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Baden-Württemberg : Kopf an Kopf

Knapper Wettlauf mit den Grünen: Erstmals seit der Gründung des Landes 1952 könnte die CDU als stärkste Kraft abgelöst werden

07.03.2016
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4 Min

Als die Baden-Württemberger bei der Landtagswahl 2011 nach 58-jähriger CDU-Herrschaft eine grün-rote Mehrheit wählten, hielten das viele für ein einmaliges Ereignis. Dass die Grünen 24,2 Prozent der Stimmen erhielten, läge an den Protesten gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, an deren Spitze sich die Grünen gestellt hätten, hieß es von Beobachtern. Auch habe die Atomkatastrophe von Fukushima der Öko-Partei in die Hände gespielt. Zwar blieb die CDU 2011 mit 39,0 Prozent der Stimmen die stärkste Kraft - für eine Mehrheit reichte es mit der FDP, die damals nur 5,3 Prozent erhielt, aber nicht mehr. Winfried Kretschmann wurde zum ersten grünen Ministerpräsidenten der Bundesrepublik gewählt. Die SPD erreichte 23,1 Prozent und musste sich mit der Rolle des Juniorpartners begnügen, sicherte sich aber wichtige Ressorts wie Bildung, Finanzen und Wirtschaft.

Heute, fünf Jahre später, spricht im Wahlkampf kaum noch jemand über das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Bei einer Volksabstimmung hatten 2011 knapp 60 Prozent für eine finanzielle Beteiligung des Landes votiert - seitdem sind die Diskussionen um die Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes nicht verstummt, aber leiser geworden. Die Grünen im Ländle tragen das ungeliebte Projekt mit. Auch bei der Energiewende gab es keine spektakulären Erfolge: Zwar sinkt der Anteil der Atomenergie an der Stromversorgung Baden-Württembergs, während der Anteil der Windenergie steigt. Doch noch immer trägt Kernkraft gut 15 Prozent zur Energieversorgung bei - Windenergie weniger als ein Prozent.

Zufrieden mit Kretschmann Wenn am 13. März die Baden-Württemberger eine neue Regierung wählen, könnten die Grünen ihr Ergebnis von 2011 trotzdem noch übertreffen. In aktuellen Umfragen für ARD und ZDF liegen sie mit 32 Prozent vier beziehungsweise zwei Punkte vor der CDU, die damit erstmals seit Gründung des Landes 1952 als stärkste Kraft abgelöst würde. Die Stärke der Grünen liegt zum großen Teil an Kretschmann: Bei einer Direktwahl würde er laut ARD-Vorwahlumfrage 64 Prozent der Stimmen erhalten. Selbst unter CDU-Sympathisanten hat er mehr Anhänger als CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf. Weil die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Nils Schmid jedoch schwächelt (aktuell liegt sie bei 13 Prozent), ist die Fortsetzung der grün-roten Koalition ungewiss. Allerdings hätte auch Schwarz-Gelb keine Mehrheit: Im "Stammland der Liberalen" liegt die FDP mit ihrem Spitzenmann Hans-Ulrich Rülke bei acht beziehungsweise sieben Prozent.

Dominiert wird der Wahlkampf von der Flüchtlingskrise. Bei einer Forsa-Umfrage hielten unlängst 52 Prozent den Zuzug von Flüchtlingen und die Integration von Ausländern für das größte Problem Baden-Württembergs - im Wahlkampf von 2011 hatten das nur vier Prozent der Befragten so gesehen. Dieser Fokus sorgt dafür, dass die flüchtlingskritische, von vielen als fremdenfeindlich eingeschätzte Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) bei der Landtagswahl 13 beziehungsweise elf Prozent der Stimmen erhalten könnte. Ihr Einzug in den Stuttgarter Landtag unter dem Spitzenkandidaten Jörg Meuthen gilt als sicher.

Der Fokus auf die Flüchtlingsproblematik stellt alle Parteien vor Herausforderungen. Kretschmann bekommt vor allem von seiner eigenen Partei Gegenwind: Während die Grünen als asylfreundliche Partei gelten, hatte er im Bundesrat der Einstufung von Westbalkan-Staaten als sichere Herkunftsländer zugestimmt. Jetzt steht die Entscheidung über Marokko, Tunesien und Algerien an - auch hier gilt Kretschmanns Zustimmung als denkbar. Gleichzeitig versichert er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) immer wieder seiner Unterstützung für ihre Politik der offenen Grenzen. Anders der CDU-Spitzenkandidat Wolf: Sein Vorschlag, nach dem Vorbild Österreichs Flüchtlinge nur noch in Tageskontingenten nach Deutschland zu lassen, wurde von vielen als Absetzbewegung von Merkel interpretiert - und von dieser zurückgewiesen.

Die hitzigen Debatten um die Flüchtlinge sorgen dafür, dass typische Landesthemen in den Hintergrund rücken: Schul- und Bildungspolitik nennen nur 21 Prozent der Befragten unter den größten Problemen Baden-Württembergs. Dabei gab es auch in diesem Bereich große Veränderungen: Grün-Rot hat in den vergangenen fünf Jahren unter anderem die Einführung von Gemeinschaftsschulen vorangetrieben, an denen unterschiedlich leistungsstarke Schüler gemeinsam lernen. Deren Bilanz ist gemischt: Viele Kommunen hoffen, dass der neue Schultyp nach dem Niedergang der Hauptschule den Schulstandort sichern kann; andere kritisieren, dass Gemeinschaftsschulen finanziell privilegiert würden - zulasten von Realschulen und Gymnasien.

Schwierige Koalitionsfrage Aber welche Koalition wäre beim prognostizierten Ergebnis möglich? Diskutiert wird ein Dreier-Bündnis, bestehend entweder aus Grünen, SPD und FDP ("Ampel-Koalition") oder aus CDU, SPD und FDP ("Deutschland-Koalition"). Dass Dreier-Koalitionen aber nicht nur selten sind, sondern meist auch nach kurzer Zeit zerbrechen, darauf hat kürzlich erst Manfred Güllner, der Chef des Umfrageinstitutes Forsa, hingewiesen.

Übrig bliebe dann noch die Möglichkeit einer Großen Koalition nach baden-württembergischer Art: also Schwarz-Grün - oder eben auch Grün-Schwarz. Doch auch das Zustandekommen einer solchen Koalition stünde vor großen Schwierigkeiten: Kretschmann will nur als Ministerpräsident weiter in der Politik bleiben - und CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf hat ein grün-schwarzes Regierungsbündnis von vornhinein ausgeschlossen. Die Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl am 13. März könnten also zäh und langwierig werden. Auf ein Tabu haben sich allerdings alle bereits im Landesparlament vertretenen Parteien geeinigt: Mit der "Alternative für Deutschland" will niemand ein Bündnis eingehen.

Die Autorin ist freie Journalistin in Stuttgart.