Er ist immer noch da
ITALIEN Berlusconis Aufholjagd vor der Wahl schmälert den Vorsprung des Mitte-Links-Bündnisses
Er ist der unbestrittene Protagonist des Wahlkampfes in Italien: der frühere Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Lange Zeit lag seine Partei "Volk der Freiheit" (PdL) hoffnungslos in den Umfragen zurück. Nach einer Aufholjagd kommt das gemeinsame Bündnis mit der Lega Nord den letzten veröffentlichten Umfragen zufolge auf etwa 28 Prozent der Stimmen. Zwei Wochen vor den Parlamentswahlen am 24. und 25. Februar betrug der Abstand des Berlusconi-Bündnisses zum Mitte-Links-Verbund (34 Prozent) nur noch etwa sechs Prozent. Seither dürfen keine Prognosen mehr veröffentlicht werden. Der Ausgang der Wahlen, die vor Monaten bereits entschieden schienen, ist wieder völlig offen.
Zwar hat der Rücktritt des deutschen Papstes dem Medienmogul vorübergehend die Aufmerksamkeit in den italienischen Medien streitig gemacht. Aber Berlusconi weiß, wie er von sich Reden macht: Zuletzt schwadronierte der 76 Jahre alte Unternehmer von der Notwendigkeit und moralischen Unangreifbarkeit, Bestechungsgelder in Entwicklungsländern zu zahlen, wenn man dort Geschäfte machen will.
Wahlkampfthema Steuerlast
Der umstrittenste Politiker Europas polarisiert und diktiert die Agenda des Wahlkampfs. Thema ist beinahe ausschließlich die hohe Steuerlast, die bei 55 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt. Der viermalige Ministerpräsident verspricht Steuersenkungen. Dabei stören sich seine Anhänger nicht an der Tatsache, dass das "Volk der Freiheit" in den vergangenen Jahren selbst für Steuererhöhungen und das gefährliche Anschwellen der Staatsausgaben verantwortlich war. Infolge der Steuer-Debatte ist unter den Parteien ein regelrechter Wettbewerb um Versprechen zur Entlastung der Bürger ausgebrochen.
In der Defensive
Ministerpräsident Mario Monti und sein Bündnis "Bürgerwahl", aber auch der bislang aussichtsreichste Kandidat auf die Monti-Nachfolge, Pier Luigi Bersani, Chef der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) sind in die Defensive geraten. Ohne eine seriöse Kostendeckung zu präsentieren, versprach Berlusconi Manöver, die Ausgaben in Höhe von 80 Milliarden Euro zur Folge hätten - und damit die internationalen Märkte und die EU-Partner beunruhigen. Als der Mailänder Unternehmer seinen Vorschlag zur Rückzahlung der von der Regierung Monti, übrigens unter Beteiligung Berlusconis, eingeführten Immobiliensteuer machte, reagierten die Börsen nervös. Berlusconi punktete auch mit dem Versprechen einer Steueramnestie sowie der Schaffung von vier Millionen Arbeitsplätzen. Die sollen entstehen, wenn Unternehmen eine Zeitlang von der Zahlung von Lohnnebenkosten und Steuern befreit würden. Gegen diesen Populismus tun sich seine Gegner schwer. Der immer seriös, aber etwas steif wirkende Mario Monti, hat seinen Stil in den vergangenen Wochen deshalb sichtbar verändert. Auch er ist auf zahlreichen Fernsehkanälen präsent, twittert ununterbrochen und schlägt auf der Jagd nach Stimmen härtere Töne gegenüber allen Mitbewerbern an. Berlusconi bezeichnete er als "Schlangenbeschwörer", der Stimmen mit dem Geld der Italiener zu kaufen versuche. "Ich habe die Regierung von Spitzbuben geerbt", sagte der Ministerpräsident über seinen Vorgänger. Bersani warf er "Infantilität" in der EU-Politik vor. Vor allem gegen die mit dem PD verbündete Linkspartei "Linke und Freiheit" poltert der Noch-Ministerpräsident, dessen Sammelgruppierung "Bürgerwahl" zuletzt auf 16 Prozent der Stimmen hoffen konnte. Mit Berlusconi, aber auch mit "Linke und Freiheit" (Sel) sei die Fortführung der von ihm angestoßenen Reformen unmöglich, behauptet Monti. Während Sel die Sozialausgaben weiter anheben will und gegen einen rigiden Sparkurs ist, steht Monti für die sukzessive Kostenreduzierung und Fortführung struktureller Reformen. In den vergangenen Wochen hat sich der Eindruck aufgedrängt: Wer im Wahlkampf seriös argumentiert, dessen Spielraum ist gering. Das bekommt auch Bersani als Spitzenkandidat des Mitte-Links-Bündnisses zu spüren. Bersani war zuletzt der blasseste unter den aussichtsreichen Kandidaten. "Wir wollen gewinnen, ohne Märchen zu erzählen", sagte er vor Monaten, als sein Bündnis in Umfragen auf bis zu 40 Prozent der Stimmen kam. Heute ist der Vorsprung auf etwa 34 Prozent geschmolzen. Bersani beharrt vor allem auf dem Kampf gegen die Steuerhinterziehung und will als erste Maßnahme ein Gesetz gegen den von Berlusconi und seinem Medienimperium personifizierten Interessenkonflikt verabschieden. Die künftige Abgabenpolitik soll den sozialen Hintergrund der Steuerzahler besser berücksichtigen. Priorität sei die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Schlüsselregion Lombardei
Doch der Ausgang der Wahl wird von mehreren Unsicherheitsfaktoren bestimmt. Neben der Frage, wie viele Stimmen der Komiker Beppe Grillo erhält, der bei Umfragen 16 Prozent erreichte, spielt auch das Wahlergebnis in der Region Lombardei eine Schlüsselrolle: Denn während die stärkste Partei im Abgeordnetenhaus einen Mehrheitsbonus von 55 Prozent bekommt, wird die Sitzverteilung in der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, nach den Einzelergebnissen in den Regionen entschieden. Sollte Berlusconi in der zahlenmäßig bedeutenden Lombardei gewinnen, könnte eine Mehrheitsfindung im Senat kompliziert werden.