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EU-Assoziierung : Abkehr vom großen Bruder

Georgien, Moldau und die Ukraine streben nach Europa. Doch sie sind zerrissen zwischen Ost und West

30.03.2015
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Das Jahr 2004 war ein Jahr der europäischen Träume: Zehn Staaten, davon die meisten in Osteuropa, traten im Mai der Europäischen Union bei. Wirtschaftlich und politisch war nicht nur Europa, sondern der gesamte Kontinent stabil wie nie. Und der Magnetismus des europäischen Modells schien auch auf ehemalige Sowjetrepubliken zu wirken: 2003 in Georgien und 2005 in der Ukraine kamen explizit proeuropäische Regierungen an die Macht. Die Frage einer Erweiterung um Staaten aus der ehemaligen Sowjetunion beantwortete die EU jedoch zunächst mit dem vagen Instrument der „Europäischen Nachbarschaftspolitik“. Forciert wurde die Politik der Annäherung in den Folgejahren insbesondere von „neuen“ EU-Staaten wie Polen und Tschechien: Die im Mai 2009 auf Anregung des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski begründete „Östliche Partnerschaft“ bildete den neuen Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik. Sie sollte die postsowjetischen Länder näher an die EU binden. Mitglieder wurden die sechs ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, die Ukraine sowie Weißrussland. Mit allen Ländern außer Weißrussland begann Brüssel Verhandlungen über Assoziierungsabkommen sowie ein „tiefes und umfassendes Freihandelsabkommen“.

Während die EU in den Assoziierungsabkommen explizit keinen automatischen ersten Schritt zu einer EU-Mitgliedschaft sah, wurde insbesondere in Georgien und der Ukraine damit geworben. Der georgische Präsident Saakaschwili etwa trat 2008 öffentlich vor europäischen und georgischen Flaggen vor die Kameras, als noch nicht einmal verhandelt wurde.In Georgien zeigte sich das Bestreben, Mitglied in der EU zu werden, am deutlichsten: Eine klare Mehrheit von 72 Prozent der Georgier befürwortete 2013 laut dem „Caucasus Barometer“, das seit mehreren Jahren Umfragen in den drei Kaukasusrepubliken durchführt, eine EU-Mitgliedschaft des Landes. 32 Prozent sprachen sich aber auch für die Mitgliedschaft in der von Russland geführten Zollunion aus.

Der 2003 an die Macht gekommene Michail Saakaschwili hatte die Abkehr von Russland zur Staatsräson gemacht. Als Antwort auf diesen Kurs stoppte Russland die Einfuhr georgischer Waren. Der (verlorene) Krieg mit Russland um die Provinz Südossetien verfestigte für die meisten Georgier die Überzeugung, dass nur eine Verankerung in westlichen Strukturen Sicherheit vor dem großen Nachbarn bieten könne. Daran änderte auch die politische Niederlage Saakaschwilis 2012 und der Antritt der neuen, von dem Oligarchen Bidsina Iwanischwili angeführte Regierung nichts. Ihr Versprechen, eine pragmatischere Politik gegenüber Russland zu führen, hat bisher kaum Früchte getragen: Im März dieses Jahres unterzeichnete Russland ein Abkommen mit Südossetien, das die von Georgien abtrünnige Region noch stärker an Russland bindet.

Russische Propaganda In Moldau wird die politische Landschaft seit jeher von Oligarchen dominiert, die sich daran gewöhnt haben, nach gewonnenen Wahlen „ihre“ Leute im Staatsapparat einzusetzen, so auch geschehen nach der jüngsten Wahl im Herbst 2014. „Die EU unterstützte die proeuropäischen Slogans der neuen Regierungsparteien 2009 bis 2010 und drückte ein Auge zu bei den Verfehlungen der proeuropäischen Regierung, solange diese ihre geopolitische Orientierung behielt“, schrieb der moldawische Historiker Alexandr Woronowitsch in einer Analyse auf „Opendemocracy.net“.

So war auch die Einführung der Visafreiheit für Moldau im Herbst 2014 ein klares Signal der Unterstützung für jene „proeuropäischen“ Kräfte, denen aufgrund von Korruption und Machtmissbrauch eine Niederlage bei den anstehenden Parlamentswahlen drohte. Kurz vor den Wahlen schloss ein Gericht sogar eine prorussische Partei aus, der etwa zehn Prozent prophezeit wurden. Das offensichtlich undemokratische Gebaren kritisierte Brüssel pflichtbewusst, aber folgenlos.

Mit seiner Politik gegenüber der politischen Elite droht es das Vertrauen der Moldauer zu verlieren: Waren die Befürworter einer EU-Mitgliedschaft vor wenigen Jahren noch in der klaren Mehrheit, ist das Land heute zumindest gespalten. Mindestens so viele Bürger treten für eine Mitgliedschaft in der Eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland ein (siehe nebenstehenden Text). Die russische Propaganda zeigt zudem Wirkung in einem Land, in dem Hunderttausende als Gastarbeiter in Russland arbeiten und russische Fernsehsender zu den wichtigsten Informationsquellen gehören. In der traditionell prorussischen Provinz Gagausien setzte sich gerade im März die Kandidatin Moskaus klar durch. Das stellt das Assoziierungsabkommen nicht infrage, ist jedoch ein Signal, das Europa nicht ignorieren sollte.

Gespaltene Ukraine In der Ukraine erklärte der 2005 im Zuge der orangefarbenen Revolution an die Macht gekommene Präsident Viktor Juschtschenko den Beitritt zu EU und NATO zur Staatsräson. Weil sich das proeuropäische Lager jedoch bald in Machtkämpfen gegenseitig zerrieb, kam 2010 der für seinen prorussischen Kurs bekannte Viktor Janukowitsch wieder an die Macht. Die unter seinem Vorgänger begonnenen Assoziierungsverhandlungen stoppte er nicht, doch mit massivem wirtschaftlichem Druck und großzügigen Kreditangeboten brachte Russland Janukowitsch im Herbst 2013 schließlich dazu, die Unterschrift unter das EU-Assoziierungsabkommen zu verweigern.

Die EU hatte ihren Teil zum Scheitern beigetragen, indem sie eine Unterschrift ihrerseits zu lange von einer Freilassung von

Janukowitschs Gegnerin Julia Timoschenko abhängig gemacht hatte. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Zwar war auch die Ukraine in der Frage Zollunion oder EU-Assoziation gespalten, aber der proeuropäische Teil der Bevölkerung jagte mit der am Ende blutigen Maidan-Revolution Janukowitsch aus dem Amt und die neue Regierung unterschrieb die EU-Assoziierung. Russland versucht seitdem alles, um eine Stabilisierung des Landes zu verhindern: Es annektierte die Halbinsel Krim und unterstützt die Separatisten im Osten der Ukraine, die dem Land einen Krieg aufdrängen, den es sich nicht leisten kann.

Moskau sah in der Ausbreitung von EU und Nato von Anfang an eine Bedrohung. Mit der Bildung des „Nato-Russland-Rates“ im Jahr 2002 sollte Russland eingebunden werden, doch Moskau stellte die Rolle am „Katzentisch“ der Organisation nie zufrieden. Nach dem Georgien-Krieg 2008 hatten die Treffen des Rates kaum noch eine Perspektive (siehe Seite 1).

Statt einer einseitigen Ausweitung der Nato hatte der russische Präsident Wladimir Putin seit seinem Amtsantritt eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur gefordert. 2009 wiederholte der damalige Präsident Dmitrij Medwedjew den Vorschlag einer neuen Sicherheitsordnung „von Vancouver bis Wladiwostok“. Führende Experten, wie der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, forderten damals wie heute, den Vorschlag ernsthaft zu diskutieren. Dies blieb jedoch aus, weil niemand in Europa den Vorrang der Nato in Sicherheitsfragen infrage stellen wollte. Auch die Idee einer europäischen Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok, die Putin zuletzt 2010 äußerte, wurde auf europäischer Ebene nie ernsthaft diskutiert. Stattdessen trieb die Europäische Union die Assoziierungsabkommen voran.

Als Antwort intensivierte Russland seine Bemühungen zur Formierung einer eigenen Wirtschaftsunion: 2010 gründete es eine Zollunion zusammen mit Weißrussland und Kasachstan. Die Ukraine erhielt bedeutende Handelserleichterungen, verhandelte jedoch weiter mit Brüssel über die Assoziierung.

Nach der Eskalation in der Ukraine-Krise brachte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im vergangenen Jahr die Idee eines gemeinsamen Handelsraumes wieder ins Gespräch. Doch nun reagierte Putin kühl. Die Zeichen zwischen Russland und Europa stehen spätestens seit 2015 auf Konfrontation. Moritz Gathmann

Der Autor berichtet als freier Korrespondent aus der Ukraine.