Flussperlmuscheln am Todesstreifen
UMWELT Die einstige innerdeutschen Grenze ist ein Refugium für seltene Tiere und Pflanzen
Ende August steht das wohl originellste Naturschutzgebiet der Welt auf dem Besuchsprogramm des Tourismusausschusses des Bundestags: 1.393 Kilometer ist dieses "Grüne Band" lang, aber nur 50 bis 200 Meter breit. Es schlängelt sich von der Ostsee bis zum Fichtelgebirge durch viele der für Deutschland typischen Landschaften. Besonders interessant aber ist seine Geschichte, handelt es sich doch beim Grünen Band um die einstige innerdeutsche Grenze.
Die war schon in ihrer Zeit als "Todesstreifen" ein Brennpunkt der Artenvielfalt und Rückzugsgebiet der Natur. Da man damals von Westen bis unmittelbar an die Grenze gehen konnte, fand der damalige Gymnasiast Kai Frobel bereits in den 1970er Jahren in der Nähe der oberfränkischen Städte Coburg und Kronach heraus, dass etliche Tier- und Pflanzenarten im so genannten Todesstreifen lebten, die sonst eher von den Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Arten bekannt waren. Dort ackerte und arbeitete nämlich kaum jemand. Die Natur blieb daher sich selbst überlassen - und das tat ihr gut.
85 Prozent nicht zerstört
Als die innerdeutsche Grenze im Spätherbst 1989 plötzlich durchlässiger wurde, war Kai Frobel längst im Bund Naturschutz in Bayern (BN) aktiv. Gemeinsam mit Naturschützern aus der noch existierenden DDR war er die treibende Kraft hinter einem 1989 begonnenen Vorhaben: Der ehemalige hundert Meter breite Grenzstreifen sollte als Naturschutzgebiet erhalten bleiben.
Tatsächlich sind mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung 85 Prozent des Grünen Bandes Deutschland nicht durch Äcker, intensives Grünland oder Straßen zerstört. Im Jahr 2003 übernahm der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow die Schirmherrschaft über das Projekt. Ebenfalls seit 2003 machen sich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Naturschutzorganisation Euronatur und das Bundesamt für Naturschutz für eine Ausdehnung auf den gesamten Eisernen Vorhang zwischen Eismeer und Schwarzem Meer stark.
Das Dreiländereck zwischen Sachsen, Oberfranken und Tschechien zeigt an einem Beispiel die Bedeutung dieses Riesenprojekts: Dort leben noch beinahe 100.000 Flussperlmuscheln, weltweit stark gefährdet und in Deutschland vom Aussterben bedroht, brauchen sie doch naturnahe Bäche, die sich durch Wiesen und Wälder schlängeln. Solche Gewässer wurden fast überall begradigt, nur in abgelegenen Regionen wie am Eisernen Vorhang blieben die Bachwindungen erhalten. Dort fließt das klare Wasser langsam durch die Schleifen und die Flussperlmuschel kann im Bachgrund Nährstoffe aus dem Wasser filtrieren. Werden die Wiesen an den Ufern gedüngt, sickern zu viele Nährstoffe in den Bach. Dann verschwinden die Fische, in deren Kiemen die Larven der Muscheln wachsen. Und das Sandbett verschlammt, in dem sich die kleinen Muscheln später weiter entwickeln. Das Grüne Band bietet also eine der letzten Kinderstuben für die Flussperlmuschel, die mit 250 Jahren ein wahres Methusalem-Alter erreichen kann.
Der Autor lebt als freier Journalist in Lehnin.