Auf dem Weg zu einem europäischen Rüstungsmarkt
SICHERHEIT Der Lissabon-Vertrag wertet die Europäische Rüstungsagentur auf. Von einer starken Rolle ist sie aber noch weit entfernt
Der Militärtransporter kommt später, kostet mehr und wird weniger leisten als versprochen: 25 Milliarden Euro zahlen sieben europäische Staaten für das neue Flugzeug A400M. Jahrelang stritten Politik und Industrie über das derzeit größte Rüstungsprojekt Europas. Doch statt einen strahlenden Abschluss zu feiern, überbieten sich Politik und Industrie mit Vorwürfen. Als "Mission Impossible" bezeichnete Airbus-Chef Tom Enders den Ausgangsvertrag für die A400M und verlangte einen milliardenschweren Nachschlag. "Erpressung" nannte das Berliner Verteidigungsministerium das EADS-Verhalten. Dabei ist das Verhältnis zwischen Politik und Rüstungsindustrie nicht erst seit dem A400M zerrüttet.
Das Dilemma ist offensichtlich. Europa gibt viel Geld für Sicherheit und Rüstungsgüter aus, doch die Ergebnisse sind bisweilen mager. Auf dem Papier ist Europa eine sicherheitspolitische Supermacht: Fast zwei Millionen Soldaten bringen die europäischen Streitkräfte auf die Beine - 500.000 mehr als die USA. Zwar investieren die Amerikaner mehr als doppelt soviel in ihr Militär, aber die 200 Milliarden Euro der europäischen Verteidigungshaushalte sind in Zeiten der Wirtschaftskrise immer noch beeindruckend. Und doch führt dieser immense Aufwand nur zu einem bescheidenen Nutzen. Dreiviertel dieser beeindruckenden Streitmacht ist praktisch immobil, weil es an Ausrüstung, Transportkapazitäten und Kommunikationsmitteln fehlt.
Um den Globus
Das Problem ist bekannt, die erhoffte Abhilfe hat längst ein Türschild in Brüssel. EDA (European Defence Agency) lautet das Kürzel der Europäischen Rüstungsagentur, die seit 2004 die Rüstungsplanung, -beschaffung und -forschung in Europa koordinieren soll. Die EDA-Analysen liegen auf allen Schreibtischen: Zwei Jahrzehnte nach dem Kalten Krieg sei Europa immer noch auf einen Großangriff aus dem Osten angelegt, klagen die Militärs diesseits und jenseits des Atlantik. Dabei werden Europas Interessen längst rund um den Globus verteidigt: auf dem Balkan, bei der Piratenjagd vor Afrika, in Afghanistan. Oft ist nicht das richtige Material vor Ort, bemängeln die Militärs. Selten passt die Ausrüstung zusammen, wenn Briten, Franzosen und Deutsche gemeinsam in den Einsatz ziehen. Jeder plant und bestellt nach eigenem Gusto. Nicht zuletzt die unzähligen Sonderwünsche der europäischen Militärs brachten die A400M an den Rand des wirtschaftlichen und technischen Scheiterns.
Die EDA soll dafür sorgen, dass die europäischen Streitkräfte auf die neu definierten Anforderungen der EU ausgerichtet werden. Sicherheit ist in der EU jetzt Gemeinschaftsaufgabe. Im Reformvertrag von Lissabon ist die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ausdrücklich festgehalten. Sie umfasst etwa die Terrorismusbekämpfung, das Eingreifen in regionale Konflikte am Rande Europas oder sogenannte Stabilisierungseinsätze in Staaten wie Afghanistan. Das hat mit klassischer Landesverteidigung wenig zu tun.
Die Agentur soll da ansetzen, wo das Wettbewerbsrecht der EU aufhört. Der Rüstungsmarkt ist in Europa vor Wettbewerb geschützt, so wollen es die EU-Verträge zum gemeinsamen Binnenmarkt. Immerhin hat die Agentur erreicht, dass seit 2005 Rüstungsaufträge in Europa frei ausgeschrieben werden - auf freiwilliger Basis. Der Lissabon-Vertrag wertet die EDA nochmals auf. Sie erhält auf dem Papier gar den Status einer zentralen Planungsinstanz. Geradezu beschwörend beschreibt der deutsche EDA-Chef Alexander Weis seine Mission: "Ohne einen transparenten europäischen Beschaffungsmarkt und ohne eine starke und industrielle Basis wird der Versuch Europas, seine militärischen Fähigkeiten zu verbessern, scheitern".
Kürzungen als Chance
Weis kennt die Widerstände und muss fürchten, dass die EDA vorerst ein Papiertiger bleibt. Mit Catherine Ashton, der Hohen Repräsentantin für die EU-Außen und Sicherheitspolitik, hat er zwar eine politische Verankerung in der Kommission, doch von einer wirklich starken Rolle ist die EDA noch weit entfernt. Anders als etwa die europäische Weltraumagentur ESA hat die EDA bis heute kein Beschaffungsbudget. Argwöhnisch wachen die nationalen Verteidigungsbürokratien über Souveränität und Geldtöpfe. Die Masse der Mittel fließt immer noch in Projekte, deren industriepolitische Motivation offensichtlich ist. So finanziert Europa mit dem Eurofighter, der französischen Rafale und der schwedischen Saab Gripen immer noch drei milliardenschwere Kampfflugzeugprogramme. In der Heerestechnik tummeln sich gleich ein Dutzend europäische Unternehmen; allein Deutschland leistet sich mit Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall zwei Anbieter für einen kleiner werdenden Markt.
Konsolidierungen sind die Ausnahme: Lediglich mit EADS ist in den vergangenen zehn Jahren ein nennenswerter europäischer Branchenriese in der Luft- und Raumfahrtindustrie entstanden. Doch auch hier wird in nationalen Strukturen weitergearbeitet. Beim Bau der A400M verzettelte sich Airbus in einem kaum zu durchschauenden Geflecht nationaler Arbeitsteilungen - und leistete seinen Beitrag zum Beinahe-Scheitern des Projektes. Zumindest das soll sich ändern: Airbus muss den Transporter trotz Nachschlag zu Festpreisen liefern und ist zu transparenter Projektsteuerung verpflichtet.
Die EDA bleibt weiter bei der A400M außen vor und weiß doch die Zeit auf ihrer Seite. Denn mit der zwingenden Konsolidierung der europäischen Haushalte werden die Verteidigungsausgaben ab 2011 erheblich unter Druck geraten. Frankreich, Großbritannien und Spanien haben bereits den Rotstift angesetzt, Deutschland dürfte in diesem Sommer folgen. Das ist die Chance. Zaghaft, aber bestimmt greift die Behörde nach Zukunftsfeldern wie der gemeinsamen Entwicklung unbemannter Flugzeuge, arbeitet an gemeinsamen Satellitenprogrammen oder der Abwehr biologischer Waffen. Das Forschungsbudget für diese Aufgaben haben die Mitgliedstaaten seit 2006 auf 172 Millionen Euro verdreifacht. EDA ermittelt den Bedarf von morgen und definiert Standards. Damit kann die Behörde in Zukunft nicht mehr ganz umgangen werden.
Als strategisches Projekt hat sich EDA bereits die Planung des geplanten europäischen Schwerlasthubschraubers (HTH) gesichert, der ab 2020 fliegen könnte. Hubschrauber bieten ohnehin ein lohnenswertes Betätigungsfeld aus Sicht der Brüsseler Behörde. Ein vermeintlich kleines Projekt könnte noch zur Mammutaufgabe heranreifen. So organisiert die EDA unter den Mitgliedsländern erstmals ein multinationales Hubschraubertraining. Mensch und Maschine zusammenzubringen, ist gar nicht so einfach: Immerhin finden sich unter Europas 1.700 Militärhubschraubern nicht weniger als 21 Produktfamilien. Darunter ist der gerade neu eingeführte NH-90, den 14 Nationen mit insgesamt zwei Dutzend Sonderausführungen bestellt haben. Europa fängt eben manchmal im Flugsimulator an.
Der Autor ist Korrespondent des Handelsblatts in München