Das Parlament | Nr. 4-5 | 18. Januar 2025 PHÄNOMEN „FAKE NEWS“ 9 Fake News als existenzielle Herausforderung für Medien »Skepsis ist die wichtigste Grundtugend« Der Kampf gegen Fake News hat den Journalismus verändert, sagt dpa-Chefredakteur Sven Gösmann und erklärt, warum das nicht schlecht ist Herr Gösmann, sind Sie schon ein- mal einer Falschmeldung aufgeses- sen? Das ist der dpa in ihrer 75-jährigen Geschichte natürlich schon passiert. Worum ging es dabei? Die berühmteste Ente ist ein biss- chen her und brauchte nicht einmal das Internet, es reichten schlecht un- terrichtete Kreise: Das war die unzu- treffende Nachricht vom Tod des sowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita Chruschtschow 1964. Das gab - auch politisch - große Aufregung: Die Stimmung zwischen Bonn und Moskau verschlechterte sich, der dpa-Kollege musste das Land verlas- sen, das dpa-Büro wurde kurzzeitig geschlossen. Und in jüngerer Zeit? Es gab ein paar wenige weitere Fälle In der Bilanz ist das ganz ok. Es pas- sieren natürlich immer mal Fehler. Was macht die dpa in so einem Fall? Bei uns sind Fehler besonders schwerwiegend, weil die dpa, wenn man so will, der Rohstoff ist, mit dem viele Nachrichtenorganisationen ar- beiten. Dann muss man das zurück- holen, die Kunden darauf aufmerk- sam machen, das ist für uns beson- ders schmerzhaft. Aus Ihrer Erfahrung: Wer steckt hinter Falschnachrichten, wer hat ein Interesse an Manipulationen, und was für ein Interesse ist das? Das ist sehr unterschiedlich. Ich wür- de das in vier Interessengruppen un- terteilen. Die bekanntesten sind Kräf- te im Ausland, die ein Interesse daran haben, die deutsche Bevölkerung zu verunsichern – und wo könnten sie das besser als über ihren größten Nachrichtengeber und -verteiler? Die zweite Gruppe sind Menschen mit ei- nem kommerziellen Interesse. Da geht es häufig darum, Traffic zu er- zeugen für digitale Auftritte in sozia- len Medien oder auch im Web Das dritte ist die Lust an der Provoka- tion und dass Vorführen der soge- nannten traditionellen Medien. Das trifft nicht nur uns, sondern auch die öffentlich-rechtlichen und andere Qualitätsmedien, die man zu des- avouieren versucht, indem man sagt: „Guck mal, was die verbreiten, stimmt ja gar nicht.“ Und das vierte? Das vierte, nicht zu überschätzende ist ein anderes Phänomen, mit dem wir uns aber auch auseinandersetzen Deutscher Presserat müssen. Das ist entstanden rund um die Etablierung von Faktenchecks in den Redaktionen deutscher Medien- häuser: Da sind wir besonders im Fo- kus von Menschen, die sich daran stören, dass wir sagen, „nein, die Welt ist keine Scheibe“. Und die dann ver- suchen, unsere Glaubwürdigkeit an vielen Stellen zu unterhöhlen, indem sie uns immer wieder testen. Wie stellt sich das in Ihrem Erle- ben quantitativ dar: Überwiegt die politische Manipulation oder der Promi-Gossip? Das Politische überwiegt, und das hat nochmal sehr stark zugenommen seit Corona. Wie gefährlich ist das? Wird das Phänomen Fake News immer noch unterschätzt? Ich glaube, dass es im Gegenteil überschätzt wird, und zwar, weil es von einem anderen Phänomen über- holt worden ist. Dieses andere Phä- nomen ist, dass man sich gar nicht mehr die Mühe macht, andere Me- dien täuschen zu wollen, sondern die ganze Öffentlichkeit, indem man sel- ber Unwahrheiten postuliert – und damit beispielsweise ins Weiße Haus kommt. Man schafft sich über soziale Medien einen riesigen Resonanz- raum und stellt uns damit vor ein Di- lemma: Entweder wir greifen die Lü- gen und Desinformationen auf, um diese es zu widerlegen – damit trans- portieren wir aber auch die ur- sprüngliche Idee, und können als „Zensurbehörde“ geschmäht werden. Oder wir ignorieren es, dann bleibt es unwidersprochen in der Welt. Im Grund eine lose-lose-Situation. Zu- mal die Lüge immer schneller ist als die Wahrheit. Was tun Sie dagegen? Wir müssen früher ansetzen. Wir müssen dahin kommen, dass jede Redaktion ein Problembewusstsein hat. Erwachsene, Kinder und Jugend- liche müssen lernen, auch in der mo- dernen digitalen Welt falsch und richtig zu unterscheiden. Skepsis ist die wichtigste Grundtugend. Was heißt das konkret? Wenn Sie wirklich gut sein wollen, so gut wie diejenigen, die fälschen, dann müssen Sie sich spezialisieren. Deshalb haben wir seit 2017 eine ei- gene Faktencheckredaktion. Die ist inzwischen auf mehr als 30 Köpfe angewachsen, arbeitet in sechs eu- ropäischen Ländern, in drei Spra- chen: Deutsch, Niederländisch, Französisch. Bei anderen Nachrich- Das stimmt. Und man verliert so ver- mutlich auch an Reichweite. Man er- spart sich aber den Reputationsver- lust, den eine spätere Korrektur be- deuten würde – und man gewinnt an Glaubwürdigkeit. Welche Tools und Strategien nut- zen Sie, um Desinformation zu ent- larven? Wir unterscheiden zwischen Dingen: Ein Teil der Werkzeuge bildet für uns eine Art Radar. Die durchsuchen das Internet mit zum Beispiel der Echtzeit- KI-Plattform von Dataminr und zeigen uns an, wenn es an einer Stelle ein auf- fälliges Aufkommen von Nachrichten über einen Vorgang in sozialen Me- dien gibt, sei es eine Naturkatastrophe oder ein politischer Putsch. Dann kön- nen wir dem journalistisch nachgehen und Dank unseres weltweiten Netzes jemanden, der relativ nah am Ort des vermeintlichen oder tatsächlichen Er- eignisses ist, bitten, sich das anzu- schauen. Das andere Arbeitsfeld ist das, was wir „Forensik“ nennen. Was verbirgt sich dahinter? Das sind die Kollegen und Kollegin- nen, die Technik anwenden, um zum Beispiel Videos zu prüfen. Die che- cken dann, ob der Sonnenstand stim- men kann, in dieser Region, um diese Uhrzeit, zu der das berichtete Ereig- nis stattgefunden haben soll. Manch- mal kann man ganz simpel auf Goo- gle Street-View oder Earth prüfen: Gibt es diese Tür in diesem Haus überhaupt? Man kann zum Telefon greifen und nach Augenzeugen su- chen. Und man kann natürlich he- rausfinden, ob ein Foto bearbeitet wurde. Das klingt, als hätten, die neuen Herausforderungen der Gegenwart den Journalismus nicht unerheblich verändert. Ja. Früher haben wir Nachrichten transportiert vom Ort des Gesche- hens zum Endkonsumenten. Durch das Internet ist dieser einstige Wett- bewerbsvorteil verschwunden. Die Informationshoheit Jeder kann sich ein eigenes Bild machen. Jetzt geht es darum zu verifizieren, einzuordnen, zu erklären. Das ist eine intensivere Form von Journalismus als er manchmal früher gemacht wurde. Wir sind nicht mehr nur Chronisten. Ich finde das eine gute Entwicklung. ist weg. Das Interview führte Michael Schmidt T Sven Gösmann ist seit 2014 Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Sven Gösmann ist Chefredakteur der größten Nachrichtenagentur Deutschlands © dpa/Anne Hufnagl tenagenturen sieht das nicht anders aus. Das andere ist: Wir haben be- gonnen, die gesamte Redaktion technisch weiterzubilden, wir er- muntern alle, alles zu hinterfragen, sich im Zweifel mit Kolleginnen und Kollegen rückzukoppeln: „Kann das stimmen?“ Wir halten das Vier-Au- gen-Prinzip hoch, auch dann, wenn in Randarbeitszeiten mal eine Kolle- gin allein in der Redaktion ist. Zu- dem sind wir Dienstleister… …das bedeutet? haben mit „dpa-factify“ Wir (www.dpa-factify.com), deutschen Medien eine Lernplattform geschaf- fen, und wir informieren große Nach- richtenredaktionen über dpa-Infoka- nal, eine Art Frühwarnsystem, mit Hinweisen etwa nach dem Muster: „Hier gibt es Berichte über einen Amoklauf, das soll das Video des Tä- ters sein – wir haben verifizieren kön- nen: Das ist nicht der Täter.“ Die Sen- sibilität ist auch bei unseren Kunden längst eingezogen, im Zweifel ver- zichtet man auf die schnelle Verbrei- tung einer Nachricht. Todesmeldun- gen sind so ein klassisches Beispiel: Wir versuchen immer erstmal den vermeintlich Gestorbenen zu errei- chen – oft genug geht er ans Telefon... Mark Zuckerberg, der Inhaber von Meta, hat gerade angekündigt, in den USA auf seinen Plattformen auf Faktenchecks zu verzichten - was heißt das für dpa? Wir haben in Europa einen laufenden Vertrag mit Meta und bieten weiter Faktenchecks an. Das europäische Recht setzt Meta hier auch andere Grenzen, als Zuckerberg sie in den USA hat. Die Botschaft ist aber natür- lich keine Gute: Sie öffnet die Tür für noch mehr Desinformation. Das hört sich alles in allem sehr zeitintensiv an. Journalisten neigen zu Ungeduld. Jeder will die News als erster verbreiten. Die Selbstverpflichtung der Medien auf einen Ethik-Kodex Der Deutsche Presserat wacht über die Einhaltung des Pressekodex. Bei Verstößen rügt er die betroffenen Medienunternehmen Anfang Dezember letzten Jahres hat der Deutsche Presserat 15 Rügen aus- gesprochen. Sechsmal wurde die „Bild“-Zeitung gerügt, unter anderem wegen der Missachtung von Regeln zur Suizid-Berichterstattung, einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaf- tigkeitsgebot, einen massiven Sorg- faltsverstoß und Verstöße gegen den Opferschutz. Eine Rüge betraf die Be- richterstattung zum mutmaßlich isla- mistischen Messer-Attentat von Solin- gen: Nach Ansicht des Presserats hat die „Bild“ identifizierend über die An- wältin des Attentäters berichtet. Ein Foto von ihr war zwar verpixelt, die Frau sei aber „durch ihre Physiogno- mie und Frisur sowie weitere, im Text des Beitrags genannte Details zu ihrer Person für ein näheres Umfeld er- kennbar“ gewesen. Da die Tätigkeit der Anwältin für den späteren Attentä- ter lange vor der Tat stattgefunden hatte und sie sich damit auch nicht strafbar gemacht hatte, überwog nach Auffassung des Presserats der Schutz ihrer Persönlichkeit das öffentliche In- teresse an ihrer Identität. Journalisten sind bei ihrer Arbeit zum einen an das Presserecht gebunden. Zum anderen gibt es eine Art Berufs- ethik, an die sich Redaktionen halten sollten. Diese sind im Pressekodex festgehalten, der 1973 vom Presserat vorgelegt wurde. Seine 16 Ziffern be- fassen sich unter anderem mit Wahr- haftigkeit und Achtung der Men- schenwürde, Diskriminierung, den Grenzen der Recherche und der Tren- nung von Werbung und Redaktion. Seinem Selbstverständnis nach fun- giert Presserat als freiwillige Selbst- kontrolle der Printmedien und deren Online-Auftritte in Deutschland. Da es sich beim Presserat um keine rechtliche Institution handelt – wird gegen den Kodex verstoßen, kann we- der ein Bußgeld noch eine Geld- oder Freiheitsstrafe verhängt werden – gilt der Presserat manchen Kritikern als „zahnloser Tiger. Allerdings hat der Presserat beispielsweise die Möglich- keit, eine öffentliche Rüge auszuspre- chen, die vom betreffenden Verlag ab- gedruckt werden muss. Übrigens kann ein Verstoß gegen die Richtlini- en nicht nur durch den Presserat selbst aufgedeckt werden, vielmehr kann jeder Bürger eine Beschwerde einreichen. Wird dieser stattgegeben, kann die Redaktion durch den Rat je nach Schwere des Verstoßes sanktio- niert werden. Wie Sonja Volkmann-Schluck von der Pressestelle des Rats dem „Parla- ment“ mitteilte, hat der Presserat 2024 insgesamt 86 Rügen ausgespro- chen. So viele wie nie zuvor. Von „Fa- ke News“ oder „Desinformation“ wür- de der Rat im Zusammenhang mit seiner Arbeit nicht sprechen, sagt Volkmann-Schluck. „Wir prüfen Be- richte in Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien auf presse-ethische Verstöße. Die Medien, die sich zum Pressekodex verpflichtet haben, ver- breiten keine Desinformation“ sagt die Pressesprecherin. Bei der Arbeit des Rates gehe es vielmehr um die Frage, „ob Berichte sauber recher- chiert und Fakten korrekt wiederge- ben“ werden. Gleichwohl scheinen die Grenzen fließend zu sein, wenn etwa die Zeitschrift „LISA“ für ein Ex- traheft „Kochen & Backen“ eine Rüge erhält, weil die mit KI generierten Re- zeptbilder hätten gekennzeichnet werden müssen. Dass sie fehlte, habe „zu einer Irreführung der Leserinnen und Leser“ geführt. mis T