ENERGIEWENDE : Spion in der Dose
Digitale Stromzähler sollen ab 2017 beim Strom sparen helfen und die Netze spürbar entlasten. Doch Daten- und Verbraucherschützer warnen
Von der Energiewende ist in den meisten deutschen Privathäusern bislang nicht viel zu spüren. Der Strom kommt wie gewohnt zuverlässig aus der Steckdose, auch wenn am Horizont inzwischen das eine oder andere Windrad zu sehen ist. Und in den Hausfluren und Kellern drehen sich wie seit Jahrzehnten die rotierenden Scheiben der analogen Ferraris-Zähler. Doch das wird sich höchstwahrscheinlich bald ändern: Anfang November hat das Bundeskabinett einen vom Bundeswirtschaftsministerium vorgelegten Gesetzentwurf zur "Digitalisierung der Energiewende" beschlossen, der in vielen Häusern ab 2017 den verpflichtenden Einbau digitaler Stromzähler ("Smart Meter") vorsieht. Die Haushalte sollen dadurch Energie sparen. Ziel ist es aber auch, den Strommarkt der Zukunft so flexibel wie nötig zu gestalten. Verbraucherschützer zweifeln den Nutzen jedoch an.
Bereits 2009 hatte die EU-Kommission in einer Richtlinie von den Mitgliedstaaten verlangt, die Einführung digitaler Zähler zu prüfen. Das über den Tag schwankende Stromangebot solle möglichst effizient genutzt werden, Verbraucher könnten zudem Strom sparen, so die Argumente. Daraufhin untersuchte die Wirtschaftsprüfergesellschaft Ernst & Young 2013 im Auftrag der Bundesregierung die Vorteile einer flächendeckenden Smart-Meter Einführung. Ihre Studie kam zu dem Ergebnis, dass Smart Meter ein volkswirtschaftlich lohnendes Projekt seien.
Der nun von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf soll schon im Januar in erster Lesung vom Bundestag beraten werden. Im Mai soll das Gesetz verabschiedet sein. Es sieht eine stufenweise Einführung der Smart Meter bis 2023 vor. Zur Mindestausstattung gehört ein einfacher, digitaler Stromzähler, der nicht mit der Außenwelt kommunizieren kann. Diese Geräte sollen von den lokalen Stromnetzbetreibern in allen Haushalten installiert werden. Sie können später aufgerüstet werden, doch zunächst wird sich für die meisten Verbraucher nichts ändern: Die erfassten Daten bleiben im Haus, Einbau und Nutzung sind für sie nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden.
Kontakt mit der Außenwelt Einige Haushalte sollen jedoch echte Smart Meter, ein sogenanntes "intelligentes Messsystem", bekommen. Verpflichtend soll das für Nutzer sein, die mehr als 6.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbrauchen, was etwa auf fünf Prozent aller Haushalte zutrifft. Ebenfalls betroffen sind die Betreiber einer Kraft-Wärme-Kopplungs- oder Erneuerbare-Energien-Anlage mit mehr als sieben Kilowatt Leistung.
Die Messsysteme sind teuer: Bis zu hundert Euro pro Jahr soll der Netzbetreiber den Stromkunden dafür in Rechnung stellen dürfen. Bisher kostete die Verbraucher der Betrieb der Strommessstelle in der Regel 20 Euro pro Jahr. Dazu kommt: Auch bei anderen Verbrauchern, die unter die 6.000-Kilowattstunde-Grenze fallen, können die Smart Meter eingebaut werden, wenn dies der Messstellenbetreiber - meist der lokale Versorger - möchte. Dann darf er nur nicht so viel Geld dafür verlangen.
Für die Kritiker werfen aber nicht nur die hohen Kosten eine Reihe von Fragen auf. Sie warnen auch vor einer Verletzung der digitalen Selbstbestimmung", schließlich können intelligente Messsysteme grundsätzlich mit der Außenwelt, insbesondere mit dem Netzbetreiber, kommunizieren. Holger Schneidewindt, Experte bei der Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen warnt: Verbraucher dürften nicht vom Staat dazu gezwungen werden, Daten über ihr Verhalten offen zu legen, Fakt aber ist: Auch wenn die Auslesung vieler Daten bislang nicht vorgesehen ist - theoretisch lässt sich mit den kommunikationsfähigen Varianten das Verhalten der Verbraucher zu Hause genau überwachen. Ist jemand in der Wohnung, welche Geräte laufen wann und wie lange? Gelingt der Zugriff auf solche Daten, wäre das ein Albtraum nicht nur für Datenschützer. Die Geräte könnten zudem ein mögliches Ziel für digitale Sabotage sein.
Gestritten daher über die Frage, ob es eine sogenannte Opt-Out-Möglichkeit geben soll, also ein Widerspruchsrecht für die Verbraucher. Ein möglicher Kompromiss könnte am Ende eine Opt-Out-Light-Lösung sein: Wer widerspricht, bekommt das Gerät zwar trotzdem eingebaut, aber alle Kommunikationsfunktionen werden ausgeschaltet.
Doch was nützt der ganze Aufwand eigentlich? Bundesenergieminister Sigmar Gabriel (SPD) ist überzeugt: "Erst mithilfe der Digitalisierung lassen sich Stromerzeugung, Gebäude und Verkehr intelligent miteinander verknüpfen und effizienter machen." So könnten zum Beispiel für Haushalte mit Smart Metern in Zukunft Tarife angeboten werden, die mit den Preisen an der Strombörse steigen und fallen. Dann, so die Hoffnung, würden die Verbraucher möglicherweise ihr Verhalten anpassen und Strom nur dann verbrauchen, wenn er gerade ausreichend verfügbar und deshalb günstiger ist. Netze und Kraftwerkspark würde durch diese Steuerung von Angebot und Nachfrage entlastet, sie könnten dann wiederum kleiner dimensioniert werden. Sollte sich zum Beispiel die Elektromobilität flächendeckend durchsetzen, könnte es für die Fahrer interessant sein, ihr Gefährt dann nur zu laden, wenn die Preise gerade besonders niedrig sind.
Der Digitalverband Bitkom hält die Einführung der smarten Zähler für dringend notwendig, um die Energiewende voranzubringen. Felix Dembski, Bereichsleiter Intelligente Netze und Energie bei Bitkom, sagt: "Das Energiesystem erfährt durch die Erneuerbaren Energien erheblichen Stress. Der soll in Preissignale umgewandelt werden. Dann besteht ein Anreiz, Geräte und Maschinen darauf zu trainieren, sich stärker nach Wind und Sonne zu richten." Wenn Deutschland 2050 tatsächlich 95 Prozent seiner Energie aus Erneuerbaren erzeugen wolle, müssten sich Verbrauch und Erzeugung aufeinander zubewegen. Auch einige Stromversorger geben sich optimistisch. Hatte etwa der Stadtwerkeverband VKU die Smart-Meter-Pflicht anfangs noch deutlich kritisiert, spricht er inzwischen von einem "Potenzial für neue Geschäftsfelder".
Für die Verbraucherschutzverbände ist die geplante Einführung der Smart Meter hingegen eine Form der "Zwangsdigitalisierung". Zudem halten Fachleute, wie Holger Schneidewindt, die Einsparmöglichkeiten für normale Verbraucher für "sehr gering". Er ist überzeugt: " Kaum jemand wird sein privates Verhalten aufgrund eines Smart Meters ändern." Die Waschmaschine, die angeblich nachts angestellt werden könne, sei ein beliebtes Positivbeispiel. "Tatsächlich zeigt es aber eher das sehr begrenzte Potenzial", sagt Schneidewindt. "Wegen ein paar Cent möglicher Einsparungen wird fast niemand einen Waschgang verschieben." Damit sei auch der Nutzen für das Stromsystem insgesamt begrenzt.
Auch der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE), der sich in der Regel für Innovationen stark macht, rät zur Vorsicht: Bei der Einführung der digitalen Messsysteme "sollte man dort ansetzen, wo ein wirkliches Potenzial besteht und wo Kunden von entsprechenden Angeboten und Dienstleistungen auch profitieren können", sagt BNE-Geschäftsführer Robert Busch.
Gegen einen Zwang Die Opposition im Bundestag ist ebenfalls skeptisch.Die energiepolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Julia Verlinden, betont zwar, dass Smart Meter ein wichtiger Baustein der Energiewende seien. "Für uns Grüne ist aber auch klar, dass es keine Zwangsbeglückung für private Haushalte geben darf." Vielmehr müsse es eine einfache und praktikable Ausstiegsregelung geben.
Unabhängige Experten, wie Ulrich Greveler, Professor an der Hochschule Rhein-Waal und Informatikexperte, halten die Digitalisierung der Energie-Infrastruktur für "letztlich unausweichlich". Aber den Nutzen von Smart Metern findet auch Greveler fragwürdig. Das Einsparpotenzial sei nachweislich begrenzt und gehe nicht entscheidend über den Effekt einer einmaligen Energieberatung hinaus, meint er. Problematisch sei zudem, dass die Technik, die nun eingebaut werden solle, "in 15 bis 20 Jahren vermutlich längst veraltet ist".
In Sachen Datenschutz hält Greveler den Gesetzentwurf der Bundesregierung allerdings für vorbildlich. "Die vorgeschriebene Verschlüsselung und das Prinzip, Daten nur dann zu übermitteln, wenn sie auch wirklich benötigt werden, sind aus heutiger Sicht eine gute Lösung", urteilt er.
Besorgte Verbraucher Wie viele Haushalte genau von der Neuregelung betroffen sein werden, ist noch unklar. Tatsache ist, dass gut ein Viertel des Stromverbrauchs in Deutschland heute auf private Haushalte entfällt. Und dort sind die Vorbehalte gegen die Smart Meter groß, wie eine Studie des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) ergab. 70 Prozent der Befragten lehnten deren verpflichtenden Einbau ab. Die größten Sorge der Verbraucher neben den hohen Kosten: die Sicherheit ihrer Daten.
Der Autor arbeitet als freier Journalist mit dem Schwerpunktthema Energie in Berlin.