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Schreiende Ungerechtigkeit

ENTGELTGLEICHHEIT Frauen verdienen rund 23 Prozent weniger als Männer. Die SPD will per Gesetz eingreifen

18.06.2012
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4 Min

Männer und Frauen sind gleichberechtigt", sagt das Grundgesetz. "Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen", sagt die Grundrechte-Charta der EU. "Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher", sagt der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Frauen verdienen fast ein Viertel weniger als Männer, sagt das Statistische Bundesamt. Wie aus seiner Veröffentlichung aus Anlass des diesjährigen Equal Pay Day hervorgeht, war der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen 2011 rund 23 Prozent niedriger als der von Männern - genau wie 2010. Damit liegt Deutschland am Ende der EU-Skala. Nur in Österreich und Tschechien war der Unterschied zwischen Frauen und Männern 2010 noch größer.

Ein "Skandal", findet Andrea Nahles (SPD), "das ist Entgeltdiskriminierung". Am vergangenen Donnerstag forderte sie den Bundestag auf, diese Diskriminierung zu beseitigen. Grundlage für die Kernzeitdebatte war ein Entwurf ihrer Fraktion für ein Entgeltgleichheitsgesetz (17/9781). Zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit müsse der Gesetzgeber den strukturellen Defiziten des geltenden Rechts abhelfen, fordern die Abgeordneten darin. Es müsse ein Rahmen geschaffen werden für die Prüfung und Beseitigung von Entgeltungleichheit.

Schuss übers Ziel

Die Gründe für die Lücke zwischen den Löhnen und Gehältern sind in Deutschland hinlänglich bekannt. Es gibt zu wenig Frauen in gut bezahlten Branchen, zu wenig Frauen in Spitzenpositionen, Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit als Männer, sie haben häufigere und längere familienbedingte Erwerbsunterbrechungen. Und nach wie vor sind Berufe, die als typische Frauenberufe angesehen werden - etwa Erzieherin oder Arzthelferin - in der Gesellschaft weniger anerkannt und schlechter bezahlt als andere Berufe, zum Beispiel Ingenieur und Industriearbeiter.

Über diese Gründe sind sich alle Fraktionen einig. Einig ist man sich auch, dass dieser Zustand im Grunde unhaltbar ist und verändert werden muss. Allein mit welchen Mittel dagegen vorgegangen werden soll, da ist man sich uneins. Während die SPD-Fraktion eine gesetzliche Regelung fordert und Grüne und Linke sich ihr anschließen, lehnen die Koalitionsfraktionen ein Entgeltgleichheitsgesetz ab. Vor allem die FDP-Fraktion fürchtet einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Doch auch in der Union herrscht Skepsis.

Lohngefälle

"Sie sind etwas über das Ziel hinausgeschossen", sagte die CDU-Abgeordnete Nadine Schön am Donnerstag Richtung SPD-Fraktion. Nicht allein die Politik sei in der Verantwortung, sondern auch die Unternehmen und Tarifparteien. Zudem sei die Rechtslage schon heute eindeutig, ergänzte Matthias Zimmer (CDU). Die Antwort auf das geschlechterbedingte Lohngefälle könne nicht vereinfacht "mehr Staat" heißen. Der vorliegende Gesetzentwurf bedeute ein Mehr an Verwaltung und steigende Kosten. Gut an der Vorlage sei lediglich die Stärkung der Individualrechte: So könne die Auskunft darüber, welche Kriterien bei der Entgeltfindung herangezogen worden seien, den Druck auf die Betriebe erhöhen.

Auch die frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Nicole Bracht-Bendt, sprach sich für die Stärkung des Individuums aus: "Dass Frauen selbstbewusster ihre Rechte einfordern und ihre Karriere verfolgen, ist nicht das einzige Ziel, das wir gemeinsam verfolgen müssen, wohl aber ein wichtiges", betonte sie. Als besten Weg zu fairen Gehaltsstrukturen nannte sie die Offenlegung der Gehälter. Wenn klar sei, in welchen Bereichen und auf welcher Ebene Differenzen bei den Gehältern bestünden, schaffe dies nicht nur für das Unternehmen Klarheit. Sie sei sich sicher, dass sich auch unter Bewerbern herumsprechen werde, welche Unternehmen Männern mehr zahlten als Frauen.

Freiwilligkeit bringt nichts

"Eine schlechtere Interessenvertretung für Frauen in dieser Frage hat es in Deutschland noch nicht gegeben", kritisierte dagegen SPD-Generalsekretärin Nahles mit Blick auf Koalition und Regierung. Sie beklagte, dass das Thema Entgeltgleichheit - der sprichwörtlichen "heißen Kartoffel" gleich - von Ministerium zu Ministerium geschoben werde. Zwar werde das Problem erkannt - "ich muss das loben" -, jedoch würden Lösungen weder angeboten noch umgesetzt. Tarifpartner und die Verantwortlichen in den Betrieben müssten endlich per Gesetz dazu verpflichtet werden, sich um dieses Problem zu kümmern, forderte Nahles.

Mittlerweile müsste klar sein, dass freiwillige Regelungen zu nichts führen, ergänzte Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zur Bekräftigung führte sie weitere Zahlen an: Demnach verdienen Frauen in Baukonstruktionsberufen rund 30 Prozent weniger als Männer, Physikerinnen etwa 24 Prozent weniger und Grafikerinnen in der Regel 33 Prozent. Entgeltungleichheit sei nicht nur ein "Nischenproblem der klassischen Frauenberufe", betonte Müller-Gemmeke. Die Bundesregierung habe das Problem in seiner Reichweite nicht erkannt: Es gehe um den gesellschaftlichen Wert von Arbeit und Frauen - "also auch um Wertschätzung".

Die Fraktion Die Linke begrüßte den Gesetzentwurf zwar ebenfalls, wertete ihn jedoch als nicht ausreichend. So werde das Verbandsklagerecht, etwa für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, faktisch aufgegeben, kritisierte Cornelia Möhring (Die Linke). Stattdessen müssten die Betroffenen in mühsamen Einzelklagen vorgehen. Die Entgeltungleichheit sei ein viel zu ernstes Thema, um nur nett zu bitten. "Das ist schlicht Lohnraub", betonte sie. Und für Raub müssten Räuber eigentlich für lange Zeit ins Gefängnis.