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Reichtum ungerecht verteilt

BODENSCHÄTZE Ob Öl, Gold, Diamanten oder Coltan: Nur die Eliten profitieren von den wertvollen Rohstoffen. Die meisten Menschen leiden unter…

07.03.2011
True 2023-08-30T12:16:39.7200Z
5 Min

Die Schritte scheppern auf dem Eisensteg, mit jedem einzelnen wird es heißer. Golden erleuchten die riesigen Flammen die nigerianische Nacht. Sie geben den Blick frei auf Helen Ikris Arbeitsplatz. Zwei Abfackelanlagen speien die Abgase der Erdölförderung in die Luft. Es klingt wie das Getose eines Wasserfalls, wenn das Gas unter gewaltigem Druck aus den Leitungen strömt und verbrennt. Unten steht Helen Ikri. Die 35-Jährige trägt ein kurzärmliges Hemd - es war einmal weiß, Schweiß, Öl und Erde haben sich zu einem fleckigen Grau vermischt - und ein Kopftuch, damit die Haare nicht versengen. Sie schwitzt. Es ist 20 Uhr an diesem Sonntagabend. Seit dem Mittag steht sie hier, und versucht ein wenig von der Ölförderung des Landes zu profitieren.

Indirekt wohlgemerkt. Illegal, das ist der einzige Weg, der bleibt. Die Mutter von fünf Kindern trocknet auf dem Grundstück des Mineralölkonzerns Royal Dutch Shell Kassavas: Wurzelknollen, die in Wasser gegärt und zermalmt werden, bevor sie zu einer Art Brot trocknen. "Hier legen wir es vor die Flammen, so dass es nicht Tage, sondern nur sechs Stunden dauert", erzählt Ikri, die seit 25 Jahren fast jeden Tag hierherkommt. Die Shell-Manager wissen von der Lücke im Zaun, auch von dem illegalen nächtlichen Handwerk, den Zahlungen unter der Hand an das Wachpersonal. Doch das Unternehmen toleriert es. Umweltschutzorganisationen werfen Shell massive Umweltverschmutzung im Nigerdelta vor, die Anlagen wurden immer wieder Ziel von Anschlägen durch die wütende Bevölkerung. Wer so viel Schaden angerichtet hat, der nutzt kleine Möglichkeiten der Diplomatie.

Synonym für Ausbeutung

Die Region am Golf von Guinea gilt längst als Synonym für die Ausbeutung von Mensch und Umwelt. Viele Milliarden Liter Öl sind im Nigerdelta seit den ersten Funden im Jahr 1957 ausgetreten. Bilder der Verschmutzung vom Golf von Mexiko, wie sie im Frühjahr die Welt schockierten, gehören hier zum international kaum wahrgenommenen Alltag.

Während in der Hauptstadt Abuja im Norden Prachtbauten entstehen, bleibt es für die meisten Menschen im verarmten Süden bei vier Jahren Schulbildung. Auf eine weiterführende Schule kommen im Nigerdelta 14.000 Einwohner. "Die Bevölkerung ist das größte Opfer", sagt der Umweltaktivist Nnimmo Bassey, "ihr wurde jede Existenzgrundlage entzogen."

Das Nigerdelta gilt als das eindrucksvollste Beispiel für den Schaden, den Rohstoffreichtum in afrikanischen Ländern anrichten kann. Der Kontinent verfügt über zehn Prozent der weltweiten Ölreserven, 40 Prozent des weltweiten Goldes und knapp 90 Prozent der Vorräte an Chrom- und Platinmetallen. Eine breite Basis für eine rasche Steigerung des Lebensstandards. Doch der vermeintliche Weg aus der Armut entpuppt sich allzu oft als Sackgasse. Eine, die den Grad der Armut eher noch verstärkt.

Auf der einen Seite sind die nackten, fast verheißungsvollen Zahlen: Der Unternehmensberatung McKinsey zufolge waren natürliche Rohstoffe für ein Viertel des afrika-nischen Wirtschaftswachstums zwischen den Jahren 2000 und 2008 verantwortlich. Eine erfreuliche Bilanz, sagen die Ölmultis. Aussagekräftiger ist der Blick auf Menschen wie Helen Ikri. Sie ging wie die meisten in der Gegend nur vier Jahre zur Schule. Zunächst half sie ihrer Mutter beim Kassava-Trocknen. Später heiratete sie, doch der Mann starb vor sechs Jahren an Malaria. Sie selbst leidet chronisch unter Kopfschmerzen und Husten. Vermutlich wegen der Gase, so genau weiß das niemand - der nächste Arzt wohnt Stunden entfernt. Die Familie lebt in einer kleinen Hütte ohne Strom und fließendes Wasser.

Fluch des Reichtums

Wie in vielen Ländern profitieren nur kleine Eliten von den Handelserlösen. Schlimmer noch: In ländlichen Gegenden bleibt nicht nur das Problem, dass kein Geld ankommt. Neben der Umwelt werden durch die Fokussierung auf Öl andere Industrien kaputt gemacht, wie die Landwirtschaft. Die Nachfrage nach Öl ist so gewaltig, dass die staatliche Förderung anderer Wirtschaftszweige ausbleibt. Längst ist in Ländern wie Nigeria, Äquatorialguinea, Kongo, Sudan und Angola Erdöl mit Abstand der wichtigste Exportfaktor.

Dabei konzentriert sich China, das Afrikas Ressourcen für die Fortsetzung seines rasanten Wirtschaftswachstums braucht, immer mehr auf die großen Ölnationen - 85 Prozent der afrikanischen Exporte nach China stammen aus diesen fünf Ländern. Die unersättliche Nachfrage belebt das Geschäft: Angesichts des Bedarfs in den USA und der EU steigen die Preise enorm.

So stünden die Voraussetzungen eigentlich gut, den Jahrhundertealten Wirtschaftskreislauf zu durchbrechen. Seit Ende des 15. Jahrhunderts exportierte der Kontinent überwiegend Rohstoffe, im Gegenzug wurden verarbeitete Verbrauchsgüter, nicht selten aber auch Waffen, geliefert.

Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam dieses System vor allem den Kolonialherren zugute. Doch auch danach profitierte die breite afrikanische Bevölkerung wenig von dem natürlichen Reichtum ihrer Erde. Länder mit enormen Ressourcenreichtümern waren Schauplatz einiger der größten humanitären Katastrophen seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Mit Diamanten, Gold, Zinn und Coltan wurden über Jahrzehnte hinweg blutige Konflikte finanziert, die auch wegen dieser Schätze ausbrachen.

Coltan, das für den Bau von Handys, Laptops und Digitalkameras verwendet wird, ist heute das bekannteste Konflikt-Mineral. Mit dem Internet-Boom der späten neunziger Jahre stieg der Kilogramm-Preis auf über 600 US-Dollar, Kriegsfürsten vor allem im Kongo profitierten von den Förderungen in "ihren" Gebieten. Die meisten Handyhersteller versichern inzwischen, dass sie ihre Waren nicht aus Konfliktgebieten beziehen, doch es mangelt an einem transparenten Zertifikatssystem. Ob Öl oder Coltan, direkt oder indirekt: Die Antriebsstoffe der Industrie- und Schwellenländer werden immer wieder zum Bürgerkriegskatalysator in Ländern mit schwachen staatlichen Institutionen. Rivalisierende Gruppen streiten um Wohlstand und finanzieren mit den Einkünften ihre Bürgerkriege.

Ein hartes Leben

So erlebte Helen Ikri die Öl-Verschmutzungen, Bürgerkriege und eine Militärherrschaft. Doch selbst seit der Rückkehr zur Demokratie in Nigeria vor zwölf Jahren hat sich ihr Leben wenig verändert. "Ich arbeite jeden Tag. Morgens um sechs Uhr komme ich auf die Anlage, abends und elf Uhr gehe ich", erzählt sie, "ich kenne keine Freizeit". Die Nachfrage nach Kassava-Chips ist groß, nicht zuletzt, weil Fisch angesichts der massiven Wasserverschmutzung knapp ist: Die zehn Frauen, die mit ihren Kindern illegal auf der Shell-Anlage arbeiten, teilen sich den Gewinn. Auf dem Markt bekommen sie 500 Nigerianische Naira für einen getrockneten Rost, umgerechnet knapp 2,50 Euro. So verdienen die Familien rund zehn Euro am Tag - im Nigerdelta, einer der ärmsten Gegenden der Welt, ist das viel. Gemessen an den Reichtümern, die sonst hier verdient werden, ist es unbegreiflich kleine Summe.

Ikri hat sich mit ihrem Schicksal abgefunden, sie beschwert sich nicht. Ein wenig Hoffnung bleibt, dass es ihren fünf Kindern einmal besser gehen wird.

Christian Putsch arbeitet als freier Sudafrika-Korrespondent