6 DEBATTENDOKUMENTATION Das Parlament - Nr. 5-6 - 30. Januar 2023 Wir können uns die Verschwendung von Talenten schlicht nicht leisten. ckeln, ist der Geschäftsklimain- dex seit Februar in den Keller ge- rauscht. Da kommt er jetzt wieder he- raus. Wir sehen die Zahlen. Noch einmal: Sie sind nicht gut, nicht da, wo wir hinwollen, nicht so, dass man sich zurück- lehnen kann, dass man durchat- men kann, aber wir sehen, dass die Tendenz wieder nach oben geht, zusammen mit der, wie soll ich sagen, Stabilisierung der energie- und wirtschaftspoliti- schen Erwartung für das Jahr 2023. Das lässt sich kaum anders begründen als mit dem Vertrauen der Wirtschaft in die politische Handlungsfähigkeit dieses Landes. Wir können Krisen überwinden. Wir können uns unterhaken. Wir können nach kritischen Diskursen – so muss es sein – dann weitrei- chende Entscheidungen treffen. Das Vertrauen in die Bereitschaft, Krisen zu bewältigen, Krisen zu bestehen, das ist die Lektion des Jahres 2022, die uns auch für das Jahr 2023 und den Rest der Legis- latur, für diese De- kade und darüber hinaus eine Lehre, aber eben auch ei- ne Ermutigung sein kann. In Zahlen ausge- drückt: Wir hatten im letzten Jahr ein Wachstum von 1,9 Prozent, also in ei- nem extrem schwierigen Jahr immerhin ein gutes Wachstum von 1,9 Prozent. Ja, es ist richtig, in Teilen sind das Nachholeffekte nach der Corona- pandemie. Anfang des Jahres war das Konsumverhalten gut, die Leu- te haben wieder Restaurants be- sucht, sie haben eingekauft und sich was geleistet. Wir sehen in den Daten, dass das Vertrauen, aber auch die Mittel für den Kon- sum schwinden. Da ist also eine Aufgabe für die Politik für das Jahr 2023. Sie ist aber adressiert. Mit den Entlastungspaketen wurde spezifisch auf die unteren Ein- kommensgruppen gezielt, und si- cherlich sollten die weiteren Maß- nahmen so ausgerichtet sein, dass speziell diejenigen, die das Geld nicht sparen oder zurücklegen können, sondern die das Geld ausgeben müssen, adressiert wer- den. Wir haben einen Rückgang der Inflation zu verzeichnen auf 7,9 Prozent in 2022. Für 2023 erwar- ten wir eine Inflation von 6 Pro- zent im Jahresdurchschnitt. Diese 6 Prozent sind also der Jahres- durchschnitt. Wir werden jetzt noch höhere Inflationsraten ha- ben, können aber dann im Jahr, so die Prognosen, die Inflation eindämmen; wir können, wie ge- sagt, den Trend brechen. Entschei- dend wird sein, dass wir nicht nur bei den Energiepreisen die Preis- durchbrechen, spirale sondern dass auch die Kerninflation run- tergeht. Das probate Mittel dafür ist die Geldpolitik, also die Anhe- bung der Zinsen. Das tun die Zen- tralbanken. Sie sehen die Komple- xität der Krise: Mit den höheren Zinsen sinkt natürlich die Investi- tionsbereitschaft in Anlageinvesti- tionen oder auch in die Bauwirt- schaft. Insofern ist das ein fragiles Geflecht, ein fragiles Unterfangen, was wir dort haben, aber bisher haben wir uns ganz gut durchma- növriert, sodass wir also für das Jahr 2023 6 Prozent Inflation er- warten und dann für 2024 noch einmal niedrigere Inflationsraten bei höherem Wachstum. hinnehmbar. Also die Aufgaben, die wir ideologisch diskutiert ha- ben, und Gleiches könnte ich zum Bildungsbereich sagen oder zur Möglichkeit von Menschen, die als Asylsuchende zu uns gekom- men sind und jetzt dem regulären Arbeitsmarkt zur Verfügung ste- hen. Also, zu all dem, was wir ideologisch haben, muss ich als Wirtschaftsminister sagen: Das können wir uns nicht mehr leisten. Wer sich hier ver- dient machen will, der soll hier auch was verdienen können, der – sie und er – soll auch arbeiten können. Wir können uns die Ver- schwendung von Talenten schlicht nicht leisten. diskutiert Mit der Stabilisierung der Ener- giesituation und dem Rückgang der Gaspreise wird der Blick auch frei für die strukturellen politi- schen Aufgaben, die das Land ökonomisch, aber auch gesell- schaftlich zu bewerkstelligen hat. In den Gesprächen mit den Unter- nehmerinnen und Unternehmern, aber auch mit den Gewerkschaften immer wird eins deutlicher: Die nächste große He- rausforderung – und sie eigentlich längst schon da – ist der Arbeits- bzw. Fachkräftemangel. Im Grunde wird, wenn wir alles rich- tig machen würden – es ist natürlich un- wahrscheinlich, dass das immer gelingt, aber unterstellt, dass poli- tisch sehr große Erfolge erzielt werden -, die Frage sein: Gibt es genug Hände und Köpfe in die- sem Land, die die ganze Arbeit ins Werk setzen? Das ist die große Aufgabe unserer Zeit. ist es ist gelungen, Zweiter Punkt, der Handel. Wir haben schmerzhaft gesehen, dass das Konzentrieren auf bestimmte Länder, dass das Abhängigmachen von ihnen ein hohes Risiko birgt. Das heißt umgekehrt: Wir müssen auch da – wie es jetzt immer heißt – diversifizieren, neue Handelsbe- ziehungen schließen. Im Jahr 2022 dass Deutschland seine handelspoliti- sche Stimme endlich wiedergefun- den hat. Nachhaltigkeit, soziale Klimaschutzkriterien Kriterien, und Handel, freier Handel und fairer Handel, schließen sich nicht aus. Sie können jetzt mit den Aus- richtungen, die wir vorgenommen haben, zusammengedacht wer- den. Nachdem wir in den Ver- handlungen mit Mexiko, mit Chi- le, mit Neuseeland, mit Australien so gut vorangekommen sind, soll- ten wir sie – mit Blick auf die nächste Debatte – im Fenster nach der Wahl in Brasilien unter diesen Bedingungen natürlich auch mit anderen Ländern, auch mit Brasi- lien oder Argentinien voranbrin- gen. diese Wie Sie wissen, haben wir den Jahreswirtschaftsbericht seit dem letzten Jahr um ein Sonderkapitel ergänzt, in dem wir die Wohl- standsindikatoren erweitern. Wir überführen Indikatoren Schritt für Schritt in den regulären Jahreswirtschaftsbericht. So finden Sie im Jahreswirtschaftsbericht 2023 einen Indikator aus dem letzten Jahr, nämlich das Ausei- nanderfallen von Frauenerwerbs- tätigkeit, die sich gut entwickelt hat, und dem Arbeitsvolumen, das Frauen leisten, das deutlich zu- rückfällt. Was heißt das? Viele Frauen arbeiten, aber sie arbeiten Teilzeit, sie arbeiten in Niedrig- lohnsektoren, sie schöpfen das Ar- beitspotenzial – wenn man so technisch reden darf – nicht aus. Wir haben also gesellschaftlich noch immer die Aufgabe, die Gleichstellung zu vollenden. Als Wirtschaftsminister muss ich sagen: Wenn Frauen oder auch Männer, die Kinder haben, die Fa- milie haben, die arbeiten wollen, nicht arbeiten können, dann ist das ökonomisch falsch und nicht Dritter Punkt, die Wettbewerbs- fähigkeit. Die Wettbewerbsfähig- keit muss über eine stabile und günstige Energieversorgung voran- gebracht werden. Das heißt, wir müssen die Entscheidungen, die wir aus energiepolitischer oder klimapolitischer Sicht getroffen haben, jetzt noch einmal ökono- misch ausrichten. Die Vorteile der erneuerbaren Energien als Grund- lage eines wettbewerbsfähigen In- dustriestrompreises müssen bei den Unternehmerinnen und Un- ternehmen ankommen, eine nicht triviale Aufgabe. Sie betrifft das Marktdesign, sie betrifft die Frage von Ausschreibungsmodellen, sie betrifft natürlich auch die Frage der Umsetzung. Sie ist also nicht trivial, aber wir werden sie im ers- ten Quartal angehen. Ich setze da- rauf, dass wir mit der gleichen Diskussionsfreude, aber auch mit der Entschlusskraft des letzten Jah- res einen wettbewerbsfähigen In- dustriestrompreis für klimaneutra- le Energieerzeugung ebenfalls ins Werk setzen. Damit bin ich bei der zweiten Wir sehen in den Daten, dass das Vertrauen, aber auch die Mittel für den Konsum schwinden. großen Krise neben dem Krieg. Das ist die Klimakrise. Diese Krise – wie schon mehrfach gesagt: das Klima hat ja gar keine Krise – wird die menschliche Gesellschaft in all ihren Facetten fordern. Es geht al- so nichtdarum, das Klima zu schützen, sondern Wohl- darum, stand, humanen Wohlstand auf der Welt zu verteidi- gen und zu schüt- zen bei einer glo- bal grassierenden, galoppierenden Erderwärmung. Diese gierung hat verpflichtet, das 1,5-Grad-Ziel ein- zuhalten. Das ist natürlich erst einmal eine Veränderung des Dis- kurses, aber wir müssen darauf be- stehen, dass wir alle Kräfte daran- setzen werden, dieses Ziel umzu- setzen. Es ist eine Verpflichtung, die wir eingegangen sind, und die- se Verpflichtung muss erfüllt wer- den. Bundesre- sich Das durch Senkung Wenn wir es richtig machen, dann ist diese Verpflichtung auch eine ökonomische Chance. Sie wird zu einer Erneuerung des Wohlstands führen – so der Titel des diesjährigen Jahreswirtschafts- berichts -: Erneuerung des Wohl- standes durch neue Produktions- formen, der CO2-Emissionen bei Schaffung von neuen Wertschöpfungsketten. Instrument dafür, neben dem Industriestrompreis, den ich bisher genannt habe, ist, die priva- ten Investitionen zu hebeln, zu beschleunigen, neu auszurichten. Das betrifft vor allem den größe- ren Mittelstand, wo die großen In- vestitionen teilweise nicht mit ge- nug Kapital hinterlegt werden. Wir werden dafür Instrumente entwi- ckeln. Das betrifft die Grundstoff- industrie, die so energieintensiv ist und bisher vor allem fossile Ener- gieträger verbrannt hat und die deswegen durch den Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine in die Krise geraten ist. Diese Krise jetzt – ich will nicht zynisch sein – zu verwandeln in eine Offensive nach vorne, beispielsweise durch Nutzung von CO2-neutralen Pro- duktionsprozessen in der Stahl-, in der Aluminium-, in der chemi- schen Grundstoffindustrie, das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Sie ist eine echte Chance, eine wettbewerbsfähige Chance für unsere Industrie. – Elektrolyseure Die neuen Techniken – Halblei- ter, Batterien, Solarpaneele, Wind- turbinen, in Europa und auch in Deutschland zu fertigen, also die neue Industrie – „neu“ kann man gar nicht mehr sagen, sondern die nächste Stufe der Industrie – hier anzusiedeln, im Wettbewerb mit dem amerika- nischen Inflation Reduction Act – ich blicke auf die Debatte mor- gen, in der wir tiefer darauf einge- hen werden -, das ist die weitere Herausforderung. Ich knüpfe an die Rede von Ur- sula von der Leyen in Davos an und unterstütze sie vollumfäng- lich. Neue Förderinstrumente, die sogenannten IPCEI- Projekte, die Auswei- tung der Möglichkei- ten, strategisch Resi- lienztechniken zu fördern, sodass wir uns bei der Produkti- on unabhängig ma- chen von Ländern, die wir vielleicht nicht unbedingt be- stimmend in unse- rem Energie-, Gesundheits- oder Kommunikationssystem haben wollen, das ist eine Chance für die deutsche Wirtschaft. Wir werden den Wohlstand erneuern, wenn wir Klimaneutralität echte Chance begreifen. als Auch im Energiebereich werden wir vorangehen. Ich kündige noch einmal an, dass wir weitere Schrit- te machen werden, um beispiels- weise die Solar- und Windenergie zu beschleunigen, auszubauen, bürokratische Hemmnisse abzu- bauen. Wir werden zeitnah auf dieses Haus zukommen, indem wir – wir haben es jetzt „Solarpa- ket“ genannt – wahrscheinlich in zwei Tranchen ein Solarpaket 1, ein Solarpaket 2 und ein Windpa- ket schnüren werden, um noch einmal im Detail voranzukom- men, angefangen bei der Normie- rung der Stecker bis zu den Ge- nehmigungsverfahren oder den Normierungen von Anlagen. Wir werden weitere Beschleuni- gungsmaßnahmen bei der Geneh- migung erreichen. Wir werden den Hochlauf der Wasserstoffin- dustrie in diesem Jahr organisie- ren müssen, von der Infrastruktur über die Produktion bis zur Regu- lierung. Wir haben den Flächen- entwicklungsplan zum Ausbau der Offshorewindenergie verabschie- det und sind im letzten Jahr wei- ter gekommen, als ich es zu träu- men gewagt hätte: Wir wollten ja Fläche für 30 Gigawatt bis 2030 ausweisen; Fläche für 40 Gigawatt haben wir jetzt schon gefunden. Erlauben Sie mir abschließend, um das zu unterstreichen, zwei Anekdoten von meinem gestrigen Abend zu erzählen. Erst war ich bei der Maritimen Konferenz mit Werften, Reedereien, Schiffbauern. Sie haben gesagt: Wir haben dort eigentlich eine echte neue Chance. Die Schiffe,die wir zum Transport von grünem Ammoniak brau- chen, Plattformen, die offshore er- richtet werden, die Wartungsschif- fe, neue Antriebsformen, all das ist eine neue Chance für unsere alte, klassische und so häufig krisenge- beutelte Industrie, wenn diese Re- gierung bei ihrem Plan bleibt, wenn die deutsche Politik bei ih-