10 EUROPA UND DIE WELT Das Parlament - Nr. 49-50 - 02. Dezember 2023 Auf der Bremse UN-KLIMAKONFERENZ Die Weltgemeinschaft erzielt einen Durchbruch beim Fonds für Klimaschäden. Streit gibt es weiter über den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen Expo City in Dubai: Hier verhandeln die fast 200 COP-Staaten den künftigen Klimakurs. © picture-alliance/NurPhoto/Jakub Porzycki Sultan Al Jaber über den Beschluss abstim- men lassen, einen Fonds für „Schäden und Verluste“ einzurichten, der die Folgen des Klimawandels in den ärmsten Ländern aus- gleichen soll. Nach intensiver Vorarbeit ei- nes Gremiums äußerte kein Staat Wider- spruch und so wird der Fonds nun bei der Weltbank eingerichtet, unter anderem mit einem 100-Millionen-Euro-Zuschuss der Bundesregierung. Bundesentwicklungsmi- nisterin Svenja Schulze (SPD) ließ sich ex- tra zuschalten aus Berlin und sprach von einer Entscheidung“ und von lange erwarteter Solidarität mit den am meisten Gefährdeten. „bahnbrechenden Jahrelange Forderung Ein solcher Fonds wurde von den Entwicklungsländern seit vielen Jahren gefordert. Sie sehen ihn als eine Art Wiedergutmachung des Nordens dafür an, dass dieser seit Jahrzehnten mit Kohle, Öl und Gas reich wurde, die Folgen der daraus entstandenen Treibhausgase aber nun vor allem die Länder im Süden treffen. Insbesondere die USA, aber auch die Europäische Union, hatten sich lange eisern geweigert, überhaupt über einen sol- chen Fonds zu sprechen. Zu groß war die Angst davor, nach Naturkatastrophen zu Zahlungen verpflichtet zu werden. Ein sol- cher Rechtsanspruch auf Einzahlung ist nun nicht vorgesehen, das war die rote Li- nie von Amerikanern und Europäern. Die Weltbank soll den Fonds jetzt schnell ins Laufen bringen, Finanzexperten zufolge dürfte dafür ein Betrag von hundert Milli- arden US-Dollar jährlich nötig sein – in Form von Zuschüssen. Kredite würden nur die Schuldenkrise vieler Entwicklungslän- der befeuern. Die Summe ist wohl kaum durch öffentli- che Haushalte reicher Länder aufzubrin- gen, weshalb bereits nach neuen Erlösquel- len gesucht wird. Im Gespräch waren zu- letzt Abgaben auf den internationalen Schiffs- oder Flugverkehr, eine Finanztrans- aktionssteuer oder eine Extra-Steuer für Öl- und Gasfirmen. „Wir brauchen zusätzli- ches Geld, das im Notfall schnell fließen kann“, fordert Avinash Persaud, Berater der Regierung aus Barbados und Experte für Klimafinanzierung. Dass solche Einnahme- quellen überhaupt auf dem Verhandlungs- tisch liegen, sei ein großer Schritt nach vor- ne, findet Persaud. Die große Unbekannte dieser Weltklima- konferenz, über die der Bundestag am Frei- tag auch in einer Vereinbarten Debatte de- battierte, ist die Auswirkung des Nahost- Konflikts auf den Kampf gegen den Klima- wandel. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 ist er der zweite geopoli- tische Großkonflikt, der die Welt auseinan- dertreibt. Wie wird sich Israel verhalten? Wie die arabischen Länder angesichts der Zerstörungen im Gazastreifen? Das seien immense Herausforderungen, sagte Jenni- fer Morgan, Staatssekretärin und Klimabe- auftragte im Bundesaußenministerium. Dennoch spüre man in Dubai den starken Drang, sich auf die Klimakrise zu konzen- trieren. Thomas HummelT Die Zivilgesellschaft hofft auf ihre Chance IRAK Erste Provinzwahlen seit Protesten vor vier Jahren »Die Aufstände haben alle Gesellschafts- schichten mobilisiert.« Zahraa, Demokratiewerk- statt Moja „Ich will ein starkes Basra“, sagt Naqib Al Laebie. Er weiß, wie schwach seine Stadt noch immer ist. Die mit fünf Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt Iraks fördert zwar mehr als zwei Millionen Fass Öl pro Tag und stemmt damit den Großteil des Staatshaushalts. Doch in Basra selbst sieht man davon nicht viel. Das will Al Laebie ändern, deshalb kandidiert er für die am 18. Dezember stattfindenden Provinzwah- len. Die „Faya“, seine Partei für Basra, strebt eine weitgehende Autonomie an, so wie sie die Kurden im Nor- den schon länger haben. „Wir wollen über unsere Entwicklung selbst bestim- men und ein Budget be- kommen, das wir selbst verwalten“, sagt der 52-Jäh- rige. Auf dem Weg von Bag- dad nach Basra – knapp 550 Kilometer – ginge so einiges verloren, „wenn du weißt, was ich meine“, fügt er hinzu. Korruption ist im Irak all- gegenwärtig. Der Kandidat meint, sie könne nur eingedämmt werden, wenn die Provinzen mit demokratisch ge- wählten Volksvertretern mehr Entschei- dungskraft bekämen. Föderalismus ist sein Schlagwort. Landesweite Proteste Wie er denkt zwar nicht die Mehrheit im Land, weder in Bas- ra noch anderswo im Irak. Aber bei den Provinzwahlen bewerben sich immerhin 20 sogenannte Tashreenes für die 22 Sitze im Provinzrat in Basra, in Bagdad sind es mehr als doppelt so viele. Tashreenes nennt man die, die vor vier Jahren an der Oktoberrevolution im Irak teilgenommen haben, denn Tashreen heißt auf Arabisch Oktober. Massendemonstrationen erschüt- terten damals zwei Jahre lang den gesam- ten Südirak bis hoch nach Bagdad, und Naqib Al Laebie war einer der ersten, der auf die Straße ging. Zunächst für mehr Strom, sauberes Wasser, eine bessere Um- welt und mehr Jobs. Später wurden auch Stimmen für einen Regimewechsel laut, für eine echte Demokratie ohne äußere Ein- flüsse. Die Büros der mit Iran verbündeten islamischen Parteien wurden in Brand ge- steckt, außerdem das Provinzratsgebäude und der staatliche irakische Fernsehsender „Iraqia“, der nicht über die Proteste berich- ten wollte. Naqib war mittendrin, wurde verschleppt, verhaftet und landete im Gefängnis. „Etwa 300 von uns sind getötet worden, erschos- sen von Schiitenmilizen“, berichtet er. Im n o s s n e v S t i g r i B © ganzen Irak seien es fast tausend gewesen. Dann kam die Pandemie und brachte die Proteste zum Stillstand. erzählt zurück, »Viele haben aufgegeben« Heute wolle er die Veränderungen von innen heraus er- reichen, als Provinzrat, sagt Al Laebie. Doch er weiß, dass viele seiner Mitstreite- rinnen und Mitstreiter von damals aufge- geben haben und dem Urnengang fern- bleiben wollen. Auch seine Plakate in der Stadt würden immer wieder abgerissen und zerstört, er. Doch Al Laebie gibt sich kämpferisch. „Ich werde weitermachen“, sagt er. Neuwahlen waren eine der Forderungen der Protestbe- wegung, die im Jahr 2020 ihren Höhepunkt am Tah- rir Platz in Bagdad fand. Die damalige Regierung trat Provinzräte und -parlamente wurden aufgelöst. 2021 fanden vor- gezogene Parlamentswah- len statt. Doch erst jetzt wird auf Provinzebene neu gewählt. Außer in den kurdischen Autonomiegebieten, die sich der Wahl entziehen, hängen daher im ganzen Irak derzeit Gesichter von Männern und Frauen auf unterschiedlich farbigem Hintergrund an Straßenkreuzungen, Häu- serwänden und den wenigen Bäumen in der Acht-Millionen-Stadt Bagdad. Eine Frauenquote schreibt 25 Prozent weibliche Abgeordnete vor, sowohl im nationalen Parlament als auch auf Provinzebene. Layla, Zahraa und Narjiis von der Demo- kratiewerkstatt Moja haben deshalb gerade alle Hände voll zu tun. „Wir unterstützen Kandidatinnen im Wahlkampf“, sagen die drei Frauen, „und das landesweit“. Hervor- gegangen ist die Nichtregierungsorganisati- on (NGO) 2013 aus einer Gruppe von Stu- denten und Studentinnen der Universität Najaf; damals wurde im Irak das letzte Mal auf Provinzebene gewählt, Frauen hätten danach beim Verfassungsgericht geklagt, weil Männer ihnen ihren Sitz im Provinz- rat streitig gemacht hatten. Die Richter ga- ben ihnen recht, die Männer mussten ihre Plätze räumen, die Frauenquote war durch- gesetzt. Sorge wegen Wahlbeteiligung Nach dem Ende der Terrormiliz „Islamischer Staat“ und der gescheiterten Revolution seien die Wahlen jetzt eine neue Chance für die Zivilgesellschaft, sich auf Provinz- ebene durchzusetzen und Politik mitzuge- stalten, meint Zahraa. Die Oktoberproteste hätten alle Gesellschaftsschichten mobili- siert und unzählige NGOs hervorgebracht. Allerdings bestehe die Gefahr, dass es bei einer niedrigen Wahlbeteiligung so ausge- hen werde, wie bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren, räumen sie ein. Damals hatte der Boykott der Tashreenes die alte Garde wieder an die Macht gespült und ei- ne Rolle rückwärts im politischen System eingeläutet. Was die Frauen betrifft, so sind die drei Ak- tivistinnen aus Najaf aber optimistisch. Zwar dürften Medien den Begriff „Gender“ seit August nicht mehr verwenden. Trotz- dem habe sich die Stellung der Frauen in den vergangenen fünf Jahren erheblich ver- bessert. Birgit Svensson T Für Sultan Ahmed Al Jaber ist die aktuelle Weltklimakonferenz die wichtigste seit dem Klima- Abkommen von Paris 2015. Dass der Konferenzpräsident seine eigene Veranstaltung lobt, ist wenig überraschend. Doch der 50-Jähri- ge könnte Recht behalten. Im Expo City Dubai, einem riesigen Messegelände am Rande der Wüstenstadt in den Vereinigten Arabischen Emiraten, könnte sich entschei- den, ob die Menschheit noch schnell ge- nug umsteuern kann im Kampf gegen die Erderwärmung. Es ist die 28. Auflage der „Conference of the Parties“, kurz COP, wie die Konferenz international genannt wird. Trotzdem sind die Treibhausgas-Emissionen zuletzt noch gestiegen, 2023 dürfte das heißeste Jahr auf der Erde in der Geschichte der Menschheit sein. Und dass, obwohl die fast 200 Staa- ten der COP vor acht Jahren beschlossen hatten, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius, auf jeden Fall aber weit unter zwei Grad zu begrenzen. Da- nach sieht es derzeit aber nicht aus. In Paris legten die Staaten fest, in diesem Jahr eine „globale Bestandsaufnahme“ vor- zunehmen: Tun die Länder genug, um die Ziele zu erreichen? Bei weitem nicht. In Dubai wird verhandelt, welche Schlüsse die Welt daraus zieht. Ein Weiter-so, weil man das lukrative Geschäft mit Öl, Gas und Kohle nicht beschädigen will? Oder doch die Trendwende? Um auf dem 1,5-Grad-Pfad zu bleiben, müssten die Emissionen bis 2030 um fast die Hälfte zu- rückgehen. „Wir brauchen mehr Ehrgeiz“, sagte Au- ßenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vorab, es sei ein Wettlauf gegen die Zeit und bislang sei die Welt zu langsam. Auch auf Initiative der deutschen Delegation könnte es in Dubai den Beschluss geben, die erneuerbaren Energien weltweit bis 2030 zu verdreifachen. Außerdem soll die Energie doppelt so effizient wie bislang eingesetzt werden. Äußerst umstritten ist die Forderung, einen Fahrplan aufzustel- len, aus den fossilen Brennstoffen auszu- steigen, beginnend mit dem Energiesektor. Nicht ohne USA und China Russland teil- te bereits mit, eine solche Vereinbarung keinesfalls schließen zu wollen, auch Sau- di-Arabien kämpft dagegen. Al Jaber erklär- te indes, dass eine „bedeutende Anzahl“ von Öl- und Gasfirmen zugesagt hätten, die Ziele des Pariser Abkommens zu über- nehmen: also ab 2050 keine Emissionen mehr, dazu Zwischenschritte wie eine Hal- bierung der Methanemissionen bis 2030. Wie überprüfbar diese Ankündigung ist und wer sie sanktionieren soll, ließ er aller- dings offen. Dass Al Jaber selbst Chef der staatlichen Öl- und Gasfirma Adnoc ist, schürt zudem Misstrauen unter den Beob- achtern. Adnoc hat angekündigt, seine För- derung in den kommenden Jahren erheb- lich ausweiten zu wollen. Einen schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen könnte die Weltgemeinschaft wohl nur vereinbaren, wenn sich die USA und China hinter diese Forderung stellen. Die beiden größten CO2-Emittenten fan- den zwar auf anderen Politikfeldern zuletzt zusammen und veröffentlichten kurz vor der Konferenz einen Einigungskatalog. Da- rin steht etwa die Forderung, die Methan- Emissionen drastisch reduzieren zu wol- len. Von einem geordneten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ist dort allerdings nicht die Rede. Auch wenn John Kerry, Kli- mabeauftragter der US-Regierung, zuletzt erklärte, er unterstütze den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, bei denen während der Produktion das CO2 nicht abgeschie- den und unter die Erde verbracht werde. An anderer Stelle begann die COP28 aller- dings mit einem Knalleffekt. Schon in sei- ner ersten offiziellen Plenarsitzung konnte Der Autor ist Politikredakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“ in München. Kandidat Naqib Al Laebi vor dem Logo seiner föderalistischen Partei. Die Autorin berichtet als freie Korrespondentin aus dem Irak. Wahlsieger Wilders findet keine Partner NIEDERLANDE Bisher will niemand mit dem Rechtsaußenpolitiker koalieren. Die Regierungsbildung könnte sich Monate hinziehen – und Wilders am Ende leer ausgehen Geert Wilders wählte seine Worte sorgfäl- tig: Nachdem sich sein erdrutschartiger Überraschungssieg bei den vorgezogenen Parlamentswahlen (siehe Stichwort) abge- zeichnet hatte, rief er die anderen Parteien in der Wahlnacht auf, über ihren Schatten zu springen: „Jetzt geht es darum, Überein- stimmungen zu finden und zusammenzu- arbeiten”, mahnte er. Bisher wurde der Rechtsaußen der niederländischen Politik von fast allen anderen Parteien wegen sei- ner Islamhetze ausgeschlossen. Als Regierungspartei werde seine „Partei für die Freiheit” (PVV) nicht versuchen, gegen Verfassung und Grundrechte zu verstoßen, beteuerte der Mann, der bereits wegen Gruppenbeleidigung und Anstiftung zur Diskriminierung verurteilt worden ist und das niederländische Abgeordnetenhaus als „Scheinparlament” bezeichnet hat. Bereit zu Konzessionen Wilders ist klar, dass er für ein mehrheitsfähiges Kabinett in der zersplitterten niederländischen Partei- enlandschaft mindestens zwei Koalitions- partner braucht. Schon in der letzten Phase des Wahlkampfs hatte der 60-Jährige des- halb betont, zu Konzessionen bereit zu sein. Die Eindämmung des angeblichen „Asyltsunamis” habe für ihn absolute Prio- rität, dafür werde er andere Vorhaben wie etwa ein Verbot des Koran und das Schlie- ßen aller Moscheen vorerst auf Eis legen, erklärte er. Die Niederländer stellen sich auf lange Ko- alitionsverhandlungen ein. Acht bis neun Verhandlungsrunden sind ohnehin ganz normal. Das vierte und letzte Kabinett des rechtsliberalen Langzeitpremiers Mark Rut- te stand erst nach 299 Tagen – ein Rekord, der nun gebrochen werden könnte. Schon zum Start sorgte Wilders PVV für Chaos. Der von ihm vorgeschlagene Son- dierer („verkenner”), der in den Niederlan- den nach einer Wahl ernannt wird, um hintereinander mit allen Fraktionsvorsit- zenden die Chancen potenzieller Koalitio- nen auszuloten, trat gleich am Montag wieder zurück. Es war bekannt geworden, dass sein letzter Arbeitgeber aufgrund „du- bioser finanzieller Konstruktionen” Be- trugsvorwürfe gegen ihn erhoben hatte. In- zwischen wurde ein Nachfolger ernannt, der ehemalige sozialdemokratische Minis- ter Ronald Plasterk. Er will im Laufe der nächsten Woche seinen Bericht vorlegen. Wilders Traumkoalition wäre eine Mitte- Rechts-Regierung mit der bisherigen rechts- liberalen Regierungspartei VVD, dem erst im August gegründeten „Neuen Sozialen Kontrakt” NSC und der BauerBürgerbewe- gung BBB von Caroline van der Plas. Zu viert hätten sie eine komfortable Mehrheit. Doch bisher zeigte sich nur die BBB sprungbereit. VVD-Spitzenkandidatin Di- lan Yesilgöz hingegen überraschte Freund und Feind mit der Ankündigung, ihre Par- tei werde einer Regierung mit Wilders nicht beitreten, sei aber gegebenenfalls bereit, ei- ne Minderheitsregierung zu unterstützen. „Wir haben zehn Sitze verloren, uns kommt eine andere Rolle zu”, so Yesilgöz. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich ein paar Verhandlungsrunden später doch noch bereit zeigt, einem Kabinett mit der PVV beizutreten. Tatsächlich sind Wilders’ Aussichten auf ein Mehrheitskabinett ohne VVD gleich Null, selbst wenn er NSC-Chef Pieter Omt- zigt für sich gewinnen könnte. Der jedoch > S T I C HW O RT Vorgezogene Parlamentswahlen in den Niederlanden > Sieg für Wilders Der islamfeindliche Politiker Geert Wilders (Foto) hat mit seiner Partei für Freiheit bei den vorgezogenen Parlamentswahlen einen unerwarteten Erdrutschsieg errungen. Sie stellt künftig 37 von 150 Abgeordneten im Unterhaus. Sein Ergebnis von 2021 hat er nahezu verdoppelt. > Linksbündnis Auf Platz zwei landete mit 25 Sitzen ein Bünd- nis der Mitte-links-Arbeiterpartei und der Grünen Linken. Vor- sitzender ist Ex-EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans. > Weitere Ergebnisse Die bisherige Regierungspartei VVD des scheidenden Premierministers Mark Rutte kommt nur noch auf 24 Parlamentssitze. Auf Platz vier landete mit 20 Sitzen die neu gegründete Partei Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC) des ehe- maligen Christdemokraten Pieter Omtzigt. T H C E R T U N B O R / I e c n a i l l a e r u t c i p © hatte bereits im Wahlkampf große Zweifel an einer Koalition mit der PVV geäußert, weil Wilders Grundrechte und Verfassung nicht respektiere. Eine Zusammenarbeit würde in der noch jungen Partei zu Span- nungen und Mitgliederaustritten führen. Sollte Omtzigt bei seinen Vorbehalten blei- ben, könnte Wilders ein Minderheitskabi- nett nur aus PVV und BBB bilden. „Links herum könnte er dann versuchen, für seine sozialökonomischen Ziele Mehrheiten zu finden, rechts herum für eine restriktivere Asyl- und Migrationspolitik“, sagt der Ams- terdamer André Krouwel. Politikwissenschaftler Autoritärer Stil Alternativ könnte Wilders ein Kabinett aus externen Experten zusam- menstellen. Er bräuchte dann nicht selbst Ministerpräsident zu werden – was sich auch weder ein Großteil seiner Landsleute noch er selbst und seine Partei bislang so richtig vorstellen können. Wer leitet dann die auf 37 Abgeordnete angeschwollene PVV-Fraktion? Wilders müsste delegieren, das ist er nicht gewohnt; bisher hat er wie ein autoritärer Herrscher über die Fraktion regiert. In Deutschland würde die PVV als Partei erst gar nicht zugelassen werden: Sie hat nur ein Mitglied und das ist Wilders selbst. Scheitert auch ein Expertenkabinett, muss Wilders aufpassen, dass er nicht im Abseits landet: „Man kann die Wahlen gewinnen, aber die Regierungsbildung verlieren”, weiß der niederländische Historiker Luuk van Middelaar. Das ist schon 1971 und 1977 passiert. Beide Male siegten die Sozi- aldemokraten, doch es gelang ihnen nicht, sich mit den Christdemokraten zusam- menzuraufen. Die fanden daraufhin willi- ge Partner für ein Mitte-Rechts-Kabinett. Auf die jetzigen Wahlen übertragen, würde das bedeuten, dass sich die Rechtsliberalen mit dem neuen Linksbündnis aus Grünen und Sozialdemokraten von Frans Timmer- mans zusammentun, das zweitgrößte Frak- tion wurde. „Die beiden Parteien könnten einen Deal aushandeln”, sagt Krouwel: Ye- silgöz wird Ministerpräsidentin und Tim- mermans bekommt dafür zusätzliche Mi- nisterposten. Oder die beiden teilen sich das Amt: Zwei Jahre ist Timmermans Pre- mier, zwei Jahre Yesilgöz. Allerdings würde es dazu erst kommen, wenn sämtliche Versuche von Wilders, eine rechte Regierung zu bilden, gescheitert sind. Bis dahin sei es Spätsommer, meint Krouwel. Kerstin Schweighöfer T Die Autorin berichtet als freie Korrespondentin aus Den Haag.