologie, trat mit 23 Jahren der SPD bei, engagierte sich bei den Jusos. Klassisch kommunalpolitische Ämter gab es keine, stattdes- sen war er gewählter Vorsitzender des Integrationsrates, „dafür brannte ich“, sagt er. Der Sprung in den Bundestag kam überra- schend, aber er überzeugte die Delegierten und Wähler mit Ab- stand – bei jeweils mehreren Wettbewerbern. „Ich hatte keinen Masterplan, es waren auch glückliche Umstände“, sagt er. „Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Lindh ist einer, der etwas laut spricht. Mit den Händen gestikuliert. Sich unterbrechen lässt. Und auf seine Art entwaffnend ehrlich wirkt. Interessiert an der Sache und am Zusammenbringen. Und die Zukunft? „Erzwingen möchte ich nichts, und mich anpassen um jeden Preis umso weniger. Sonst würde ich mich nicht mehr selbst erkennen.“ Jan Rübel T