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Getötet auf dem Weg nach Westen

OPFER Wie viele Menschenleben das DDR-Grenzregime forderte, ist nicht restlos geklärt

12.10.2009
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3 Min

Sie wurden erschossen oder verbluteten an ihren Verletzungen. Sie wurden von Minen zerfetzt oder ertranken in der Ostsee oder anderen Gewässern. Sie verunglückten tödlich beim Versuch, die Sperranlagen zu überwinden. Oder sie nahmen sich angesichts des Scheiterns ihres Fluchtversuches das Leben. Die Umstände, bei denen Menschen an den innerdeutschen Grenzen zu Tode kamen, sind vielfältig - Menschen, die nur eines wollten: der DDR den Rücken kehren.

Die Zahlenangaben darüber, wie viele Menschenleben das Grenzregime der SED-Diktatur forderte, sind unterschiedlich und schwanken im Laufe der Jahre nach der deutschen Einheit. Das liegt zum einen an unzureichenden Quellenangaben, zum anderen an den voneinander abweichenden Kriterien für die Zählung der Todesopfer.

Die "Arbeitsgemeinschaft 13. August" in Berlin beziffert die Zahl der Todesfälle an Mauer und Grenze zwischen 1945 und 1989 mit insgesamt 1.347. Experten wie der Historiker Hans-Hermann Hertle vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) halten die von der Arbeitsgemeinschaft geführte Liste für ungenau, da in vielen Fällen weder Identität noch Todesumstände ausreichend geklärt seien. Die hohe Zahl der Opfer erklärt sich auch daraus, dass sowjetische Fahnenflüchtige und Personen mit gezählt wurden, die an osteuropäischen Grenzen zu Tode kamen.

Die Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter gab die Zahl der durch Schusswaffeneinsatz, Minen und Selbstschussanlagen getöteten Menschen laut Hertle in einer 1991 vorgelegten Bilanz mit 197 an, von denen 78 seit dem Mauerbau in Berlin ums Leben kamen. In einer überarbeiteten Fassung habe sich diese Zahl auf insgesamt 274 erhöht. Davon entfielen im Zeitraum von 1949 bis 1989 auf die innerdeutsche Grenze 160 Opfer, auf die Berliner Mauer 114 Tote.

Die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) nannte in ihrem letzten Jahresbericht eine Zahl von insgesamt 421 Personen, die "aufgrund einer strafrechtlich verfolgten Handlung oder Unterlassung" ums Leben gekommen seien. Für Berlin ermittelte die ZERV 152 Todesopfer, 30 vor und 122 nach dem Mauerbau.

Die bisher verlässlichsten Angaben für die Berliner Verhältnisse bietet das vom ZZF und der Stiftung Berliner Mauer unlängst herausgegebene biografische Handbuch "Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961-1989". Die Autoren werteten systematisch Akten der Staatsanwaltschaft, Stasi-Dokumente und andere Quellen aus und sprachen mit Zeitzeugen.

Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass mindestens 136 Menschen nachweislich an der Mauer ums Leben kamen: 98 Flüchtlinge aus der DDR, von denen 67 erschossen wurden, während die anderen verunglückten oder sich selbst nach gescheiterter Flucht töteten. Hinzu kommen 30 Menschen aus Ost und West, die wohl ohne Fluchtabsicht waren, aber gleichwohl erschossen wurden oder tödlich verunglückten. Zu diesen Toten zählen auch fünf Kreuzberger Kinder, die in der Spree ertranken und nicht gerettet werden konnten. In der Untersuchung werden als Todesopfer außerdem acht DDR-Grenzsoldaten gezählt, die durch Deserteure, Kameraden, einen Flüchtling, einen Fluchthelfer und einen West-Berliner Polizisten getötet wurden. Mindestens 251 überwiegend ältere Menschen, die nicht zu den Grenztoten im engeren Sinne gehören, starben bei Kontrollen an Berliner Grenzübergängen, vorwiegend an den Folgen eines Herzinfarktes.

Viele Fälle wurden verschleiert

SED und Staatssicherheit haben viele Todesfälle geheim gehalten oder verschleiert, weil sie damit rechneten, dass die Gewalttaten an der Grenze im Westen registriert würden. Wie aus dem Handbuch hervorgeht, hatte die Stasi bei der Obduktion der Leichen, bei der Ausstellung der Totenscheine und bei der Bestattung das Sagen. In vielen Fällen wurden gegenüber Angehörigen falsche Todesumstände angegeben. Außerdem wurden sie zum Schweigen verpflichtet. Die Wahrheit über den gewaltsamen Tod erfuhren die Familien oft erst nach Öffnung der DDR-Archive und im Zuge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen.