Energie : Gewinn für alle
Mit der Rekommunalisierung der Strom- und Gasnetze kommen Städte und Gemeinden Bürgerwünschen entgegen
Die Gründe sind vielfältig und reichen von "wir wollen über unseren Energiemix selbst entscheiden", über "wir wollen unsere eigenen Ideen für Erzeugung und Lieferung von Strom und Wärme in der Region realisieren" bis zu "wir wollen unsere Einnahmen verstetigen und die lokale Wertschöpfung erhöhen". Viele Kommunen gründen eigene Stadtwerke oder kaufen regionale Energienetze zurück. Über 150 neue Stadtwerke wurden seit 2005 gegründet und mehr als 230 Strom- und Gasnetze wurden durch kommunale Unternehmen übernommen. Gut 60 Prozent der Verteilnetze für Energie sind laut Angaben des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) mittlerweile bundesweit wieder in städtischem Besitz. Groß und Klein, Stadt und Land sind hierbei bunt gemischt. Die Beispiele reichen vom Regionalwerk Bodensee über die Stadtwerke Elm-Lappwald und Bergisch-Gladbach bis zu Stuttgart, Hamburg oder Berlin.
Welle rückwärts "Die elektrische Energieversorgung von Kommunen wird nach einer Privatisierungswelle Ende der 1990er Jahren mehr und mehr wieder in kommunale Hand zurückgeholt", sagt Kaya Kinkel vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Neben der zunehmenden Bedeutung einer dezentralen Versorgung für die Energiewende sowie finanziellen Aspekten spielen vor allem auch das hohe Vertrauen der Bürger in die kommunalen Unternehmen sowie der Wunsch nach einer kommunalen Daseinsvorsorge eine Rolle. So erteilt laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage die überwiegende Mehrheit der Privatisierung von kommunalen Versorgungsleistungen eine Absage. 81 Prozent sind der Meinung, dass die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser/Abwasser in der öffentlichen Hand verbleiben sollte. 75 Prozent bringen den kommunalen Unternehmen hohes Vertrauen entgegen. 87 Prozent sind der Meinung, dass die Kommunalen Unternehmen nachhaltig wirtschaften sollten und 72 Prozent wünschen sich, dass diese Vorreiter in der Energiewende sind. Befragt wurden im Dezember 2015 und im Januar bundesweit 3.000 Bürger. "In einer Welt, die immer schneller wird, wo die Globalisierung immer mehr Wirtschaftszweige und Institutionen erfasst, ist der Wunsch nach regionaler Nähe und Bindung an heimische Unternehmen stark und schafft Vertrauen", sagt Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner. "Die Menschen haben großes Vertrauen in die Leistungen kommunaler Unternehmen. Sie sind davon überzeugt, dass kommunale Unternehmen nachhaltig wirtschaften, die lokale Wirtschaft unterstützen und Vorreiter in erneuerbare Energien sind", ergänzt VKU-Hauptgeschäftsführerin Katherina Reiche.
Manchenorts geben auch Bürgerbegehren den Anstoß für eine Rekommunalisierung der Energieversorgung. So beschloss die Große Koalition in Berlin vor zweieinhalb Jahren im Zuge eines Volksentscheids die Gründung eines Stadtwerks, das nur Ökostrom produzieren und vertreiben soll. Nun gehen die Berliner Stadtwerke beispielsweise mit "Mieterstrom"-Projekten neue Wege. Auf den Dächern von Mietshäuser städtischer Wohnungsbaugesellschaften installiert das Unternehmen Photovoltaikanlagen. Das Besondere: Der Solarstrom, der dort erzeugt wird, soll auch dort verbraucht werden und wird direkt an die einzelnen Mieter verkauft. Gut 30 Prozent des Strombedarfs der Haushalte können laut Stadtwerke-Geschäftsführer Andreas Irmer auf diese Weise gedeckt werden. Der Rest soll künftig von Windparks der Stadtwerke im Berliner Umland zugeliefert werden. Aktuell sind schon Solarzellen mit einer Fläche von zehn Tennisplätzen auf den Dächern mehrerer Wohnblöcke installiert. Derzeit läuft auch die Konzessionsvergabe zur Übernahme des Stromnetzes in der Bundeshauptstadt, um das sich neben der ebenfalls neu gegründeten landeseigenen Berlin Energie auch eine Genossenschaft Bürgerenergie Berlin bewirbt. Momentan wird das Netz noch von Vattenfall betrieben.
In Hamburg votierten die Bürger im September 2013 für den vollständigen Rückkauf der Energienetze. Initiiert wurde dies von der Initiative "Unser Hamburg - Unser Netz", hinter dem unter anderem Umweltverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) standen. Im Juni 2014 machte dann die städtische Hamburg Stromnetz GmbH das Rennen bei der Neuvergabe der 20-jährigen Konzession für das Stromnetz durch die zuständige Umweltbehörde in der Hansestadt. Mehr als ein Jahr verhandelten die Stadt und der Energiekonzern Vattenfall über den Preis. Schließlich fiel die Übernahme mit insgesamt 495 Millionen Euro um 55 Millionen Euro günstiger aus als ursprünglich angenommen und der Gewinn des Netzbetriebs in Höhe von rund 34 Millionen Euro aus dem Jahr 2014 wurde nicht an Vattenfall-Aktionäre ausgeschüttet, sondern verblieb bei der Stadt.
Energiewende mit Ideen Auch Stromnetz Hamburg ist ideenreich, um die Energiewende vor Ort voranzutreiben und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zusammen mit dem IT- und Energieunternehmen Lichtblick zeigt nun das kommunale Unternehmen auf, wie die E-Mobilität gefördert und gleichzeitig das Netz entlastet werden kann. Testhaushalte können ihre Elektroautos von 21 Uhr bis sechs Uhr morgens günstig an privaten Ladestationen aufladen. Für diese zeitliche Einschränkung sinken die Kosten für die Netznutzung (Netzentgelt), die in jeder Stromrechnung enthalten sind. Grundlage des Projekts ist eine Regelung im Energiewirtschaftsgesetz . Diese sieht vor, dass Netzbetreiber Elektroautos ähnlich wie Wärmepumpen und Nachtspeicherheizungen als "steuerbare Verbrauchseinrichtungen" behandeln können, um das Stromnetz bei Bedarf zu entlasten. "Dank der Vereinbarung mit der städtischen Verteilungsnetzbetreiber können wir den Ökostromtarif für Elektroautos gegenüber dem üblichen Haushaltstarif um etwa 30 Prozent senken. Die Stromrechnung für ein Elektroauto reduziert sich damit um bis zu 200 Euro pro Jahr", sagt Gero Lücking, Geschäftsführer Energiewirtschaft bei Lichtblick. "Die Regelung, steuerbaren Verbrauchseinrichtungen reduzierte Netzentgelte anzurechnen, ist bereits geübte Praxis und kann somit auch auf alle Verbraucher mit privater Ladeinfrastruktur ausgeweitet werden", ergänzt Christian Heine, kaufmännischer Geschäftsführer von Stromnetz Hamburg.
Die Netznutzungsentgelte werden von der Bundesnetzagentur reguliert. Diese legt jeweils für fünf Jahre fest, welche Kosten die Netzbetreiber auf die Endverbraucher umlegen können, wie hoch also die Netzentgelte sein dürfen. Mit diesen finanziert der Netzbetreiber die Instandhaltung des Netzes und Investitionen. Zusätzlich genehmigt die Bundesnetzagentur, dass jeder Netzbetreiber aus den Netzentgelten eine Eigenkapitalrendite erzielen darf (derzeit maximal neun Prozent). Während die Verbraucherzentrale dies als überzogen bewertet, weist der VKU auf den enormen Investitionsbedarf beim Ausbau der Verteilnetze als Achillesferse der Energiewende hin. Denn über 1,5 Millionen Solarstrom- und Windkraftanlagen speisen fluktuierend in die örtlichen Netze ein, was zusätzliche Investitionen erfordert. Auf mindestens 28 Milliarden Euro beziffert die Deutsche Energie-Agentur (Dena) den Ausbaubedarf für die Stromverteilnetze bis 2030. Nach Ansicht des VKU gibt die jetzige Regulierung zu wenig Anreize für Investitionen in intelligentere, örtliche Netze, die auch den überregionalen Netzausbaubedarf reduzieren könnten. Eine entsprechende Anreizregulierungsverordnung ist derzeit im Gesetzgebungsverfahren.