Das Parlament | Nr. 12 | 15. März 2025 Vor der Konstituierung VOR DER KONSTITUIERUNG 13 ...und das sind drei seiner neuen Gesichter 230 Abgeordnete ziehen erstmals in den künftig 630-köpfigen 21. Bundestag ein. Drei von ihnen erzählen, wie es ihnen dabei ergeht ner Nachrücker ist aus der AfD aus- getreten, er würde auch nicht unsere Politik vertreten, daher muss ich übergangsweise doppelt ran.“ Dop- pelte Bezüge erhält er dafür nicht, er muss sogar Strafzahlungen befürch- ten, wenn er Fraktions- und Plenar- sitzungen verpasst. Er seufzt. „Es muss halt sein.“ Noch fehlen Büro und gute Mitarbeiter – und gerade die sind rar gegenüber. Rupp, dunkelblauer Anzug über hell- blauem Hemd, bittet in den Raum nebenan. Im Zimmer 6596 empfing vor Jahren die FDP Journalisten zu Hintergrundgesprächen, doch das war einmal. Die Liberalen sind raus, und die AfD bezieht den sechsten Stock. Derweil zofft sie sich mit der SPD um den Fraktionsaal auf der Reichstagsebene „Wir sind mehr Abgeordnete als die SPD, daher brauchen wir den. Unser bis- heriger ist definitiv zu klein.“ Für die Sozialdemokraten wäre es ein Stich ins rote Herz, der Saal ist nach Otto Wels benannt. Der damalige SPD- Chef hatte 1933 in seiner berühmten Rede gegen das geplante Ermächti- gungsgesetz den Abgeordneten der NSDAP im Reichstag zugerufen: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Im Bundestag will sich Rupp in der Die Stimmung ist super, wir sind die Wahlgewinner. RUBEN RUPP (AFD) Digitalpolitik mit wirtschaftlichem Schwerpunkt „Industrie 4.0“ engagie- ren, er hat einen Bachelorabschluss in Wirtschaftswissenschaften. „Noch wird die AfD nicht dafür gewählt, dass sie innovative Jobs schafft“, sagt er. „Da müssen auch wir Lösungen erarbeiten.“ Doch erstmal hat er nur seinen Bundestagsausweis. „Einigen anderen neu Gewählten in der Frakti- on habe ich bereits einiges erklärt“, sagt er, „sie fragten mich, ob man al- lein eine Pressemitteilung rausschi- cken darf oder ob sie die Buchhal- tung allein machen müssen“. Zwei Bewerbergespräche für Büropersonal habe er bereits geführt, „das waren selbstbewusste Verhandlungen auf Arbeitnehmerseite“, bilanziert er. Gu- te Mitarbeiter sind rar: Die Fraktion ist groß und damit ihr Bedarf. „Und wir können nicht einfach ausschrei- ben, weil man uns so anfeindet. Da ist man auf interne Tipps von hier W enn Julia Schneider die Augen schließt, ist das neue Leben noch weit weg. Sie sitzt auf einer Parkbank neben dem Gropiusbau, in ihrem Rücken weht die Europafahne vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. Die Märzsonne prickelt. Wären da nur nicht diese Termine. Gerade ist Schneider aus dem Landtag geeilt, ei- ne Fraktionsvorstandssitzung, und gleich muss sie wieder zurück – mit ihrem Team steht die Wochenpla- nung an. Nur: Bald zieht die 35-Jähri- ge, die das einzige ostdeutsche Wahl- kreismandat für die Grünen im Bun- destag gewonnen hat, eineinhalb Ki- lometer nördlich in den Bundestag; es wird gleich mehr eine Abschieds- sitzung mit dem Team. „Es kam alles überraschend für mich“, sagt sie. Schneider ist eine von 230 neuen Ab- Familie klärte mich auf.“ Ihre Ver- wandtschaft ist aus dem Osten, Schneider zog nach dem Abitur nach Madrid, dann nach Regensburg und Frankfurt an der Oder. „Meine Groß- eltern in Berlin wurden pflegebedürf- tig, da bin ich dann einmal in der Wo- che aus Brandenburg hingefahren.“ Am Abendbrottisch ihrer Familie war Politik kein Thema, dann wurde Schneider in Madrid 2010/2011 Zeu- gin und Teil der Protestbewegung „15-M“, die soziale, wirtschaftliche und politische Missstände anpran- gerte. „Mich bewegte dieser Versuch, etwas in Deutschland und nach zwei Master- abschlüssen samt eines verwaltungs- wissenschaftlichen Ergänzungsstudi- ums suchte sie einen Job und fand ihn bei einem Grünen-Abgeordneten. Schneider wechselte in die Senatsver- zu machen.“ Zurück Die Berlinerin Julia Schneider hat mit Pankow den einzigen Wahlkreis im Osten für die Grünen gewonnen. © Rainer Kurzeder geordneten. Zwar schrumpfte der 21. Bundestag von 735 auf 630 Parlamen- tarier, aber gerade die Fraktionen von AfD, Union und Linken verbuchen ei- ne Menge Neuzugänge. Wie leben sich die zum ersten Mal gewählten Volksvertreter ein? Nach Blitzwahlkampf kaum Zeit für den Wechsel ins neue Leben Die Berlinerin Schneider hatte den kürzesten Wahlkampf aller Kandida- ten. Erst Anfang Januar wurde sie vom Wahlkreis Pankow aufgestellt, seitdem drehte sich die Welt ein we- nig. „Ich war als Abgeordnete in der Mich bewegte dieser Versuch, etwas zu machen. JULIA SCHNEIDER (GRÜNE) Landespolitik eigentlich glücklich“, erinnert sie sich, als läge dies weit zu- rück. Doch dann kamen Vorwürfe se- xueller Belästigung gegen den bereits nominierten Grünen-Kandidaten im Wahlkreis auf. Ein Teil stellte sich als erfunden heraus, ein anderer muss noch überprüft werden – aber die Partei suchte im Bundestagswahl- kampf klare Verhältnisse und ließ neu abstimmen. Seitdem gehen die Uh- ren für Schneider ein wenig schneller. Als sie zwölf war, zog ihre Familie von Berlin nach Freiburg im Breisgau. In der Klasse fragte man sie, ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen sei, „und ich wusste es nicht“, sagt Schneider und lächelt. „Erst meine waltung; irgendwann engagierte sie sich lokal – der Rest ist Geschichte. „Verwaltungsarbeit ist kleinteiliges Gefummel, aber von hoher Tragweite gerade auch für die Demokratie“, er- klärt sie ihr Interesse an der Gestal- tung von Politik. Ein Blick aufs Handy, die kurze Pause ist vorbei. Weiter nördlich, in der sechsten Eta- ge im Jakob-Kaiser-Haus des Bundes- tages, herrscht gelöste Betriebsam- keit. Männer laufen die Flure entlang, sie sprechen in ihre Handys – bis sie einen Raum erreichen, der ihnen als Anlaufstation dient: Hier hat die AfD einen Infopunkt für ihre „Neuen“ eingerichtet, und das sind nicht we- nige: Zwei Drittel der Fraktionsmit- glieder sind zum ersten Mal im Bun- destag; die AfD hatte bei der Bundes- tagswahl stark zugelegt. „Noch kei- nen Laptop gekriegt?“, fragt ein Mit- arbeiter ins Handy. „Wir kümmern uns drum.“ Da biegt Ruben Rupp um die Ecke, er reibt sich die Hände. „Die Stimmung ist super“, sagt er, „wir sind die Wahlgewinner“. Freuen tun sich indes nicht alle. „Wenn einer von uns im Fahrstuhl den sechsten Stock drückt, ist es mit Grüßen und Lä- cheln vorbei“, kommentiert es seine Erfahrungen. „Ich würde mir wün- schen, wenn Standard-Gepflogenhei- ten eingehalten werden.“ Rupp ist erst 34, aber er wirkt auf den ersten Blick wie ein Politprofi. „Ich könnte von heute auf morgen anfangen“, sagt der Apothekersohn, nur hat Rupp, frisch gewählter Abgeordneter der AfD aus Baden-Württemberg, we- der Büro noch Personal. Aber Erfah- rung: Seit 2021 ist er Landtagsabge- ordneter; das Mandat wird er noch ein Jahr lang behalten, bis zur nächs- ten Landtagswahl: „Mein vorgesehe- Ruben Rupp (AfD) ist bereits seit 2021 Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg. Bis zur Wahl im kommenden Jahr will er Doppelmandatsträger bleiben. © Ruben Rupp Johannes Volkmann (CDU) hat einen Master in China-Studies und einen berühmten Großvater. Im Bundestag vertritt er künftig den hessischen Lahn-Dill-Kreis . © picture alliance/dpa/Michael Kappeler und da angewiesen.“ Aber das werde schon. Nur Berlin als Stadt, das gefal- le ihm als Arbeitsort weniger. „Es gä- be schönere Städte als die Haupt- stadt.“ Für die Sitzungswochen werde es bei ihm auf Hotels hinauslaufen. „Ursprünglich hatte ich überlegt, gar eine Immobilie zu kaufen. Aber der Markt ist angespannter als in Stutt- gart.“ Und dann sei da noch die Um- gebung. „Im Hansaviertel schaute ich mich um, da kam ein offensichtlich dunkelhäutiger Asylbewerber aus dem Gebüsch und schaute mich böse an.“ Sowas kenne er nicht aus Stutt- gart, sagt Rupp – woran man einen Asylbewerber erkennt, sagt er nicht. Respekt vor der Aufgabe und das Gefühl von Dankbarkeit die Soldaten, Auch im dunkelblauen Anzug und in hellblauem Hemd inspiziert ein wei- terer Parlamentsneuling das Reichs- tagsgebäude. Johannes Volkmann schlendert auf der Plenarsaalebene entlang der braunen Steinwände, flinke Augen vermerken die Graffiti sowjetischer den Reichstag 1945 einst befreiten. Es ist keine Sitzungswoche, der Flur leer und das Haus verwaist, als der 28-Jährige seinen Mantel aufhängt und sich 20 Meter entfernt auf ein So- fa setzt. Volkmann, Wahlkreisgewin- ner für die CDU in Lahn-Dill, zeigt sich kontrolliert, ruhig. Was nicht heißt, dass ihn all dies kalt ließe. Ernst ist er, als er wie nebenbei sagt: „Dass Politiker mit Demut kokettie- ren, ist ja ein Klischee. Aber mir ist es wirklich ein Anliegen, den Wählern im Wahlkreis gerecht zu werden.“ Dann spricht er über seinen Respekt vor der Aufgabe, über das permanen- te Gefühl der Dankbarkeit seit dem 23. Februar – und plötzlich fällt auf: Er meint das ausgesprochen ernst. Eine Reisegruppe passiert die Sitz- ecke. Ein Tourguide spricht auf Eng- lisch über Konrad Adenauer, den ersten Kanzler. Der sechste, Helmut Kohl, war Volkmanns Opa. „Vorher macht man sich selbst ein Bild von der Aufgabe“, sagt er. „Ich bin ge- spannt, ob das mit dem überein- stimmt, was mich in den kommen- den Monaten in der Parlamentswirk- lichkeit erwartet.“ Anfangs seien sei- ne Eltern ein wenig skeptisch gewe- sen, hätten ihn dann aber unter- stützt. Immerhin trat Volkmann mit zwölf Jahren in die Schüler Union ein, war Schülersprecher und schaut bis heute fast jeden Tag in seinem Heimatort auf eine Bauruine, die am Anfang seines politischen Engage- Ich bin gespannt, was mich in der Parlamentswirklichkeit erwartet. JOHANNES VOLKMANN (CDU) ments stand: Dass seine Grundschu- le drei Jahre nach seinem Abgang dichtmachte und leer steht, wurme ihn bis heute. Die Kunst des Kom- promisses könnte zu einer Belebung führen, meint er, „alles weitere muss man vor Ort mit den kommunalen Gremien und dem Eigentümer be- sprechen.“ Dafür, dass er erst seit zwei Wochen Wahlkreisabgeordne- ter ist und noch kein festes Büro hat, wirkt er bestimmt. Kompromissfä- higkeit ist auch in Berlin vonnöten. Gerade kommt er aus einer CDU-Sit- zung, in der die Parteispitze die ge- plante Wende beim Schuldenma- chen erklären musste. „Wir müssen zügig ins Regierungshandeln kom- men“, sagt er. „Und zu einem Poli- tikwechsel – nicht nur in Inhalten, sondern auch im Stil mit Lösungen statt Streit.“ Sein Mantel hängt ein- sam an der Garderobe. Volkmann hat seinen Master im eng- lischen Oxford in „Contemporary China Studies“ gemacht, ist vielseitig interessiert. Ihn, wie auch Schneider und Rupp, zeichnet etwas aus: eine gewisse Zielstrebigkeit, die nicht un- bedingt ein Amt avisiert, sondern ein Tun. Für die drei wird der Bundestag zum Bezugspunkt; noch zehn Tage bis zur konstituierenden Sitzung. Al- Jan Rübel T les neu macht der März.