6 INNENPOLITIK Das Parlament - Nr. 12 - 16. März 2024 »Wir wollen an die Macht« IM GESPRÄCH Die frauenpolitischen Sprecherinnen Leni Breymaier (SPD) und Mechthild Heil (CDU) über den Sinn von Quoten und den Kampf gegen Gewalt an Frauen Nicht nur Uhrzeiten, auch der politische Umgang in den Gremien schrecken viele Frauen ab, so die beiden Politikerinnen. © picture-alliance/photothek/FlorianGaertner Frau Heil, Frau Breymaier, sprechen wir zuerst über eines Ihrer Spezialgebiete: Frauen im Parlament. Deutschland liegt mit einem Frauenanteil im Parlament von 35,1 Prozent im Moment weltweit auf Platz 45. Was machen Ruanda (61,3 Pro- zent), Kuba (55,7 Prozent) und Nicaragua (51,7 Prozent) besser? Leni Breymaier: Ruanda hat tatsächlich einen hohen Frauenanteil. Ich denke, da hat sich nach dem Völkermord in den 1990er Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Ge- sellschaft umso friedlicher und gerechter ist, je mehr Frauen an den politischen Entschei- dungsfindungen und in der Zivil- gesellschaft betei- ligt sind. Aber ich glaube, wir müs- sen genau hin- schauen, welche Rechte und wel- che Macht die Parlamente in diesen Ländern tatsächlich haben: In denen, die oft genannt werden, ist es oft so, dass das Parlament relativ wenig zu sagen hat. e s s o r G n o i F © heißt Nein“ und vor 30 Jahren bei der Ergän- zung des Artikels 3 Absatz 2 Grundgesetz, haben sich Frauen im Parlament parteiüber- greifend zusammengeschlossen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir es in dieser Legislatur schaffen, das Paritätsgesetz für den Bundes- tag zu verabschieden, gültig ab der über- nächsten Wahlperiode. Aber die Union ist nicht mit dem neuen Wahlrecht einverstan- den und beklagt es beim Bundesverfassungs- gericht. Deshalb wird man über Parität mit den Kolleginnen der Union wohl erst ernst- haft reden können, wenn Karlsruhe zum Wahlrecht im Allgemeinen entschieden hat. »Ich bin mir sicher: Eine Paritätsre- gelung für den Bundestag ist verfassungsfest.« Leni Breymaier (SPD) Mechthild Heil: Ich bin ja auch voll dabei. Es wäre super, wenn wir das hinbekä- men. Nicht nur wir Frauen, son- dern das Parla- insgesamt. ment Aber es liegt eben noch nichts auf dem Tisch. Wir bräuchten einen Vor- schlag, der dann nicht an unserem Grundge- setz scheitert. Also taugen diese Länder nicht als Vor- bild. Was würde hier helfen? Leni Breymaier: Als Mitglied der Wahlrechts- kommission habe ich versucht, die Parität für Deutschland mit einzubringen. Und das war schwer: Parteien mit Quotenregelungen sind in der Lage, Frauen ins Parlament zu brin- gen. Und die Parteien, die keine großen Re- gelungen haben, bringen dann eben auch keine Frauen in den Bundestag. Deshalb glaube ich, geht es am Ende um verbindliche gesetzliche quotierte Regelungen. Ohne wird es nicht gehen. Mechthild Heil: Ich wäre schon auch stolz, wenn wir als Deutschland einen der vorde- ren Plätze hätten. Aber ich stimme meiner Kollegin zu: Man muss genau hingucken, wie gleichberechtigt die Frauen dort sind. Al- so Zahlen allein bringen uns Frauen nichts, wir wollen natürlich auch an die Macht. Frau Breymaier hat gerade schon ange- sprochen, dass die Quote im Zweifel dazu führt, dass die Frauen dann auch dort an- kommen, wo sie sein sollen, sei es jetzt im Parlament oder in den Vorständen. Frau Heil, ich sehe Sie die Stirn runzeln. Sehen Sie das anders? Mechthild Heil: Nein, nein, ich bin als CDU- Frau ein Fan der Quote. Ich bin Kreisvorsit- zende, war lange Stadtverbandsvorsitzende. Ich habe eine lange Leidensgeschichte, Frau- en in die Partei zu bringen und dann auch zur gleichberechtigten Mitarbeit zu fördern. Ich bin froh, dass wir die Quote haben. Aber natürlich ist es so, dass dann die Männer ei- nen Teil ihrer Macht abgeben müssen, und das tun die nicht freiwillig. Leni Breymaier: Wir haben es immer mal wieder geschafft, durch Zusammenarbeit et- was zu erreichen. Bei der Debatte zu „Nein Leni Breymaier: Aber das Grundgesetz sagt doch ganz klar, Artikel 3, Absatz 2: „Der Staat fördert die tatsächliche Gleichberechti- gung und wirkt auf die Beseitigung bestehen- der Nachteile hin.“ Ich bin mir sicher: Eine Paritätsregelung ist verfassungsfest. ist Ein großes Hindernis für die politische Arbeit für viele Frauen sicher die schwierige Vereinbarkeit von Familie und politischem Amt. Was muss sich da än- dern? Müsste es zum Beispiel Elternzeit für Abgeordnete geben? Mechthild Heil: In der CDU haben wir eine politische Elternzeit und auch beschlossen, dass in den Gremiensitzungen nach einer be- stimmten Uhrzeit keine Beschlüsse mehr ge- fasst werden. Mich ärgert aber, dass wir das Frauenthema nur im Blick auf junge Frauen und Rollenzuschreibungen in der Familie diskutieren. Ein Hinderungsgrund, sich poli- tisch zu engagieren, kann die Familie sein. Es können aber auch viele andere Dinge sein. Es geht auch darum, wie wir in den Gremien ZUR PERSON Leni Breymaier ist seit 2017 für die SPD Mitglied des Bundestages. Sie ist Obfrau ihrer Fraktion im Familien- ausschuss und engagiert sich auch außerhalb in frauen- und sozial- politischen Organisationen. Mechthild Heil ist seit 2009 für die CDU Mitglied des Bundestages und war unter anderem lange Verbraucher- schutzbeauftragte ihrer Fraktion. Heil ist Vorsitzende der katholischen Frauen Deutschlands (kdf). Beide Politikerinnen sind die frauen- politischen Sprecherinnen ihrer Fraktionen. miteinander umgehen. Die sind meist von Männern dominiert und viele Frauen sagen, ob jung oder alt, mit oder ohne Kinder, dass sie sich das nicht antun wollen. Die Art, wie man dort miteinander spricht, wie man sich durchsetzen, wie man auftreten muss. Das macht nicht jede Frau mit. Da müssen wir was machen als Parteien, aber auch als Ge- sellschaft. Die Männer dürfen nicht die Norm für unser Zusammenleben und auch für die politische Zusammenarbeit vorgeben. Leni Breymaier: Das stimmt – die Regeln und die Rituale im politischen Geschäft werden von der Mehrheit gemacht und die Mehrheit sind Männer. Wobei diese Spielregeln auch nicht für alle Männer schlau sind. Wenn Donnerstagnacht um 2 Uhr noch ein Ham- melsprung stattfindet, ist das insgesamt nicht besonders menschenfreundlich. Um das zu ändern, müssen Frauen, die die Sorge für Kinder oder Angehörige haben, in die Gre- mien rein: Wenn genügend Frauen dort drin sind, dann findet die Sitzung so spät auch nicht statt. Es heißt immer, es muss ein Drit- tel eines Gremiums von Frauen vertreten sein, damit sich tatsächlich etwas ändert. Zum Frauentag gibt es nicht nur Zah- len zum Gender Pay Gap, also der Lohnlü- cke zwischen Frauen und Männern, son- dern auch zu den vielen Stunden Care Ar- beit, die Frauen immer noch unentgeltlich mehr leisten. Von 117 Milliarden unbezahl- ter Stunden entfallen in Deutschland 71 Milliarden Stunden auf Frauen. Leni Breymaier: Also das eine ist natürlich der sehr private Aushandlungsprozess. Aber, und da gilt auch hier: Das Private ist poli- tisch. Wir in der SPD und auch in der Ampel wollen die Familienstartzeit einführen; eine be- zweiwöchige zahlte Freistellung für den Partner di- rekt nach der Ge- burt. Alle Studien, die es dazu gibt, sa- gen, je früher sich Männer um die Ba- bys kümmern, desto größer ist ihr Einsatz auch später. Dann ist natürlich die Kin- derbetreuung das A und O: Wenn es keine Kinderbetreuung gibt, wie sollen Männer und Frauen dann erwerbstätig sein? Zudem haben wir im Koalitionsvertrag verabredet, dass pflegende Angehörige eine größere Flexi- bilität in der Zeiteinteilung haben sollen und deshalb wollen wir auch die Pflegezeit und die Familienpflegezeit weiterentwickeln. e H o r ü B - B D M © l i Mechthild Heil: Wir haben besonders wäh- rend der Corona-Pandemie gesehen, dass Frauen wieder stärker in die alten Rollen- muster zurückgeworfen werden. Ich bin auch dafür, dass man Care Arbeit gerecht entlohnt. Aber jeder, der Care Arbeit macht, wird sa- gen, dass es nicht nur am Geld liegt. Es ist einfach auch eine andere Art von Belastung, die man mit Geld nicht aufwiegen kann. Es ist nicht überall eine starke Familie da, die hilft, pflegebedürftige Angehörige zu betreu- en. Bei dem Thema müssen wir als Gesell- schaft stärker werden. Ein weiteres großes Thema sind die Ge- walt gegen Frauen und Femizide. In Deutschland stirbt fast jeden dritten Tag eine Frau durch die Hand ihres (Ex-)Part- ners. Dennoch ist der Femizid in der deut- schen Rechtsprechung noch kein eigener Straftatbestand. Warum? Mechthild Heil: Für mich ist Mord Mord und Totschlag Totschlag. Es darf nicht sein, dass ein Partner seine Partnerin tötet und dafür so viel weniger bestraft wird als ein Fremder. Ich glaube zudem, dass es wichtig ist, dass man die Frauen schon vorher besser schützt; es geht also gar nicht mal nur um die Bestra- fung der Täter. Sondern auch darum, den Schutz der Frauen vor den Ausbrüchen ihrer gewalttätigen Männer zu verbessern. Leni Breymaier: Femizide sind die drastischs- te Form geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Es ist falsch, dass Ta- ten, die durch die patriarchalen Besitzan- sprüche der Männer geschehen, immer noch mit Begriffen wie Familiendrama oder Eh- renmord verharmlost werden. Wir haben vergangenes Jahr das Strafrecht konkretisiert und geschlechtsspezifische Tatmotive aus- drücklich in die Liste der menschenverach- tenden Tatmotive aufgenommen. Wo wir noch sehr viel stärker hinschauen müssen, ist das sogenannte Berufsrisiko von Frauen in der Prostitution. Mechthild Heil: Oh ja, auf jeden Fall! »Die Männer dürfen nicht die Norm für die politische Zusammenarbeit vorgeben.« Mechthild Heil (CDU) Leni Breymaier: Seit der Liberalisierung der deutschen Prostitutionsgesetzgebung gab es weit über 100 tote Prostituierte. Wir brau- chen aber nicht bloß här- tere Strafen, wir brauchen auch mehr Frauenhaus- plätze. Aktuel- le Zahlen sa- gen, wir bräuchten viermal mehr, als wir im Mo- ment haben. Aber selbst dann: Das Ziel ist ja nicht, massenweise Frauenhäuser zu bauen, sondern die Gewalt an Frauen zu bekämp- fen. Was machen wir präventiv gegen Gewalt, deren Spitze der Mord ist? Und Prostitution ist die bezahlte Gewalt, bezahlte Vergewalti- gung. Die unfassbare Gewalt, die Frauen aus der Prostitution erleiden müssen, nehmen wir immer nur dann zur Kenntnis, wenn mal wieder eine ermordete Prostituierte aus der Weser gezogen wird. Das ist doch irre! Mechthild Heil: Und auch deshalb ist der In- ternationale Frauentag so wichtig: Damit wir von den Themen gleiche Bezahlung über Ca- re Arbeit bis hin zum verbesserten Schutz von Frauen vor Gewalt auf so vieles aufmerk- sam machen können. Das Gespräch führte Elena Müller Für die Demokratie DEBATTE ZUM FRAUENTAG Opposition vermisst Taten Idealerweise finden Debatten, die sich auf einen Jahrestag beziehen, vor diesem Tag statt. So sollte es eigentlich auch mit der Aussprache zum Weltfrauentag sein, die bereits vor drei Wochen auf der Tagesord- nung des Bundestages stand, aber dann an- deren Abstimmungen weichen musste. Da- rüber hat sich Dorothee Bär (CSU) offen- sichtlich besonders geärgert. „Es gab ja Wichtigeres, wir mussten Cannabis legali- sieren“, schimpfte sie, als sich am Freitag- morgen vor allem Frauenpolitikerinnen unter der Kuppel versammelt hatten, um über Frauenrechte zu reden. Zu viele Strategiepapiere Doch dabei blieb es nicht, denn sowohl Bär als auch andere Unionsabgeordnete stellten der Frauenpolitik der Ampel ein vernichtendes Zeugnis aus: „Machen Sie endlich mal ein Projekt richtig, wir brauchen die Umset- zung von Dingen und nicht immer nur Verweise auf Strategien“, forderte Bär. So müsse der Bund nicht nur international die feministische Außenpolitik mit Leben fül- len, sondern auch in Deutschland zum Beispiel die Plätze in den Frauenhäusern massiv ausbauen. „Es fehlen 14.000 Plätze. Diese Zahlen können Sie doch nicht zu- friedenstellen.“ Der Bund müsse sich end- lich am Ausbau der Hilfsangebote beteili- gen anstatt auf die Länder zu verweisen, sagte die CSU-Abgeordnete. Auf einen neuen Höchststand bei Partner- schaftsgewalt, von der fast ausschließlich Frauen betroffen sind, verwies auch Ekin Deligöz (Grüne), die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienminis- terium: „Damit dürfen wir uns keinesfalls abfinden!“ Und weiter: „Der Bund hat die Länder unterstützt, um mehr als 349 neue Frauenhausplätze in den letzten Jahren zu schaffen, aber wir wollen noch mehr. Wir wollen ein Bundesgesetz, um Frauenhäuser gegen rechts bis besser abzusichern.“ Außerdem forderte Deligöz eine Steuerreform, um die Er- werbstätigkeit von Frauen zu unterstützen. Eine Hausaufgabe sei auch, die Richtlinie zur Entgelttransparenz umzusetzen. Josephine Ortleb (SPD) betonte, wie auch die Grünen Co-Chefin Richard Lang, dass Frauenrechte Menschenrechte sind, also „kein nice-to-have, sondern ein must-ha- ve“, wie Ortleb sagte. Heftige Kritik übten beide an der AfD, die Frauen zurück am Herd sehen wolle. „Aber wir verteidigen das Erreichte zum Schluss“, so die Sozialdemokratin kämpfe- risch. Das Entgelttransparenzgesetz müsse jetzt kommen, ergänzte sie, denn es könne nicht sein, „dass wir jedes Jahr wieder über die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen reden“. Richarda Lang betonte: „Die autoritären Herrscher hassen Frauenrechte, und deshalb sind diese Rechte für uns der Gradmesser für die Demokratie, und als solche verteidigen wir sie auch.“ Das Argu- ment der AfD, wonach sich immer mehr Frauen in Deutschland wegen der Migran- ten unsicher fühlten, drehte sie um: „Ja, viele Frauen fühlen sich unsicher, weil Sie die Uhr zurückdrehen wollen!“ Zuvor hatte Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD) die Situation von Frauen vor allem angesichts der Migrationspolitik beschrie- ben. So habe deshalb fast die Hälfte der Frauen in Deutschland Angst vor einer Ver- gewaltigung. Für Meinungsdelikte komme man in den Knast, für Gruppenvergewalti- gungen nicht, empörte sie sich. Nicole Bauer (FDP) setzte den Fokus ganz woanders, nämlich auf die Bedeutung von Frauen für die Innovationskraft der Wirt- schaft. „Frauenpolitik ist Wirtschaftspoli- tik. Es kann nicht sein, dass Frauen an ei- ner Selbständigkeit gehindert werden, weil es für sie dann keinen Mutterschutz gibt“, betonte Bauer. Claudia Heine T Bürgergeld nicht für alle SOZIALES AfD fordert Umbau der Mindestsicherung Die AfD-Fraktion hat mit ihrem Antrag für einen Umbau des Bürgergeldes und der So- zialhilfe Widerspruch bei den anderen Fraktionen und Gruppen im Bundestag ausgelöst. Über den Antrag (20/10609) de- battierte das Plenum am Donnerstag und überwies ihn anschließend zur Beratung an die Ausschüsse. Konkret fordert die AfD-Fraktion eine stär- kere Fokussierung des Bürgergeldes und damit der Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit auf die Arbeitsvermittlung. Men- schen, die nicht erwerbstätig sein können, sollen dagegen in das System der Sozialhil- fe wechseln. Bürgergeld sollen nur noch je- ne beziehen, die kurzfristig, innerhalb von zwei Wochen, zur Aufnahme einer sozial- versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Lage sind. Die bisherige Sozialhilfe (SGB XII) soll bei gleichbleibenden Regel- sätzen zu einer „Sozialhilfe-Neu“ umge- baut werden, mit dem Ziel, künftig auch Gruppen nur bedingt erwerbsfähiger SGB II-Leistungsberechtigter zu versorgen. Dazu gehören nach den Vorstellungen der AfD unter anderem Bürgergeldbeziehende, die gesundheitlich so stark eingeschränkt sind, dass sie seit mindestens sechs Monaten gar nicht oder weniger als drei Stunden täglich erwerbsfähig sind. Aber auch Menschen, die wegen Kinderbetreuung oder Pflege nicht mindestens drei Stunden täglich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Außer- dem verlangt die Fraktion umfangreiche Sanktionen und die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs. Gerrit Huy (AfD) sagte, die BA könne nicht gleichzeitig Sozialamt spielen und sich auf die Vermittlung der Arbeitssuchenden kon- zentrieren. Ein großer Teil der Menschen, der von der BA als arbeitsfähig geführt wer- de, sei es gar nicht und belaste das System der BA, kritisierte Huy. „Das meiste, was Sie hier fordern, ist gel- tendes Recht. Sie betreiben mal wieder or- dentlich Schattenboxen“, erwiderte Annika Klose für die SPD-Fraktion. Die AfD wolle Menschen verschieben. Ansatz der SPD sei es aber, dass auch Personen mit gesund- heitlichen Einschränkungen Anspruch auf Arbeitsvermittlung und Förderung haben. »Abwertendes Menschenbild« Kai Whit- taker (CDU) warf der AfD vor: „Sie teilen Menschen in nützlich und unnützlich ein.“ Die Unionsfraktion aber glaube an die Po- tenziale der Menschen. Im Übrigen sei es schon jetzt geltende Rechtslage, dass Men- schen, die weniger als drei Stunden täglich arbeiten können, in den Sozialhilfebezug wechseln. Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen) erkannte „das abwertende Men- schenbild in jeder Zeile des Antrags“. Wer nicht sofort arbeitsfähig sei, solle aussor- tiert werden. Es sei bei der AfD immer noch nicht angekommen, dass auch Men- schen in schwierigen Situationen am Ar- beitsleben teilhaben wollen. Jens Teutrine (FDP) attestierte dem Sozial- staat „erheblichen Reformbedarf“, denn er müsse auch gerecht gegenüber jenen sein, die ihn finanzieren. Heidi Reichinnek (Die Linke) betonte: „Das Bundesverfassungsge- richt hat klar geurteilt: Die Menschenwür- de muss nicht erarbeitet werden. Und Menschen hungern zu lassen, verstößt ge- gen die Menschenwürde.“ che T Flexible Job-Zeiten ARBEIT Die Union will das Arbeitszeitgesetz ändern Die Kritik war einhellig: Als der Bundestag am Donnerstagabend erstmals einen An- trag (20/10387) der Unionsfraktion für ei- ne stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit diskutierte, durfte sie nicht viel Lob erwar- ten und bekam es auch nicht. Selbst die FDP, die in der Vergangenheit ähnliche An- träge gestellt hatte, wollte da keine Ausnah- me machen. Die CDU/CSU-Fraktion schreibt in dem Antrag: „Eine individuelle Einteilung der Arbeitszeiten trägt erheblich zur Zufrieden- heit am Arbeitsplatz bei und hilft gerade Familien mit kleinen Kindern und zu pfle- genden Angehörigen bei der besseren Ver- einbarkeit von Familie und Beruf.“ Das deutsche Arbeitszeitgesetz mit seiner Fest- legung auf einen regelhaften Acht-Stun- den-Tag stehe den Wünschen der Arbeit- nehmer nach mehr Flexibilität jedoch ent- gegen. Die Abgeordneten verlangen des- halb von der Bundesregierung einen Ge- setzentwurf, der eine wöchentliche statt der täglichen Höchstarbeitszeit einführt und diese im Einklang mit der europäi- schen Arbeitszeitrichtlinie ausgestaltet. Axel Knoerig (CDU) begründete die Initia- tive damit, dass die Menschen endlich mehr Selbstbestimmung bräuchten, was ihre Arbeitszeiten angeht. Doch diese Mo- tivation wollte bei den anderen Fraktionen nicht so recht verfangen. So erwiderte Jan Dieren von der SPD: „Ich musste an die Sa- ge vom Trojanischen Pferd denken. Jahre- lang wollten Sie die Arbeitszeit verlängern und jetzt geht es Ihnen um mehr Freiheit?“ Norbert Kleinwächter (AfD) warf der Uni- on vor: „Mit windigen zwei Seiten wollen Sie das deutsche Arbeitszeitgesetz in Rui- nen schießen und das auch noch als fami- lienfreundlich verkaufen!“ Beate Müller-Gemmeke sagte: „Die Union will nicht mehr Zeitsouveräni- tät für Beschäftigte, der Schein trügt. Oder fordern Beschäftigte wirklich, zehn oder zwölf Stunden am Tag arbeiten zu kön- nen?“ Pascal Kober (FDP) fügte hinzu, der Antrag sei viel zu unkonkret: „Das ist doch albern.“ Janine Wissler (Die Linke) beton- te: „Die Union will ran ans Arbeitszeitge- setz. Dem fehlt es aber nicht an Flexibilität, sondern an Stabilität.“ che T (Grüne)