6 MEINUNG Das Parlament | Nr. 46 | 09. November 2024 GASTKOMMENTARE: VERTRAUENSFRAGE ERST IM JANUAR? Ein wenig Beruhigung wäre gut Monatelanger Stillstand wäre fatal PRO CONTRA Die Ampel-Koalition ist Geschichte, gescheitert an menschlich und po- litisch unvereinbaren Positionen und Charakteren. Wie geht es nun im Land weiter? Nach dem Bruch wird jetzt groß über den Zeitpunkt der Vertrauensfra- ge diskutiert. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat- te angekündigt, er wolle die Vertrauensfrage im Bundestag am 15. Januar stellen und dann eine vorgezogene Bundestagswahl En- de März herbeiführen. Er setzt auf Zeit und hofft darauf, dass etliche Projekte im Parla- ment am Ende doch die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion finden. Dies könnte et- wa beim Gesetz für verschärfte Auflagen für die kritische Infrastruktur oder bei der Ab- milderung der kalten Progression in der Einkommensteuer sowie bei diversen Ge- setzentwürfen aus dem für Unternehmen wichtigen Wachstumspaket der Fall sein. Die Industrie wartet darauf. Die Union und ihr Kanzlerkandidat Fried- rich Merz (CDU) wiederum wollen ver- ständlicherweise das in der Politik so wich- tige Momentum für sich nutzen. Tritt man aber einen Schritt zurück, so ist eine gewis- se Zeit der Beruhigung mit einem inhaltli- chen Wahlkampf auch angesichts der hohen Umfragewerte der AfD sicher kein Fehler. Kerstin Münstermann © Marco Urban Die Bürgerinnen und Bürger haben nach den ganzen Turbulenzen ein Recht darauf, zu erfahren, mit welchen Konzepten die Parteien das Land künftig führen wollen. Auch braucht es Zeit für Formate, in denen sich die Kanzlerkandidaten untereinander messen. Laut Verfassung gibt es ohnedies keine Möglichkeit der Opposition, eine Ver- trauensfrage des Kanzlers zu erzwingen. Olaf Scholz wird sich dem Druck nicht beu- gen wollen, und das muss er laut Grundge- setz auch nicht. Und die Verfassung weist den Weg – auch in politisch hochturbulen- ten Zeiten. Kerstin Münstermann T Die Autorin ist Mitglied der Chefredaktion der „Rheinischen Post“. Überspitzt formuliert, ist Bundeskanzler Olaf Scholz seit Mittwochabend der deutsche König Johann Ohneland. Zwar steht er weiterhin der Bundesregierung vor, doch im Bundestag haben SPD und Grüne keine Mehrheit. Nicht im Plenum und auch nicht in den Ausschüssen. Dennoch will Scholz noch fast zwei Monate weiter regieren, als sei nichts geschehen. Er hofft sogar, bis zum Jah- resende einige Gesetzesvorhaben, die aus sei- ner Sicht „keinen Aufschub dulden“, durchs Parlament zu bringen, darunter so wichtige Projekte wie die Rentenreform, den Ausgleich der kalten Progression oder Sofortmaßnahmen für die Industrie. Nur, wer sollte diesen Gesetzen noch zustim- men? Warum sollten die Oppositionsparteien einer Regierung, die am Ende ist, zu einer Mehrheit verhelfen? Scholz schielt auf die Uni- on, doch Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz hat keinen Grund, ihn noch zu stützen. Er will Scholz ablösen und selbst Kanzler werden. Mit seinem Zeitplan verursacht Scholz einen monatelangen Stillstand, den sich das Land an- gesichts der angespannten wirtschaftlichen wie internationalen Situation nicht leisten kann. Auch wenn die Zeit für die Wahlvorbereitung extrem knapp ist, gibt es keinen Grund, erst am 15. Januar die Vertrauensfrage zu stellen und Martin Ferber © Rake Horn /BNN Ende März zu wählen. Je nach Wahlausgang gä- be es dann frühestens im Sommer eine neue Regierung, die erst ab Herbst im Arbeitsmodus ist. Das wäre fatal. Die Welt wartet nicht, bis es in Berlin eine handlungsfähige Regierung gibt. Im Kreml knallen die Sektkorken. Olaf Scholz hat in seinem Amtseid versprochen, sich dem Wohle des Volkes zu widmen und Schaden von ihm zu wenden. Er könnte dem Land einen großen Dienst erweisen, wenn er sofort die Vertrauensfrage stellt und ohne wei- tere Verzögerungen den Weg für Neuwahlen freimacht. Deutschland braucht jetzt eine klare Perspektive, keine Hängepartie. Martin Ferber T Der Autor ist politischer Redakteur der „Badischen Neuesten Nachrichten“ in Karlsruhe. Zur Ausgabe 40-41 vom 28.9.2024, „Neues Druckmittel“ auf Seite 9: Gut, dass Sie sich auch mit der Situa- tion in Thüringen nach der Land- tagswahl beschäftigen! Der Parla- mentarische Geschäftsführer Andre- as Bühl von der CDU hat sich sicher- lich um die Demokratie verdient ge- macht, weil er auf die formalen Ver- stöße bei der Eröffnung des Landta- ges in Erfurt angemessen reagierte. Stefan Hilse, Wiesbaden Zur Ausgabe 43-44 vom 19.10.2024, „Auf Kurs mit DGB und SPD“ auf Seite 11: Vor kurzem las ich ein Interview mit Tim Krebs in der „Zeit“. Ich fühlte LESERPOST mich mit vielen seinen Schlussfolge- rungen verbunden, fand aber auch, dass sein Duktus stellenweise nicht ganz angemessen ist. Genau das be- scheinigt der Autor der Rezension, Stephan Balling, wenn er schreibt, dass Krebs‘ Buch am Rande zum Pamphlet sei. Das er das mit „äu- ßerst schade“ kommentiert, ist ele- gant zutreffend formuliert. Denn dass Krebs auf zentrale Punkte hin- weist, steht für mich ebenso außer Frage. Immerhin: Wie man eine Bot- schaft rüberbringt entscheidet schon darüber, ob die „andere“ Seite dicht- macht oder offen dafür ist. Ich habe in Erinnerung, dass Scholz – als er noch Finanzminister war – sich mit den richtigen Beratern (sprich Öko- nomen) umgeben hatte. Dass es heute eher marktliberale Ökonomen sind, hängt sicher damit zusammen, dass das Finanzministerium nun von einem FDP-Repräsentanten geleitet wird. Mein Fazit ist: Scholz wäre viel besser Finanzminister geblieben und hätte das Kanzleramt jemanden überlassen, der nicht ähnlich merke- lisch agiert wie er selbst. Wenn man bedenkt, dass gerade Merkel Ziel- scheibe von rechtsaußen war, wun- dert es nicht, dass die AfD auch we- gen des Scholz-Stils gewachsen ist. Das würde ich als weiterer Faktor be- nennen, neben dem Faktor Energie- preise, die Krebs nennt. Rob Maris, Kreuzau SEITENBLICKE Herausgeber: Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15, Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@bundestag.de Chefredakteur: Christian Zentner (cz) V.i.S.d.P. Stellvertretender Chefredakteur: Alexander Heinrich (ahe) Redaktion: Dr. Stephan Balling (bal), Lisa Brüßler (lbr), Carolin Hasse (cha) (Volontärin), Claudia Heine (che), Ni- na Jeglinski (nki), Claus Peter Kosfeld (pk), Johanna Metz (joh), Sören Christian Reimer (scr) CvD, Sandra Schmid (sas), Michael Schmidt (mis), Helmut Stolten- berg (sto), Alexander Weinlein (aw) Fotos: Stephan Roters Redaktionsschluss: 8. November 2024 Layout: DIGITALE KREATIV AGENTUR, Thorsten Messing, Frankfurter Straße 168, 34121 Kassel Druck: Zeitungsdruck Dierichs GmbH & Co. KG Wilhelmine-Reichard-Straße 1, 34123 Kassel Leserservice/Abonnement: Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363, 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 32, Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 32 E-Mail: fazit-com@cover-services.de Anzeigenverkauf, Anzeigenverwaltung, Disposition: Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363, 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 36, Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 36 E-Mail: fazit-com-anzeigen@cover-services.de Abonnement: Jahresabonnement 25,80 €; für Schüler, Studenten und Auszubildende (Nachweis erforderlich) 13,80 € (im Aus- land zuzüglich Versandkosten). Alle Preise inkl. 7% MwSt. Kündigung jeweils drei Wochen vor Ablauf des Berech- nungszeitraums. Ein kostenloses Probeabonnement für vier Ausgaben kann bei unserer Vertriebsabteilung an- gefordert werden. Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbe- dingt die Meinung der Redaktion dar. Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Nach- druck nur mit Genehmigung der Redaktion. Für Unterrichtszwecke können Kopien in Klassenstärke angefertigt werden. „Das Parlament“ ist Mitglied der Informationsgesell- schaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) Für die Herstellung der Wochenzeitung „Das Parlament“ wird Recycling-Papier verwendet. AUFGEKEHRT Denk ich an Deutschland... Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.“ So dichtete Heinrich Heine im Jahr 1844 in seinen „Nachtgedanken“. 180 Jahre spä- ter findet auch der deutsche Michel kei- ne Nachtruhe – und die deutsche Mi- chaela auch nicht. Erst schlagen sie sich die Nacht vor dem Fernseher um die Oh- ren, um live zu verfolgen, dass im fernen Washington bald erneut Donald Trump die Geschicke der freien Welt lenken wird, oder sie wälzen sich schweißgeba- det von einer Seite des Betts auf die an- dere vor Sorge, ob der verrückte Ami sie wohl auch zukünftig verteidigen wird ge- gen den bösen Russen oder ob er lieber den taumelnden deutschen Autobauern mit Strafzöllen den Rest geben wird. Als Michel und Michaela tagsdrauf am Abend müde in die Kissen sinken und sich die Schlafmütze über Augen und Ohren ziehen möchten angesichts all des Elends, da ihr Smartphone wie eine defekte Ampel, weil eben jene gerade den Geist aufgege- ben und der Kanzler seinen Finanzminis- ter an die frische Luft gesetzt hat. An Schlaf ist da wieder nicht zu denken. Schlafmangel aber, so wissen es die Me- diziner, ist eine höchst gefährliche Ange- legenheit. Die kognitive Leistungsfähig- keit nimmt rapide ab, es kommt zu Kon- zentrationsschwierigkeiten Ge- dächtnisproblemen. Zudem leidet die emotionale Gesundheit: Stimmungs- schwankungen, Reizbarkeit und erhöhte Sensibilität sind die Folgen. Das konnten Michel und Michaela bei ihrem Noch- Kanzler und Ex-Finanzminister sehen und hören. Vielleicht lässt ja die Lektüre von Hein- rich Heines „Nachgedanken“ Michel und Michaela wieder friedlich schlummern. Wie dichtete er noch gleich? „Deutsch- land hat ewigen Bestand, es ist ein kern- gesundes Land; mit seinen Eichen, sei- nen Linden, werd ich es immer wieder- finden.“ Alexander Weinlein T fiepst und blinkt und