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Endlager : Mehr als eine Episode

Bis zur Nutzung einer endgültigen Deponie in Deutschland werden noch Jahrzehnte vergehen. Zahlreiche Zwischenlager sind notwendig

15.08.2016
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6 Min

Viel zu lange sind die Fässer in den Kavernen nahezu unbeobachtet vor sich hin gerostet", musste der schleswig-holsteinische Energieminister Robert Habeck (Grüne) bei einem Ortstermin Ende Februar dieses Jahres in Brunsbüttel einräumen. Im Januar 2012 war einer TÜV-Mitarbeiterin erstmals ein rostiges Atommüll-Fass in den unterirdischen Lagerräumen des Kernkraftwerks aufgefallen, das seit dem Jahr 2007 wegen technischer Pannen keinen Strom mehr lieferte und 2011 abgeschaltet wurde. 632 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Stoffen (Filterharze und Verdampferkonzentrate) wurden bisher entdeckt. Ein Großteil davon weist Korrosionsbefunde auf, mehr als 150 Fässer sind schwer beschädigt.

Räumung Seit Anfang März werden nun die maroden 200 bis 300 Liter großen Fässer mit Hilfe von ausgeklügelter Technik umgeräumt. "Was hier zu leisten ist, ist Pionierarbeit", betonte Habeck. Mit Hilfe ferngesteuerter Hebe- und Greifwerkzeuge werden die Fässer vom Betreiber Vattenfall einzeln in Überfässer gepackt. Und zwar unter einer speziell angefertigten Einhausung: einem Aluminiumgerüst, ausgekleidet mit schwarzer Folie, das den Arbeitsbereich seitlich und nach oben umschließt. Diese steht unter Unterdruck, um das Austreten von Radioaktivität zu verhindern. Anschließend werden sie in extra konzipierte "endlagergerechte" Sicherheitscontainer aus Stahlblech gehievt, die zunächst in einer Halle gelagert werden sollen und später in einem in einem Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle auf dem Betriebsgelände des stillgelegten Kraftwerks.

Geplant ist zudem, die Fässer in einer Trocknungsanlage nachzutrocknen, um die Restfeuchte auf maximal 20 Prozent zu reduzieren. Die mit radioaktiv belasteten Filterharzen gefüllten Fässer sollen anschließend ausgesaugt und der Inhalt in Gussbehälter umgesaugt werden, um die Überfässer wieder verwenden zu können. "Wir können keine Garantie dafür abgeben, dass das Konzept reibungslos umgesetzt werden kann. Es kann immer wieder Nachsteuerungsbedarf geben. Wir wollen die Kavernen zwar so zügig wie möglich räumen, Strahlenschutz hat aber immer Priorität", sagte Habeck. Er rechnet damit, dass es mindestens drei Jahre dauert, bis die sechs Kavernen vollständig geräumt, gereinigt und wieder verschlossen sein werden. Ab frühestens 2022 sollen die Container mit den verstrahlten Fässern und Behältern dann im knapp 300 Kilometer entfernten Schacht Konrad südlich von Braunschweig endgültig gelagert werden.

Bergwerk umgerüstet Das stillgelegte Eisenerz-Bergwerk im Stadtgebiet Salzgitter wird derzeit zum Endlager für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung umgerüstet. Darunter versteht man schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Laut der aktuellsten Erhebung des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) mit Stand Ende 2014 sind davon bisher beinahe 21.800 Tonnen beziehungsweise über 117.000 Kubikmeter angefallen, die derzeit in Dutzenden von Zwischenlagern vorläufig gelagert werden.

Bei den Verursachern stehen Forschungseinrichtungen mit 37 Prozent an der Spitze, gefolgt von stillgelegten Kernkraftwerken (31 Prozent), die Wiederaufarbeitung (13 Prozent), die kerntechnische Industrie (neun Prozent), noch im Betrieb befindliche Kernkraftwerke (sieben Prozent) und mit drei Prozent Landessammelstellen (Abfälle aus Industrie, Medizin und Forschung). Das BfS rechnet damit, dass bis zum Jahr 2080 bundesweit knapp 200.000 Kubikmeter radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung anfallen, die im Schacht Konrad endgelagert werden. Davon stammen 55 Prozent aus der Energiewirtschaft, 37 Prozent von der öffentlichen Hand, 4,5 Prozent aus der kerntechnischen Industrie und 3,5 Prozent von den Landessammelstellen (darunter 0,5 Prozent medizinische Abfälle).

Prämisse dieser Prognose ist die geplante Abschaltung aller Atomkraftwerke in Deutschland bis spätestens 2022. Für den Reaktor Brunsbüttel, der 30 Jahre lang, bis 2007 Strom lieferte, hat Vattenfall im Jahr 2012 den Abriss beantragt. Die Atomaufsicht will in den kommenden zwei Jahren darüber entscheiden. Es wird damit gerechnet, dass die Demontage bis zu 15 Jahre dauern könnte. Dann sind nicht nur die maroden Fässer zu entsorgen, sondern insgesamt gut 10.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktive Abfälle.

Brennelemente Das problematischste Erbe sind jedoch hunderte ausgedienter, hochradioaktive Brennelemente. 517 davon sind derzeit noch nass im Reaktordruckbehälter eingelagert. Zusätzlich befinden sich 469 Brennelemente in neun gusseisernen, einteiligen Castoren-Behältern in dem angrenzenden Standortzwischenlager, einer oberirdischen Lagerhalle.

Eigentlich ist dies illegal. Denn das Bundesverwaltungsgericht entzog dem Atommüll-Zwischenlager nach einem Einspruch von Anwohnern im Januar 2015 die atomrechtliche Betriebsgenehmigung. Die Richter bemängelten, dass der Terrorschutz in einzelnen Aspekten bei der früheren Genehmigung durch das BfS im Jahr 2003 nicht ausreichend nachgewiesen worden sei. Doch Energie- und Umweltminister Habeck erließ kurz danach eine vorübergehende Duldung, zunächst bis Anfang 2018. "Dies ist notwendig, damit es keinen rechtslosen Raum gibt", sagt er. Denn genehmigte Lagerstätte, an welcher der Kernbrennstoff sicherer gelagert werden könne als im Zwischenlager Brunsbüttel, gebe es derzeit nicht.

Mitte Juli befürwortete Habeck nun sogar die von Vattenfall geplante Umlagerung der bisher im Reaktordruckbehälter eingelagerten Brennelemente in weitere elf Castoren-Behälter in dem Standortzwischenlager. "Wenn alle Anforderungen eingehalten werden, ist die Trockenlagerung der Brennelemente im Kernbrennstoffzwischenlager ein Sicherheitsgewinn gegenüber einer weiteren Nasslagerung", unterstreicht der Minister. So könne auf eine aktive Kühlung der wärmeentwickelnden Brennelemente verzichtet werden und das Mehr an Sicherheit beziehe sich auch auf den Schutz des Gebäudes gegen Einwirkungen von außen.

Auf Antrag Vattenfalls läuft inzwischen bei der Atomaufsicht des Bundes ein erneutes Genehmigungsverfahren für das Standortzwischenlager. "Ich erwarte, dass die Nachweisdefizite in dem neuen Verfahren ausgeräumt werden", sagte Minister Habeck.

Rücknahme Verschärft wird das Dilemma um die Sicherheit des Zwischenlagers in Brunsbüttel und an anderen Standorten auch aufgrund der fälligen Rücknahme von verstrahlten Abfällen aus der Wiederaufarbeitung im Ausland. 15.047 Tonnen hoch- und mittelradioaktive abgebrannte Brennelemente fielen durch die Atomenergienutzung in Deutschland bis Ende 2014 laut Angaben des BfS an. Davon wurden bis zum Jahr 2005 über 6.600 Tonnen zur Wiederaufarbeitung nach Großbritannien und Frankreich geliefert. Insgesamt 21 Castoren mit hochradioaktivem Müll aus der Wiederaufarbeitungsanlage in Sellafield und fünf Castoren mit mittelradioaktivem Müll aus La Hague muss Deutschland ab 2018 noch zurücknehmen. Weil ein Endlager bisher nicht vorhanden ist, sollten diese auf verschiedene Zwischenlager verteilt werden. Als eines davon war nach den Planungen des Bundesumweltministeriums Brunsbüttel vorgesehen, was nun hinfällig ist. Als ein Ersatzstandort in Schleswig-Holstein ist mittlerweile Brokdorf vorgesehen. Dorthin sollen sieben der Castoren aus Sellafield kommen, der Rest in die Zwischenlager an den Atomkraftwerken Isar (Bayern) und Biblis (Hessen). Die Behälter aus La Hague sollen ins Zwischenlager in Philippsburg. (Baden-Württemberg) gebracht werden. Doch in Brokdorf wird es nun zunehmend eng. 100 Stellplätze für Castoren hat das dortige Zwischenlager derzeit. 26 stehen dort schon, und 53 werden aus dem Betrieb des Kraftwerks noch hinzukommen. Wenn die Genehmigung für das Zwischenlager in Brunsbüttel nicht verlängert wird, könnten auch noch die dortigen Castoren nach Brokdorf umgelagert werden. Rund weitere 2.760 Tonnen abgebrannter hochradioaktiver Brennelemente werden bis zur Stilllegung der Kernkraftwerke in Deutschland noch anfallen, so die Hochrechnung des BfS. Dazu kommen noch mehrere hundert Tonnen aus Forschungsreaktoren.

Nachrüstungen Zwölf dezentrale Zwischenlager für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle an den bestehenden zwölf AKW Standorten gibt es derzeit in Deutschland. Dazu kommen drei zentrale Zwischenlager in Gorleben (Niedersachsen), Ahaus (Nordrhein-Westfalen) und Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). An diesen bestehenden Standorten laufen nun bereits Nachrüstungen, um einen besseren Schutz vor Terrorgefahren zu gewährleisten. "Die aber haben, weil die Gebäude einstmals nicht als Schutzsystem gedacht war, bauliche Grenzen", sagt Dirk Seifert, Energiereferent von Robin Wood. Er fordert den Neubau von drei bis fünf neuen und sichereren Zwischenlagern, auch weil sich abzeichne, dass sich ein Endlager erst ab 2080 zur Verfügung stehe. "Die heute praktizierte Zwischenlagerung radioaktiver Castor-Behälter in nur wenig zusätzlich Schutz bietenden oberirdischen Lagerhallen dürfte ein Auslaufmodell sein", sagt er. Als Modell für ein Zwischenlager-Konzept 2.0 könne nun der Neubau in Lubmin dienen. Wie dies allerdings genau aussehen könnte, ist derzeit noch offen.

Der Autor ist freier Energiejournalist in Berlin.