Raus aus den Kinderschuhen
BUNDESFREIWILLIGENDIENST 34.000 Teilnehmer sind eine gute Bilanz. Der Teufel steckt noch im Detail
Vor dem "Spielhaus Schillerstraße" in Berlin-Charlottenburg bietet sich dem Besucher an diesem Nachmittag ein idyllischer Anblick: Ein kleiner blonder Junge fährt seine Schwester auf einem roten Dreirad mit Anhänger zwischen den Sandkästen spazieren. Ein paar Mütter spielen mit ihren Kindern, die gerade einmal laufen können. Bunte Plastikeimer liegen im Sand.
Sara-Carolina Novak schaut sich strahlend um. Die 19-Jährige hat zwölf Monate als Teilnehmerin des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) die Angebote des "Spielhauses" mitgestaltet. Getragen wird der "pädagogisch betreute Spielplatz mit Kinderhaus" von der baptistischen Friedenskirche Charlottenburg, die seit 2011 Aktivitäten für Kinder bis zwölf Jahre organisiert. "Ich wollte nach dem Abitur noch etwas zur persönlichen Weiterentwicklung machen", sagt Novak, und da sie selbst Baptistin ist, war der Weg ins Spielhaus für sie kein Umweg. Es sei eine Zeit gewesen, die sie "unglaublich weitergebracht" habe. Zunächst half sie beim Aufbau des Jugendclubs, dann betreute sie die Kinder im Spielhaus. "Ich habe mit ihnen gebacken und gekocht, Sportturniere veranstaltet, ihnen bei den Hausaufgaben geholfen", erzählt sie.
Ende der Wehrpflicht
Novak ist eine von zurzeit mehr als 34.000 "Bufdis". Der Bundesfreiwilligendienst entstand in Folge der Aussetzung der Wehrpflicht und damit auch des Zivildienstes zum 1. Juli 2011 - einer der größten politischen Einschnitte in der Geschichte der Bundesrepublik. Den Zivildienst hatten seit seiner Einführung 1961 rund 2,7 Millionen junge Männer in Altenheimen, Jugendclubs, Kinderheimen, bei Rettungsdiensten und anderen Einsatzstellen geleistet, die diese Kräfte dringend brauchten. Das Bundesfreiwilligendienstgesetz wurde am 28. April 2011 vom Bundestag beschlossen und trat wenige Tage später in Kraft. Alle Einrichtungen, die vorher schon Zivildienstleistende beschäftigt hatten, wurden automatisch als Einsatzstellen des Bundesfreiwilligendienstes anerkannt.
Kritische Stimmen
Wohlfahrtsverbände und Oppositionsparteien reagierten skeptisch auf die Vorschläge der Bundesregierung. Denn es gibt einige deutliche Unterschiede zum Zivildienst. Zum einen ist die Zahl der Plätze auf bundesweit 35.000 begrenzt. Zum anderen ist die Teilnahme offen für alle Menschen, die die Schule abgeschlossen haben. Damit sollen ausdrücklich auch ältere Bürger angesprochen werden. Diese müssen nicht unbedingt Vollzeit-Dienst leisten, sondern nur mehr als 20 Stunden pro Woche. Der Dienst dauert in der Regel zwischen sechs und 18 Monaten. Inhaltlich ähnelt der Bundesfreiwilligendienst dem parallel bestehenden Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ). Die "Bufdis" arbeiten in Krankenhäusern, Kinderheimen, Museen und anderen sozialen, ökologischen oder kulturellen Einrichtungen.
Zwei Jahre danach sind die kritischen Stimmen immer noch nicht ganz verstummt. "Der Freiwilligendienst an sich macht Sinn und ist auch gut so", sagt Sönke Rix, SPD-Obmann im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement des Deutschen Bundestages. Allerdings kritisiert er, dass das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) sowohl Träger sei als auch die Zentralstelle, die die Gelder vergebe. Träger sollten ausschließlich die Einrichtungen sein, bei denen die Teilnehmer arbeiteten, argumentiert Rix.
"Das qualitative Niveau des BFD ist nicht das, was wir uns wünschen", sagt Ulrich Schneider, Sprecher für bürgerschaftliches Engagement der Grünen. Die Fortbildung der Teilnehmer, die im Gesetz festgehalten sei, sei noch nicht überall auf einem guten Niveau. Insbesondere Menschen, die älter als 27 Jahre seien, bekämen oft noch keine sinnvolle pädagogische Begleitung. Das Programm sei noch zu sehr auf den Zivildienst zugeschnitten, so sein Einwand.
Florian Bernschneider, jugendpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, gibt zu, dass die Seminare für Ältere verbessert werden müssen. "Das war ja auch eine völlig neue Einrichtung." Grundsätzlich sei er aber mit der Öffnung des Freiwilligendienstes für Ältere zufrieden. Die Doppelrolle des Bundesamtes als Träger und Geldgeber sehe er weniger kritisch als seine Oppositionskollegen. Das Bundesamt sei so organisiert, dass andere Träger dadurch nicht benachteiligt werden, sagt der Liberale.
Harald Koch, für Die Linke Mitglied im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement, kann speziell der Altersöffnung nichts abgewinnen. "Das hat eine ganz klare Konkurrenz zum ersten Arbeitsmarkt geschaffen." Kommunen sicherten mit den Teilnehmern Aufgaben, die vorher Festangestellte erledigt hätten.
"Der Bundesfreiwilligendienst ist auf Erfolgskurs und übertrifft alle Erwartungen", betont dagegen der Vorsitzende des Unterausschusses, Markus Grübel (CDU). "Den Freiwilligen gebührt unser Dank, unser Respekt und unsere Anerkennung." Mit einer Reihe von begleitenden Maßnahmen, darunter die Steuerfreiheit des Taschengeldes im BFD und die Kindergeldregelung, habe die Regierung den BFD attraktiver gemacht. (Siehe auch Interview auf Seite 2).
Alternative zur Arbeitslosigkeit
Im Mai dieses Jahres hat das Centrum für soziale Investitionen und Innovationen der Universität Heidelberg zusammen mit der Hertie School of Governance eine Studie zu den Über-27-Jährigen veröffentlicht und diese auch im Unterausschuss für Bürgerschaftliches Engagement des Bundestages vorgestellt. Aufgefallen ist den Wissenschaftlern, dass die Altersgruppe der Über-27-Jährigen vor allem in ostdeutschen Bundesländern stark vertreten ist.
Das zeigt sich, wenn man die Zahlen von Sachsen und Baden-Württemberg vergleicht. Die Zahl der Freiwilligen mit jeweils mehr als 4.000 ist zwar fast identisch. In Baden-Württemberg sind jedoch mehr als 80 Prozent der "Bufdis" unter 27 Jahre, in Sachsen sind mehr als 80 Prozent über 27 Jahre alt. Einer der Gründe dafür sei die regionale Lage am Arbeitsmarkt, schreiben die Wissenschaftler. "Für viele Arbeitssuchende ist der Dienst eine Alternative zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die in vielen Regionen zeitgleich mit Einführung des BFD gekürzt oder abgeschafft wurden", heißt es in der Kurzfassung der Studie. So hätten mehr als 60 Prozent der Ü27-Freiwilligen im März 2013 ihren Dienst gleich für die vollen 18 Monate angetreten oder auf diese Maximalzeit verlängert.
Öffnung als Chance
Die Arbeiterwohlfahrt hat diese Öffnung für Ältere begrüßt. "Wir haben darin schon eine Chance gesehen", sagt Susanne Rindt vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Berlin. Das Problem: Der BFD soll arbeitsmarkpolitisch neutral sein. Das heißt, die Freiwilligen sollen hauptberufliche Mitarbeiter in den Einrichtungen nicht ersetzen. "Nicht in jeder Einrichtung ist aber klar, was ist zusätzlich. Es gibt da einen Graubereich", erläutert Rindt. Zum Beispiel ergreife eine Altenpflegerin den Beruf nicht nur, um Menschen körperlich zu versorgen. "Sie möchte auch die Zeit haben, am Bett eines Bewohners zu sitzen und mit ihm Gespräche zu führen." Würden diese Aufgaben nun ausschließlich als etwas "Zusätzliches" von Freiwilligen übernommen, wäre das für viele Pflegekräfte sicherlich schwierig, vermutet sie.
Wenn es aber gelinge, den BFD zu einem Lern- und Orientierungsdienst auszubauen, sei das speziell für die älteren Teilnehmer ein Gewinn. "Aber wir haben noch nicht flächendeckend Konzepte dafür", stellt die AWO-Mitarbeiterin fest. Dabei stecken die Probleme im Detail: So haben einige der westlichen AWO-Bezirksverbände nur wenige ältere Teilnehmer, die weit entfernt voneinander eingesetzt werden. Ihnen zentrale Seminare anzubieten, ist gerade in den großen Flächenländern nicht einfach. "Eventuell haben die Teilnehmer auch noch familiäre Verpflichtungen, weswegen ein Fünf-Tage-Seminar mit mehrstündiger Anreise und Auswärtsübernachtung für sie nicht in Frage kommen." Dazu komme, sagt Susanne Rindt, dass ältere Menschen sowohl mit Fortbildungen als auch mit Gruppen häufig anders umgingen.
Sara-Carolina Novak hat aus ihrem Freiwilligendienst im "Spielhaus" eine Menge für sich selbst und über sich selbst gelernt. "Nach dem Abitur wusste ich noch gar nicht, wo ich beruflich hinwollte", sagt sie. Inzwischen hat sie sich entschieden, Sozialarbeit in Bochum zu studieren. Das wird sie mit einem gestärkten Selbstbewusstsein beginnen. Im Spielhaus habe sie erfolgreich mit den Schülern gelernt, beim Straßenfest den Bobby-Car-Parcours beaufsichtigt und mehrfach Streit geschlichtet. "Ich war so eine Art Vertrauensperson für die Kinder." Eine große Überraschung für Novak. "Denn ich dachte, ich habe keine Ausstrahlung auf Kinder."