2 MENSCHEN UND MEINUNGEN Das Parlament - Nr. 9-11 - 24. Februar 2024 GASTKOMMENTARE SICHERHEIT NUR MIT MEHR SCHULDEN? Reform ist nötig PRO r e k c u e B l a c s a P © Anja Krüger, »die tageszeitung«, Berlin g n u t i e Z r e n i l r e B / g n i l ö r F i e k M © Markus Decker, Redaktionsnetzwerk Deutschland Es ist falsch und gefährlich, die drastisch steigenden Ausgaben zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels nach Verbrauch des Sondervermögens für die Militärausga- ben allein über den Bundeshaushalt zu finanzie- ren. Die erforderlichen Summen sind so gigan- tisch, dass das nur möglich wäre, wenn die staatli- chen Leistungen dramatisch gekürzt würden – et- wa bei Renten, bei Sozialem oder Investitionen in die klimagerechte Modernisierung. Das würde zu massiven Belastungen sehr vieler Bürger führen. Und nicht nur das. Gesellschaft und Wirtschaft ste- hen vor einem enormen Umbau, der finanziell for- ciert und sozial abgefedert werden muss. Solche Ausgaben zu kürzen oder gar nicht erst vorzusehen, gefährdet den sozialen Frieden, weil das zu enormen Unwuchten führen würde. Men- schen wenden sich von einem Staat ab, von dem sie glauben, dass er sie benachteiligt. Die erforder- lichen massiven Kürzungen würden als ungerecht empfunden. Das gilt erst recht, wenn gleichzeitig Rüstungskonzerne extrem hohe Gewinne einfah- ren, die der Staat nicht abschöpft. Wenn der Bedarf für das Ausrüsten des Militärs und das Einhalten der Bündnisverpflichtungen so hoch bleibt wie angenommen, muss die Schulden- bremse gelockert werden. Die Alternative ist, kom- menden Generationen einen fragilen Staat zu hin- terlassen. Auch höhere Steuern für Reiche und Ein- kommensmillionäre sind eine Finanzierungsquelle, die der Staat nicht ungenutzt lassen sollte – aber das wird nicht reichen und nicht schnell genug zu mobilisieren sein. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, die Schuldenbremse zügig zu reformieren. Nur so kann gewährleistet werden, dass die für nötig angesehenen Mittel ohne Kollateralschäden mobilisiert werden können. braucht, ist unstrittig. Der Haupt- grund dafür ist Russlands Angriff auf die Ukraine, der zunehmend gepaart ist mit Drohgebärden gegen das Baltikum, aber auch gegen Deutschland – so etwa seitens des früheren Präsidenten Dmitri Medwedew. Ein zwei- ter Grund könnte im November Wirklichkeit wer- den: die Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsi- denten. Er will von militärischer Verantwortung für Europa bekanntlich wenig wissen. Dennoch darf dieses zusätzliche Geld nicht aus neuen Schulden bestehen. Es gibt im Haushalt noch genügend Einsparmöglichkeiten – bei kli- maschädlichen Subventionen etwa oder beim Per- sonal. Denn auch wenn die Koalition oft uneinig ist, in einem Punkt zieht sie in atemberaubender Art und Weise an einem Strang: bei der Schaffung zusätzlicher und teils überflüssiger Stellen. Über- dies setzen neue Schulden in der benötigten Grö- ßenordnung eine Reform der Schuldenbremse vo- raus. Die gibt es nur mit einer Zwei-Drittel-Mehr- heit in Bundestag und Bundesrat. Dagegen stehen CDU, CSU und FDP. Höhere Steuern lägen näher. In jedem Fall sollten die Verteidigungsausgaben aus dem regulären Haushalt beglichen werden. Zudem wird nicht kurzfristig mehr Geld benötigt, sondern dauerhaft. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sprach zuletzt von einer jahrzehn- telangen Auseinandersetzung mit Russland. Mit anderen Worten: Das, was wir nach Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 in Zentraleuropa noch als Anomalie betrachteten, der Einsatz von Waffenge- walt zur Unterwerfung anderer Staaten, ist längst neue Normalität. Entsprechend müssen es auch die Instrumente sein, mit der wir ihr begegnen. Neue Normalität CONTRA Dass die Bundeswehr mehr Geld Mehr zum Thema der Woche auf den Seiten 1 bis 3. Kontakt: gastautor.das-parlament@bundestag.de Herausgeber Deutscher Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Fotos Stephan Roters Mit der ständigen Beilage Aus Politik und Zeitgeschichte ISSN 0479-611 x (verantwortlich: Bundeszentrale für politische Bildung) Anschrift der Redaktion (außer Beilage) Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon (0 30) 2 27-3 05 15 Telefax (0 30) 2 27-3 65 24 Internet: http://www.das-parlament.de E-Mail: redaktion.das-parlament@ bundestag.de Chefredakteur Christian Zentner (cz) V.i.S.d.P. Stellvertretender Chefredakteur Alexander Heinrich (ahe) Redaktion Dr. Stephan Balling (bal) Lisa Brüßler (lbr) Carolin Hasse (cha) (Volontärin) Claudia Heine (che) Nina Jeglinski (nki) Claus Peter Kosfeld (pk) Johanna Metz (joh) Elena Müller (emu) Sören Christian Reimer (scr) CvD Sandra Schmid (sas) Michael Schmidt (mis) Helmut Stoltenberg (sto) Alexander Weinlein (aw) Redaktionsschluss 23. Februar 2024 Druck und Layout Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG Kurhessenstraße 4– 6 64546 Mörfelden-Walldorf Leserservice/Abonnement Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 32 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 32 E-Mail: fazit-com@cover-services.de Anzeigenverkauf, Anzeigenverwaltung, Disposition Fazit Communication GmbH c/o Cover Service GmbH & Co. KG Postfach 1363 82034 Deisenhofen Telefon (0 89) 8 58 53-8 36 Telefax (0 89) 8 58 53-6 28 36 E-Mail: fazit-com-anzeigen@cover-services.de Abonnement Jahresabonnement 25,80 €; für Schüler, Studenten und Auszubildende (Nachweis erforderlich) 13,80 € (im Ausland zuzüglich Versandkosten) Alle Preise inkl. 7% MwSt. Kündigung jeweils drei Wochen vor Ablauf des Berechnungszeitraums. Ein kostenloses Probeabonnement für vier Ausgaben kann bei unserer Vertriebsabteilung angefordert werden. Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar. Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Nachdruck nur mit Genehmigung Redaktion. Für Unterrichtszwecke können Kopien in Klassenstärke angefertigt werden. der „Das Parlament“ ist Mitglied der Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbrei- tung von Werbeträgern e. V. (IVW) Für die Herstellung der Wochenzeitung „Das Parlament“ wird Recycling-Papier verwendet. Dieser Tage ist oft von „zwei Jahre Ukrainekrieg“ die Rede. Nun haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag mit „zehn Jahre russischer Krieg gegen die Ukraine“ überschrieben. Was bringen Sie damit zum Ausdruck? Dass Putin tatsächlich seit zehn Jahren ei- nen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine führt. Nicht erst seit Februar 2022, sondern seit Februar 2014. Vor zehn Jahren haben russische Soldaten Angriffe auf die ukrainische Halbinsel Krim gestartet und Russland hat sie schließlich auch annek- tiert. Seither gibt es dort Unruhen, und die Krim wie auch insbesondere die Ostukrai- ne wurde nie befriedet. Von daher ist es schon korrekt, von zehn Jahren Krieg zu sprechen. Moskau hat schon 2014, mit der An- nexion der Krim, mehrere internationale Abkommen über die Unverletzlichkeit der Grenzen gebrochen, die es selbst un- terschrieben hatte. Haben die europäi- schen Demokratien es damals versäumt, angemessen zu reagieren, und damit Pu- tin erst zu noch brutalerem Vorgehen er- mutigt? Im Nachhinein ist es natürlich einfacher, das zu sagen, aber es stimmt. Wir haben als europäische Mitgliedsstaaten nicht kon- sequent genug reagiert. Wir hätten damals schon klar die Grenzen aufzeigen müssen. Bemühungen gab es zwar von Seiten der europäischen Mitgliedsstaaten, gefruchtet haben sie allerdings nicht. Das hätten wir viel, viel deutlicher adressieren müssen. Die Menschen auf der Krim leben seit zehn Jahren unter russischer Besatzung. Was bedeutet das für diese Menschen? Für diese Menschen ist es ziemlich drama- tisch. Viele von ihnen haben sich von der internationalen Gemeinschaft schon vor zehn Jahren nicht genug gehört gefühlt. Sie haben sich zum Teil vergessen gefühlt, ob- wohl wir als Deutsche, das muss ich direkt einschieben, seit über zehn Jahren Ent- wicklungszusammenarbeit in der Ukraine leisten. Wir haben viel dafür getan, dass es dort neue Strukturen gibt, wir haben viel Geld in Infrastruktur gesteckt, wir haben das Bildungssystem unterstützt, wir haben geholfen, Korruption zu bekämpfen. Es ist nicht so, dass wir nicht aktiv waren, aber ich glaube, die Menschen haben sich da noch eine andere Form der Unterstützung gewünscht. Besonders hart hat es die tatarische Bevölkerung auf der Krim getroffen, die dort über Jahrhunderte die Mehrheit ge- stellt hatte und dann wiederholt unter Verfolgung und Deportation zu leiden hatte. Was wissen Sie über die Lage der Tataren heute? Die Krim-Tataren sind nach wie vor unter- drückt und viele mussten ihre Heimat zu- rücklassen, um halbwegs in Sicherheit und Frieden zu leben. Das ist sehr dramatisch und kann uns nicht egal sein. Wir sollten zusehen, dass diese Minderheit, die tat- sächlich sehr unter der russischen Besat- zung leidet, in irgendeiner Form unter- stützt wird und das Leid dieser Menschen sichtbarer wird. Ich habe in meiner Arbeit im Ausschuss für Menschenrechte und hu- manitäre Hilfe auch auf die Lage der indi- genen Bevölkerung in Russland selbst hin- gewiesen. Auch diese Menschen leiden sehr unter der russischen Macht und Unterdrü- ckung. Die ukrainische Regierung bemüht sich auch unter Kriegsbedingungen um innere Reformen. Wie kann Deutschland diese Transformation der Ukraine hin zu EU-Standards unterstützen? Wir haben nie aufgehört, die ukrainische Regierung dabei zu unterstützen. Ein sehr wichtiges Thema war und ist für die ukrai- nische Regierung die Bekämpfung von Kor- »Auf gutem Weg« DERYA TÜRK-NACHBAUR Die SPD-Außenexpertin ist zuversichtlich für eine Zukunft der Ukraine in der Europäischen Union © Deutscher Bundestag/Inga Haar ruption. Dabei haben wir nachhaltig ge- holfen und tun dies nach wie vor. Die Ukraine ist da auf einem guten Weg. Ich habe wirklich größten Respekt vor dem Einsatz der ukrainischen Bürgerinnen und Bürger, die trotz dieser herausfordernden Zeit, trotz aller Angriffe entschlossen sind, ihr Land auf die EU-Mitgliedschaft vorzu- bereiten. Sie sind pro-europäisch, sie gehö- ren nach Europa, sie gehören ins Herz un- serer freiheitlichen Grundordnung, in die EU. Dort sind sie herzlich willkommen. Sie haben unlängst im Bundestag ge- sagt: Wer der Ukraine hilft, handelt auch im eigenen Interesse. Was meinen Sie damit? Damit meine ich ganz klar, dass die Ukrai- ne auch die Freiheit Europas schützt. Die Ukraine verteidigt nicht nur sich selber, sie verteidigt auch unsere Werte in Europa. Dafür größten Respekt und größten Dank. Und deshalb muss es in unserem Interesse sein, die Ukraine so zu unterstützen, dass sie die russische Aggression abwehren PARLAMENTARISCHES PROFIL kann, dass Putin all seine Soldatinnen und Soldaten abzieht, die Souveränität der Ukraine gewährleistet ist und die Grenzen von vor zehn Jahren wiederhergestellt wer- den. Der ukrainische Präsident Selenskyi hat auf der Münchner Sicherheitskonfe- renz zum wiederholten Mal um weit rei- chende Waffen gebeten, um die russi- schen Streitkräfte schon in ihren Auf- marschgebieten stoppen zu können. Der deutsche Taurus-Marschflugkörper ist ei- ne solche Waffe. Nun hat Bundeskanzler Scholz auf die Frage nach ihrer Liefe- rung auch in München ausweichend ge- antwortet. Wie stehen Sie dazu? Ich finde, wir sollten die Ukraine mit al- lem, was wir haben und was wir leisten können, unterstützen. Die Taurus, das sage ich ganz deutlich, ist nicht die Wunderwaf- fe, die den Ausschlag gibt, ob der Krieg ge- wonnen oder verloren wird – ich hoffe, niemals verloren. Ich bin sehr dankbar, dass nach Großbritannien nun auch Deutschland ein Sicherheitsabkommen mit der Ukraine vereinbart hat. Bundes- kanzler Scholz und Präsident Selenskyi ha- ben diese vertiefte Partnerschaft in Berlin beschlossen und ein entsprechendes bilate- rale Abkommen unterzeichnet. Es ist eine Vereinbarung über Sicherheitszusagen und langfristige Unterstützung. Das ist ein mehr als deutliches Signal an die Ukraine, dass wir uneingeschränkt an deren Seite stehen. Ich möchte auch betonen, dass Deutschland der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine ist. Wir leisten teilweise mehr, als die anderen EU-Mitgliedsstaaten zu- sammen. Und wenn die Ukraine langfristig siegen soll, und ich glaube, das ist in unser aller Interesse, dann müssen unsere EU- Partner auch weitaus mehr Unterstützung leisten. Deutschland macht eine ganze Menge, und jetzt sind auch unsere EU-Part- ner gefordert. Frau Türk-Nachbaur, Sie sind auch Mitglied der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarats. Kann dieser älteste und mit 46 Mitgliedern größte Zu- sammenschluss europäischer Länder et- was zur Unterstützung der Ukraine be- wirken? Die Ukraine ist regelmäßig Thema im Eu- roparat, wofür ich auch sehr dankbar bin. Es geht da vor allem um Rechtsstaatlichkeit und ein Post-Kriegs-Szenario. Wir wollen natürlich die geopolitischen Auswirkungen dieses Konflikts eindämmen. Es geht aber auch darum, Strafbarkeit zu gewährleisten, es geht um Sanktionen und um das Recht der Ukraine auf Wiederaufbauleistungen seitens Russlands. Das ist regelmäßig dort Thema, und der Fokus des Europarats auf die Ukraine wird auch nicht abebben. Und wie stehen die Aussichten, dass Putin selbst eines Tages für Verstöße ge- gen das Völkerrecht zur Verantwortung gezogen wird? Ich möchte daran glauben. Ich bin über- zeugte Europäerin, ich bin grundgesetzver- liebt, und ich finde das internationale Strafrecht immens wichtig und immens unterstützenswert. erleben, dass dieser Kriegsverbrecher tatsächlich be- straft wird, dass er Rede und Antwort ste- hen und sich für all diese Verbrechen ver- antworten muss. Dafür kämpfen wir, daran arbeiten wir, und ich hoffe, wir werden diesen Tag bald erleben. Ich möchte Das Gespräch führte Peter Stützle. Derya Türk-Nachbaur (SPD) ist seit 2021 Abgeordnete des Bundestages. Sie ist Mitglied in den Ausschüssen für Menschenrechte und Entwicklung sowie Obfrau in der Enquete-Kommission zum Engagement in Afghanistan. Der Europäische: Knut Abraham W enn die Glocken auf der Plenarsaalebene des Reichstag zur Abstimmung rufen, klingen sie ab ei- nem gewissen Moment etwas schrill. Doch im Ver- gleich zu den Sirenen, welche die Menschen etwa in Kiew hören, weil wieder Kampfdrohnen oder Raketen im Anflug sind, wirken sie wie reine Nachtmusik. Mit diesem Hintergrundrau- schen ruft Knut Abraham aus der althergebrachten Telefonbox auf der Ebene an. „Das markierte einen Wendepunkt in der europäi- schen Geschichte“, sagt er mit Blick auf den Jahrestag des Angriffs Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Seitdem herrscht Krieg in Europa. Und er ist näher, als man manchmal denkt. „Ich hatte in der Nacht sehr schlecht geschlafen“, erinnert sich Abraham. Die Angst, dass etwas passieren könne, habe in den Ta- gen davor in der Luft gelegen. „Mit dem Überfall stellte sich in den ersten Tagen bei mir ein Gefühl der völligen Unsicherheit ein. Wel- che Art der Kriegsführung wird es durch die russischen Kräfte ge- ben? Können sich die Ukrainer verteidigen?“ Abraham, 57, ehema- liger Zeitsoldat, Diplomat und Abgeordneter der CDU im Bundes- tag, hört man am Hörer den Kopf schütteln. Seitdem sprechen zwischen Russland und der Ukraine die Waffen, immer noch muss sich letztere der Angriffe erwehren. „Durch die zögerlichen Reaktionen aus Deutschland am Anfang haben wir an Ansehen und moralischer Autorität in Osteuropa verloren“, sagt Abraham. „Mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln müssen wir die Ukraine unterstützen. Die Konsequenzen dieses Krieges ge- hen uns alle an.“ Da sieht er keine rote Linie? Bei den Marschflug- körpern „Taurus“, sagt er, fühle sich seine Fraktion nicht ernst ge- nommen, weil die Bundesregierung keine Gründe für die Nichtlie- ferung nenne. „Das Parlament hat ein Recht auf Aufklärung, und sei es in internen Gremien, wo sowas vertraulich erörtert werden kann.“ Abrahams Blick auf den Osten ist ein sensitivierter. Im Sachsen- wald, rund 35 Kilometer von der innerdeutschen Grenze aufge- wachsen, habe der größte Teil der Verwandtschaft in der DDR ge- ..................................................................................................................................................... a p d / e c n a i l l a e r u t c i p © »Durch die zögerlichen Re- aktionen aus Deutschland am Anfang haben wir an Ansehen und moralischer Autorität verloren.« lebt. Die Familie: ursprünglich aus Ostbrandenburg jenseits der Oder. „Die Teilung ließ mich nicht kalt, auch nicht, dass sie für viele so normal war.“ Schon als Jugendlicher engagierte er sich in der Jugendorganisation der Paneuropa-Union, beteiligte sich seit 1987 an Medikamententransporten nach Polen, lernte Polnisch. „Über die Entsetzlichkeit der deutschen Naziverbrechen muss man spre- chen – und ein gemeinsames Europa schaffen“, sagt er. Gleich, in eineinhalb Stunden, wird er zur deutsch-polnischen Zusammenar- beit im Bundestag reden. Früh wurde er Mitglied der Jungen Uni- on, beide Eltern engagierten sich in der Kommunalpolitik, aber in einer Wählerinitiative, „mein Vater wählte zu meinem Leidwesen häufig die FDP“, sagt er. Abraham selbst bezeichnet sich als klassi- schen Konservativen. Sein Blick weitete sich in der Kindheit, als er zwei Jahre in Äthio- pien verbrachte; sein Vater hatte als Dozent für Volkswirtschafts- lehre an der Uni Hamburg in Addis Abeba eine Gastprofessur inne. „Nach unserer Rückkehr abonnierten meine Eltern die Zeitschrift ‚Newsweek‘“, sagt er. Deren Lektüre habe wahrscheinlich den Grundstein gelegt für sein Interesse an Außenpolitik. Abraham wechselte nach zwei Jahren als Zeitsoldat, der Ausbil- dung zum Volljuristen und nach Jahren der Büroleitung für den Europaabgeordneten Otto von Habsburg in den Diplomatischen Dienst. Helsinki, Sofia, Washington D.C. und Warschau waren sei- ne Stationen, zuletzt als ständiger Vertreter des Leiters. Zwi- schendurch drei erfolglose Kandidaturen fürs Europäische Parla- ment, „ich machte es für die Sache und für die Partei, die Listen- plätze waren chancenlos“. Dann aber, 2021, der Einzug in den Bundestag, wo er im Auswärtigen Ausschuss sitzt und Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist. „Auf diese Art Außenpolitik weiter zu betreiben, ist äußerst span- nend“, sagt er. „Als Diplomat musste ich ja zuweilen in die Servi- ette beißen. Das muss auch so sein. Nun aber kann ich stärker mitgestalten.“ Jan Rübel T