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UKRaiNE : Poroschenkos Siegeszug

Das Präsidenten-Bündnis dürfte die Parlamentswahl gewinnen. »Volksrepubliken« nehmen nicht teil

20.10.2014
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4 Min

Ganz Kiew ist gepflastert mit Wahlplakaten, im Fernsehen laufen rund um die Uhr Wahlwerbespots, und in den Talkshows kämpfen die Kandidaten mit harten Bandagen um die Wählerherzen. Am kommenden Sonntag wählt die Ukraine ein neues Parlament, und alles scheint wie immer.

Das gilt auch für die Praxis der Wähler- bestechung: Nachdem die im Mai abgehaltenen Präsidentschaftswahlen praktisch ohne sie auskamen, wird sie nun wieder massiv angewendet. Kandidaten asphaltieren Straßen, schenken Kindergärten neue Spielplätze oder verteilen bei Wahlkampfveranstaltungen Essenspakete. Viele Politiker sehen die Wahl als letzte Chance, einer Strafverfolgung zu entgehen. „Mindestens zwei bis drei Millionen Dollar gibt jeder Kandidat für diese Wahlen aus“, schätzt Witalij Teslenko, Direktor des „Ukrainischen Wählerkomitees“. Ein Drittel bis die Hälfte davon werde in die oben genannten Wahlgeschenke investiert.

Neue Parteien Geändert hat sich jedoch die politische Landschaft des Landes. Über die letzten zehn Jahre dominierte die Konkurrenz zwischen der „Partei der Regionen“ und einer eher westukrainisch geprägten Partei den Wahlkampf. An diesen Wahlen nimmt die durch die Flucht von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch delegitimierte „Partei der Regionen“ jedoch nicht mehr teil. Ein deutlicher Sieg wird dagegen dem Parteienbündnis von Präsident Petro Poroschenko vorhergesagt. Poroschenkos eigene Partei „Solidarnost“ ist zwar unbedeutend, allerdings hatte er sich schon vor den Präsidentschaftswahlen mit „UDAR“ verbündet, der Partei von Vitali Klitschko, die landesweit über einen funktionsfähigen Parteiapparat verfügt. Laut Umfragen wird der „Block Poroschenko“ mit 30 bis 40 Prozent mit Abstand die stärkste Kraft im Parlament.

Kriegsmüdigkeit Die Stärke der Präsidentenpartei ist auf Poroschenkos Friedenskurs zurückzuführen: Zwar wird im Osten noch immer um einzelne strategisch wichtige Punkte gekämpft. Aber die im September in Minsk zwischen Kiew, Moskau und den Separatisten getroffenen Vereinbarungen haben das Land dem Frieden einen großen Schritt näher gebracht (siehe auch Seite 11). Den hat die wirtschaftlich am Abgrund stehende Ukraine bitter nötig. So sieht das auch das Gros der Bevölkerung: Schon Mitte August sprach sich nur noch ein Drittel der Ukrainer für eine Fortsetzung des Krieges aus, mehr als die Hälfte traten für eine Kompromisslösung ein.

Von den 28 Parteien, die bei den Wahlen antreten, werden neben Poroschenkos Partei nur vier oder fünf über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Zweitstärkste Kraft wird wohl die „Radikale Partei“ von Oleh Ljaschko, der mit seinen nationalistischen und populistischen Losungen auf mehr als zehn Prozent kommen dürfte. Benötigt Poroschenkos Partei einen Koalitionspartner, wird dies wohl die „Volksfront“ sein, die Partei des jetzigen Premierministers Arsenij Jazenjuk. Dieser hatte sich im Sommer mit seiner Partei von Julia Timoschenko losgesagt.

Das Erbe von Janukowitschs „Partei der Regionen“ tritt die Partei des Milliardärs Sergej Tigipko, der „Oppositionelle Block“ und die Kommunistische Partei an. Auf deren Listen stehen die meisten ehemaligen „Regionalen“. Keine der drei Parteien wird jedoch als politische Kraft bedeutsam sein. Insbesondere die Kommunistische Partei steht unter Druck: Im Juli löste Poroschenko die Parlamentsfraktion der Partei auf, ein Verbotsantrag der Partei liegt derzeit im Justizministerium. Grund ist die angebliche Unterstützung der Separatisten. Viele heutige Abgeordnete aus dem Janukowitsch-Lager treten bei der Wahl zudem als Direktkandidaten an. Dies ist möglich, weil das Parlament sich zur Hälfte aus Direktkandidaten und zur Hälfte aus Listenkandidaten formiert.

Der Wahlkampf ist geprägt von Patriotismus und Populismus. In mehreren Parteien treten führende Mitglieder der ukrainischen Freiwilligenbataillone an, die Liste der Timoschenko-Partei führt sogar eine ukrainische Kampfpilotin an, die derzeit in Russland in Untersuchungshaft sitzt.

Immer wieder kommt es zu Gewalt, und zwar ausschließlich gegenüber Angehörigen des früheren Regimes. In Odessa wurde Nestor Schufritsch, Abgeordneter der „Partei der Regionen“, von einem nationalistischen Mob brutal verprügelt. Mehrfach warfen militante Nationalisten frühere Angehörige des Regimes in Mülleimer. Verantwortlich zeichneten Angehörige des „Rechten Sektors“, und auch der Radikale Oleh Ljaschko legt gerne selbst Hand an.

Nach der Wahl wird Poroschenko eine Hausmacht im Parlament haben, mit der er die vom Maidan geforderten grundlegenden Reformen umsetzen könnte. Denn bislang ist wenig passiert. Erst mit dem Nahen der Neuwahlen stieg die Reformwilligkeit der Regierung. Ende vergangener Woche trat das „Gesetz über die Reinigung der Behörden“ in Kraft, das sich an der „Lustration“ in Polen nach dem Ende der Sowjetunion orientiert. Es ermöglicht, „belastete“ Mitglieder des früheren Regimes und vom KGB ausgebildete Beamte mit zehnjährigem Berufsverbot zu belegen. Der Präsident hatte die Unterschrift bis zuletzt hinausgezögert, denn das Gesetz betrifft über eine Million Staatsbeamte der ukrainischen Bürokratie.

In seiner letzten Sitzung verabschiedete das Parlament mehrere wichtige Antikorruptionsgesetze, darunter die Einrichtung eines Antikorruptionsbüros. Die eilige Abstimmung über die Gesetze – zu deren Überwachung Präsident Poroschenko extra ins Parlament kam – macht auf Experten jedoch den Eindruck eines Wahlkampfmanövers. „Diese Gesetze machen nur den Anschein von echten Reformen“, sagt etwa der Kiewer Politologe Juri Romanenko.

Vakante Sitze In den von den Separatisten besetzten Gebieten im Osten werden die Parlamentswahlen nicht stattfinden, das hat die Wahlkommission schon eingestanden. Etwa dreißig der 450 Sitze bleiben deshalb vakant. Die Führung der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk organisiert am 2. November eigene Wahlen. Beobachter erwarten, dass sich bei den Wahlen die jetzigen Führer der Volksrepubliken durchsetzen werden. Konkurrenten droht die physische Ausschaltung: So wurde Mitte Oktober das Auto von Pawel Gubarjew, der sich im Frühjahr zum Volksgouverneur erklärt hatte, beschossen. Gubarjew überlebte schwer verletzt und liegt seitdem in einem Krankenhaus in Südrussland.

Präsident Poroschenko hat klargemacht, dass er diese Wahlen nicht anerkennen wird. Stattdessen bietet Kiew den beiden Gebieten Kommunalwahlen für den 7. Dezember. Eine Durchführung erscheint jedoch als unwahrscheinlich.

Der Autor berichtet als freier Journalist aus Russland und der Ukraine.