Das Parlament - Nr. 40-41 - 28. September 2024 INNENPOLITIK 5 Sollte die Bundesregierung auf breite Zustimmung zu ihrem „Sicherheitspaket“ gehofft ha- ben, das sie nach dem Messerat- tentat von Solingen vorgelegt hat, wurde sie in dieser Woche erneut eines Besseren belehrt: Erst wurde das Maßnahmenbündel zur Bekämpfung von Islamismus und irregulärer Migration sowie zur Verschärfung des Waffenrechts am Montag bei einer Experten-Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat von einer Reihe der Sachverständigen als zu weitgehend kritisiert (siehe Beitrag un- ten links). Am Donnerstag stand dann im Bundestagsplenum erstmals ein sehr viel weiter gehender CDU/CSU-Antrag mit dem Titel „Ein umfassendes Sicherheitspa- ket jetzt beschließen – Was beim Sicher- heitspaket der Koalition fehlt“ (20/12961) zur Debatte. Zurückweisungen gefordert Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, an den deutschen Grenzen auch solche Personen zurückzuweisen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder des Schengen- Raums bereits Aufnahme gefunden haben oder die einen Asylantrag auch in einem Staat stellen können, aus dem sie einreisen wollen. Auch plädiert die Unionsfraktion in ihrem umfangreichen Forderungskata- log etwa dafür, den Familiennachzug zu subsidiär schutzberechtigten Ausländern bis auf Weiteres zu beenden und alle Bun- desaufnahmeprogramme einzustellen. Zugleich soll die Bundesregierung nach dem Willen der CDU/CSU unter anderem die Anreize für eine Sekundärmigration nach Deutschland senken, indem die Sozi- alstandards in der EU für Asylbewerber und Schutzberechtigte einander angenä- hert werden. Gebraucht werde eine Klar- stellung im europäischen Recht, „dass Sozi- alleistungen – auch nach Abschluss des Asylverfahrens – nur im zuständigen Mit- gliedstaat bezogen werden können“, heißt es in dem Antrag weiter. »Verunsicherungspaket« Lars Castellucci (SPD) wertete die Vorlage in der Debatte als „Verunsicherungspaket“. Die Union wolle „Angst schüren und sich dann als Retter präsentieren“. Indem sie nach einem der letzten Attentate im Land einen „Zu- zugsstopp für Afghanen und Syrer“ gefor- dert habe, schüre sie Ressentiments und behandele pauschal Gruppen so, „als ob jeder Afghane und jeder Syrer ein poten- zieller Terrorist wäre“, kritisierte Castelluc- ci. Ressentiments schafften aber keine Si- cherheit, sondern Verunsicherung. Dage- gen sorge die Bundesregierung mit ihrem Sicherheitspaket dafür, dass das Maximale getan werde, um Taten wie in Solingen für die Zukunft zu verhindern. Alexander Throm (CDU) entgegnete, dass die Menschen im Land bereits Angst hät- ten, aber die SPD dies nicht erkenne. Das Sicherheitspaket der Ampelkoalition ent- halte nur „kleine Trippelschrittchen“, wäh- rend ein „Weitsprung“ gebraucht werde. Mit ihrem Antrag lege seine Fraktion all die Maßnahmen vor, die in dem Koaliti- onspaket fehlten, etwa zur Begrenzung des Zuzugs nach Deutschland, fügte Throm hinzu und forderte „umfassende Zurück- weisungen“. Zugleich kritisierte der CDU- Abgeordnete, dass die Koalition die Geset- zesvorlagen zum Sicherheitspaket der Bun- desregierung an diesem Tag noch nicht zur Paket auf Paket Streit um »Brot, Bett und Seife«-Forderungen SOZIALES AfD will »Pull-Faktor« für Migration abschaffen MIGRATION Die Union antwortet auf das Sicherheitspaket der Regierung mit einem umfangreichen Forderungskatalog Vom Hamburger Flughafen startete am Dienstag dieser Woche erneut ein Abschiebeflug mit abgelehnten Asylbewerbern. Derweil hält der Streit um eine Verschärfung der deutschen Migrationspolitik weiter an. © picture-alliance/ABBfotoi Beschlussfassung gestellt habe. Dies sei „beschämend, weil Sie es versprochen ha- ben“. »Völliger Bruch« Marcel Emmerich (Grü- ne) hielt dem entgegen, dass die Anhörung zu diesen Gesetzentwürfen erst am Montag stattgefunden habe und nun von der Koali- tion „natürlich“ sorgfältig ausgewertet wer- de. Zugleich warf Emmerich der Union vor, dass nach ihrer „Kernidee“ Asylsuchen- de durch rechtswidrige Zurückweisungen an den deutschen Grenzen in die Nachbar- länder „zurückgetrieben“ werden sollten. Sie wolle nach dem islamistischen An- schlag von Solingen „nur über Asyl und Migration“ reden, nicht aber über die inne- re Sicherheit. So zielten von 60 Punkten des CDU/CSU-Antrags mehr als 40 auf asylpolitische Maßnahmen und Verschär- fungen. Bernd Baumann (AfD) betonte, die von der CDU/CSU geforderten Zurückweisun- gen seien „ein Antrag der AfD“. Die Koaliti- on habe aber verhindert, dass das Parla- ment über solche Zurückweisungen an die- sem Tag abstimmen könne, „wohl weil sie ahnte, dass jetzt selbst einzelne FDP-Abge- ordnete dem zustimmen könnten“. Dies zeige, welchen Einfluss die AfD mit ihren Forderungen habe. „Wir treiben die Koali- tion, die CDU und die FDP vor uns her“, fügte Baumann hinzu. Mit dem Ruf nach Zurückweisungen an der Grenze kopiere die CDU/CSU nicht nur die Kernforderung der AfD, sondern vollziehe damit auch ei- nen „völligen Bruch“ mit der 16-jährigen Amtszeit der unionsgeführten Bundesregie- rung unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Konstantin Kuhle (FDP) unterstrich, dass die Koalition das Sicherheitspaket der Bun- desregierung zügig beschließen, aber zuvor auch mit der erforderlichen Sorgfalt darü- ber beraten werde. Er warnte davor, dass „die Parteien der demokratischen Mitte beim Thema Migration übereinander her- fallen“. Dies nutze am Ende nur denen, die das Thema gar nicht lösen wollten. Deswe- gen bleibe die Hand gegenüber der CDU/ CSU ausgestreckt, die das Thema Migration ebenso wie die Parteien der Koalition lösen wolle, fügte Kuhle hinzu und warb dafür, mit einer gemeinsamen Mehrheit von Ko- alition und CDU/CSU „mehr Ordnung und Kontrolle in der Migrationspolitik“ zu schaffen. Helmut Stoltenberg T liegt 460 Euro monatlich stehen Asylbewerbern laut Asylbewerberleistungsgesetz in der Be- darfsstufe 1 für Alleinstehende zu. Über- nommen werden zudem noch die Kosten für Wohnung und Heizung, so sie denn angemessen erscheinen. Das ist zu viel, fin- det die AfD. Sie hat in der Höhe der Unter- stützung einen „Pull-Faktor“ ausgemacht, der „die Menschen aus aller Welt ins Land zieht“, wie es René Springer (AfD) am Mittwochabend im Bundestag formulierte. Springers Rechnung sah so aus: Die 460 Euro entsprächen dem 15-fachen des monatlichen Einkommens in Afghanistan, das bei 30 Euro liege. „Jetzt stellen wir uns mal vor: In Deutschland der durchschnittliche Lohn bei 3.540 Euro und es gibt ein Land auf dieser Welt, dass die Grenzen öffnet und je- dem, der dort hingeht, um- gerechnet 54.000 Euro gibt – plus Wohnung.“ Das sei die Wirkung, die von deut- schen Sozialsystemen ausge- he, sagte der AfD-Abgeord- nete. Seine Fraktion fordert daher in dem der Debatte zugrunde liegenden Antrag: „Brot, Bett und Seife – Sachleistungen statt Geldleistungen für Asylbewerber“ (20/12960). Über das „Brot, Bett und Seife“-Prinzip denkt auch die Bundesregierung nach. Me- dienberichten zufolge diskutiert die Ampel im Nachgang des Attentats von Solingen über eine solche Regelung für Asylbewer- ber, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert wurden. Während der Debatte war davon auf Seiten von SPD und Grünen jedoch nichts zu hö- ren. Wer Schutz braucht, bekomme diesen Schutz in unserem Land, sagte Nata- lie Pawlik (SPD). „Das be- deutet dass wir Schutzsuchende nicht hun- gern lassen und ihnen Grundleistungen gewähren, um hier zu überleben.“ Das Bundesverfassungsgericht habe hierzu mehrfach geur- teilt, „dass die Menschen- würde eben nicht migrati- onspolitisch zu relativieren ist“. Wer glaube, „die Fol- gen von Flucht und Vertreibung durch Ent- rechtung von Geflüchteten oder durch Sei- fe, Brot und Bett für Geflüchtete zu lösen, der irrt“, sagte Pawlik. Angelika Glöckner (SPD) befand, der AfD-Antrag erzähle „wieder einmal nur Unwahrheiten“. Er stel- le Menschen, die Schutz suchten, unter den Generalverdacht, „unsere Sozialsyste- me zu missbrauchen“. auch, Grundgesetz Wolfgang Strengmann-Kuhn (Grüne) warf mittels Zwischenruf dem „ausländer- AfD-Abgeordneten Springer feindliche Hetze“ vor, als dieser davon sprach, dass die deutsche Regierung „im Ausland auf Arabisch und in anderen Spra- chen für unser Bürgergeld wirbt“, was aus seiner Sicht „fast schon kriminell ist“. Die AfD, rief ihm Strengmann-Kuhn entgegen, lehne das Grundgesetz ab und wolle zu- rück in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Beispiel Dänemark Stephanie Aeffner (Grüne) bezog sich auf einen konkreten Punkt im Antrag der AfD. Dort werde Dä- nemark als Vorbild genannt und behaup- tet, es wäre super, Sozialleistungen auf das dortige Niveau zu kürzen. „Das Dänemark, zu dem das Anti-Folter-Komitee des Euro- parates sagt, dass die Zustände im Ausreise- zentrum Ellebæk für Men- schen nicht wirklich geeig- net und schlimmer als in Russland sind“, sagte Aeff- ner. Aus Sicht von Jens Teutri- ne (FDP) ist die Ampel ihren Bemühungen mit weiter vorangeschritten, als die AfD es mit ihrem Antrag erreichen würde. Die AfD schlage vor, dass ein Dublin-Flüchtling, der wie im Fall des Attentäters von Solingen gar nicht mehr in Deutschland hätte sein dürfen, weiterhin Sachleistungen bekommen soll. „Wir schlagen vor, dass er gar keine Leis- tungen mehr kriegen soll“, hielt der FDP- Mann dem entgegen. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung stehe, dass Personen, die kein Aufenthaltsrecht haben, „über- haupt keine Leistungen mehr kriegen“. Das sei eine konsequentere Politik, als einfach Sachleistungen an alle auszugeben, sagte Treutrine. Sachleistungen sind aber aus seiner Sicht ohnehin der falsche Weg. Die Vertreter von Städtetag und Landkreistag hätten deutlich dass Sachleistungen sie bürokra- tisch überfordert würden. „Deswegen wollen wir die Bezahlkarte einführen“, sagte der FDP-Abgeordnete. Das werde aber von uni- onsgeführten Landesregie- rungen blockiert. Substanzlos und wirkungs- los sei der Antrag, befand Peter Aumer (CDU). „Wir haben als CDU/CSU-Bundestagsfraktion schon im Dezember 2023 ein klares Kon- zept vorgelegt mit dem Titel „Leistungen für Asylbewerber senken – Rechtliche Spiel- räume nutzen‘“, sagte er. Daraus könne die AfD lernen, „wie verantwortungsvolle Poli- tik für unser Land geht“. Die Union wolle die Asylbewerberleistun- gen neu ausrichten. „Wir wollen die Leis- tungen reduzieren, wir wollen aber auch die komplette Asylpolitik reformieren“, sagte Aumer. Der Ampelregierung rief er zu: „Nehmen Sie das Angebot von Fried- rich Merz an. Arbeiten wir gemeinsam an einer Asylwende.“ Dann werde die AfD nicht mehr bei 30 Prozent liegen, „sondern bei viel weniger“. Götz Hausding T gemacht, »Wer Schutz braucht, be- kommt diesen Schutz in unserem Land.« Natalie Pawlik (SPD) »Nehmen Sie unser Angebot an. Arbeiten wir gemein- sam an einer Asylwende.« Peter Aumer (CDU) Sicherheitspaket in der Expertenkritik Hausaufgaben aus Brüssel ANHÖRUNG Sachverständige reagieren überwiegend zurückhaltend auf Koalitionsvorlagen RECHT Das Terrorstrafrecht soll an EU-Vorgaben angepasst werden. Experten teils skeptisch »Mit dem Vorschlag kommen wir dem gläsernen Bürger näher als je zuvor.« Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheit Die von der Regierungskoalition nach den Messerangriffen in Mannheim und Solin- gen als Teil eines „Sicherheitspakets“ (siehe auch Beitrag oben) vorgelegten Gesetzent- würfe sind von Sachverständigen im Aus- schuss für Inneres und Heimat überwie- gend zurückhaltend, teils auch ablehnend bewertet worden . Dabei ging es insbeson- dere um die Koalitionsentwürfe zur „Ver- besserung der inneren Si- cherheit und des Asylsys- tems“ (20/12805) und „Ver- besserung der Terrorismus- bekämpfung“ (20/12806). Zu dem Maßnahmenbündel zählt etwa die Befugnis von Sicherheitsbehörden zum biometrischen Abgleich öf- fentlich zugänglicher Inter- netdaten. Daneben stand auch der von der CDU/CSU vorgelegte eines „Zustrombegrenzungsgeset- zes“ (20/12804) auf der Ta- gesordnung. Entwurf Louisa Specht-Rie- »Daten-Supergau« menschneider, Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, monierte, die vorgesehenen Eingriffsnor- men zur Gesichtserkennung wiesen zu un- scharfe Tatbestandsmerkmale auf und er- möglichten erhebliche Eingriffe in die Rechte Unbeteiligter. Der Rechtswissenschaftler Dennis-Kenji Kipker sprach von einem „sicherheitsbe- hördlichen Daten-Supergau“. Bei der ge- planten Vorfelderfassung persönlicher Da- ten solle der Ausnahmefall zur Regel ge- macht werden. Damit käme man dem „glä- sernen Bürger“ näher als jemals zuvor. Ste- phan Schindler von der Universität Kassel verwies darauf, dass die vorgesehenen Vor- schriften zum Abgleich mit öffentlich zu- gänglichen Internetdaten zu erheblichen Grundrechtseingriffen führten, da poten- ziell alle Internetnutzer betroffen seien. Nötig seien Regelungen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrten. Christoph Sorge, Professor für Rechtsinfor- matik an der Universität des Saarlandes, sagte, die technische Konzeption zur Verarbeitung perso- nenbezogener Daten falle so unkonkret aus, dass sie kaum im Detail zu über- prüfen sei. Dabei seien sehr weitreichende Ein- griffe vorgesehen, ohne dass die Bürger wüssten, worauf sie sich einstellen müssten. Für die Gesell- schaft für Freiheitsrechte sah Sarah Lincoln übereil- te Maßnahmen, die das Land nicht sicherer machten. Die Verschärfungen ließen eine gewissenhafte Abwägung von Grundrech- ten vermissen und berücksichtigten viel- fach nicht die Rechtsprechung des Bundes- verfassungsgerichts. Die Vizepräsidentin des Bundeskriminal- amtes (BKA), Martina Link, betonte dem- gegenüber, die Identifizierung von Attentä- tern oder Gefährdern, die noch nicht poli- zeilich in Erscheinung getreten sind, werde durch die Regelungen zum biometrischen Internetabgleich erheblich erleichtert. Die Schaffung einer Rechtsgrundlage für auto- matisierte Datenanalyse sei für eine zeitge- mäße Polizeiarbeit und speziell für das BKA von wesentlicher Bedeutung. Finn-Christopher Brüning vom Deutschen Städte- und Gemeindebund hält es für fraglich, ob die Inhalte des Sicherheitspa- kets die objektive Sicherheit in Deutsch- land effektiv erhöhen. Vielmehr bedürfe es relevanter Reformen bei den Zuständigkei- ten und Kompetenzen aller Beteiligten. Insbesondere müssten die Polizei, die Aus- länderbehörden sowie die mit den Ab- schiebungen befassten Stellen der Länder personell besser ausgestattet werden. Für den Deutschen Landkreistag attestierte Klaus Ritgen den Vorlagen, einer besseren Steuerung und Begrenzung irregulärer Mi- gration zu dienen. Die Regelungen könn- ten aber nur erste Schritte sein. Andre Schuster erklärte für den Deutschen Städtetag, insgesamt unterstütze dieser die Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit. Jedoch müsse die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und fairen Verfah- ren im Umgang mit Asylsuchenden und Schutzberechtigten betont werden. Praxisferne Jörg-Henning Gerlemann, Ab- teilungsleiter beim Hamburger Rechnungs- hof, hob vor allem auf die geplanten neu- en Waffenverbotszonen ab. Danach solle es ermöglicht werden, etwa alle Volksfeste oder den gesamten öffentlichen Nahver- kehr generell als Verbotsgebiete auszuwei- sen. Zu befürchten sei, dass schon auf Grund des Umfangs umfassende polizeili- che Kontrollen nicht möglich sind. Kriminaloberrat Niels Heinrich von der Fachlichen Leitstelle Nationales Waffenre- gister bemängelte, bezogen auf das Waffen- recht zeuge der Koalitionsvorschlag von Praxisferne und mache den ohnehin schon bestehenden Wust an unnötiger Bürokratie noch größer. Franz Ludwig Averdunk T Die Bundesregierung will im Terrorismus- strafrecht nachbessern. Freiwillig geschieht das nicht; die EU-Kommission hat gerügt, dass Deutschland eine EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung nicht ausreichend umgesetzt hat. Dies soll nun mit einem Gesetzentwurf (20/11848) getan werden. In einer Sachverständigenanhörung Anfang der Woche betonten die geladenen Exper- tinnen und Experten, dass eine Umsetzung europarechtlich notwendig sei. Zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der Rechtswissenschaft sowie der Strafverfol- gungspraxis zeigte sich aber ein Dissens. Insbesondere erstere warnten, dass die Umsetzung in einigen Bereichen zu weit gehe und nicht mehr verfassungskonform sein könnte. Vertreter aus der Justizpraxis begrüßten die Vorlage und forderten erwei- terte Ermittlungsbefugnisse. Kritik an Vorverlagerung Konkret sind Än- derungen vor allem in den Paragrafen 89a (Vorbereitung einer schweren staatsgefähr- denden Gewalttat) und 89c (Terrorismusfi- nanzierung) geplant. Laut Entwurf soll in Paragraf 89a künftig eine „terroristische Straftat“ definiert werden statt der bisheri- gen „schweren staatsgefährdenden Gewalt- tat“. Zudem soll der Straftatenkatalog ausge- weitet werden. Unter anderem soll danach der Tatbestand der Einreise als Straftat im Zusammenhang terroristischen Aktivitäten aufgenom- mit men werden. Ferner soll eine Versuchsstraf- barkeit aufgenommen und die versuchte Anstiftung zu einer terroristischen Straftat geahndet werden. In Paragraf 89c ist vorge- sehen, den Paragrafen um bestimmte Hand- lungen zu erweitern, deren Finanzierung den Tatbestand einer Terrorismusfinanzie- rung erfüllt. Ebenso soll eine Versuchsstraf- barkeit eingeführt werden. Katharina Beckemper von der Universität Leipzig sagte in ihrem Einführungsstate- ment, der Entwurf sei „richtig gut“ und komme zur rechten Zeit. Der Gesetzgeber habe auf die Mahnung der EU reagiert, „aber nicht immer und an allen Stellen ele- gant“. Der Entwurf entspreche den Vorgaben des europäischen Rechts. Al- lerdings werde die Versuchs- strafbarkeit sehr weit nach vorn gedehnt. Ähnlich äu- ßerte sich Anneke Petzsche von der Humboldt-Univer- sität zu Berlin. Sie begrüßte zwar die im Entwurf enthal- tenen terminologischen Klarstellungen und tatbe- standlichen Umstrukturie- rungen. Darüber hinaus sei- en die im Zentrum der Re- form stehenden Normen des Terrorismusstrafrechts aufgrund ihrer erheblichen Vorverlagerung kritisch zu sehen. Erweiterungen, die über die europäischen Vorgaben hinausgehen, sollten auf ihren europarechtlichen Kern zu- rückgeführt werden. Aus Sicht der Strafverfolgungspraxis bieten die Regelungen im Entwurf hingegen neue Möglichkeiten. So befand Dirk Peglow, Vor- sitzender des Bundes Deutscher Kriminalbe- amter, dass die geplanten Regelungen dazu geeignet seien, bisherige Lücken im Bereich der Strafverfolgung zu schließen und eine noch effektivere Verfolgung des Terrorismus zu ermöglichen. Im Einzelnen begrüßte Pe- glow unter anderem, dass der Katalog der terroristischen Straftaten präzisiert und auch erweitert worden sei. Zudem erscheine es sachgerecht, die Versuchsstrafbarkeit auszu- dehnen. Sie ermögliche es, eine Vielzahl von Vorfeldaktivitäten als Straftaten zu verfol- gen. Alexander Poitz, stellvertretender Bundes- vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, erklärte, mit dem Entwurf werde gesetzgebe- rischer Handlungsbedarf erkannt. Ange- sichts der europaweit andauernden heraus- fordernden Sicherheitslage sei es aber auch notwendig, dass die Polizei und Sicher- heitsbehörden personell ge- stärkt und mit wirksamen Befugnissen im Kampf ge- gen den Terrorismus ausge- stattet werden. Neue Befugnisse Wolfram Staatsanwalt Nettersheim, beim Bundesgerichtshof, sprach sich für eine Auswei- tung der Strafbarkeiten im aus. Terrorismusstrafrecht Das gelte insbesondere für die einheitliche Definition der terroristischen Straftat und die damit einhergehende Vereinheitlichung und Erweiterung der im Entwurf in Bezug genommenen Straftaten. Diese Strafbar- keitserweiterungen könnten aber nur dann zu der von der Richtlinie und dem vorlie- genden Entwurf beabsichtigten umfassende- ren und effektiveren Verfolgung terroristi- scher Handlungen führen, wenn auch die Eingriffsermächtigungen der Strafprozess- ordnung auf die entsprechenden neuen Va- rianten und Tatbestände erstreckt werden. Der Forderung nach einer Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse schloss sich auch An- dreas Schmidtke, Richter am Oberlandesge- richt Düsseldorf, an. mwo T Einige Experten fordern erweiterte Ermittlungs- befugnisse für die Behörden.