Das unerreichbare Paradies
Roman Daniel Goetsch hinterfragt literarisch die Missionen der Vereinten Nationen
Für die meisten afrikanischen Flüchtlinge ist der europäische Kontinent das Ziel ihrer Träume und Hoffnunge. Ein Traum, für den sie sogar das Leben riskieren, auf seeuntüchtigen und überladenen Fischerbooten den gefährlichen Weg über das Meer wagen. Daniel Goetsch greift diese Problematik in seinem Roman "Herz aus Sand" auf.
Wider Erwarten steht nicht die wagemutige Überfahrt im Zentrum der Handlung, sondern das zermürbende Warten in einem Flüchtlingscamp in der Westsahara. Tausende Flüchtlinge stehen inmitten der Wüste einer kleinen Gruppe von UN-Beobachtern gegenüber, die einen Waffenstillstand überwachen und ein Referendum organisieren sollen. In dieser Sitution inszeniert Goetsch den Tod des Berliner Architekten Duncker. War es Mord oder Selbstmord? Die Verunsicherung ist groß, zumal Duncker wegen seiner Art, "die Mission schlechtzureden", unbeliebt war. Mit einer Mischung aus purem Idealismus und Hartnäckigkeit gepaart mit dem nötigen Aktionismus versuchte er zudem ein perfektes Flüchtlingsdorf zu entwerfen. Das passte nicht jedem. Auch Frank, sein Nachbar im Wohncontainer, mochte ihn nicht. Denn Duncker erinnerte ihn an einen Mann, dem er eigentlich an diesem entlegenen Ort zu entfliehen hoffte: dem Arbeitgeber seiner großen Liebe Alma, den Politiker Stettler, einen Schweizer Regierungsrat, der dem österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider ähnelt. Frank "verabscheut" ihn wegen seiner politischen Gesinnung und zu allem Überfluss verrät Alma wegen der Karriere ihre gemeinsamen Ideale. Das Leben wird für ihn unerträglich. Er geht nach Afrika, um etwas Gutes zu tun.
Nutzlose Berichte
Aber im afrikanischen Asyl gleichen sich die Tage. Nachts wird Dattelschnaps getrunken, am Tag bestimmen Gewalt, Prostitution, Drogenhandel und Schmuggel den Alltag der Migranten, die in einem Gewirr von klapprigen Behausungen leben. Franks Aufgabe ist es, Wochenberichte über die Geschehnisse vor Ort nach Genf zur Uno zu schicken. "Und obgleich diese Berichte völlig nutzlos sind, opfern wir ihnen bereitwillig unsere Zeit. Wir können nicht auf sie verzichten. Wozu wären wir sonst hier?" Mit diesen drastischen Worten umschreibt Frank das Dilemma der UN-Mitarbeiter. Sie fühlen sich unnütz, zum Zuschauen verdammt, nichts bleibt von den hehren Idealen: "Als Neuling steckt man viel Herzblut in die Berichte. Man nimmt sie als willkommenen Anlass, sich über die Zustände hier zu empören. Man prangert das Elend an, die Ungerechtigkeit, den Drogenmißbrauch, den Kantinenfraß, das verdreckte Sitzbrett in der Latrine. Man berauscht sich am Glauben, mit dem Schreiben die Wirklichkeit zu entlarven."
Spannungsreich erzählt Goetsch vom Verlorensein der Flüchtlinge, die in einer trostlosen Welt jenseits des europäischen Traumes leben. Manche haben die Hoffnung auf ein besseres Leben bereits aufgegeben, ebenso wie die UN-Mitarbeiter, die sich in ihrer eigenen kleinen Welt abseits des Lagerlebens der Flüchtlinge in Gleichmut ergehen. Andere denken ständig an die "Flucht um jeden Preis". Kunstvoll eingebettet in diese Erzählung ist das Liebesleben des Protagonisten Frank mit Alma und dessen Schwärmerei für die afrikanische Prostituierte Solvej.
Dem 1968 in Zürich geborenen Schriftsteller gelingt es, die Eintönigkeit des Lagerlebens gekonnt einzufangen. Es erscheint karg, monoton und trist.
Goetsch beschreibt die Hilflosigkeit der Menschen, die nach Afrika kommen, um zu helfen. Sie wollen die Not lindern, doch allmählich weicht dem Idealismus die Resignation und es reift die Erkenntnis, nichts erreichen zu können. So ist Goetschs Roman auch eine unverhohlene Kritik an den Einsätzen der internationalen Gemeinschaft. Alles in allem handelt es sich um einen unterhaltsamen Roman, der nicht nur durch die bildhafte, in gewisser Weise ungewöhnliche Sprache erfreut, sondern auch in mancherlei Hinsicht zum Nachdenken anregt. Denn: "Die Mission ist beendet. Das Scheitern hat gut getan."
Herz aus Sand. Roman.
Bilgerverlag, Zürich 2009; 285 S., 24 €