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WIRTSCHAFTSMODELLE : Der andere Weg zum Klimaschutz

Wachstumskritiker fordern im Kampf gegen die Erderwärmung eine Abkehr vom Kapitalismus

27.07.2015
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4 Min

Nirgendwo auf der Welt ist im Jahr 2014, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, so viel in erneuerbare Energien aus Sonne, Wind und Co investiert worden wie im ostafrikanischen Burundi. In der marokkanischen Wüste wird derzeit außerdem das mit 580 Megawatt Leistung größte Solarkraftwerk der Welt gebaut. Und: Im vergangenen Jahr sind seit vierzig Jahren erstmals die weltweiten Treibhausgasemissionen aus dem Energiesektor nicht angestiegen; derweil ist die Wirtschaft gewachsen.

Es gibt diese Superlative, die zeigen: Da tut sich was, die Welt baut um - weg von zerstörerischen fossilen Energieträgern, von Kohle, Gas und Öl. Das Netzwerk REN21 listet sie im Renewables Global Status Report 2015 auf. REN21 ist ein Erneuerbare-Energien-Netzwerk, zu dem Umweltverbände wie Greenpeace gehören, aber auch die Weltbank, die EU-Kommission oder die Regierungen von Deutschland oder Indien.

Nur: Ist unser Klima so zu retten? Reicht das, um zu verhindern, dass sich die Erde nicht um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmt? Alles andere, fürchten Wissenschaftler, sei für Mensch und Tier kaum erträglich.

Ende November werden die Klimaminister der Welt in Paris zusammenkommen (siehe Beitrag oben). Der Ausbau der Ökoenergien allerorten lässt manchen hoffen, dass sie sich auf ein weltweites Abkommen für den Klimaschutz einigen. Doch alles deutet darauf hin, dass mit den Zusagen allein, die sie darin machen dürften, die Erderwärmung nicht in den Griff zu bekommen ist.

Schwierige Selbstkorrektur Erst im Juni monierte die Internationale Energieagentur, die von 29 Industriestaaten getragen wird, in ihrem Bericht "Energie und Klimawandel", dass die bisher für den entscheidenden Gipfel von Paris vorgelegten Pläne einzelner Staaten nicht ausreichten. Auch der REN21-Report zeigt, dass trotz aller Zuwächse gerade einmal zehn Prozent des globalen Energieverbrauchs durch Solar-, Windkraft-, Geothermie- und Bioenergieanlagen sowie Wasserkraftwerke gedeckt werden.

"Der einzige Weg, wie ein Abkommen im Jahr 2015 zum Zwei-Grad-Ziel führen könnte, wäre, die gesamte Weltwirtschaft stillzulegen." Diesen Satz sagte Ende 2013 der Niederländer Yvo de Boer. Er ist niemand, der zuvor mit Wachstumskritik von sich Reden gemacht hätte. Er war lange Zeit der oberste Klimaschützer der Vereinten Nationen, trat dann aber, nach dem gescheiterten Gipfel in Kopenhagen und entnervt von den zähen Debatten, zurück.

Naomi Klein, kanadische Bestsellerautorin und Globalisierungskritikerin, sagt von sich: "Ich habe den Klimawandel länger geleugnet, als mir lieb ist." Mittlerweile ist sie überzeugt, es brauche einen "so großen Wandel unserer ökonomischen Struktur, dass es mit dem Kapitalismus nicht zu machen ist, wie wir ihn derzeit definieren." Die Frage, warum die Menschheit es nicht schafft, auf die Klimakrise zu reagieren, laufe "nun einmal auf einen Konflikt mit dem Neoliberalismus hinaus". In ihrem aktuellen Buch "Die Entscheidung - Kapitalismus vs. Klima" fordert sie ein neues Wirtschaftsmodell. "Ohne Schrumpfung", so erklärte sie, werde es nicht gehen.

Klein will das Klimaproblem nicht nur technisch-wissenschaftlich definieren. Wer die Grenzen des Planeten anerkenne, müsse sagen: Ohne Mäßigung geht es nicht. Diese Weniger-ist-Mehr-Logik verfolgt auch hierzulande mancher Wissenschaftler. Etwa Harald Welzer, Soziologe und Direktor der Stiftung Futurzwei, die sich mit alternativen Lebensstilen und Wirtschaftsformen beschäftigt. Oder Niko Paech, Volkswirt, Gastprofessor an der Universität Oldenburg und Autor des Buches "Befreiung vom Überfluss: auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie". Für ihn gibt es nur eins: Verzicht etwa auf das Auto, auf das Fleisch, auf die Fernreise. Die sogenannte Degrowth-Bewegung bricht mit der Vorstellung, dass nur Wirtschaftswachstum allein glücklich macht.

Doch nicht jeder hält die Argumentation für die beste. Zwar sei es denkbar, das Wachstum zu drosseln, um Treibhausgase zu vermeiden, doch werde es teuer, meint zum Beispiel Ottmar Edenhofer. Der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, ein führender Kopf im Weltklimarat, ist überzeugt davon, dass sich das Klima besser schützen lässt, wenn die Wirtschaft wächst, allerdings unter einer Voraussetzung: Der Ausstoß von CO2 müsste einen Preis bekommen.

Nimmt die Politik das Zwei-Grad-Ziel ernst, muss ein Großteil der verbleibenden Vorräte an Kohle, Gas und Öl in der Erde bleiben, erklärt Edenhofer, der auch Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change ist. Ihre Nutzung dürfe sich nicht mehr rechnen. Der Klimaökonom ist überzeugt: "Ein CO2-Preis schont das Klima, bringt technischen Fortschritt und Staatseinnahmen, die zum Beispiel in den Ausbau von Schulen und Krankenhäusern gesteckt werden können."

Europa hat mit dem Emissionshandel bereits versucht, CO2 einen Preis zu geben, aber der gilt nicht einmal für die Hälfte der Emissionen, da Verkehr, Immobiliensektor, Landwirtschaft davon nicht betroffen sind. Regierungen sind weit entfernt davon, einen wirksamen CO2-Preis einzuführen.

Münster als Vorreiter Die Regierungsberater im Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) glauben, eine Weltbürgerbewegung müsse den Regierungen auf die Pelle rücken. Der Anfang sei längst gemacht. Zum Beispiel im schottischen Edinburgh: Die Studenten dort forderten die Universitätsverwaltung auf, sich von Investments in Unternehmen zu trennen, die mit fossilen Energien Geschäft machen - mit Erfolg. Auch Stiftungen durchforsten ihre Geldanlagen, etwa die der Erben des Ölmagnaten Rockefeller. Kämmerer deutscher Kommunen interessieren sich ebenso für die sogenannte Divestement-Bewegung. Münster hat den Rückzug aus fossilen Investments als erste Stadt hierzulande beschlossen.

Die Autorin ist Chefredakteurin  des taz-Magazins "zeozwei"