Helm an Helm in der Schusslinie
DEMONSTRATIONSRECHT Die Polizei muss genehmigte Neonazi-Aufmärsche schützen - mit allen Konsequenzen
Die Tage vor Kundgebungen der Rechtsextremisten, von diesen gern als "Trauermarsch" anlässlich eines Jahrestages alliierter Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs oder als "Heldengedenken" an deutsche Soldaten tituliert, ähneln sich häufig: Auf Betreiben des Bürgermeisters oder der Polizei wird der Marsch der Neonazis verboten - und dann, kurz vor dem Termin, vom zuständigen Verwaltungsgericht doch zugelassen. Die Zivilgesellschaft - von Politikern über die breite Bevölkerung bis zur Antifa - reagiert alarmiert. Unter Motti wie "Dresden nazifrei", "München ist bunt" oder "Wir können sie stoppen" rufen sie zur Gegendemonstration auf.
In Alarmbereitschaft versetzt wird mit dem Entscheid der Richter aber auch die Polizei. Beinahe über Nacht werden Hundertschaften, von denen man gehofft hatte, sie nicht zu benötigen, über Ländergrenzen hinwegzum Dienst beordert. Schon ein "Trauermarsch" wie der diesjährige in Lübeck, bei dem am Ende kaum 150 Neonazis auf zwei- bis dreitausend Gegendemonstranten treffen, bindet schnell einmal 1.800 Polizisten. "An Wochenenden, an denen auch diverse Fußballspiele Kräfte binden, ist die Kapazitätsgrenze da häufig bald erreicht", erklärt Rüdiger Holecek, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GDP). Das Argument, angesichts der zu erwartenden Auseinandersetzungen die Sicherheit nicht gewährleisten zu können, ist dann auch das zugkräftigste in dem Bemühen, eine Neonazi-Demo verbieten zu lassen. Manchmal lassen sich die Verwaltungsgerichte davon beeindrucken - immer wieder heben sie ein Demonstrationsverbot aber auch mit der Begründung auf, der sogenannte "polizeiliche Notstand" könne nur als "ultima ratio" in "extremen Situationen" geltend gemacht werden.
Ein hohes Gut
Die Szenen solcher Demonstrationen und Gegendemonstrationen treffen die Menschen vor Ort wie an den Bildschirmen ins Mark: Schild an Schild, Visier an Visier, Helm an Helm sichern Polizisten den Marsch rechtsextremer Gruppierungen gegen ihre Gegner ab. Das Unverständnis über diese Vorgehensweise mündet nicht selten in dem lautstark skandierten Slogan: "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten". Den Polizisten, darauf weist die GdP hin, sind dabei die Hände gebunden: "Das Demonstrationsrecht ist unteilbar und ein hohes Gut", sagt Holecek, "und wenn eine Demonstration nicht verboten ist, haben wir den Auftrag, sie zu schützen - was immer für Meinungen dort auch kund getan werden."
Damit aber gerät die Polizei immer wieder, und zwar beinahe wörtlich, in eine Schusslinie: Nicht selten enden die Auseinandersetzungen mit Gewalt gegen Polizisten. Die wird allerdings häufig nicht von Seiten der Neonazis, sondern von Autonomen oder der radikalen Antifa, verübt. Das "polizeiliche Problem mit linken Gegnern" sei nicht zu verachten, sagt Holecek - und zwar nicht nur bei Neonazi-Aufmärschen, sondern auch bei regelmäßig wiederkehrenden Demos der Linken. "Wer zum Beispiel die sogenannte revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin kennt, weiß, dass solche Veranstaltungen einer regelrechten Choreographie folgen. Nichts ist wichtiger, als am Ende sagen zu können: Guckt mal, was Polizisten für Schweine sind!"