2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 33-34 - 14. August 2023 GASTKOMMENTARE DER EU-TUNESIEN-DEAL ALS VORBILD? Beiderseitige Vorteile PRO e k c i r F l t u m e H © Thomas Gutschker, »Frankfurter Zeitung« Allgemeine i k s w o k i c a M f o t z s y z r K © Christian Jakob, »die tageszeitung«, Berlin In Europa hat man sich daran gewöhnt, dass die Staaten Nordafrikas Durchgangsstationen für Migranten geworden sind, die von dort die andere Seite des Mittelmeers erreichen wollen. Tatsächlich ist dieser irreguläre Strom aber Ausdruck eines Staatsversagens, denn er wird von kriminellen Netzwerken organisiert, die staatliche Strukturen unterminieren, angefangen bei der Küstenwache. Es ist deshalb keineswegs unmora- lisch, wenn die Europäische Union Abkommen mit den betroffenen Regierungen schließt, die dieses Geschäft eindämmen sollen – zumal die allermeis- ten Menschen, die über diese Route kommen, kei- nerlei Aussicht auf Schutz haben. Der Deal mit Tunesien vom Juli taugt dafür durch- aus als Vorbild. Die EU rüstet den Grenzschutz des Landes auf, mit Schnellbooten und Überwa- chungsdrohnen. Das hat schon in Libyen funktio- niert: Im von der Regierung in Tripolis kontrollier- ten Küstenstreifen legen kaum noch Schlepper- boote ab. Die Zusammenarbeit mit Tunis geht frei- lich weiter als jene mit Tripolis. Sie eröffnet einen schmalen Pfad für legale Migration nach Europa. Vor allem aber schließt sie langfristige Investitio- nen in Strom- und Datenleitungen ein, die beide Seiten des Mittelmeers vernetzen werden. Und sie bietet der Regierung erhebliche Budgethilfe an, die an Reformen geknüpft bleibt. Das fragile Land könnte so stabilisiert und eine Ko- operation zum beiderseitigen Vorteil begründet werden. Tunesien erzeugt grünen Strom zu einem Preis, der weit unter dem günstigsten Niveau in Europa liegt. Auch eine engere Zusammenarbeit mit Ägypten und Marokko wäre im Sinne einer gu- ten Nachbarschaftspolitik. Je enger das Netz am Mittelmeer geknüpft wird, desto schwerer wird es für Schlepper, durch die Maschen zu schlüpfen. che Arrangements mit Ländern in der Region taugt, hängt davon ab, was man will. Die EU erhofft sich vor allem weni- ger Flüchtlinge in Italien, weil Tunesien sie vorher stoppt. Auf Dauer wird sich dies nicht erfüllen. Denn das jüngste Abkommen versucht, Zusammenar- beit bei der Migrationskontrolle wiederzubeleben, die vor allem Italien schon zu Zeiten des Diktators Ben Ali mit Tunesien etabliert hat. Sie lief, aus EU- Sicht, mal besser, mal schlechter – je nach Migrati- onsdruck und politischer Stimmung im Land. Zuletzt ließ Tunis immer mehr Menschen durch. So sah die EU sich nun genötigt, mehr Geld auf den Tisch zu le- gen, auf dass Tunis den Küstenzugang dicht hält. Die- ses Muster – mehr Migrationsdruck, schwächer wer- dende Umsetzung, neue Routen, neue Forderungen – ist typisch für die Abkommen dieser Art. Die enthal- tenen Hilfen der EU zur Abschiebung aufgehaltener Transitmigranten und die Zahl neuer Visa für Partner- staaten sind stets eng begrenzt. Der Stopp irregulä- rer Migration kollidiert so mit den Interessen der Transitstaaten, die oft auch Herkunftsstaaten sind. Je mehr Menschen sie aufhalten, desto mehr bleiben bei ihnen hängen – und auch die eigene Bevölkerung wird unzufrieden. Wollte man aber keinen Flüchtlingsstopp um je- den Preis, sondern eine am Menschenrecht orien- tierte Außenpolitik, ist das Abkommen erst recht kein Vorbild. Es führt zur Entrechtung Flüchtender und massenhaften, tödlichen Abschiebungen in die Wüste und den Folterstaat Libyen. Es ist Ge- walt im europäischen Auftrag, die im Innern der EU nicht akzeptiert würde, in der nordafrikani- schen Wüste, einem Niemandsland der öffentli- chen Aufmerksamkeit, aber hingenommen wird. Auftrag zur Gewalt CONTRA Ob das Abkommen als Vorbild für ähnli- Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur Christian Zentner (cz) V.i.S.d.P. 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In wenigen Ländern hat es in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine so starke Zuwanderung im Verhältnis zur vorhandenen Bevölkerung gegeben wie in Deutschland. Viele Menschen hierzu- lande beunruhigt das. Wie sollte verant- wortungsvolle Politik mit diesen Sorgen umgehen? Diese Sorgen ernst zu nehmen ist in der Tat eine Aufgabe für die Politik. Und das heißt insbesondere, illegale Migration nach Europa und Deutschland zu begrenzen. Ei- ne weitere Zunahme von illegaler Migrati- on darf es nicht geben. Die Europäische Union ringt gerade um die Begrenzung und Bewältigung ir- regulärer Zuwanderung mittels Asylver- fahren schon an den Außengrenzen der Union und einer gerechteren Verteilung auf die Mitgliedsstaaten. Auf die neuen Regeln werden sich das EU-Parlament und die nationalen Regierungen wohl im Herbst einigen, trotz verbissenen Wider- stands von Polen und Ungarn. Wie wich- tig ist diese Neuregelung aus Ihrer Sicht? Diese Maßnahme ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber im Gegensatz zu dem, was die Bundesregierung ver- spricht, ist sie nicht die große Lösung. Da- zu ist der Anwendungsbereich für das soge- nannte Außengrenzverfahren zu gering, sind die Kapazitäten an den Außengrenzen viel zu klein und wird darüber hinaus kein verpflichtender Verteilmechanismus unter den europäischen Ländern geschaffen. Es sollen aber doch die Länder, die keine oder wenige Migranten aufneh- men, zu einer Ausgleichszahlung ver- pflichtet werden. Ist das kein Weg, um zu einer gerechteren Verteilung zu kommen? Entscheidend ist, dass es ein gewisses Min- destmaß an Solidarität in allen europäi- schen Staaten geben muss, also die Bereit- schaft, Flüchtlinge auch tatsächlich aufzu- nehmen. Solange dies nicht der Fall ist, brauchen wir zusätzlich nationale Maß- nahmen. Genau daran aber lässt es die ge- genwärtige Bundesregierung fehlen. Sie öff- net weiter, sie schafft weitere Anreize, sie schafft darüber hinaus weitere Bleiberechte für Personen, die eigentlich ausreisepflich- tig sind. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen, um Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen. Setzen Sie demnach auch wenig Hoff- nung in den Versuch, mit Partnerländern außerhalb der EU Abkommen zu treffen, um abgelehnte Asylbewerber schneller wieder zurückzunehmen? Wir brauchen Migrationsabkommen mit Herkunftsländern, allerdings keine, die am Ende zu mehr Migration statt weniger füh- ren. Die Ampel will die sogenannte West- balkanregelung, wonach Personen ohne jegliche Qualifikation legal nach Deutsch- land kommen können, zu einer Welt-Bal- kanregelung machen. Dies wird dazu füh- ren, dass wir eher mehr Migration vom Ausland bekommen als weniger. Denn ich glaube nicht, dass durch eine solche Rege- lung diejenigen, die keinen legalen Weg bekommen, dann einfach zuhause sitzen bleiben. Deswegen halte ich es für erforder- lich, dass wir mehr auf den Visahebel set- zen und auch stärker als bisher die Ent- wicklungshilfe für die entsprechenden Län- der damit verknüpfen. Ein anderes Thema ist die Zuwande- rung von Fachkräften. Die Wirtschafts- wissenschaftlerin Monika Schnitzler spricht von 1,5 Millionen Zuwanderern pro Jahr, die Deutschland brauche, um die Fachkräftelücke zu schließen, weil es auch eine beträchtliche Abwanderung ge- be. Ist das eine realistische Zahl? Jedenfalls führt die Benennung solcher Zahlen zu einer großen Verunsicherung in weiten Teilen der Bevölkerung. Deswegen »Mehr falsche Anreize« ALEXANDER THROM Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion kritisiert die Migrationspolitik der Bundes- regierung scharf © Alexander Throm MdB/Tobias Koch würde ich mir wünschen, dass auch Wirt- schaftsweise hier etwas vorsichtiger argu- mentieren. Völlig unabhängig davon brau- chen wir viele Fachkräfte. Was die Bundes- regierung hier aber mit der letzten Ände- rung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes gemacht hat, ist das glatte Gegenteil. Sie öffnet Migrationswege für Personen mit minderer Qualifikation. nützt Deutschland nicht, das schadet eher auf lange Sicht. Das Was wäre denn Ihre Alternative, um den Fachkräftemangel zu beheben? Wir brauchen ein schnelleres Verfahren auf Grundlage des vorher geltenden Rechtes, sodass wirklich gut Qualifizierte gesucht werden. Wir brauchen vor allem schnelle Visaerteilungen. Das hat das Auswärtige Amt unter Führung der Grünen, aber auch vorher der SPD zu keinem Zeitpunkt ge- schafft. Wir brauchen eine Digitalisierung, und wir schlagen vor, dass wir die Fach- kräftezuwanderung deutschlandweit in ei- ner sogenannten Work-And-Stay-Agentur digital bündeln. Also Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren statt Absen- kung der Qualifikationsanforderungen. Ein Punkt in dem Fachkräfteeinwan- derungsgesetz ist der sogenannte Spur- wechsel, dass also abgelehnte Asylbewer- ber, die sich in Deutschland befinden, ei- ne Aufenthaltsberechtigung bekommen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben. Wie finden Sie diese Regelung? Sie fördert genau das, was wir verhindern wollen, nämlich weitere illegale Migration. Derartige zusätzliche Bleiberechte für Per- sonen, die ausreisepflichtig sind, also gera- de keinen Schutzanspruch haben, senden das Signal in die Welt: Kommt nach Deutschland, egal ob mit oder ohne Schutzanspruch, ihr könnt auf jeden Fall bleiben. Dann werden Sie sicherlich auch die Neuregelung zum Familiennachzug kri- tisch sehen. Der Familiennachzug zu echten Fachkräf- ten ist eine Selbstverständlichkeit, und ich habe auch Verständnis dafür, dass man da beispielsweise die Sprachanforderungen herabsetzt. Das fordern auch wir. Aller- dings habe ich keinerlei Verständnis, wenn jetzt auch noch Oma und Opa des Zuwan- derers mitkommen dürfen. Das ermöglicht die Ampel. Wir brauchen aber in unserer alternden Gesellschaft nicht zusätzlich Per- sonen im hohen Alter, die hier zuwandern. Es hat einmal in Deutschland, aber auch in Ihrer Partei, der Union, einen heftigen Streit um den Satz gegeben: „Deutschland ist ein Einwanderungs- land“. Dieser Streit ist doch erledigt? Diese Diskussion ist wirklich sehr lange her. Ich sage seit vielen Jahren, dass Deutschland selbstverständlich ein Ein- wanderungsland ist. Allerdings sind wir noch meilenweit davon entfernt, dass wir eine gesteuerte Einwanderung haben, wie sie zu einem Einwanderungsland gehört. Dieser Mangel wird durch die Politik der Ampelregierung noch verschärft: Weniger Steuerung, weniger Qualifikation, mehr il- legale Zuwanderung, mehr falsche Anreize. Und das kritisiere ich. In der Regierungszeit von Helmut Kohl hat es vor dem Hintergrund stark steigender Asylbewerberzahlen, verbun- den mit Wahlerfolgen der rechten Repu- blikaner, eine Reform des Asylrechts ge- geben. Dabei blieb aber das Individual- recht auf Asyl bestehen. Soll es das Ihrer Meinung nach auch bleiben? Das im Grundgesetz verankerte Asylrecht für politisch Verfolgte spielt in der Realität kaum eine nennenswerte Rolle. In diesem Jahr wurde etwa nur bei 0,7 Prozent der Asylbewerber tatsächlich das grundgesetzli- che Asylrecht anerkannt, in den letzten Jahren sah es kaum anders aus. Außerdem mangelt unser System daran, dass sich die Menschen Schleppern ausliefern und auf eine gefährliche Überfahrt etwa über das Mittelmeer begeben. Sie durchqueren die halbe Welt und dabei auch viele Länder, in denen sie bereits Sicherheit haben. Dabei gilt leider das Prinzip: Die Starken kom- men an, die Schwachen bleiben auf der Strecke. Das Asylrecht war aber nie dafür gedacht, dass man sich das Land der Si- cherheit aussuchen kann. Deswegen müs- sen wir schon auch über grundlegende Re- formen im europäischen und internationa- len Asylrecht nachdenken. Sie sind mög- lich, ohne dass wir dabei das relativ selten zur Anwendung gelangende Asylrecht, wie es im Grundgesetz verankert ist, tangieren müssen. Das Gespräch führte Peter Stützle. Alexander Throm ist seit 2017 Mit- glied des Deutschen Bundestages. Der Christdemokrat ist innenpoliti- scher Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Der 54-Jährige vertritt den Wahlkreis Heilbronn. PARLAMENTARISCHES PROFIL Die Sachkundige: Gökay Akbulut Für ihre Arbeit in der Legislative qualifizierte sich Gökay Akbulut mit spätestens elf Jahren. Da hatte sie das Be- hördendeutsch genügend durchdrungen, bei ihren vie- len Gängen zu Ämtern, auf denen sie für ihre Eltern übersetzte. Heute ist sie 40, Mitglied des Bundestages und schaut auf eine politische Biografie zurück, die sie als Grundschülerin von der Türkei nach Deutschland brachte, wo ihr politisches Leben sich fortsetzte. Akbulut, Abgeordnete der Linken, ist migrationspoli- tische Sprecherin ihrer Fraktion, außerdem ist sie Obfrau im Fa- milienausschuss. Einen Rechtsruck mache sie im Land aktuell aus, sagt sie, als sie sich in ihrem Büro an einen runden Bespre- chungstisch setzt. „Das sind gerade Prozesse, die für die post- migrantische Gesellschaft sehr beängstigend sind“, sagt sie. „Es betrifft uns und andere Gruppen wie Frauen allgemein oder queere Personen“. Die Gründe sehe sie in dem verbreiteten Ge- fühl, abgehängt zu sein. „Da sind die vielen Krisen, die Inflati- on, der Krieg, aber auch allgemein die Globalisierung.“ Eine fa- tale Entwicklung sei das, aber es gebe auch einige progressive Elemente, die sie in der Ampelregierung erlebe. „Das Staatsan- gehörigkeitsrecht zum Beispiel ist ein Schritt nach vorn, aber wegen des Fachkräftemangels brauchen wir eine echte Will- kommenskultur, sonst ist unsere Wirtschaft gefährdet.“ Akbulut weiß, wovon sie spricht. Ihre erste Station in Deutsch- land war eine Sammelunterkunft, in der sie ein halbes Jahr lang lebte, „es war dreckig und überfüllt, man war mit sechs bis acht fremden Menschen in einem Raum“. Eine Willkommens- kultur habe sie dann später erfahren, nach dem Umzug nach Hamburg, durch die Lehrer ihrer Schule. „Die haben mich geför- dert, obwohl es anfangs, wegen der Sprachkenntnisse, hieß: ‚Das wird nur Hauptschule.‘“ Denkste. Aber damals war Mehr- sprachigkeit noch nicht als Stärke anerkannt – „es sei denn, es handelt sich um die G7-Sprachen Englisch oder Französisch“. Akbulut ist kurdische Alevitin und stammt aus einer politischen ..................................................................................................................................................... o d r a M . T : o t o F / t u u b k A l . G © »Das sind gerade Prozesse, die für die postmigrantische Gesellschaft sehr beängstigend sind.« Familie. Zu ihrer Kindheit gehörte, dass Bekannte verhaftet und gefoltert wurden. In der Schule in der Türkei gehörte sie mit sechs anderen Mitschülern ihrer Klasse zur Minderheit, „das ließ man uns spüren“. Wer es gewagt habe, Kurdisch zu sprechen, und der Lehrer es hörte, sei er mit einem Stock gekommen. „Fünf Schläge pro Hand“, erinnert sie sich. In Deutschland habe sie dann schnell angefangen mit Zeitungslektüre, „auch um meine Eltern auf dem Laufenden zu halten“. Mit 15 sei ihr klar gewe- sen, dass sie Politik auch im Beruf betreiben wolle. Nach dem Abi studierte Akbulut Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht in Heidelberg und im kanadischen Montreal. Als eine von wenigen Studierenden ergatterte sie ein Praktikum bei den Vereinten Nationen in New York; ihr Studium finanzierte sie mitunter mit Kellnern und der Arbeit in Callcen- tern. Und zwei Praktika bei Bundestagsabgeordneten der Lin- ken absolvierte sie. „Die Linke ist gegen jede Militarisierung, das sprach dafür“, sagt sie über ihre Entscheidung, im Jahr 2006 der Partei beizutreten. Und die kurdische PKK, die durch- aus Gewaltanwendung kennt? „Das sehe ich auch kritisch.“ Eine Willkommenskultur, sagt sie, beginne überall dort, wo es Begegnung gebe. „Es macht auch keinen Sinn, zwischen Ge- flüchteten und Arbeitsmigranten zu unterscheiden, sie gegenei- nander auszuspielen.“ Akbulut, die seit 2017 im Bundestag ist, spielt auf Auseinandersetzungen mit ihrer Noch-Fraktionskolle- gin Sahra Wagenknecht an – mit einem Höhepunkt im Jahr 2018, als Wagenknecht gegen den UN-Migrationspakt sprach und sie dafür. „Das ist ein wichtiges Regelwerk“, sagt sie. „Niedriglohnbereiche sind stark migrantisch geprägt, aber da ist die Wirtschaft anzuprangern, nicht der Migrant, der die Ar- beit annimmt, weil er nichts anderes findet.“ Gegen Wagen- knecht setzte sie sich damals durch. Und sieht heute die Partei auf einem guten Wege, „der Vorstandsbeschluss, der Wagen- knecht den Rückzug nahelegte, war überfällig“. Jan Rübel T