Hot Dogs und warme Bohnen
USA Obamas Wähler warten auf den Wandel. Amerikas Rezession ist formal gesehen vorbei, doch die Arbeitslosigkeit steigt
Velma Hart ist zur Stimme der enttäuschten Obama-Wähler geworden. Beim Townhall-Meeting des Präsidenten mit Kleinunternehmern in Washington Ende September bekam die Afroamerikanerin als erste das Mikrofon. Sie bekundete ihre anhaltende Sympathie für den Mann, in den sie 2008 so große Hoffnungen gesetzt hatte, aber ihre Frage war eine politische Anklage. Sie sei eine "Geschäftsführerin, Mutter und ehemalige Soldatin" und "habe eigentlich gedacht, dass die Zeit in meinem Leben, wo es nur für Hot Dogs und warme Bohnen reicht, längst vorüber ist". Bei der Wahl 2008 habe sie "für einen Mann gestimmt, der versprochen hatte, das Leben der Mittelklasse zu verbessern. Ich warte immer noch darauf. Ich kann den Wandel nicht fühlen." Sie wolle eine "ehrliche Antwort": Muss sie sich darauf einstellen, dass es auf Dauer nur für Hot Dogs und Bohnen reicht?
Offiziell ist die "große Rezession" seit mehr als einem Jahr vorüber. Statistisch endete sie im Juni 2009, gab das Nationale Amt für Wirtschaftsdaten kürzlich bekannt. Seither wächst Amerikas Volkswirtschaft wieder. Doch im Alltag der meisten Bürger ist die Erholung nicht zu spüren. Die Arbeitslosenrate verharrt knapp unter zehn Prozent - doppelt so hoch wie in normalen Zeiten. Ein Ende der ökonomischen Hängepartie ist nicht absehbar. Das Wachstum ist zu zaghaft. Mindestens 2,6 Prozent wären nötig, um die Arbeitslosenrate wenigstens konstant zu halten, und deutlich über drei Prozent, um die Quote zu senken. Im zweiten und dritten Quartal 2010 erreichten die USA jedoch nur 1,6 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahreszeitraum. So sind seit Beginn der Erholung paradoxerweise mehr Jobs verloren gegangen, als neu geschaffen wurden, rechnet die "New York Times" vor.
Angst und Stress
Amerikas Mittelklasse lebt in anhaltender Furcht vor dem ökonomischen Absturz, ob Selbständige oder abhängig Beschäftigte. Die Haushaltseinkommen stagnieren. Viele Familien geben das vorhandene Geld nur zögerlich aus. Sie waren es gewohnt, über zwei Einkommen zu verfügen, haben nun aber Angst, dass ein Verdiener oder gar beide die Arbeit verlieren. Deshalb kommen auch die Geschäfte der meisten Kleinunternehmen nicht wieder in Gang.
In den Vorstädten der Hauptstadt mit ihren typischen Einfamilienhaussiedlungen lässt sich der ökonomische Stress an den "Zu verkaufen"-Schildern in den Vorgärten ablesen. Im Detail ist eine kleine Besserung zu erkennen. Nur noch auf wenigen Schildern steht "Zwangsversteigerung". Äußerlich sieht es nach freiwilligen Verkäufen aus.
Leute wie die 27-jährige Leanna Harris und ihr Mann in Manassas haben eigentlich nichts falsch gemacht, jedenfalls keine Kreditverträge abgeschlossen, die sie sich von vornherein nicht leisten konnten. Zunächst sahen sie wie Krisengewinnler aus. 2008 kauften sie ihr zweistöckiges Reihenendhaus mit Backsteinfassade für 289.000 Dollar. Das klang damals wie ein Schnäppchen. 2006, auf dem Höhepunkt der Spekulationsblase, hatte der Erstkäufer 400.000 Dollar bezahlt. Er verlor das Heim durch Zwangsversteigerung.
Verkauf unter Schmerzen
Nun müssen auch die Harris' verkaufen, weil das Einkommen aus der Bar, die sie betreiben, gesunken ist und sie mit den Hypothekenzahlungen nicht mehr nachkommen. Immerhin, es ist keine Zwangsversteigerung, sondern ein "freiwilliger" Verkauf unter Schmerzen. 246.000 Dollar ist der Erlös, ein Verlust von 43.000 Dollar innerhalb von zwei Jahren. So bleibt ihnen ein sauberer "credit record", ihre Kreditwürdigkeit, erhalten.
In vielen Regionen der USA sinkt die Zahl der Zwangsversteigerungen, die normalen Immobilienverkäufe ziehen an. Kommentatoren interpretieren das als Beleg für ökonomische Erholung. Tatsächlich spiegeln viele dieser Hausverkäufe eher die anhaltende Krise wider.
Amerikas Mittelklasse leidet unter einer doppelt negativen Dynamik: Die Haushaltseinkommen sind heute, inflationsbereinigt, niedriger als vor zehn Jahren. Und die jüngste Rezession gehorcht nicht der Erfahrungsregel von früher, wonach auf die schlechten Monate eine um so lebhaftere Erholung folgt.
Über Jahrzehnte waren es die Amerikaner gewohnt, dass Einkommen und Lebensstandard steigen. Das gilt nicht mehr. Das durchschnittliche Familieneinkommen 2009 betrug 49.777 Dollar, im Jahr 2000 waren es noch 52.301 Dollar. Das "Wall Street Journal" spricht von einer "verlorenen Dekade". Die Familien reagieren unterschiedlich auf den finanziellen Druck. Manche verschieben geplante Anschaffungen wie ein neues Auto. Andere sparen an Arztausgaben oder den Bildungskosten der Kinder. Wieder andere greifen auf Ersparnisse und Pensionskonten zurück. Rentner, die ihren Ruhestand genießen wollten, suchen sich Nebenjobs, darunter auch die 70-jährige Mutter der enttäuschten Obama-Wählerin Velma Hart.
Gleichzeitig ist die Armutsrate auf den höchsten Stand seit 15 Jahren gestiegen. 44 Millionen Einwohner, das entspricht 14,3 Prozent, hatten 2009 weniger als das Existenzminimum zur Verfügung. Als Grenzwerte gelten 10.830 Dollar Jahreseinkommen für einen allein lebenden Erwachsenen vor Steuern und 22.050 Dollar für eine vierköpfige Familie.
7,3 Millionen Jobs vernichtet
Tiefe Konjunktureinbrüche mit einem negativen Wachstum bis zu 3,2 Prozent gab es in fast jedem Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die 18 Monate dauernde Rezession von Dezember 2007 bis Juni 2009 war jedoch die längste. Und sie führte zu einem neuen Negativrekord: Die Wirtschaftsleistung sank um 4,1 Prozent, sie vernichtete 7,3 Millionen Jobs, die Bürger verloren 21 Prozent ihres Vermögens.
Die aktuelle Erholung verläuft zudem zögerlicher als nach früheren Rezessionen. Nach den Einbrüchen 1973-75 und 1981/82 hatte die Wirtschaft die Verluste dank hoher Wachstumsraten von bis zu sieben Prozent in den Folgejahren rasch wettgemacht. Im Herbst 2010 dagegen liegt das BIP in den USA immer noch unter dem Wert vor Beginn der jüngsten Krise. Und da hatte das Land die Folgen der Einbrüche von 1999 und 2001 noch nicht ganz weggesteckt. Damals war erst die "IT"-Blase geplatzt, dann folgten die Terroranschläge von "9/11".
Am 2. November wird der Kongress gewählt - und so streiten die Parteien um die Interpretation der Wirtschaftslage. Viele Ökonomen halten Obama zugute, bei seinem Amtsantritt habe eine lang anhaltende "Große Depression" wie in den 1930 er Jahren gedroht. Die habe er mit der Kombination aus Bankenrettung, Konjunkturpaket und Stabilisierung bankrottgfährdeter Autokonzerne verhindert. Die Republikaner dagegen sprechen von "der Obama-Rezession" - so als habe er sie ausgelöst und nicht von seinem Vorgänger Bush geerbt. Sie finden auch Gehör mit ihrem Vorwurf, die Gesundheitsreform und die verschärfte Bankenaufsicht belasteten die Wirtschaft mit hohen Kosten, und das sei Gift für die Konjunktur. Obama sagt Wählern wie Velma Hart, er verstehe ihre Frustration. Aber er bitte sie noch um etwas Geduld. Es dauere eine Weile, bis die Reformen wirken. Das Land ist ziemlich genau in der Mitte gespalten. Obama und seine Demokraten müssen mit einer Niederlage rechnen. Die Wahlbeteiligung beider Lager wird entscheiden. Die Republikaner sind hoch motiviert, viele Demokraten wollen enttäuscht zu Hause bleiben.