Da kommt Horst
REGIERUNGSERKLÄRUNG Seehofer ist für Mütterrente und gegen Bildungsreform in Bayern. Bürger sollen mehr Mitsprache erhalten
Über einen Satz seiner Regierungserklärung freute sich Horst Seehofer besonders. So sehr, dass er ihn mit verschmitztem Lächeln genüsslich wiederholte: "Bayern ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten." Knapp zwei Monate nach der Wahl im Freistaat hat der CSU-Vorsitzende in der vergangenen Woche im Münchner Landtagsplenum 67 Minuten lang die Leitlinien seiner Politik für die nächsten fünf Jahre erläutert. Diese erste Regierungserklärung der neuen Legislaturperiode stellte er unter das Motto "Bayern. Die Zukunft" - in Anlehnung an den CSU-Wahlkampfslogan "Bayern. Das Land", der auf der Philosophie "Bayern gleich CSU gleich Seehofer" basierte. Legt man dieser Gleichung Seehofers Zitat vom Land der unbegrenzten Möglichkeit zugrunde, wird aus dem Ministerpräsidenten ein "Mann der unbegrenzten Möglichkeiten". Tatsächlich war Seehofer nie näher dran an diesem Attribut als in diesen Wochen: In Bayern ist er seit dem Gewinn der absoluten Mehrheit unbestrittener Alleinherrscher. Aus dieser Stärke heraus kann der CSU-Chef auch bei den Koalitionsverhandlungen im Bund kraftstrotzend auftreten.
Viele Versprechen
Dass Seehofer an seiner Durchsetzungskraft in München wie in Berlin nicht zweifelt, machte er in seiner Regierungserklärung mehrfach deutlich: Er reihte nicht nur für den Freistaat Versprechen an Versprechen, sondern sparte auch nicht mit Ankündigungen, was er alles im Bund erreichen will. Dabei machte Seehofer nur allzu gern die CSU-Lieblingsforderungen Pkw-Maut und Mütterrente sowie die Länderöffnungsklausel beim Bau von Windrädern zum Thema. "Ich bin sicher: Die Pkw-Maut für ausländische Kraftfahrzeuge wird Teil des Koalitionsvertrages. Lange gefordert, oft belächelt, jetzt bald erreicht - das ist die Nachhaltigkeit in Bayern", sagte der CSU-Vorsitzende.
Die Zwischenrufe aus den Reihen der Opposition quittierte er mit einem überlegenen Lächeln und der Antwort: "Ich verhandle in Berlin, und deshalb weiß ich Bescheid über den Stand der Verhandlungen." Nicht ohne zunächst das von der CSU bundesweit durchgesetzte Betreuungsgeld zum "vollen Erfolg" erklärt zu haben, versprach Seehofer seinen Einsatz in Berlin für die Mütterrente: "Bei der Rente darf es keine Mütter erster und zweiter Klasse geben." Stolz verkündete er gleich einen Erfolg aus den aktuellen Verhandlungen mit CDU und SPD in Berlin: In der Großen Koalition werde die von der CSU geforderte Länderöffnungsklausel umgesetzt, "wo es jedem Land überlassen bleibt, den Abstand zwischen Siedlungen und besonders hohen Windrädern selbst zu regeln". Seehofer versprach selbstbewusst: "Ich kann auch hier melden: Es kommt!"
Keine Schulreform
Seehofers landespolitische Ziele sind hochgesteckt: Vollbeschäftigung in Bayern bis 2018, eine Lehrstellengarantie, bis 2018 ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot für alle Schüler bis 14 Jahre, eine Bestandsgarantie für jede rechtlich selbstständige Grundschule. Ebenfalls bis 2018 werde flächendeckend ein digitales Hochgeschwindigkeitsnetz geschaffen, und innerhalb von zehn Jahren werde Bayern komplett barrierefrei. Seehofer kündigte eine Initiative für Existenzgründer an, ein Programm "Selbstständig älter werden" und einen Präventionsplan im Gesundheitswesen. Ferner versprach der Regierungschef ein "Zehntausend-Häuser-Programm" für energieautarke Haushalte und ein "Klimaschutzprogramm Bayern 2050".
Zugleich überraschte der Ministerpräsident aber auch mit der Garantie, auf zentralen Politikfeldern gar nichts zu tun und verkündete beispielsweise: "Unsere Schulen sollen nach Jahren der ständigen Veränderungen jetzt in Ruhe arbeiten können. Deshalb wird es in den nächsten Jahren keine neuen Schulreformen geben." Auch eine "Paragrafenbremse" sicherte er zu: "Neue Gesetze und Verwaltungsvorschriften soll es grundsätzlich in dieser Legislaturperiode nicht geben." Falls eine Bestimmung zum Beispiel aus Sicherheitsgründen doch erforderlich sein sollte, müssten dafür alte Vorschriften aufgehoben werden.
Dass Seehofer ausgerechnet in der Schulpolitik keinen Handlungsbedarf mehr sieht, war ein zentraler Kritikpunkt der Opposition. "Die maßgeblichen Probleme und Herausforderungen sind doch keineswegs gelöst", wunderte sich SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher und verwies auf den Unterrichtsausfall, zu große Klassen und die hohe Zahl von Jugendlichen ohne Schulabschluss. "Im Freistaat sind die Chancen unserer Kinder zu ungleich verteilt und nach allen vorliegenden Studien so sehr vom Geldbeutel der Eltern abhängig wie in keinem anderen Bundesland." Die Debatte über die besten Lernformen in Bayern müsse auf der Tagesordnung bleiben. Kopfschütteln auch bei den Grünen. "Sie glauben wohl, dass man den Murks am achtjährigen Gymnasium damit beenden oder überwinden kann, indem Sie die Betroffenen ihrem Schicksal überlassen", kritisierte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Margarete Bause. "Gerade dieser Murks macht klar, dass wir Reformen in unserem Bildungs- und Schulsystem brauchen."
Vor allem aber arbeiteten sich die Oppositionsführer an Seehofers Versprechen ab, die er in seiner ersten Regierungserklärung 2008 gegeben hatte. "Ankündigungen von 2008 haben sich vollends zerstoben oder ins Gegenteil verkehrt."
Spott der Opposition
"Mit Blick auf Ihre Regierungserklärung wird rückblickend jede Fantasy-Saga zum Dokumentarfilm", spottete Rinderspacher. Nach seinem Amtsantritt 2008 habe Seehofer versprochen, dass die Bürger innerhalb von drei Jahren überall in Bayern Zugang zum schnellen Internet bekämen: "Das wäre 2011 gewesen", betonte der SPD-Politiker. "Und heute verkaufen Sie die gleiche Soße ganz einfach noch einmal." Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger warf Seehofer vor, seine Regierungserklärung 2008 sei genauso "unehrlich" gewesen wie seine gegenwärtige Politik: Der CSU-Chef habe gleich nach seinem Wahlerfolg vor wenigen Wochen die Versprechen, die zu dem Wählervotum geführt hätten, "über Bord geworfen" - so etwa die Erhöhung des Kindergelds. Bause bezeichnet Seehofers Rede als Bauchladen, "in dem für jeden was dabei war". In diesem politischen Krämerladen fehle das zukunftsweisende Sortiment: "Ihre Visionen und Ihr Kampfgeist sind offensichtlich schon erschöpft, wenn Sie sich der Einführung einer Ausländermaut rühmen können."
Dabei hatte Seehofer durchaus eine zentrale Vision erläutert: die der "Koalition mit den Bürgern". Die Bürger seien für ihn nicht nur Adressaten, sondern Partner der Politik und müssten daher mitgestalten können. "Die Bayern beweisen seit Jahren in Bürger- und Volksentscheiden: Sie können Demokratie und Beteiligung. Deshalb habe ich nie ein Volksbegehren - weder das Zustandekommen noch die Umstände noch die Ergebnisse - kritisiert." Bundesweite Referenden zu grundlegenden europapolitischen Fragen fordert die CSU schon lange. Jetzt will Seehofer die direkte Demokratie in Bayern weiter ausbauen. Bisher sind landesweite Volksentscheide nur über Gesetze möglich, Sachfragen können lediglich in jenen Gemeinden zur Abstimmung gestellt werden, die direkt betroffen sind. Dies möchte Seehofer mit dem Instrument der Volksbefragung ändern. "Zum Beispiel bei großen Infrastrukturprojekten soll es möglich werden, die Bürger bayernweit zu beteiligen."
Nein zu Olympischen Spielen
Auf diese Weise könnten künftig über ein Thema wie eine Olympia-Bewerbung alle Wahlberechtigten in Bayern abstimmen. Am 10. November waren nur die Menschen in den vier von den Olympiaplänen betroffenen Gebieten aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Das Ergebnis fiel überraschend einmütig aus: Sowohl in München und Garmisch-Partenkirchen als auch in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein sprach sich die Mehrheit gegen Olympische Winterspiele 2022 aus. Die bayerische Staatsregierung hatte die Bewerbung zwar unterstützt, Seehofers persönliches Engagement hielt sich aber in Grenzen - er überließ es anderen, die Werbetrommel zu rühren. Und so war das vierfache Nein zu Olympia ein Resultat, das kaum jemand mit Seehofer in Verbindung brachte.
Die Opposition will dem Ministerpräsidenten sein Herz für den Bürgerwillen nur bedingt abnehmen: Lediglich wegen der bevorstehenden Europawahl 2014 mache Seehofer die Volksbeteiligung zum Thema. "Der Bürgerentscheid in München gegen die dritte Startbahn interessiert Sie weniger", rief Aiwanger. Rinderspacher bestand indes darauf, dass die Idee einer Volksbefragung auf einen SPD-Vorschlag zurückgehe und appellierte an Seehofer: "Schluss mit den Sonntagsreden - machen Sie ernst, wagen Sie mit uns mehr Demokratie."
Insbesondere Bause und Rinderspacher hielten sich mit Attacken auf Seehofer zurück, sondern trugen stattdessen selbst staatstragende Reden vor - ihre Gegenentwürfe zur Regierungserklärung. Immerhin konnte sich Rinderspacher ein paar Seitenhiebe auf den CSU-Finanzminister nicht verkneifen. Markus Söders zusätzliches Heimatministerium sei offenbar ein "Marketing-Gag" des CSU-Zentralstaats. Zudem sinnierte der SPD-Fraktionschef über die Frage, "ob das eine Regierungserklärung für die ganze Legislaturperiode war". Seehofer habe zwar angekündigt, bis 2018 im Amt bleiben zu wollen. Rinderspacher fügte an, vermutlich werde man sich aber spätestens ab 2015/2016 auf Feldherrenkämpfe in der CSU einzustellen haben.