2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 28-29 - 10. Juli 2023 GASTKOMMENTARE LÄSST SICH STERBEN REGELN? Handeln tut not PRO Erst mal ganz ruhig. Keiner will, dass der Staat das Sterben regelt – er könnte es nicht, sollte es sich niemals anmaßen. Beihilfe zum Suizid jedoch darf nicht re- gellos bleiben. Momentan ist sie es, denn seit das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäfts- mäßiger Sterbehilfe gekippt hat, traute sich der Gesetzgeber nicht mehr an dieses heikle Thema. So kann theoretisch wieder jeder windige Ge- schäftemacher an der Not verzweifelter Menschen verdienen. Und sie – sagen wir es deutlich – aus Eigeninteresse auch zur Selbsttötung animieren. Etwa durch das Versagen anderweitiger Hilfe oder das Verschweigen von Behandlungsoptionen. Handeln tut also not. Behutsamkeit allerdings auch. Denn es geht hier um einen Zielkonflikt. Ei- nerseits: Wie lässt sich verhindern, dass Suizid-Bei- hilfe „normal“ wird und daraus Druck auch auf andere entsteht, der Gesellschaft bei körperlicher Hinfälligkeit nicht „zur Last zu fallen“? Anderer- seits: Wie kann man vermeiden, dass die gesell- schaftlich für nötig erachtete Beschränkung indivi- duell nicht zu verfügtem Ertragen-Müssen von Leid führt, das dem Gebot der Menschlichkeit wi- derspricht? Keine Frage: Onkologen und Palliativmediziner be- nötigen keine Justiz, die ihnen verantwortungsvol- les Tun verwehrt. Die Grenzen zwischen entschie- dener Schmerzlinderung und Sterbehilfe können fließend sein. Aktuell scheint die Regellosigkeit viele Ärzte aber eher zu verunsichern – und von aktiver Hilfe abzuhalten. Vorteil einer Regelung mit Beratungspflicht wäre zudem, dass endlich mal Zahlen auf den Tisch kämen. Und Erfahrungen im Umgang mit Suizidwilligen, die sich evaluieren lassen. Damit ließe sich arbeiten. Und vielleicht auch manche Verzweiflungstat verhindern. In Deutschland haben sich 9.215 Menschen im Jahr 2021 das Leben genommen: eine ho- he Zahl. Aktuell existiert in Deutschland keine Gesetzesregelung zur Sterbehilfe. Sie ist straffrei möglich, seit das Verfassungsgericht das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe kippte. Das Gericht erkannte ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ausdrücklich an – und auch die Freiheit, sich dafür Hilfe bei Dritten zu holen. Detaillierte Regelungen stellte das Gericht dafür nicht auf. Der Staat sah sich durch das Urteil gefordert, die parlamentarische Beratungen begannen und dau- erten an. Die Selbsttötung ist zwar immer noch ein Tabu, verboten war sie jedoch nie. Für manchen ist sie der Ausdruck der ultimativen menschlichen Selbstbestimmung, andere sehen darin einen un- gehörigen Eingriff in den Lauf des Lebens. Eigent- lich immer ist es ein Hilfeschrei, möglicherweise der letzte Ausweg aus einer grauenhaften persön- lichen Situation. Gut ist, dass das Parlament das Thema aus der Tabuzone geholt hat, über die Fra- ge des Todes fraktionsübergreifend und ernsthaft debattierte. Normalerweise vermeidet die Gesell- schaft peinlich berührt die Diskussion über diese grundlegenden Fragen. Aber kann der Staat den Wunsch zu sterben wirk- lich regeln? Nein. Der Staat muss vorher wirken und Suizid-Gefährdeten entsprechende Hilfs-An- gebote machen, soweit er das kann. Die Schaffung eines Verfahrens welcher Art auch immer birgt die Gefahr einer gewissen Normalisierung des Suizids. Zahlen aus den Niederlanden oder Belgien etwa belegen das. Der Selbstmord als „normale“ Art des Sterbens? Dazu darf es niemals kommen. Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Frau Lewitzka, der Bundestag hat sich nicht auf eine Reform der Sterbehilfe ver- ständigen können. Sind Sie erleichtert? Ich bin tatsächlich erleichtert. Unterstützt hätte ich eher den Entwurf von Castellucci, aber der war auch nicht ideal. Am Ende bin ich froh, dass beide Entwürfe vom Tisch sind. Ich habe die inständige Hoff- nung, dass man sich noch einmal Zeit nimmt und mit Fachleuten einen Entwurf auf den Weg bringt, der auch der Vielfalt des Themas gerecht wird. Wir müssen vor allem die Menschen schützen, die nur vo- rübergehend betroffen sind oder die aus sozialen Gründen sagen, sie wollen nicht mehr leben. Würden Sie sagen, der Bundestag muss sich weiter um eine Neuregelung der Sterbehilfe bemühen oder kann alles bleiben, wie es jetzt ist? Wir brauchen eine Regelung, weil die Sui- zidassistenz ja schon stattfindet. Und es ist leider so, dass es auch einige hanebüchene Fälle gibt, die wir weder für uns noch für uns nahestehende Menschen haben wol- len. Eine Regelung, mit deren Hilfe der Prozess überwacht werden kann, muss es geben. Was wir jetzt brauchen könnten, wäre eine Regierungskommission zur Erar- beitung eines Konzepts der Suizidhilfe und eines Suizidpräventionsgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 das 2015 erlassene Verbot der ge- schäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Wie kann das geforderte Schutzkonzept des Staates geltend gemacht werden? Das ist schwer, weil wir über ganz unter- schiedliche Menschen sprechen. Wenn es um einen sterbenskranken Patienten geht, der nur noch wenige Wochen zu leben hat, wäre die Auffassung der Mehrheit vermut- lich, dass die Möglichkeit der Suizidhilfe gewährt werden sollte. Oder geht es um ei- nen Menschen in einer Lebenskrise oder mit einer schweren Depression? Wir brauchen eine Regelung mit unter- schiedlichen Fristen und Zugängen zu den Betroffenen. Wir müssen hinter die Motive schauen. Geht es vielleicht um die Angst, in ein Pflegeheim zu müssen oder spielt Einsamkeit eine Rolle. Da geht es nicht um Suizidhilfe, sondern um Beratung von Menschen in suizidalen Krisen. Das gängige Mittel für die Selbsttö- tung ist Natrium-Pentobarbital. Haben Sterbewillige in Deutschland überhaupt eine Chance, an dieses Medikament he- ranzukommen? Dafür sorgen die Sterbehilfeorganisatio- nen. Das kostet nach meiner Kenntnis im Schnitt zwischen 4.000 und 9.000 Euro, dann werden die Prozesse in Gang gesetzt. Es gibt auch Ärzte, die sich daran beteili- gen. Die Organisationen haben ihre eige- nen Strukturen aufgebaut und verfahren danach. Die Sterbehilfeorganisationen be- sorgen den Menschen dann entweder Na- trium-Pentobarbital oder andere Substan- zen, die genutzt werden. Sie fordern Suizidprävention vor Ster- behilfe. Warum? Wenn Suizidhilfe einer breiten Masse der Bevölkerung zur Verfügung gestellt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Me- thode auch genutzt wird. Die wirksamste Möglichkeit, suizidpräventiv zu handeln, ist also eine Methodenrestriktion. Das Ge- gengewicht zur Suizidhilfe ist der Ausbau niedrigschwelliger Beratungsangebote und eine bessere Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das muss vor der Suizidhilfe geregelt werden. Was treibt Menschen in den Suizid? Ich habe beruflich mit psychisch kranken Patienten zu tun, ich kenne aber auch Menschen, die „nur“ in einer Lebenskrise stecken. schon einmal eine Jeder, der »Vorlagen nicht ideal« UTE LEWITZKA Die Psychiaterin fordert einen neuen Anlauf zur Regelung der Sterbehilfe und für ein Gesetz zur Suizidprävention © Universitätsklinikum Dresden schwere Lebenskrise durchgemacht hat, weiß, dass auch Sinnfragen dahinter stehen können und das Gefühl, so nicht mehr weiter leben zu wollen. Es sind viele Fakto- ren, die Menschen in den Suizid treiben, darunter soziale Krisen, finanzielle Nöte und, als stärkster Risikofaktor, eine psy- chische Erkrankung. Diese Faktoren lassen sich aber beeinflussen, und da ist die Ge- sellschaft gut beraten, den Cocktail nicht leichtgängig zur Verfügung zu stellen. Depressionen gehören natürlich dazu, aber auch Abhängigkeitserkrankungen, etwa Al- koholsucht, führen zu einem höheren Risi- ko. Junge Menschen mit Psychosen, zum Beispiel Schizophrenie, zählen ebenfalls zu den Patienten mit einem deutlich erhöh- ten Suizidrisiko. Menschen können auch mehrere psychische Erkrankungen haben, zum Beispiel eine Depression und eine Angststörung. Welche Altersgruppe oder welches Ge- Welche Erkrankungen sind das? schlecht ist besonders betroffen? PARLAMENTARISCHES PROFIL Es nehmen sich ein Drittel mehr Männer als Frauen das Leben, das Risiko steigt bei Frauen und Männern mit zunehmendem Lebensalter. Wir sehen zwischen 50 und 60 Jahren die meisten Suizide, auf der ande- ren Seite ist in der Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen der Suizid die zweithäufigste Todesursache. Es betrifft also die ganze Le- bensspanne. Begleitend zur Reform von 2015 soll- te die Hospiz- und Palliativversorgung gestärkt werden, ist das nach Ihrer Ein- schätzung gelungen? Es ist seither viel auf den Weg gebracht worden, aber wir dürfen jetzt nicht stehen bleiben. Die Hospizversorgung muss wei- ter ausgebaut werden, weil es Regionen oh- ne Hospizangebote gibt. Es müssen in der Palliativmedizin außerdem Strukturen auf- gebaut werden, die es den Menschen er- möglichen, zu Hause zu sterben. Auch die Trauerbegleitung muss ausgebaut werden. Wir sind noch lange nicht da, wo wir sein müssten, um alten und kranken Menschen das Gefühl zu geben, an einem Ort gut sterben zu können und die deswegen die Suizidassistenz nicht in Anspruch nehmen. Wie verträgt sich eine Demenz mit dem Wunsch nach Sterbehilfe? In anderen Ländern ist die sogenannte vo- rausschauende Verfügung legalisiert wor- den, das hat erschreckend zunehmende Zahlen gebracht. Wenn Menschen dement sind, entscheidet dann ein anderer über die Suizidassistenz. Das ist eine Grenze, die ich schwer aushalten kann. Auch ange- sichts unserer Geschichte sollten wir in Deutschland einen anderen Weg gehen. Wie gehen Mediziner mit der Verant- wortung für Sterbehilfe um? Ganz unterschiedlich. Viele Ärzte sagen in Umfragen, es ist in Ordnung, dass es die Suizidassistenz gibt, deutlich weniger Ärzte würden sich daran beteiligen. Wir müssten als Mediziner viel besser ausgebildet wer- den im Umgang mit Sterbewünschen. Manchmal wird die Hochleistungsmedizin weitergeführt, obwohl es keinen Sinn mehr macht. Wir müssen als Ärzte aushalten, dass ein Patient sterben will. Lange hatten Ärzte große Angst vor Strafverfolgung im Kontext der Suizidhil- fe. Ist die Angst nach dem Karlsruher Ur- teil verflogen? Ich glaube, die Ärzte sind jetzt etwas ent- spannter. Bei vielen Medizinern steht aber immer noch ein Fragezeichen hinter der Suizidassistenz. Es gibt allerdings auch Ärz- te, die den Eindruck erwecken, sie könnten über Leben und Tod entscheiden. Das fin- de ich ganz schwierig. Wir wissen aus Län- dern, wo die sogenannte Euthanasie in Kli- niken üblich ist, viel zu wenig, was das mit dem Pflegepersonal und den Ärzten macht. Welchen Rat geben Sie Menschen, die Ihnen sagen, dass Sie sterben wollen? Ich nehme diese Menschen mit ihrem Ster- bewunsch erst einmal an, um vorurteilsfrei mit ihnen in Kontakt zu kommen. Die Gründe können so unterschiedlich sein, vom hochbetagten Mann, der nicht ins Al- tenheim will, bis hin zur jungen Frau, de- ren Beziehung gerade kaputt gegangen ist. Ich lade die Menschen ein, sich ihre Moti- ve genau anzuschauen und werbe dafür, sich Zeit zu nehmen, um die Entscheidung zu durchdenken. Meine Patienten sind am Ende eines Heilungsprozesses oft froh, dass sie nicht den Weg des Suizids gegangen sind. Das Gespräch führte Claus Peter Kosfeld. Dr. Ute Lewitzka ist Psychiaterin am Universitätsklinikum Dresden und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. T t a v i r P © Rainer Woratschka, »Der Tagesspiegel, Berlin s b e r K s a e r d n A / P R © Kerstin Münstermann, »Rheinische Post«, Düsseldorf CONTRA Das braucht es nicht Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur Christian Zentner (cz) V.i.S.d.P. 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Die Streiterin: Katrin Helling-Plahr Ein zerknirschtes Gesicht sieht anders aus. Katrin Hel- ling-Plahr kommt aus dem Plenum, es ist 18 Uhr, nach zig Stunden im Bundestag heute – und noch fünf Stun- den vor ihr, in der letzten Sitzungswoche des Parla- ments vor der Sommerpause. Und dazwischen eine Abstim- mungsniederlage. „Zerknirscht wäre zu hart“, sagt sie, „es hät- te schlimmer kommen können“. Helling-Plahr, 37, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundes- tagsfraktion, hat mit Abgeordneten aus anderen Fraktionen ei- nen Gesetzentwurf eingebracht, der keine Mehrheit fand; ein Gegenentwurf übrigens auch nicht. So bleibt alles erstmal, wie es ist: Beim Recht auf Hilfe zur Selbsttötung, aber ohne Rege- lungen in einem eigenen Bundesgesetz; zu uneins zeigten sich heute die Volksvertreter. „Seit dem Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts habe ich die vergangenen 1.226 Tage mich dafür engagiert und um die beste Lösung gerungen“, sagt sie. „Mehr hätte ich nicht tun können.“ Zwei Dinge lernt man aus diesen beiden Sätzen. Helling-Plahr hat nichts gegen Zahlen. Und ein Hauch von Müdigkeit durchweht den Gang vorm Abgeordne- tenrestaurant. Langsam senkt sich die Abendsonne. Helling-Plahr war Mitwortführerin eines liberalen Ansatzes bei der Hilfe zur Selbsttötung – aber mit Begleitung. „In der Ärzteschaft ist eine deutliche Tendenz erkennbar“, sagt sie, „die Zeit spielt für uns“. Es setze sich durch, dass Palliativmedizin nicht der Weg für alle sei. „Das Recht auf Sterben beschränkt sich nicht auf Schwerstkranke, und das Motiv ist nicht zu hinterfragen. Ein ge- sunder 36-Jähriger würde eben nicht in ein Hospiz gehen. Doch es wurme sie, dass es keine Beratungsstellen gibt, „und genügend Suizidpräventionsstellen haben wir auch nicht“. Sie schüttelt den Kopf. „Schließlich hätte ich nicht gedacht, dass so viele Abgeord- nete das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht achten.“ Seit Jahren beschäftigt sich Helling-Plahr mit Gesundheitspoli- tik. „Ich machte als Anwältin viel Arzthaftungsrecht und vertrat Patienten.“ Es habe sie erfüllt, Menschen zu helfen. Das Inte- ..................................................................................................................................................... »Das Recht auf Sterben beschränkt sich nicht auf Schwerstkranke, und das Motiv ist nicht zu hinterfragen.« n o i t k a r F - P D F © resse für Medizinrecht war entfacht, „aber Blut kann ich nicht sehen“. Die Rechtswissenschaft schien ihr in die Wiege gelegt worden zu sein, die Eltern sind Anwälte. „Meine Mutter spielte mit mir oft Rechtsanwalt, wir spielten dann Prozesse zum Bei- spiel über eine kaputte Waschmaschine durch.“ Helling-Plahr lernte, dass sie gern für Interessen streitet. Sie studierte Rechts- wissenschaft und wurde Fachanwältin für Medizinrecht. Früh entwickelte sich politisches Interesse. Mit 12 ging sie mit ihren Eltern zu einer Wahlkampfveranstaltung der FDP, sie hörte mitunter die Reden von Hans-Dietrich Genscher und Guido Westerwelle. Besonders hellhörig wurde sie beim Thema Schul- politik und dem Plädoyer fürs dreigliedrige Schulsystem und für talentgerechte Förderung. „Das gefiel mir. Anstatt allen Schü- lern dasselbe reinzudrücken, sollten sie in ihren Talenten ge- stärkt werden.“ Mit 19 trat sie der FDP bei, engagierte sich bei den Jungen Liberalen, zog in Kreis- und Bezirksvorstand der Partei. Und saß zwischen 2009 und 2017 im Rat der Stadt Ha- gen. „Born and raised in Hagen“, heißt es bewusst stolz auf ih- rer Website. „Meine Heimatstadt hat das Problem, dass sie sich schlechtredet. Dabei liebe ich ihre Vielfältigkeit, die tollen Men- schen, das spannende Wirtschaftsleben.“ Sie wolle das Positive herausstellen. Ihr Lebenslauf mit den vielen Stationen und Auf- gaben zeugt von einer gewissen Geschwindigkeit, die man im Gespräch nicht merkt. Da überwiegen Ruhe und eine Ent- spanntheit. Irgendwann rief dann doch der Bundestag. Zweimal hatte sie erfolglos kandidiert, „das war im Vornherein klar gewesen, eher ein Hut-in-den-Ring-Werfen“. Dann aber erhielt sie für die Wahl im Jahr 2017 einen vorderen Listenplatz. „Ich erfuhr, dass auch in der Gestaltung von Gesetzen ein Reiz liegt, um den Menschen zu helfen.“ Gibt es im Bundestag eigentlich zu viele Juristen? Sie überlegt einen Moment. „Mit Blick auf die Debat- te um die Sterbehilfe: Nein.“ Und lächelt. Jan Rübel T