Piwik Webtracking Image

bulgarien : Das klare Mandat fehlt

Der konservative Wahlgewinner hat keine Mehrheit und liebäugelt mit einer Minderheitenregierung

13.10.2014
True 2023-08-30T12:26:20.7200Z
3 Min

Boiko Borissov heißt der Seriensieger der bulgarischen Politik. Seitdem sich der Absolvent der Akademie des bulgarischen Innenministeriums. und einstige Leibwächter des kommunistischen Staats- und Parteichef Todor Schivkov im Jahr 2005 zur Wahl des Sofioter Bürgermeisters stellte, hat er alle Wahlen gewonnen, an denen er teilgenommen hat. Sein Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten nach gewalttätigen Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen hohe Energiekosten stürzte Bulgarien im Februar 2013 in eine bis heute andauernde politische Instabilität.

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Mai 2013 wurde seine rechtsgerichtete Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) stärkste politische Kraft, Borissov fand aber keine Koalitionspartner zur Regierungsbildung. Die folgende Koalitionsregierung aus „Bulgarischer Sozialistischer Partei“ (BSP) und der Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheit“ (DPS) handelte sich unter anderem mit der Ernennung des umstrittenen Medienmoguls Deljan Peevski zum Geheimdienstchef derart massiven Volkszorn ein, dass sie die Macht bereits nach 14 Monaten wieder abgeben musste.

Nicht einmal jeder zweite Bulgare hat an den Neuwahlen zur Bulgarischen Volksversammlung Anfang Oktober teilgenommen. Mit 32,7 % der Stimmen errang Borissovs GERB mehr als doppelt so viele wie die BSP und die knapp hinter ihr platzierte DPS. Doch obwohl sich die Zahl der ins Parlament eingezogenen Parteien auf acht verdoppelt hat, steht Borissov wie im Mai 2013 vor dem Problem, einen Koalitionspartner zu finden.

Streit um Gaspipeline Der wie GERB der Europäischen Volkspartei (EVP) angehörende konservativ-liberale Reformerblock (RB) wäre dafür eigentlich prädestiniert. Doch abgesehen davon, dass GERB und RB zusammen noch immer 14 Sitze zur absoluten Mehrheit von 121 Mandaten fehlen, vertreten beide auch in wichtigen Fragen wie etwa in der Energiepolitik verschiedene Standpunkte. So möchte GERB das auf Druck der Europäischen Kommission auf Eis gelegte Projekt der Gaspipeline South Stream „in Übereinstimmung mit den EU-Direktiven“ realisieren, der Reformerblock lehnt dies dagegen ab, weil die Gasleitung Bulgariens energiewirtschaftliche Abhängigkeit von Russland verstärken würde anstatt sie zu vermindern.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Reformerblock vor der Wahl seine Bereitschaft zu einer rechts-zentristischen Regierung erklärt hat, vorausgesetzt das Amt des Ministerpräsidenten werde besetzt „durch eine Person einwandfreier Reputation, die das Amt noch nicht innehatte“. Dies schließt einen Regierungschef Boiko Borissov aus. In der Wahlnacht haben manche RB-Führer diese Position relativiert, so nannte Ex-EU-Kommissarin Meglena Kuneva es nachvollziehbar, dass die stärkste politische Kraft ihren Führer zum Ministerpräsidenten nominiere, andere wie Radan Kanev weigern sich aber, Borissov zum Premier zu wählen. In die Volksvertretung ziehen weitere fünf kleinere Parteien ein, unter ihnen auch die als rechtsextrem geltende „Ataka“.. Die starke Zersplitterung des Parlaments dürfte die Regierungsbildung erheblich erschweren.

Borissov sieht sich provoziert, keine Koalition mehr anzustreben, sondern eine Minderheitenregierung und für diese „eine breite Unterstützung bei allen Parteien“ zu suchen. In die Wahl gezogen ist Borissov mit dem Slogan „Für ein stabiles Bulgarien – es ist Zeit!“ Sollte er versuchen, das Land aus einer Minderheitenposition heraus zu regieren, wäre das allerdings alles andere als die versprochene politische Stabilität.

Der Autor ist freier Korrespondent in Sofia.