2 MEINUNG Das Parlament | Nr. 45 | 02. November 2024 INTERVIEW: DAS AMERIKANISCH-DEUTSCHE VERHÄLTNIS »Unser wichtigster Verbündeter« Michael Georg Link (FDP)ist Transatlantik-Koordinator der Regierung. Er erklärt, warum auch Europa eine stärkere Hinwendung zu Asien, insbe- sondere zu China, braucht, und was zu tun ist, wenn Donald Trump gewählt werden und der Ukraine die Unterstützung entziehen würde. Herr Link, US-Präsident Joe Bi- den ist ein Politiker, der in seiner ganzen Laufbahn eine besondere Verbundenheit mit Europa gezeigt hat. Das kann man von Vizepräsi- dentin Kamala Harris aufgrund ih- rer Biografie und ihrer bisherigen Tätigkeit nicht gleichermaßen be- haupten. Könnte sich also das, was schon unter Barack Obama als „Hinwendung zu Asien“ begonnen hat, unter einer Präsidentin Harris verstärken? Kamala Harris hat in der Tat eine an- dere Prägung. Eine „Hinwendung zu Asien“, in dem Sinne, dass man das Vorgehen Chinas stärker in den Blick nimmt und analysiert, welche He- rausforderungen sich dadurch erge- ben, das brauchen auch wir. Denn das Aufstreben Chinas ist ein globales Phänomen, kein pazifisches. China ist im Pazifik aktiv, aber es ist auch in Europa aktiv. Nehmen Sie nur Chinas Aktivitäten in Serbien oder die Unter- stützung für Russland im Ukraine- Krieg. Also: Ja, es verändert sich et- was an der Persönlichkeit im Weißen Haus, vielleicht auch an der Schwer- punktsetzung, aber unabhängig da- von müssen auch wir Europäer mehr nach Asien schauen. Donald Trump sagt, wenn er ge- wählt würde, würde er den Ukrai- ne-Krieg innerhalb von Tagen been- den. Er sagt nicht genau, wie er das anstellen will. Aber nach Ihrer Ein- schätzung, was ist da zu erwarten? Das ist eine wichtige Frage, denn er macht regelmäßig Andeutungen da- zu. Wenn man genauer hinschaut, ist das immer sein Prinzip: Andeu- tungen, Drohungen, Einschüchte- rungen, sprunghaftes Verhalten, un- erwartete Deals. Und weil wir nicht exakt sagen können, wie er sich ge- nau verhält, ist es umso wichtiger, dass wir uns methodisch vorberei- ten. Das heißt: engste Abstimmung mit unseren Verbündeten im Rah- men der Nato, im Rahmen der EU, und uns nicht auseinanderdividie- ren lassen. Würde er sich tatsächlich mit Putin zusammensetzen und un- ter vier Augen die Zukunft der Ukrai- ne aushandeln, wäre das für uns nicht akzeptabel. Denn keiner sollte über die Ukraine und Europa ver- handeln, ohne dass die Ukraine und Europa am Tisch sitzen. Sollte ein gewählter Präsident Do- nald Trump tatsächlich der Ukraine die Unterstützung entziehen, wäre Europa auch nur halbwegs in der Lage, in die Bresche zu springen? Aktuell ein klares Nein. Ich glaube aber auch nicht, dass Trump über Nacht die Unterstützung beenden wird oder aus der Nato austritt. Zu- nächst könnte er versuchen, den Preis hochzutreiben und in der Nato Uneinigkeit zu schüren. Das Engage- ment der USA für die Ukraine ist un- verzichtbar, und deshalb werben wir sehr stark dafür, dass auch wir im Sinne des sogenannten „burden sha- ring“ noch mehr tun müssen, damit die USA an Bord bleiben. Denn ge- winnt Russland in der Ukraine, dann gewinnt letztendlich auch China, das genau beobachtet, wie die USA und ihre Verbündeten agieren. Das sollte auch Kritiker in den USA davon über- zeugen, dass es sinnvoll und richtig ist, sich an der Seite der Ukraine zu engagieren. Gleichzeitig mit der Präsidenten- wahl werden auch das Abgeordne- tenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Die US-Verfassung sieht den Kongress als Gegengewicht zum Präsidenten, und diese Rolle hat er bisher auch gespielt, selbst bei einer Mehrheit der Präsidentenpar- tei in Senat und Abgeordnetenhaus. Nun hört man aber, dass bei der re- publikanischen Kandidatenaufstel- lung viele unabhängige Köpfe durch Trump-Anhänger ersetzt worden sei- en. Entspricht das auch Ihrer Beob- achtung und wenn ja, was bedeutet das? Nach meiner Beobachtung und auch der Analyse politischer Beobachter unterschiedlicher Couleur konnten sich in der Tat an der republikani- schen Basis mit ganz wenigen Aus- nahmen nur noch solche Kandidaten durchsetzen, die von Trump unter- stützt werden und meist auch dem MAGA-Lager angehören – Make Amerika Great Again. Unabhängig vom Ausgang der Präsidentschafts- wahl werden im Repräsentantenhaus und im Senat mehr Abgeordnete aus © picture-alliance/dpa fortsetzt, diesem Flügel der Partei kommen. In- wieweit sich diese Entwicklung in der Zukunft ist offen. Sollte Trump die Wahl verlieren, könnten wir in der Republikanischen Partei sehr schnell wieder unterschiedliche Strömungen sehen. Aber momentan gibt Trump den Ton an. Müssen Sie als deutscher Außen- politiker dann befürchten, dass es nach der Wahl schwerer wird, bei Se- natoren und Abgeordneten offene Ohren für Ihre Anliegen zu finden? Wir haben die letzten Jahre intensiv genutzt, um unser Kontaktnetzwerk in den USA weiter auszubauen und gerade auch mit der republikani- schen Seite zu arbeiten. Im Ton und Inhalt gibt es natürlich mitunter große Unterschiede zwischen Repu- blikanern und Demokraten. Aber die deutsch-amerikanischen Bezie- hungen dürfen nicht davon abhän- gen, ob ein Demokrat oder ein Re- publikaner regiert. Und es sollte auch bei uns nicht davon abhängig sein, wer die Regierung stellt. Die USA sind und bleiben unser wich- tigster politischer, militärischer, wirtschaftlicher und wissenschaftli- cher Verbündeter. In der zurückliegenden Amtszeit von Donald Trump haben Funkti- onsträger im Regierungsapparat oft mäßigend Einfluss genommen. Nun will Trump nach einem Wahlsieg ei- ne hohe Zahl von Amtsträgern durch linientreue Gefolgsleute ersetzen. Was würde das für die Politik eines Präsidenten Trump bedeuten? Auch hier gilt, abzuwarten, was er tatsächlich tut. Trump könnte dies- mal in der Tat ein Team zusammen- stellen, das weniger aus Experten bestehen wird, sondern aus außer- ordentlich loyalen Gefolgsleuten. Das ist eine Herausforderung auch für die USA selbst. Sie brauchen für eine erfolgreiche Politik nicht die gehorsamsten, sondern die besten Leute. gerade mit Ist im Fall einer erneuten Wahl Trumps zu erwarten, was Sie für Deutschland einer Grundgesetzänderung zu verhin- dern suchen, nämlich ein politischer Zugriff auf das Verfassungsgericht? In der ersten Amtszeit hat Trump au- ßerordentlich konservative Persön- lichkeiten ernannt, die auch teilweise schon die Rechtsprechung in ihrem Charakter verändert haben. Nicht nur im Supreme Court, sondern auch bei obersten Bundesrichtern, die zum Beispiel den Bundesgerichten in den einzelnen Bundesstaaten vorste- hen. Die Amerikaner brauchen aber keine Ratschläge von außen. Sie ha- ben in der Vergangenheit immer wie- der gezeigt, über Jahrhunderte hin- weg, dass sie es schaffen, politische Krisen zu überstehen und auch ge- stärkt daraus hervorzugehen. Des- halb sollten wir bei allen lauten Tö- nen, die wir in den nächsten Wochen aus den USA hören werden, nicht das System der „Checks and Balances“ unterschätzen und die Selbstbehaup- tungskräfte sehen, die immanent im amerikanischen Verfassungswesen angelegt sind. Das Interview führte Peter Stützle. T Michael Georg Link ist 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages, dem er zuvor bereits von 2005 bis 2013 angehörte.Seit 2022 ist er Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. PARLAMENTARISCHES PROFIL Der Abwägende: Kai Whittaker Seine erste Nacht in Amerika ist ihm noch in Erinnerung. Seine Schwester hatte in Charleston ihren Uniabschluss gemacht, er war aus Deutschland angereist, und man hatte in dem Haus ei- ner Freundin gefeiert, „mit einer eingemauerten Kanonenkugel aus dem Unabhängigkeitskrieg“, sagt Kai Whittaker. Nachts hörte er an- dere Schüsse, und zwar aus der Nachbarschaft. „Da erfuhr ich die Band- breite der USA zwischen dem Jahr 1776 und Bandenkriegen heute.“ Whittaker, 39, CDU-Abgeordneter aus dem Wahlkreis Rastatt, setzt sich auf einen alten Lehnstuhl, der das moderne Abgeordnetenbüro im Paul-Löbe-Haus angenehm kontrastiert. Die USA sind für ihn noch immer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, „die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt, und Sie werden gefeiert“. Was geht ihm durch den Kopf, wenn er an die Präsidentenwahl denkt? Whittaker ist einer, der länger überlegt, bevor er spricht. Er legt dann den Kopf kurz seitlich, und wägt ab: „All dies zeigt mir, dass wir Europäer er- neut vier Jahre lang nicht daran gearbeitet haben, unsere Sicher- heitspolitik auf eigene Beine zu stellen.“ Mit einem Präsidenten Do- nald Trump würde das Schutzversprechen jedenfalls in Frage stehen. „Warum wir das von ein paar Wechselwählern in einigen Bundesstaa- ten abhängig machen, verstehe ich nicht.“ Whittaker ist stellvertretender Vorsitzender der Parlamentariergrup- pe USA, er bezeichnet sich als tiefen Anhänger der transatlantischen Beziehungen, fordert die Pflege gemeinsamer Interessen. Die hätten durch Trump zwar einen Knacks bekommen, „aber da können wir uns auch an die eigene Nase fassen, bei uns wählen junge Leute ja Höcke und Co“. Überhaupt setzt der Badener für das Ausloten von Gemeinsamem auf die Fähigkeit zur Selbstkritik. „Deutschland ist in Europa in ähnlicher Lage wie die USA“, sagt er. „Wir sind das stärkste Land, alle schauen auf Berlin – aber wir tun uns schwer, diese Rolle anzunehmen“. Und er schaut zurück und nach vorn zugleich: „Wir sind die beiden freiheitlichsten Blöcke. Es ist traurig, dass es noch Wir Europäer haben erneut vier Jahre lang nicht daran gearbeitet, unsere Sicherheitspolitik auf eigene Beine zu stellen. © Steven Vangermain kein Freihandelsabkommen mit den USA gibt, dafür sollte die Bun- desregierung dringend werben.“ Man merkt, dass Whittaker ein Mann des Ausgleichs ist. Einer, der in der CDU mehr im liberalen Flügel zu verorten ist. Sätze wie von seinem CDU-Kollegen Jens Spahn hört man von ihm weniger, dessen Forderun- gen aus dem vergangenen Juli nach einer Suche nach gemeinsamen In- teressen mit Trump kommentiert er trocken: „Gemeinsame Interesse loten Regierungen aus. Dazu müssen wir erstmal die Wahlen gewinnen, und Trump auch.“ Da überrascht es nicht, dass er in die Junge Union als Teenager eintrat, „weil die CDU die pragmatischste Partei ist, die sich über Werte und nicht durch fixe Ideen definiert“. Mit dem Engagement ging es bei ihm früh los. Im Elternhaus war Poli- tik zwar kein Dauerthema, das Schauen der „tagesschau“ aber schon ein Ritus. Der Vater ein gelernter Tischler aus Großbritannien, die Mutter Sportlehrerin und Sekretärin – Whittaker wuchs in kleinbür- gerlichen Verhältnissen auf, wo genau geschaut wurde, wie das Geld ausgegeben wird. Er war Klassensprecher und schrieb für die Jugend- beilage des „Badischen Tagblatts“, kommentierte dort bitter den Zu- stand der Schultoiletten; es war vielleicht der Einstieg ins eigene poli- tische Wirken. Dann 2004 der jüngste Stadtrat im Gemeinderat von Baden-Baden. Parallel stand das Bachelorstudium an, er investierte sein Einkommen in Flüge zwischen Bristol, wo er Volks- und Betriebs- wirtschaftslehre studierte, und Deutschland. Bis zu seinem Ausschei- den 2009 verpasste er im Gemeinderat nur eine Sitzung. Dann noch ein Master in London, eine Assistenz der Geschäftsleitung für die Her- renknecht AG und dann: die erfolgreiche Kandidatur für den Bundes- tag 2013 im Wahlkreis, den er bisher verteidigte. Als er aufsteht, sagt er dazu einen Satz, den man an dieser Stelle selten liest: „Bei sowas fragt Sie keiner. Das muss man wollen.“ Jan Rübel T