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Je später der Abend

Medien Harald Keller erzählt die vielfältige Geschichte der Talkshow in Deutschland

05.10.2009
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4 Min

Früher lag dichter Nebel über politischen Talkrunden, zumindest wenn Werner Höfer sonntags zum "Internationalen Frühschoppen" einlud. Sechs Journalisten aus fünf Ländern diskutierten hier seit 1953 über aktuelle Themen, nippten dabei genüsslich an ihrem Glas Weißwein und rauchten eine Zigarette nach der anderen. So viel, dass Moderator Höfer manchmal hinter den Rauchwolken verschwand. Heute haben die Zuschauer stets klare Sicht auf die Diskutanten im Studio, auch der Riesling ist im Nachfolgeformat "Presseclub" längst dem unverfänglichen Glas Wasser gewichen.

Der "Internationale Frühschoppen" prägte das Bild der politischen Talkshow in der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre hinein, auch wenn sie noch nicht Talkshow genannt wurde. Das Format war einzigartig, und wie die meisten Gesprächsrunden günstig produzierte Sendezeit. Mittlerweile gibt es unzählige Talkshows. Mit der Vielfalt der Formate und Subgenres kommt auch die Beliebigkeit: Heute fängt der Talktag bereits um 8.30 Uhr mit der "MoMa Arena" (ZDF) an, wird durch diverse Doku-Soaps und Gerichtsshows weitergeführt und endet gen Mitternacht mit "Johannes B. Kerner".

Kerner und Höfer sind jeweils Repräsentanten ihrer Zeit und zieren das Cover von Harald Kellers Buch "Die Geschichte der Talkshow in Deutschland". Es ist eine Fleißarbeit, die damit beginnt, detailreich und spannend zu beschreiben, wie die Talkshow einst in den USA entstand: So genannte "town hall meetings", also Ortsversammlungen, dienten als Vorlage für die ersten Gesprächsrunden im Radio und Fernsehen. Noch immer heißen die Fernsehdebatten der amerikanischen Präsidentschaftsbewerber "town hall debates".

Amerikanische Vorbilder

Auch die Ursprünge der Late-Night-Shows finden sich in Amerika, und es ist tatsächlich erstaunlich, dass der TV-Moderator Steve Allen bereits Anfang der 1950er Jahre mit der "Tonight"-Show grundlegende Elemente und Abläufe wie zum Beispiel den Schreibtisch und das Klavier einführte, die noch vier Jahrzehnte später von Jay Leno übernommen wurden. Leno räumt offen ein, dass er und seine Kollegen sich bis heute Allens Ideen bedienen. Einer dieser Kollegen ist auch David Letterman, der wiederum Vorbild für Harald Schmidt war. Bis ins Detail glich Schmidts Kulisse bei Sat.1 der von Letterman. Sogar Gesten wie das kritische Überprüfen des eigenen Aussehens auf dem Studiomonitor übernahm Schmidt.

Dennoch betont Keller, dass die Talkshow des deutschen Fernsehens kein reines Importprodukt ist, sondern über eine eigene Entstehungsgeschichte verfügt. Dies führt er dann in allen Facetten aus und unterlegt sie mit etlichen Zitaten - sie sind auch Zeichen ihrer jeweiligen Zeit. Etwa die oft gehörte Erklärung Dietmar Schönherrs, was eine Talkshow überhaupt sei: "Talk kommt von to talk, reden, und das Ganze ist also eine Rederei." Am 18. März 1973 startete Schönherrs neue Sendung "Je später der Abend", und damit etablierte er auch hierzulande den Begriff "Talkshow".

Der freie Journalist und studierte Medienwissenschaftler Harald Keller integriert in seiner Geschichte der Talkshow auch Formate aus den 1980er Jahren wie "So isses", "Dall-As" oder zu recht vergessene Shows wie "A.T.". Das 1984 eingeführte Privatfernsehen sorgte für eine neue TV-Landschaft, in der zahlreiche Formate ihren Weg ins Programm fanden: Darunter auch Ende der 90er Jahre die Gerichtsshows sowie zahlreiche Doku-Soaps à la "We are Family"; dem "performativen Realitätsfernsehen" und dem "Sonderfall ,Big Brother'" widmet der Autor ein eigenes Kapitel. An diesen Stellen fasert das Buch jedoch ein wenig aus, alles soll scheinbar erwähnt werden. Hier will der Autor zu viel.

Lob und Tadel

Dafür fehlen zuvor an anderen Stellen wichtige Informationen: Zum Beispiel im Falle von Johannes B. Kerner. Es wird nicht dokumentiert, dass der Moderator für seine Berichterstattung zum Amoklauf von Erfurt am 26. April 2002 heftig kritisiert wurde. Hierzu verließ der Moderator sogar sein kuscheliges Studio und zerrte wenige Stunden nach dem Schulattentat Zeugen, darunter auch einen elfjährigen Jungen, vor die Kamera. Spannend wäre es auch gewesen, noch mal mit zwei Zitaten zu erfahren, wie Harald Schmidt in seiner preisgekrönten Late-Night-Sendung nach den Anschlägen des 11. September 2001 die pathetischen Politikerphrasen persiflierte.

Dennoch ist das Buch eine lesenswerte Abhandlung deutscher Plauderei. Harald Keller schließt mit der Erkenntnis, dass die Entwicklungsgeschichte der Talkshow lange nicht abgeschlossen sei. Sein Buch ist eine lange Reise durch die Mediengeschichte, die gleichzeitig auch zeigt, welche Formate sich mittlerweile erschöpfen: Erst kürzlich wurde bei RTL nach zehn Jahren Oliver Geissens Nachmittagstalk eingestellt.

Dafür traten vor den Bundestagswahlen zwei altbekannte Talkshow-Größen gemeinsam vor die Kamera: Ex-Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust und Ex-ARD-Talkerin Sabine Christiansen. In der Sendung "Ihre Wahl! Die Sat.1-Arena" konnten Zuschauer per Video, SMS oder E-Mail den Gästen, unter anderem Bundesministerin Ursula von der Leyen, Fragen stellen. Sie wurden oft auf gigantischen Leinwänden in Nahaufnahme gezeigt, so groß, dass die Moderatoren fast untergingen. Dabei sollten Aust und Christiansen doch eigentlich wissen, wie es geht. Die Zeiten, als Polit-Talkshows "Ersatzparlament" genannt wurden, sind jedenfalls längst vorbei. Was bleibt, ist die ganze Rederei.

Harald Keller:

Die Geschichte der Talkshow in Deutschland.

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2009; 476 S., 14,95 €