2 THEMA DER WOCHE Das Parlament | Nr. 49-51 | 07. Dezember 2024 INTERVIEW ZUR ENTKRIMINALISIERUNG VON SCHWANGERSCHAFTSABBRÜCHEN »Kein Platz für Schuldgefühle« Die grüne Familienpolitikerin Ulle Schauws beklagt gravierende Versorgungs- und Informationsdefizite für ungewollt Schwangere in Deutsch- land. Eine Entkriminalisierung von Abtreibungen befreie nicht nur die Frauen von Stigmatisierungen, sondern auch die Ärzte, sagt sie. Frau Schauws, rund um die Debat- für ten über das Werbeverbot Schwangerschaftsabbrüche (Para- graf 219a) wurde Ihnen schon 2018 vorgeworfen, Sie wollten eigentlich nur an den Paragrafen 218 des Straf- gesetzbuches ran. Das haben Sie da- mals abgestritten. Der Vorwurf stimmte ja auch nicht. Wir wollten das Informationspro- blem für Ärztinnen und Ärzte lösen und haben die Diskussion um 218 klar als eine inhaltlich davon ge- trennte betrachtet. Wie wird dadurch das Versor- gungsproblem gelöst? Eine Entkriminalisierung hat nicht nur positive Auswirkungen für das Empfinden der betroffenen Frauen. Sie erleichtert auch eine Kostenüber- nahme der Eingriffe durch die Kran- kenkassen und sie kann die Ausbil- dung von Ärztinnen und Ärzten ver- bessern. Hier müssen wir dringend vorankommen. Dies fordern übrigens auch die allermeisten der mehr als 70 Verbände, die Stellungnahmen dazu abgegeben haben. Dennoch entwickelte sich daraus eine recht grundsätzliche Debatte um Schwangerschaftsabbrüche, die erst 2022 mit der Streichung des Wer- beverbots beendet wurde. Dass die Debatte eine so breite Di- mension annehmen würde, damit hat eigentlich niemand gerechnet. Aber wir hatten auch nicht erwartet, dass die Versorgungslage für unge- wollt Schwangere derart schlecht ist. In der 219a-Debatte haben wir das erste Mal seit vielen Jahren wieder auf die Situation von Schwanger- schaftsabbrüchen und durch Schilderungen von Ärztinnen und Ärzten und von Beratungsstellen ist uns klar geworden, dass die Lage viel problematischer ist als gedacht. Die ELSA-Studie über die Lebensla- gen ungewollt Schwangerer hat dies inzwischen nachdrücklich bestätigt. geschaut, Entkriminalisierung Nun gibt es einen von SPD und Grünen initiierten Gesetzentwurf zur von Schwangerschaftsabbrüchen. Wa- rum ist es jetzt die Zeit dafür? Weil wir nach 30 Jahren feststellen, dass die aktuelle Gesetzeslage nicht zu weniger Schwangerschaftsabbrü- chen führt. Und weil es Zeit ist, die Frauen endlich von einem Schuldge- fühl zu befreien, das entsteht, solan- ge im Strafgesetzbuch als rechtswidrig ein- gestuft werden. Die andere Frage, die uns motiviert hat: Wie kommen Ärz- te, die Abbrüche durchführen, aus der Stigmatisierung heraus? Wenn Sie in Bayern eine Praxis eröffnen, dann können Sie schnell ein Problem be- kommen, wenn bekannt wird, dass Sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Schwangerschaftsabbrüche Was sind denn die Ursachen für diese Versorgungslücke? Momentan gehört das Erlernen von allen Methoden des Schwanger- schaftsabbruchs nicht zum festen Be- standteil der gynäkologischen fach- ärztlichen Weiterbildung. Zudem werden in sehr vielen Lehrkranken- häusern gar keine Schwangerschafts- abbrüche durchgeführt. Das muss sich ändern. Schwangerschaftsab- brüche müssen als eine normale Ge- sundheitsleistung anerkannt werden, so dass Ärztinnen und Ärzte damit selbstverständlich in ihrer Ausbil- dung in Kontakt kommen. Sie fordern, dass Schwanger- schaftsabbrüche bis zur 12. Woche nicht mehr als Straftat gewertet und aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Haben Sie nicht Sorge, dass das Bundesverfassungsgericht eine solche Regelung verwirft? Die Situation vor 30 Jahren war eine andere als jetzt. Fragen rund um das Selbstbestimmungsrecht über den ei- genen Körper haben seitdem auch in anderen Urteilen des Bundesverfas- sungsgerichts eine viel größere Be- deutung erhalten. Und auch 1993 war die Diskussionslage keineswegs so eindeutig, es gab kritische Debatten und Sondervoten im Urteil der Ver- fassungsrichter. Wir haben in dem Gesetzentwurf die Fragen des Selbstbestimmungsrechts und des Schutzes des ungeborenen Lebens sehr genau abgewogen, auf Basis der Empfehlungen der dazu von der Bundesregierung einberufe- nen Kommission. Eine Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts muss meiner Ansicht nach auch mitbewer- ten, ob sich durch die bisherige lebt. Der beste Lebensschutz ist von daher sowohl eine soziale Absiche- rung als auch eine gute, erreichbare Gesundheitsversorgung für Frauen. Die UN-Frauenrechtskonvention und die Istanbul-Konvention sind schon Jahrzehnte alt. Letzte Woche schockierten uns die Zahlen des BKA zum Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt. Wo sehen Sie die Lücke zwi- schen Theorie und Praxis? Ich glaube, man muss Gewaltschutz und Gewaltprävention politisch viel höher priorisieren. Nicht nur einmal im Jahr, rund um den 25. November. Wir brauchen endlich eine klare poli- tische Ausrichtung zum Gewalt- schutz und auch ein Bewusstsein, dass Gewalt ein absolutes No Go ist. Es ist kein Kavaliersdelikt. Wir for- dern das seit Jahren und trotzdem bleibt das Thema politisch ein Stief- kind. Die Gewalt bekommt mittler- weile mit den Femiziden eine Dimen- sion, wo es mir wirklich sehr kalt den Rücken runter läuft. Wenn wir uns nicht klar dafür entscheiden, in Ge- waltprävention und Gewaltschutz mehr Geld zu investieren, dann wird das alles noch sehr viel schlimmer werden. Frauen sind auch nach Gewalter- fahrungen mit regional sehr unter- schiedlich ausgeprägten Hilfsange- boten konfrontiert. Warum sollte sich das angesichts der angespann- ten Haushaltslage in Bund und Län- dern absehbar ändern? Diese Frage stellt sich immer beim Haushalt. Aber Gewaltschutz darf im Jahr 2024 nicht mehr als eine freiwil- lige Leistung betrachtet werden. Wenn eine Frau keinen Platz im Frau- enhaus findet und in der Gewaltbe- ziehung bleiben muss, meistens mit Kindern: Es ist unvorstellbar, was da jeden Tag an Gewalt passieren kann. Und wir lassen die Menschen, die meistens Frauen sind, einfach in ih- rem Zuhause in dieser Gewaltlage al- lein und helfen ihnen nicht? Das geht nicht! Das Interview führte Claudia Heine T Ulle Schauws ist seit 2013 Mitglied des Bundestages und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Seit Jahren mit dem Thema befasst: Ulle Schauws © Ulle Schauws Rechtslage etwas verbessert hat und das ist eindeutig nicht der Fall. Die Unionsfraktion hat Ge- sprächsbereitschaft über den Gesetz- entwurf signalisiert, fordert aber ei- ne ausführliche Debatte darüber und keinen Schnellschuss so kurz vor der Wahl. Wenn die Union auf gründlicher Be- ratung besteht, dann frage ich mich, warum sie in dieser Woche eine An- hörung zu diesem Thema abgelehnt hat. Das ist nicht redlich. Entweder sagt man, man ist gesprächsoffen, aber dann blockiert man nicht gleichzeitig die Diskussion im Parla- ment. Im Sinne einer besseren Ver- sorgungslage ist dies sicher nicht. Rund 100.000 Abbrüche gibt es jährlich in Deutschland, interessan- terweise sind die Zahlen gerade bei den ganz jungen Frauen/Mädchen zurückgegangen und bei den etwas älteren Frauen gestiegen. Es stimmt, die Altersgruppe hat sich ein bisschen verändert. Meistens sind es Frauen, die schon Kinder haben, wo klar ist, ein weiteres Kind im Le- ben ist in der Familie nicht mehr fi- nanzierbar oder die Wohnungsgröße passt nicht, die Partnerschaft oder die Frage der Vereinbarkeit von Fami- lie und Beruf sind schwierig. Es sind immer mehrere Umstände, die dazu führen, aber insbesondere die Rah- menbedingungen für ein Kind wer- den oft als nicht mehr stemmbar er- PARLAMENTARISCHES PROFIL Die Pädagogische: Nicole Höchst In einer dieser hektischen Wochen vor Jahresende bittet Nicole Höchst ins Büro hinein. Eigentlich hat sie kaum Zeit, zwei Reden sind zu halten – aber als sie die Tür schließt, geht von der AfD- Abgeordneten aus Monheim eine Ruhe aus, der Konzentriert- und Entspanntheit zugleich innewohnen. „Ich liebe Kinder“, sagt sie mit Blick auf das Motto ihrer Website „Unseren Kindern eine Zukunft schenken“. Die ehemalige Studienrätin, 54, prägt die Bildungs- und Familienpolitik ihrer Partei, ist Obfrau im Ausschuss für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung. Tut die Politik denn genug für Kinder? „Sie tut das Falsche“, antwortet Höchst. „In den Kitas gibt es auch wegen der offenen Grenzen nicht genügend Erzieher. Wer in der ‚Asylindustrie‘ beschäftigt ist, könnte ja auch in Kitas arbeiten.“ Morgen wird sie im Plenarsaal zu Gewalt gegen Frauen reden. „Ich werde ansprechen, dass da aus dem Täterkreis Männer aus Syrien, Irak und Afghanistan überproportional vertreten sind“, sagt sie. „Das wird in den Talkshows ausgespart.“ Tatsächlich? „Es wird generell aus- gespart.“ Und der allgemeine Anstieg von Gewaltfällen gegen Frauen in der Statistik seit Jahrzehnten, liegt das nicht auch an einer Sensibi- lisierung, an mehr Anzeigen und mehr Strafverfolgung? Sie lehnt sich zurück. „Gruppenvergewaltigungen gab es in dem Ausmaß früher je- denfalls nicht.“ Und damit ist Höchst bei der Kölner Silvesternacht 2015 angelangt; seien es die Themen Kinder, Schule oder Gewalt ge- gen Frauen – zielsicher steuert Höchst dabei jedes Mal die Migrations- politik an. In dieser Sitzungswoche verfolgt Höchst aber auch ein anderes Anlie- gen; sie hat dazu einen Antrag formuliert. Der Bundestag möge be- schließen, dass ein Gedenktag für ungeborenes Leben eingeführt wird. Damit meint die Abgeordnete Fehlgeburten, Totgeburten und Schwangerschaftsabbrüche. „In meinem Bekanntenkreis gibt es viele, In den Kitas gibt es auch wegen der offenen Grenzen nicht genügend Erzieher. NICOLE HÖCHST © picture alliance / dts-Agentu die ihr Kind verloren haben und sich als Eltern nicht wirklich wahrge- nommen fühlen.“ Wird in dem Antrag indes vermengt, was nicht zu- sammenpasst? „Die Motivlage ist nicht unterschiedlich“, entgegnet Höchst und verweist darauf, dass sich viele Frauen wegen einer sozia- len Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden wür- den. „Wer dann abtreibt, trägt das ein Leben lang.“ Moment, ist das nicht pauschalisierende Spekulation? „Nein, dazu gibt es Interviews.“ Jedenfalls sieht Höchst in solch einem Gedenktag „ein Angebot an jene, welche diese Art von Trauer benötigen“. Er sei freiwillig, ein Mittel der Em- pathie und ein Zeichen, dass Trauern erlaubt sei. „Für mich ist es auch ein Versuch, die Fronten aufzubrechen. Ich möchte aus der Ecke raus, dass wir Frauen verdammen, die abtreiben.“ Hinter den Paragrafen 218 zu Schwangerschaftsabbrüchen wolle die AfD jedenfalls nicht zurück. Plant die Partei nicht eine Verschärfung? „Das ist nicht richtig. In unserem Leit- antrag für das Wahlprogramm 2025 steht, dass die Beratungen ausgebaut werden müssen.“ Das stimmt, aber der Entwurf ist hinreichend unscharf formuliert. „Beim sorgfältigen Abwägen der Interessen muss Abtreibung die absolute Ausnahme bleiben z.B. bei kriminologischer oder medizini- scher Indikation“, steht dort geschrieben. Diesen Satz würden auch Leute unterschreiben, die durchaus eine Verschärfung anstreben. Höchst hört man die Lehrerin an. Sie redet ruhig, erklärt viel und nicht zu lang. Sie lässt sich unterbrechen. Sätze wie „Politik ist Kampf“, die man zuweilen von AfD-Politikern hört, sind bei ihr kaum vorstellbar. Die vierfa- che Mutter und Pädagogin für Englisch und Französisch trat in den 1990er- Jahren in die CDU ein, „weil ich schon immer christlich-konservativ war und mich das Programm der CDU in NRW überzeugte. Sie trat um die Jahrhundertwende wieder aus und wechselte dann. „Der erste große Tief- schlag für mich war in den Nullerjahren der Umgang Helmut Kohls mit der Spendenaffäre und sein Ehrenwort-Gerede“, sagt sie. „Das war Gutsher- renart. Und Angela Merkel mochte ich nicht.“ Bei der AfD werde sie blei- ben. „Immerhin habe ich das Programm mitgeschrieben.“ Jan Rübel T