Aus dem tiefen Tal nach oben
FDP II Die neue Kraft der FDP soll aus den Landtagen und dem Europaparlament kommen. Die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden soll als "Maschinenraum" dienen
Als Erststimmen-König der FDP gelang bei der Wiedervereinigungswahl 1990 Uwe Lühr mit 34,5 Prozent im Wahlkreis Halle an der Saale der Gewinn des Direktmandats, zum ersten Mal für die Liberalen seit 1957. Im selben Wahlkreis konnte Außenamts-Staatsministerin Cornelia Pieper bei der jüngsten Wahl gerade mal 2,1 Prozent für sich zusammenkratzen. Das ist eines jener desaströsen Ergebnisse, angesichts dessen dem ausgeguckten liberalen Reanimator Christian Lindner ausgesprochen blümerant werden müsste. Unter Parteistrategen gilt nämlich das ungeschriebene Gesetz: Im Osten kannst du zwar keine Wahlen gewinnen, aber gründlich verlieren.
Wie gerade erst am 22. September. Meist eine Zwei vor dem Komma, nirgends mehr als eine Drei: In Berlin und den neuen Ländern geriet die FDP so tief in den Keller, dass sie damit auch republikweit an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Lindner ließ indes seit seiner selbst ausgerufenen Kandidatur für den Parteivorsitz eines nicht erkennen: Dass er die Zutaten für eine spezielle Ost-Rezeptur zur FDP-Genesung im Kopf hat.
Nicht mehr schrill
Und dies ist nur eine Facette der Schwundsucht, die den Liberalen nun nachhaltig zusetzt: Personalnöte und Finanzsorgen, viel weniger Zuarbeiter. Drastisch verminderte Casting-Chancen für Rollen auf der politischen Bühne kommen hinzu. Doch der künftige Vorsitzende will nicht durch schrille Auftritte mehr Aufmerksamkeit erzwingen. Das ist seit dem Guido-Mobil und Schuhsohlen-Wahlkampf tabu.
Immerhin verweist Parteisprecher Peter Blechschmidt auf eine "wieder positive Bilanz" bei der Mitgliederentwicklung: 58.675 Mitglieder waren Ende 2012 registriert. Dann ging es weiter bergab. Doch seit der Landtagwahl in Bayern - eine Woche vor der Bundestagswahl - seien rund 1.000 Eintritte bei nur 300 Austritten verzeichnet worden.
Balsam für Lindners Seele ist das. Dessen ungeachtet: "Ich mache mir keine Illusionen, dass es schwierig wird", hat der 34-jährige der "Zeit" gesagt, von einer "ganz persönlichen Mission" gesprochen: "Wenn ich die FDP 2017 zurück in den Bundestag führe, bleibe ich Politiker. Sonst nicht."
Was auch sonst? Im Misserfolgsfall müsste er zwangsläufig den Rösler machen. Dabei streicht Lindner ziemlich unverhohlen heraus, dass er es besser gemacht hätte als der gescheiterte Philipp Rösler. Vor gut zwei Jahren formierte sich die Boy-Group, die Guido Westerwelle als Vorsitzenden in die Wüste schickte: Rösler, der Vorsitzender wurde, Lindner, der Generalsekretär blieb - dazu Daniel Bahr, angelockt vom Gesundheitsminister-Sessel. Linder warf alsbald spektakulär die Brocken hin - "aus politischen Gründen", wie er heute sagt. Das heißt: Er wusste es besser, wie die FDP zu revitalisieren sei. Rösler ließ ihn nicht.
Jetzt lässt ihn die Partei. An seiner Wahl beim Parteitag am 7. und 8. Dezember in Berlin gibt es keinen Zweifel. Doch die Rahmenbedingen haben sich eben drastisch verschlechtert. Kein Bundestagsabgeordneter mehr statt bislang 93 - damit fallen auf einen Schlag in Fraktionsapparat und Wahlkreisbüros 600 Stellen weg - von der Sekretärin bis zum wissenschaftlichen Mitarbeiter. Vor allem fehlen hauptberufliche Politiker auch für die Parteiarbeit.
Otto Fricke (48) zum Beispiel, einer der Vorleute der alten Bundestagsfraktion. Lindner schätzt ihn, baut auf weitere Zusammenarbeit. Nur: Jurist Fricke muss jetzt vordringlich an seinen Broterwerb denken - ebenso wie Daniel Bahr (36). Immerhin genießt Hermann Otto Solms (72) das Privileg, als ausgeschiedener Bundestagsvizepräsident noch bis zu vier Jahre über Büro und Sekretariat verfügen zu können. Lindner möchte ihn wieder als Schatzmeister für die Partei gewinnen.
Hauptberuflich wird die scheidende hessische Kultusministerin Nicola Beer (43) die Operation Wiederbelebung managen. Lindner will sie sich vom Parteitag als neue Generalsekretärin an seine Seite stellen lassen.
Freilich: Sie muss sich mit einer deutlich abgespeckten Parteizentrale begnügen. Es gab bereits Vertragsauflösungen, Personalgespräche laufen: "In den kommenden Jahren werden voraussichtlich noch etwa 20 der zuletzt 38 Mitarbeiter beschäftigt sein", so Blechschmidt. Ohnehin komme in der Bundesgeschäftsstelle "grundsätzlich alles auf den Prüfstand" - von Zeitungsabos bis Telefonkosten.
Offenbar türmt sich ein Schuldenberg von über acht Millionen Euro auf. Blechschmidt spricht von einer "angespannten Finanzlage". Er rechnet vor, dass die FDP wegen des Rückgangs an Wählerstimmen im Vergleich zu 2009 circa 3,8 Millionen Euro an Wahl-kampfkostenerstattung pro Jahr verliert. Ob die Spendenfreudigkeit schrumpft, weil die FDP im Bundestag nicht mehr mitreden kann, sei "nicht abzuschätzen". Jedenfalls dürfte insgesamt der Etat der FDP jeweils in den nächsten Jahren um 2,2 bis 2,5 Millionen Euro geringer als 2013 ausfallen.
Schrumpfkur bei der Bundespartei: Lindner baut jetzt in erster Linie auf die verbliebenen Volksvertreter. Derzeit sitzen zwölf im Europäischen Parlament. Die Europawahl im kommenden Mai wird der erste Test der neuen FDP-Befindlichkeit. Die Partei könnte davon profitieren, dass in Deutschland die fünf Prozent-Hürde auf drei Prozent gesenkt wurde.
Dem rigorosen Verriss des euroskeptischen Kurses von Frank Schäffler, wie er etwa vom Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher geäußert wurde, mag sich Lindner nicht anschließen: "Die FDP ist die Partei der Meinungsfreiheit." Schäffler hatte im Bundestag alle Hilfsprogramme abgelehnt.
In erster Linie setzt Lindner auf die Verankerung der FDP in den Kommunen - dort hat die 1.000 Mandatsträger. Dazu kommen die Länder mit 92 Abgeordneten. Unversehens rückt ein bisher in der Partei reichlich unbedeutendes Gremium in den Mittelpunkt: die Konferenz der Fraktionschefs. Ihr Vorsitzender, Christian Dürr aus Niedersachsen hat sie zum "Maschinenraum der FDP" erklärt.
Die Maschinisten sitzen in neun Landtagen - in Baden-Württemberg und Hessen, in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, in Thüringen und Sachsen, in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Damit muss sich die FDP zwar noch nicht wieder den Spott anhören, sie sei "eine Dame ohne Unterleib" - stark nur auf Bundesebene. Aber immerhin saßen liberale Abgeordnete 1992 und 2011 kurzzeitig in allen 16 Landtagen. Die Unterleibs-Diät aber geht wohl weiter: Im nächsten Jahr wird in drei Bundesländern gewählt. In Brandenburg, Thüringen und Sachsen deuten die Umfragen klar auf einen Rausschmiss der Partei aus den Parlamenten hin. Was für Lindner bedeuten würde: Er kann als neuer FDP-Chef im Osten schwerlich große Erfolge verbuchen - aber scheitern.
Der Autor ist Korrespondent der "Westfälischen Nachrichten" in Berlin.