10 INNENPOLITIK Das Parlament - Nr. 28-29 - 06. Juli 2024 Interessierte Beobachter hatten gerät- selt, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aus dieser Misere herauskommen würde. Hat- te sich Lauterbach 2016, damals als Abgeordneter, noch vehement dage- gen gewehrt, die zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und Pharma- firmen ausgehandelten Erstattungsbeträge für neue, patentgeschützte Arzneimittel vertraulich zu halten, ist genau diese Mög- lichkeit in seinem Entwurf für das Medi- zinforschungsgesetz (20/11561) vorgese- hen. Das Vorhaben wurde von vielen Sei- ten heftig attackiert, sogar von der Pharma- branche selbst. Dem deutschen Erstattungsbetrag, der bis- lang öffentlich zugänglich ist, wird eine „in- ternationale Referenzwirkung“ attestiert mit Auswirkungen auf Preise in anderen Län- dern. Die Vertraulichkeit soll den Pharma- firmen künftig mehr Verhandlungsspiel- raum bringen. Die Krankenversicherungen befürchten jedoch Preise zum Vorteil der Pharmakonzerne und zu Ungunsten der Versicherten. Ärzte wären nicht mehr im Bil- de, was ihre Verordnungen kosten. Kranken- versicherer rechneten vor, die Neuregelung mit „Geheimpreisen“ werde zu Mehrausga- ben in Milliardenhöhe führen, und das bei der ohnehin bedenklichen Kostenentwick- lung im Gesundheitswesen. Befristete Regelung Skepsis wurde sogar in der Ampel-Koalition deutlich, als die Grü- nen-Abgeordnete Paula Piechotta von einem „Fremdkörper“ sprach und vorschlug, die Regelung im parlamentarischen Verfahren aus dem Entwurf wieder zu streichen. Quasi auf den letzten Drücker verständigten sich die Koalitionäre auf einen Kompromiss (20/ 12149), der in dieser Woche zunächst im Gesundheitsausschuss per Änderungsantrag eingeführt und am Donnerstag zusammen mit den übrigen Regelungen im Plenum be- schlossen wurde, freilich gegen das Votum der gesamten Opposition. Demnach soll die Regelung bis Ende Juni 2028 befristet werden. Bis Ende 2026 ist ei- ne Evaluation vorgesehen. Zudem sollen nur jene Pharmafirmen zur Geheimhal- tung der Preise berechtigt sein, die eine re- levante Arzneimittelforschung in Deutsch- land nachweisen können. Wollen Pharma- firmen von der Möglichkeit geheimer Er- stattungsbeträge Gebrauch machen, wird außerdem ein zusätzlicher Abschlag von neun Prozent auf den zuvor ausgehandel- ten Betrag fällig. Ethik-Kommission Weiterhin änderten die Abgeordneten den Gesetzentwurf hinsicht- lich der Standardvertragsklauseln und der geplanten spezialisierten Ethik-Kommissi- on für besondere Verfahren auf Bundesebe- ne. Um mehr Verbindlichkeit zu erreichen, soll die Bundesregierung nunmehr dazu ermächtigt werden, Standardvertragsklau- seln mittels Rechtsverordnung mit Zustim- mung des Bundesrates für klinische Prü- fungen festzulegen, nicht nur Vorschläge für solche Klauseln zu veröffentlichen. Die Änderung bei der Ethik-Kommission zielt auf die Unabhängigkeit des Gremi- ums vom Bund. Bei der Besetzung der Ethik-Kommission sollen nun die obersten Landesgesundheitsbehörden mit eingebun- den werden. Mit dem Medizinforschungsgesetz sollen die Rahmenbedingungen für die Entwick- lung, Zulassung und Herstellung von Arz- neimitteln und Medizinprodukten verbes- sert werden. Das Ziel ist, klinische Prüfun- gen und das Zulassungsverfahren von Arz- neimitteln und Medizinprodukten zu ver- einfachen, zu entbürokratisieren und zu beschleunigen. Die Bundesregierung hatte auf eine breite Mehrheit gehofft, aber auch die Unions- fraktion stimmte gegen die Novelle. Georg Kippels (CDU) sagte, es habe ernstzuneh- Streit über Geheimpreise GESUNDHEIT Medizinforschungsgesetz mit entschärfter Geheimhaltungsklausel für Pharmafirmen verabschiedet Von der Reform versprechen sich Experten mehr Innovationen im Kampf gegen Krankheiten. © picture-alliance/Zoonar/Iaroslav Danylchenko mende Kritikpunkte gegeben, aber die Am- pel habe „bedauerlicherweise keine positi- ve Lernkurve“ zu verzeichnen. Die jetzige Regelung für die vertraulichen Erstattungs- beträge beinhalte „einen Wust an unbe- > S T I C HW O RT Zahlen zur Pharmabranche > Umsatz Die pharmazeutische Industrie in Deutschland hat 2022 rund 59 Milliar- den Euro Umsatz erwirtschaftet, etwa 60 Prozent davon im Ausland. > Beschäftigte Die Pharmafirmen be- schäftigten 2022 in heimischen Betrie- ben rund 123.500 Mitarbeiter. > Arzneimittel Die Gesetzliche Kranken- versicherung (GKV) hat 2023 rund 50,17 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgege- ben. stimmten Rechtsbegriffen“ und ein kom- pliziertes, praxisfernes Instrumentarium. „Damit können wir den Forschungsstand- ort Deutschland nicht retten.“ Kranke Menschen Lauterbach verteidigte die Regelung, räumte aber ein, früher ande- rer Meinung gewesen zu sein, „denn früher war die Hoffnung die, dass alle Länder Europas die Erstattungsbeträge öffentlich machen“. Das sei nicht geschehen. „Wir ha- ben die höchsten Arzneimittelpreise in ganz Europa, weil wir als einzige Transpa- renz geboten haben.“ Lauterbach ver- spricht sich insbesondere für schwer kran- ke Menschen mehr Chancen durch Phar- maforschungserfolge und neue Medika- mente. Zufrieden wirkte Paula Piechotta (Grüne), weil die Erstattungspreise nun deutlich stärker reguliert würden. Von der günstige- ren Regelung profitierten künftig nur Arz- neimittelfirmen, „die tatsächlich auch in Deutschland produzieren, entwickeln und forschen“. Als Fortschritt wertete sie auch die geänderte Strahlenschutzreglung bei klinischen Studien mit Kindern durch mehr Expertenrat. Martin Sichert (AfD) befand hingegen, das Gesetz sei praxisfern, löse keine relevanten Probleme, „sondern schafft Intransparenz, und Bürokratie und verschafft der Bundes- regierung mehr Macht“. Andrew Ullmann (FDP) widersprach und betonte, mit der Novelle würden die Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland erheblich verbessert. Dank klinischer Studien, etwa in der Krebsmedizin, könnten heute schon Therapien angeboten worden, die erst in Jahren zum Standard werden. Heike Baehrens (SPD) fügte hinzu: „Wir entschlacken die überbordende Genehmi- gungsbürokratie“. Zudem werde Deutsch- land unabhängiger von internationalen Lieferketten. Skeptisch bleibt die Linke. Ka- thrin Vogler (Linke) rügte, die Regierung habe „endgültig kapituliert und sich ent- schieden, das sehr lukrative Geschäft mit neuen Arzneimitteln noch profitabler zu machen“. Claus Peter Kosfeld T Wie offen ist der Diskurs an Universitäten? HOCHSCHULEN Gegenwind für AfD-Wissenschaftsanträge Mit drei wissenschaftspolitischen Anträgen der AfD-Fraktion hat sich der Bundestag am Donnerstag in erster Lesung befasst. Dabei zeigte sich, dass die Antragsteller für ihre Forderungen auf keine Sympathie der anderen Fraktionen und Gruppen des Bun- destages hoffen konnten. Nicht, weil diese nicht auch den Antisemitismus an Hoch- schulen bekämpfen wollen, sondern weil sie der AfD vorwarfen, das Thema Antise- mitismus nur zu instrumentalisieren und den Wissenschaftsbetrieb in ihren drei An- trägen insgesamt zu verleumden. Im Anschluss an die Debatte wurden die Anträge zur Beratung an die Ausschüsse überwiesen, sie tragen die Titel: „Einer Ideologisierung der Hochschulbildung konsequent entgegentreten – Exzellenzstra- tegie des Bundes und der Länder neu aus- richten“ (20/12090); „Antisemitismus an der Wurzel bekämpfen – Die Bundesmittel für das Sonderprogramm Globaler Süden zur Aufarbeitung der postkolonialistischen Ideologie einsetzen“ (20/12091) und „Ein- führung eines Friedrich-Tenbruck-Stipendi- ums für Soziale Gerechtigkeit“ (20/12092). Marc Jongen (AfD) begründete die Anträge damit, dass das intellektuelle Klima an deutschen Universitäten in weiten Teilen intolerant und wissenschaftsfeindlich ge- worden sei und somit kritischen Diskurs unterdrücke. Es gebe mittlerweile nur noch einen relevanten Rassismus und das sei der „woke Rassismus“ gegenüber weißen Men- schen. „Das ist ein unhaltbarer Zustand und es sind die Regierungen in Bund und Ländern, die durch ihre Förderpolitik dafür verantwortlich sind“, sagte er. Dem widersprach Maja Wallstein (SPD) heftig: Anscheinend hätte die AfD nicht verstanden, was der Begriff Ideologie mei- ne. Ideologie sei ein „Leitbild sozialer Gruppen, aber Sie machen daraus einen Kampfbegriff!“ Diskurse an Universitäten zu verbieten, sei genau die Ideologisierung der Wissenschaft, die die AfD angeblich beenden wolle. Daniela Ludwig (CSU) betonte, „wir müs- sen uns fragen, was wir im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit tun können, um die antisemitischen Tendenzen an Universitä- ten zu beenden“. Die Anträge der AfD leis- teten dazu nur leider keinen Beitrag. „Der Kampf gegen Antisemitismus wird Ihnen doch nicht abgenommen, weil es nur ein Deckmantel ist“, so Ludwig. Kulturkampf Laura Kraft (Grüne) warf Marc Jongen vor: „Sie haben es doch gera- de selbst gesagt, worum es Ihnen geht: um einen Kulturkampf. Sie unterstellen hier ei- ne vermeintliche Einflussnahme auf För- derprojekte. Das sind krudeste Verschwö- rungstheorien!“ Stephan Seiter (FDP) erklärte: „Hochschu- len waren schon immer Orte der Diskurse. Aber es ist eben der Inhalt dieser Diskurse, der Ihnen nicht gefällt. Sie wollen mit ih- ren Anträgen nur das Wissenschaftssystem in Misskredit bringen.“ Nicole Gohlke (Die Linke) betonte: „Es geht der AfD darum, die Geschichte des Antisemitismus umzudefinieren, in dem sie mal wieder so tut, als sei Antisemitis- mus ein nach Europa importiertes Pro- blem.“ Claudia Heine T Mehr Unterstützung für pflegende Angehörige PFLEGE Politiker sehen die extreme Belastung der Familien Angesichts der immer aufwendigeren Pfle- geversorgung fordern die Fraktionen neue Konzepte und eine bessere finanzielle Ab- sicherung. In der ersten Beratung über ei- nen Antrag (20/11761) der Unionsfraktion am Mittwoch hoben Redner von Regie- rungs- und Oppositionsseite die herausra- gende Leistung pflegender Angehöriger hervor, ohne die eine umfassende Versor- gung insbesondere hochaltriger Menschen nicht denkbar wäre. Die Gesundheitspoliti- ker machten zugleich deutlich, dass in der Zukunft mit erheblich mehr Pflegefällen zu rechnen ist und die Leistungen entspre- chend ausgebaut und flexibel eingesetzt werden müssen. Als Kernproblem werden die stetig steigenden Kosten angesehen, die über Beiträge oder in Eigenleistung getra- gen werden müssen und viele Menschen zu überfordern drohen. Finanzierungsfragen Simone Borchardt (CDU) sagte, die Versorgung der Pflegebe- dürftigen sei nicht mehr ausreichend ge- währleistet. Es müsse alles getan werden, damit Menschen in Würde altern könnten. Etwa 84 Prozent der Pflegefälle würden zu Hause versorgt, darunter 64 Prozent von den eigenen Angehörigen. Diese Aufopfe- rung verdiene größten Respekt. Pflegende Angehörige bräuchten mehr Unterstüt- zung, beispielsweise eine bessere Absiche- rung in der Rente sowie Reha- und Erho- lungsangebote. Sie hielt der Koalition vor, ständig Beiträge zu erhöhen, aber das Sys- tem nicht zu verbessern. Kordula Schulz- Asche (Grüne) erwiderte, die Union stelle viele Forderungen, lasse jedoch die Finan- zierungsfragen unbeantwortet. „Die Finan- zierung ist aber eine der zentralen Heraus- forderungen.“ Sie fügte hinzu, Menschen, die Verantwortung für pflegebedürftige An- gehörige übernähmen, verdienten eine fi- nanzielle Absicherung, wenn sie ihre Ar- beitszeit reduzieren müssen. Claudia Moll (SPD) erinnerte an die be- reits erreichten Verbesserungen zugunsten pflegender Angehöriger, etwa über das Pfle- geunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG). Nötig seien flexiblere Leistungen, mehr Verantwortung der Kommunen und innovative Versorgungsformen. Sie räumte ein: „Es bleibt noch viel zu tun.“ Christina Baum (AfD) sagte, der demogra- fische Wandel und die damit einhergehen- den Herausforderungen für die Pflege könnten nur ahnungslose und damit unfä- hige Politiker wirklich überraschen. Für die Schwächsten der Gesellschaft sei immer weniger Geld vorhanden. Fachkräfte aus är- meren Ländern anzuwerben, eine Schande, denn sie würden dort gebraucht. Besser sollten eigene Fachkräfte ausgebildet werden. Jens Teutrine (FDP) erklärte hinge- gen: „Wir brauchen mehr von diesen jun- gen Menschen, die nach Deutschland kommen, um in den Arbeitsmarkt zu ge- hen und Menschen zu pflegen.“ pk T sei Recht im Wettbewerb Gewalt gegen Frauen Prävention für Kinder JUSTIZ Einführung von »Commercial Courts« beschlossen RECHT Gesetzentwurf der Union fordert Strafverschärfungen FAMILIE Mehr Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern Statt in Großbritannien oder den Niederlan- den oder gleich vor privaten Schiedsgerichten sollen internationale Wirtschaftsstreitigkeiten künftig verstärkt vor deutschen Gerichten aus- getragen werden – und damit auch das deut- sche Recht stärken. Vor den so genannten Commercial Courts sollen die Streitparteien in englischer Sprache verhandeln können und einen ähnlichen Geheimnisschutz genie- ßen wie vor Schiedsgerichten. Das sieht der Entwurf des Justizstandort-Stärkungsgesetzes (20/8649, 20/11466) vor, den der Bundestag am Donnerstag verabschiedet hat. Das Gesetz ermöglicht es den Ländern, an ihren Oberlan- desgerichten entsprechende Spruchkörper einzurichten. stimmend äußerte sich Martin Plum (CDU). Das Gesetz betreffe nur ein Prozent der Senate an den Oberlandesgerichten, eine Stärkung der Justiz, wie sie der Titel verspreche, sei das nicht. Er plädierte für eine Änderung des mate- riellen Rechts, konkret für eine Reform der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Rechts- verkehr. „Die Commercial Courts werden nur mit und nicht ohne eine solche Reform ein Er- folgsprojekt“, sagte Plum. Anträge der Union dazu fanden keine Mehrheit. Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen) zeigte sich für diese und andere Vorschläge der Uni- on allerdings offen. Er wies jedoch darauf hin, dass noch Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse. Große Zustimmung Das Gesetz stieß im Bun- destag auf breite Zustimmung. Neben der Ko- alition stimmte auch die Union dafür, die Gruppe Die Linke begrüßte die Idee grund- sätzlich, enthielt sich aber der Stimme. Ledig- lich die AfD lehnte den Entwurf ab. Thorsten Lieb (FDP) hob die Änderungen des Entwurfs im parlamentarischen Verfahren hervor. Die von der Koalition vorgenommene Halbierung des Streitwertes auf 500.000 Euro verdoppele die Zahl der in Betracht kom- menden Fälle. So könne die Justiz schneller zu einer „klaren Rechtspraxis“ kommen. Weniger enthusiastisch, aber grundsätzlich zu- Streitpunkt Sprache Mit Ausnahme der AfD begrüßten alle Fraktionen, dass künf- tig auch auf Englisch verhandelt werden kann, und versprachen sich davon einen Wettbewerbsvorteil. In der Weltwirtschaft führe kein Weg an Englisch als Verhand- lungssprache vorbei, sagte etwa Macit Ka- raahmetoglu (SPD). Fabian Jacob (AfD) kritisierte hingegen, dass nun auch im Kernbereich des Staates, der Jus- tiz, der „Prozess der Verdrängung unserer Sprache“ beginne. Wenn man diese Tür nur einen Spalt öffne, werde sie bald aufstoßen. Deshalb müsse sie geschlossen bleiben. scr T Der Mord-Paragraf des Strafgesetzbuches soll um das Merkmal „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ ergänzt werden. Für Gruppenvergewaltigungen soll der Strafrahmen erhöht werden. Messeran- griffe sollen als Verbrechen geahndet wer- den. All das plant die Union in einem Ge- setzentwurf (20/12085) mit dem Ziel, vor allem Frauen besser zu schützen. Nötig seien die Strafverschärfungen, weil die zunehmende Verrohung der Gesell- schaft Deutschland vor immer ernstere Probleme und seine Rechtsordnung vor zusätzliche Aufgaben stelle, sagte Günter Krings (CDU) bei der ersten Lesung am Donnerstag. Tagtäglich könne man von Messerangriffen, sexuellen Übergriffen und Gewalt gegen Frauen lesen, die laut aktuel- ler polizeilicher Kriminalstatistik und dem Lagebild „Häusliche Gewalt“ keine Einzel- fälle seien. Bei der Koalition fand der Vorstoß keine Zustimmung. Gewalt gegen Frauen müsse präventiv bekämpft werden, hieß es. Aus Sicht der AfD geht der Entwurf zwar in die richtige Richtung, komme aber viele Jahre zu spät und sei unglaubwürdig. Carmen Wegge (SPD) sieht ein systemi- sches und strukturelles Problem in der Ge- sellschaft. „Gewalt gegen Frauen ist eine Manifestation des Patriarchats“, sagte sie. Das müsse auch von der Union anerkannt werden. Den präventiven Ansatz beim Thema „Häusliche Gewalt“ betonte Canan Bayram (Grüne). Zur Realität in Deutschland gehö- re aber, „dass wir leider zu wenig Schutz- räume, zu wenig Frauenhausplätze haben“. Außerdem müssten Polizei und Justiz ge- schult werden, damit den Frauen und Mädchen frühzeitig geholfen wird, forderte die Abgeordnete. Ebenso wie Bayram war auch Katrin Hel- ling-Plahr (FDP) der Ansicht, dass sich Ta- ten „im Beziehungs- und Näheverhältnis“ so gut wie nicht durch Strafandrohung ver- hindern ließen. Kein Täter lasse sich von einer kleinen Verschiebung oder Umgestal- tung des Strafrahmens abhalten. Was die Union vorschlage sei also „reine Symbol- politik“. Prävention sei der richtige Weg, sagte die FDP-Abgeordnete. Tobias Matthias Peterka (AfD) nannte den Entwurf der Union erfreulich, „auch wenn er 2015 besser angebracht gewesen wäre“. CDU und CSU hätten es sich aber zu lange im „links-mittigen Liegestuhl“ bequem ge- macht. Nun habe die Union offenbar bei der AfD abgeschrieben. Ihr Befund zeige: „Unsere Gesellschaft kippt – zu einem schlechten Abklatsch einer beliebigen ara- bischen Großstadt.“ Götz Hausding T Die Koalitionsfraktionen von SPD, Bünd- nis 90/Die Grünen und FDP haben ge- meinsam mit der CDU/CSU-Fraktion ei- nen Antrag (20/12089) vorgelegt, um Kin- der suchtkranker Eltern oder von Eltern mit psychischen Erkrankungen besser zu unterstützen. Am Donnerstag wurde er zur weiteren Beratung an die Ausschüsse über- wiesen. In Deutschland betreffe dies etwa jedes vierte Kind. „Das ist ein gesamtgesellschaft- liches Problem, denn Kinder und Jugendli- che aus Familien mit einem psychisch er- krankten Elternteil tragen ein drei- bis vier- fach erhöhtes Risiko, selbst psychisch zu erkranken“, erläutern die Fraktionen in dem Antrag. Sie verweisen darin außerdem auf die Corona-Pandemie, die das Problem noch einmal verschärft habe. Die Abgeordneten fordern die Bundesre- gierung deshalb unter anderem auf, die Empfehlung Nr. 18 der interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Situati- on von Kindern und Jugendlichen aus Fa- milien mit psychisch kranken Eltern umzu- setzen. „Die Empfehlung besagt, gemein- sam mit den Ländern, den Kommunen und den Sozialversicherungsträgern einen Handlungsrahmen für ein kommunales Gesamtkonzept zur Entwicklung, Umset- zung, Evaluation und Verstetigung multi- professioneller, qualitätsgesicherter und rechtskreisübergreifender Hilfesysteme zu erstellen.“ Außerdem soll das Präventions- gesetz weiterentwickelt und eine dauerhaf- te Erhöhung der Mittel des Fonds Frühe Hilfen geprüft werden. Kirsten Kappert-Gonhter (Grüne) betonte: „Hier geht es nicht um Schuld! Es geht da- rum, Menschen zu befähigen, ihre Erkran- kung zu verstehen, ihren Alltag zu bewälti- gen und ihren Kindern ein gesundes Auf- wachsen zu ermöglichen.“ Bettina Margare- the Wiesmann (CDU) wies auf die Lücken im Unterstützungssystem hin. „Vor allem dann, wenn die Eltern nicht verstehen kön- nen, dass auch das Kind Hilfe braucht, ste- hen wenig oder kaum wirksame Instru- mente zur Verfügung.“ Ulrike Bahr (SPD) mahnte, man dürfe nicht an der falschen Stelle sparen. Psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen müssten von ih- rem Stigma befreit werden. Katja Adler (FDP) lobte, mit dem Antrag gebe es nun einen konkreten Fahrplan, um den Famili- en zu helfen. Martin Reichardt (AfD) bezeichnete die „menschenverachtenden Maßnahmen“ während der Pandemie als krankmachend. Kathrin Vogler (Die Linke) kritisierte, dass die Finanzierung offen bleibe, doch „schö- ne Worte allein lösen kein Problem“. che T