8 WASSER Das Parlament - Nr. 33-35 - 10. August 2024 R otterdam und Amsterdam lieferten sich einen Wett- streit. Welche der beiden rivalisierenden Städte wür- de es schaffen, am meisten Pflastersteine zu ersetzen mit Rasen, Blumenbeeten, Bäumen? Etli- che Bürger beteiligten sich, rissen in ihren Vorgärten knapp 100.000 Pflastersteine raus. Am Ende gewannen die Rotterdamer knapp. Das war 2020 und der Anfang vom „Tegelwippen“, sprich: techel wippen. Dieses Kachelndrehen ist in den Nieder- landen längst zum jährlichen Spektakel ge- worden, immer mehr Städte, Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger machen dort mit. Unter anderem unterstützt das niederlän- dische Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft den Wettbewerb. Am 21. März dieses Jahres ging es wieder los. Seit- her sind im ganzen Land, Stand 23. Juli, 1.811.841 Pflastersteine „gewippt“ worden. Aber wozu das alles? Auf der niederländischen Internetseite https://www.nk-tegelwippen.nl/waarom/ heißt es sinngemäß: Ist es heiß, kühlen Steine nicht ab. Regnet es, lassen sie kein Wasser durch. Stattdessen überlastet das Wasser dann die Kanalisation, im schlimmsten Fall in die Keller. Fazit der Te- gelwippeninitiatoren: „Mehr Grün wirkt dem entgegen.“ läuft Starkregen Anders gesagt: Weniger ge- pflastertes Grau, mehr lebendiges Grün – es ist entscheidend, um sich gegen die Er- derhitzung zu wappnen, wenn das Wetter extremer wird, seine Berechenbarkeit ab- nimmt. Nicht nur in den Niederlanden, auch in Deutschland. Denn dass die Som- mer extrem heiß und trocken werden kön- nen, hat sich spätestens in den Jahren 2018, 2019, 2020 gezeigt. Und dann fällt der Niederschlag wiederum als Starkregen vom Himmel. Selbst der beste Klimaschutz kann das nicht mehr verhindern. Die Fol- gen sind längst spürbar. Im Jahr 2023 zählte das Robert-Koch-Insti- tut (RKI) in Deutschland 3.200 Hitzetote, im Jahr davor waren es 4.500. Und als zu Pfingsten dieses Jahres Dauerregen das Saarland und Teile von Rheinland-Pfalz unter Wasser setzte, später dann Straßen in Bayern und Baden-Württemberg geflutet wurden, machten Versicherer Schadensum- men in Milliardenhöhe aus. Sollen Menschen nicht gefährdet werden, ihr Hab und Gut behalten, müssen Städte und Gemeinden bundesweit umdenken, ja: umbauen. Wasser bekommt dabei eine neue Rolle. Bisher gibt es für das Regenwasser in den Städten mit den vielen gepflasterten, auch asphaltierten, betonierten, bebauten Plät- zen und Straßen zumeist nur einen Weg: ab in die Kanalisation, bloß rasch weg. Doch kommt das Wasser mit voller Wucht in Massen, ist diese schnell überlastet, plötzlich überfluten Straßen, versinken Au- tos. Das soll anders werden. Augsburg, Berlin, Bremen, Bochum, Essen, Hamburg, Köln, Leipzig, München, Offen- bach – zahlreiche Städte arbeiten daran, das Wasser vor Ort zu halten und zu spei- chern, wenn unfassbarer Regen fällt. Bei schweißtreibenden Temperaturen und Dür- re im Sommer soll es dann wieder verwen- det werden, um Parks, Rasen und Straßen- bäume zu bewässern. Verdunstet es dann, kühlt es auch noch. Es ist das Prinzip Schwammstadt. Vorbild Wald Städte sollen an vielen Stel- len, einem Schwamm ähnlich, Wasser auf- nehmen, also speichern und wenn nötig wieder abgeben können, statt es einfach abzuleiten. Das ist keine neue Erfindung, sondern längst bewährt in der Natur. Der Wald zum Beispiel ist ein idealer Wasser- speicher. Der Boden saugt den Regen, der nicht in den Baumkronen hängenbleibt, Wie ein Schwamm STÄDTE Der Klimawandel zwingt Kommunen zum Umdenken - und Umbauen Noch sind die Bauarbeiten auf dem Berliner Gendarmenmarkt nicht abgeschlossen. Der Platz erhält unter anderem ein wasserdurchlässiges Pflaster. © picture-alliance/dpa/Soeren Stache auch auf wie ein Schwamm – im Moos, im Humus, in den verschiedenen Boden- schichten mit Gängen und Hohlräumen. So kann er selbst in längeren Trockenzei- ten die Pflanzen noch mit Wasser versor- gen. Wasser, das er nicht mehr speichern kann, versickert in das Grundwasser. In der Mitte Berlins, am Gendarmenmarkt, lässt sich derzeit sehen, wie eine Stadt ent- sprechend für die Zukunft umgebaut wird. Der 14.000 Quadratmeter große histori- sche Platz zwischen Konzerthaus, Deut- schem und Französischem Dom bekommt ein neues, wasserdurchlässiges Pflaster. In das Erdreich sind sechs mehrere Hundert Quadratmeter große, 61 Zentimeter tiefe Auffangbecken eingelassen, sogenannte Ri- golen. Dort soll Regenwasser gesammelt und dann nach und nach an den darunter liegenden Boden abgegeben werden. Die Planung und der Bau der Entwässerung ha- ben rund 4,2 Millionen Euro gekostet. Berlin gilt als Vorreiter. Die Hauptstadt ar- beitet schon lange daran, besser mit dem Regenwasser 2018 braucht zum Beispiel jedes Neubauprojekt ein Regenwasser-Bewirtschaftungskonzept, so dass so wenig Wasser wie möglich in die Kanalisation geht. Und große Projekte wie das neue Stadtquartier auf den Buckower Feldern, wo im Berliner Stadtteil Neukölln auf gut 16 Hektar derzeit 900 Wohnungen umzugehen. Seit entstehen, werden von vornherein nach dem Prinzip der Schwammstadt konstru- iert. Kostbare Ressource Schon Ende der 1990er Jahre begrünte Berlin auch am Potsdamer Platz Dächer und Fassaden, leg- te Beete und künstliche Gewässer an. Da- mals ging es vor allem darum, die Misch- kanalisation zu entlasten, erklärt Valentin Meilinger vom Umweltbundesamt (UBA): „In Berlin werden Regen- und Abwasser teilweise in einer Kanalisation gesammelt; läuft sie bei starkem Regen über, schwappt ungeklärtes Abwasser durch Straßen und in Flüsse und Seen.“ Erst in den vergangenen Jahren sei erkannt worden, dass Regenwas- ser auch eine kostbare Ressource ist für ei- ne grünere, kühlere, gesündere und damit lebenswertere Stadt. Darum spreche heute kaum noch jemand wie früher von Regenwassermanagement. Stattdessen findet sich nun der Begriff Schwammstadt, der einst in China erfun- den und zunächst in Skandinavien aufge- griffen wurde, etwa in der Nationalen Was- serstrategie der Bundesregierung oder im Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz des Bundesumweltministeriums. Da bewegt sich etwas, zumal seit Juli dieses Jahres in Deutschland das Klimaanpas- sungsgesetz gilt und Kommunen Konzepte erstellen müssen, wie sie widerstandsfähig werden wollen gegen Hitze und Sturzflu- ten. „Wir raten Städten und Gemeinden dazu, in ihren Konzepten zu verankern, dass sie Schwammstadt werden wollen. Und dann sollten sie erst einmal erfassen, wo Hitze-Hotspots sind und Starkregenri- siken“, sagt UBA-Mann Meilinger. Bisher fehle vielerorts noch dieses große Denken, ein konkretes Konzept. Europaweit, wenn nicht weltweit gilt Ko- penhagen da als vorbildlich. Die dänische Hauptstadt arbeitet konsequent an der Schwammstadt, seit ein Starkregen, der als Jahrtausendregen galt, die Stadt 2011 in ein Chaos versetzte. Am Ende schwammen to- te Ratten in den Straßen. Kein Jahr später stand der erste Skybrudsplan, ein Wolken- bruch-Plan, er wird immer weiterentwi- ckelt, zählt derzeit gut 350 Orte, die umge- baut werden sollen. Einen Bruchteil finan- ziert die Stadt mit Steuermitteln. Das Gros zahlen Bürger, die erwarteten Kosten wer- den über die Wassergebühren eingezogen. „Das wäre in Deutschland kaum denkbar, das Murren in der Bevölkerung wäre sicher groß“, sagt Ulf Jacob. Als Leiter des Berei- ches Strategie und Politik der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) sitzt er in der Koordinierungsgruppe „Wasserbewuss- te Stadt“, die die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) ins Leben gerufen hat. Also ist die Schwammstadt vor allem eine Frage des Geldes? „Natürlich spielt Geld ei- ne Rolle. Aber es gibt viele öffentliche För- dertöpfe“, sagt Jacob. Das Schwammstadt- Prinzip könne dabei oft im Huckepack umgesetzt werden, wenn ohnehin schon gebaut, saniert, also gebuddelt werde. Der Umbau ist ein Projekt über Jahre. Doch ist Wasser bisher nicht für jeden das große Thema, da fehlt Personal, auch Wis- sen. In Berlin berät seit 2018 eine Regen- wasseragentur Planer, Architekten und In- genieure bei Um- und Neubauten. Sie hat auch einen Überblick über Förderprogram- me und andere Planungshilfen ins Internet gestellt. Solch eine Agentur gibt es andern- orts noch nicht. Jacob meint dennoch: „Es geht, wenn man nur will.“ In Bochum zum Beispiel will man. Die Ruhrgebietsstadt baut um, auch die Stra- ßen, darunter die Hattinger Straße. Der Mittelstreifen ist begrünt, liegt etwas tiefer als der Rest der Straße, so dass das Regen- wasser dorthin ablaufen kann in das neu eingebaute unterirdische Speichersystem. Wasser von der Straße kann verschmutzt sein, mit Reifenabrieb und Schadstoffen belastet. „In Zisternen und Rigolen können Filter eingebaut werden, technisch ist das machbar“, erklärt Jacob. Schwammstadt-Potenzial“. Potenzial Straßenraum Für ihn bietet der Straßenraum bisher „ein viel zu selten ge- nutztes Er wünscht sich mehr Bäume an den Straßen- rändern, eingepflanzt in großzügige Schot- terbetten, die sich unter dem Straßenbelag fortsetzen, so dass sich Wurzeln und Was- ser dort ausbreiten können. Da fiele dann sicherlich auch der ein oder andere Park- platz weg. Jeden freuen wird das nicht. Die Aufgabe ist enorm. Meilinger hat mit einer Kollegin und einem Kollegen gerade erst mit der Broschüre „Ziele und Politikin- strumente für klimaresiliente Schwamm- städte“ Vorschläge gemacht, damit sie leichter wird. So soll etwa das Wasserhaus- haltsgesetz um eine Vorschrift erweitert werden, damit Niederschlagwasser stärker als lokale Ressource genutzt wird. In den Niederlanden indes wird am 31. Oktober der Gewinner der goldenen Fliese feststehen. Sie bekommt die Stadt oder die Gemeinde, die bis dahin die meisten Pflas- tersteine entfernt hat. Hanna Gersmann T Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Chancen und Grenzen der Abwasser-Nutzung RECYCLING Gebrauchtes Wasser nochmals zu verwenden, ist nicht immer zu empfehlen. Für viele Zwecke eignet es sich jedoch gut „Würden Sie Abwasser trinken? Was, wenn es Bier wäre?“ – so fragte unlängst die „New York Times“. In einer Zeit, in der es immer wieder Dürren gebe, wendeten sich Wasserversorger dem Bier zu. Das Ziel: Noch ekelten sich viele, recyceltes Abwas- ser zu trinken; mit eiskaltem Bier solle das nun überwunden werden. Man mag das sehen, wie man mag. Eine Sache allein der USA ist das aber nicht. Erst im Mai dieses Jahres hat auch eine For- schungsbrauerei in München ein „Reuse Brew“ präsentiert, ein bayerisches Helles aus aufbereitetem städtischem Abwasser. Abwassertechnologen können viel. Was kommt da? Schrumpfende Vorräte Auf der Erde wird es kaum so weit gehen wie auf der Interna- tionalen Weltraumstation ISS. Die Astro- nauten recyceln Schweiß, die Atemluft, auch den eigenen Urin, erreichen eine Wasserrückgewinnung von 98 Prozent. Doch rüsten muss sich Deutschland schon. Mit dem Klimawandel schrumpfen Wasser- vorräte, sei es durch abnehmende Boden- feuchte, schwindendes Grundwasser, abge- schmolzene Gletscher oder gesunkene Wasserspiegel. Im Jahr 2023 gab es zwar wieder mehr Regen als in den Jahren zu- vor. Im Vergleich zum langjährigen Mittel fehlen Deutschland aber noch immer rund zehn Milliarden Tonnen Wasser, was etwa einem Fünftel der Wassermenge im Bodensee entspricht.Das haben Experten des Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam ermittelt. Zugleich ändert sich die industrielle Land- karte. Zwar schließen Kohlekraftwerke, die viel Wasser brauchen. Doch siedeln sich neue, ebenso durstige Unternehmen an. Rechenzentren zum Beispiel, wie sie jetzt der US-Konzern Microsoft im rheinischen Revier bauen will, sind im Betrieb auf viel Wasser zum Kühlen angewiesen. Und auch die Landwirtschaft will ihre Erdbeeren, ihr Getreide, ihre Äcker in dürren Sommern mit ausreichend Wasser versorgt wissen. Das Problem ist erkannt. Die EU entwi- ckelt derzeit Richtlinien zur Wiederver- wendung von Wasser, genauer: von gerei- nigtem Abwasser. Wolf Merkel, Vorstand des Deutschen Vereins des Gas- und Was- serfaches (DVGW), beschäftigt sich mit der Frage, was funktioniert. Vor allem in der Industrie sieht er „ein großes Potenzial“. Teils rauscht das Wasser, das in Fabriken genutzt wird, genau wie das aus den Du- schen, Toiletten, Waschbecken von Privat- leuten über den Abfluss in die Kläranlage und von dort als sogenanntes Klarwasser in die Flüsse und das Meer. Fabriken könnten Zur Beregnung von Feldern eignet sich geklärtes Abwasser nur bedingt. © picture-alliance/dpa Wasser noch mehr in Kreisläufen führen, sagt Merkel, also Schmutz- oder Prozess- wasser vor Ort selbst so reinigen, dass es wieder für ihre Prozesse oder für die Küh- lung, für die Reinigung oder für die Toilet- tenspülung genutzt werden kann. Einsatz in der Landwirtschaft Heikler werde es auf dem Feld. In Südeuropa ist es zwar bereits gängige Praxis, Äcker mit geklärtem Abwasser zu beregnen. Keime und andere Belastungen seien aber eine Gefahr, meint Merkel: „Das Wasser muss entweder besonders gut aufbereitet wer- den oder es darf nicht für alles Obst und Gemüse eingesetzt werden, also nicht für roh verzehrten Salat oder Erdbeeren, eher für Mais oder andere Energiepflan- zen.“ Oder für Bäume in Parks und am Stra- ßenrand, für Rasen und andere öffentli- che Grünflächen in Städten und Gemein- den. Tankwagen könnten von der örtlichen Kläranlage gereinigtes Abwasser holen und dieses verteilen. Die beste Lösung sei das allerdings nicht, meint Merkel, langfristig helfe nur ein Umbau zur Schwammstadt (siehe Beitrag oben). Zudem zieht er eine grundsätzliche Gren- ze. Merkel sagt: „Da auch noch so gut ge- reinigte Abwässer Schadstoffe enthalten können, auch solche, die wir heute mögli- cherweise noch gar nicht kennen, müssen wir die Trinkwassereinzugsgebiete und alle ihre Schutzzonen von der Beregnung mit aufbereiteten Abwässern ausnehmen.“ Die Bundesregierung arbeitet derzeit an Vorga- ben; noch wird darum gerungen, wo wie sauberes Wasser für die Nahrungsmittel- produktion eingesetzt werden darf. Beispiel Toilettenspülung Bleibt die Fra- ge, was in Wohnhäusern denkbar ist. Jede und jeder in Deutschland nutzt im Schnitt am Tag 125 Liter Trinkwasser, braucht da- von aber nur fünf Liter zum Trinken und Kochen. Für die Toilette reicht auch Wasser aus der Dusche oder dem Waschbecken, al- so Grauwasser, das etwa in einer Recycling- anlage im Keller so gereinigt wurde, dass es ohne hygienisches Risiko etwa auch zum Putzen oder Gießen verwendet werden kann. Der nachträgliche Einbau? Aufwändig. Ar- maturen und Rohre werden doppelt ge- braucht, damit das Grauwasser getrennt wird vom Trinkwasser. Wenn ohnehin eine energetische Sanierung anstehe, biete sich das aber an, sagt der Berliner Umweltinge- nieur Erwin Nolde. Und beim Neubau mehrgeschossiger Wohnungen hält er das, so sagt er, „für ein Muss“. In Berlin betreibt er eine Firma für innova- tive Wasserkonzepte. Als dort etwa die Im- mobilienfirma Berlinovo vor drei Jahren ein Studentenwohnheim mit 450 Apparte- ments baute, installierte er im Keller das Grauwasserrecycling: Sieben Tanks, in de- nen Wasser aus Duschen und Waschbecken mithilfe von Mikroorganismen biologisch gereinigt, durch Sand gefiltert und mit UV- Strahlung desinfiziert wird. Chemikalien: nicht nötig. Das Wasser fließt über zusätzli- che Leitungen wieder in die Toilettenspü- lungen. Darüber hinaus wird die Wärme aus dem Duschwasser zurückgewonnen und für die Warmwasserbereitung genutzt. Das klappt alles so gut – 33 Prozent Trink- wasser lassen sich einsparen –, dass die lan- deseigene Berlinovo ihn dieses Jahr für drei weitere Studentenwohnheime beauftragte. Rechnet sich das? Nolde meint: „Laut der Berlinovo amortisiert sich das in acht bis neun Jahren.“ Hanna Gersmann T