RELIGION : Glaube als Geschenk
Was es bedeutet, Gottvertrauen zu haben
Eigentlich hat sich die französische Republik hat sich einer strengen Laizität verschrieben: Staat und Kirche sind seit Anfang des 20. Jahrhunderts strikt getrennt. Für Philippe Étienne, Botschafter Frankreichs in der deutschen Hauptstadt, lag es nach dem Attentat von Nizza mit über 80 Toten Mitte Juli selbstverständlich trotzdem am Herzen, den ökumenischen Gedenkgottesdienst im Berliner Dom zu besuchen. Dort hörte er, als erstes namentlich begrüßt vom katholischen Weihbischof des Berliner Erzbistums, Matthias Heinrich, vor allem eines: Eine Antwort auf das Blutbad an der Côte d'Azur sei nur in einem zu finden - im Gottvertrauen.
Gottvertrauen, das ist ein seltsames Wort geworden. Es ragt hinüber aus alten Zeiten, in denen es vielleicht noch öfter zu finden war. Aber in einer zunehmend säkularisierten Welt ist es nur noch für wenige etwas, was trägt. Das gilt auch für die rund 46 Millionen Christinnen und Christen, die in der Bundesrepublik noch Mitglieder der großen Volkskirchen sind: Wer von ihnen hat wirklich Gottvertrauen? Und was ist das überhaupt? Vielleicht, etwas flappsig ausgedrückt, so etwas wie der Glaube des überforderten, aber frohgemuten indischen Managers in der britischen Filmkomödie "Best Exotic Marigold Hotel" aus dem Jahre 2011. Der sagt bei jeder Gelegenheit: "Am Ende wird alles in Ordnung sein. Und wenn es nicht in Ordnung ist, ist es noch nicht das Ende."
Gottvertrauen, das ist wohl am ehesten das: Das Vertrauen, dass dank Gottes Hilfe am Ende alles gut sein wird - aber dieser Satz ist schwierig, denn was heißt "Gottes Hilfe", wie zeigt sie sich, welche Rolle spielen dabei Menschen und wie ist die erkennbar? Was heißt "am Ende": am Ende des Ereignisses, nach einem Jahr, nach Jahrzehnten? Und was heißt "gut"? Das, was wir Menschen für "gut" befinden? Oder das, was "gut" auf eine Art und Weise ist, die wir nicht immer erkennen können, weil wir spätestens nach Kant wissen, dass unsere Sinne und unser Denken nur einen Teil der Realität erfassen können. Ähnlich drückt es die Volksfrömmigkeit aus, wenn sie lehrt: Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade.
Phasenweise geschenkt So ist Gottvertrauen eine sehr ambivalente, flüchtige Angelegenheit, die man nie sicher hat, sondern allenfalls phasenweise geschenkt bekommt. Ähnlich wie es Paulus sagt: Der Glaube ist ein Geschenk. Gottvertrauen ist es auch. Es gibt fromme Menschen, die wenig Gottvertrauen, und Ungläubige, die sehr viel davon mitbringen, ohne dies so zu benennen. Gottvertrauen hat weniger mit Glauben zu tun als mit einem grundsätzlichen Optimismus, der sich nicht auf Naivität gründen sollte, sondern auf dem Vertrauen, dass Gott seine Schöpfung gut, ja "sehr gut" gemacht hat, wie das Buch Genesis sagt. Und dass er seine Schöpfung und die Menschen nie allein lässt.
Aber ist das einfach so zu glauben - angesichts der Katastrophen, die vor allem das 20. Jahrhundert gebracht haben? Wo war Gott in Auschwitz? Wo im Gulag? Wo auf den Schlachtfeldern des Ersten und Zweiten Weltkriegs? Wie viele der Menschen, die dort gestorben sind, haben voller Gottvertrauen gebetet, der Höchste möge sie erretten von aller Not? Vielleicht ist das Wort und die Haltung des Gottvertrauens uns Heutigen so schal geworden, weil wir, unsere Eltern und Großeltern es am eigenen Leibe erlebt haben, wie wenig schlichtes Gottvertrauen am Ende hilft. Die Theodizee-Frage: "Wie kann ein gerechter und guter Gott dies zulassen?" ist der Fels des Atheismus, wie ein bekannter Spruch lautet - und die Theologie hat bis heute darauf keine befriedigende Antwort gefunden.
Für so manchen, der es ernst meint, ist Gottvertrauen im 21. Jahrhundert schwer geworden. Auf die Theodizee-Frage, wie üblich, nur zu antworten: Die meisten Toten seien eben Opfer von Menschen, denen Gott die Freiheit gegeben hat, das Gute zu tun oder eben das Böse - ist ein wenig billig. Denn was hilft mir das Vertrauen in einen Gott, der das größte Unrecht zulässt, nur weil er die Freiheit des Menschen zulässt?
Die Solidarität Gottes So ist Gottvertrauen wohl eine individuelle Gabe, Dinge hinzunehmen, die sonst unerträglich wären. Im Christentum gibt es immerhin den Glauben, dass selbst Jesus sein Gottvertrauen verloren hat - oder fast verloren hat, nämlich am Kreuz, wenn der langsam und qualvoll zu Tode Gefolterte am Ende dem Evangelium zufolge ausruft: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
Was danach geschah, ist Sache des Glaubens. Einen Beweis, dass Gott Jesus noch im Tode nicht allein gelassen hat und er gar auferstanden ist, haben wir nicht. Aber dass Gott sich nach dem christlichen Glauben selbst in das tiefste Leid der Menschen begibt - diese Solidarität oder Liebe Gottes ist ja auch etwas, was Vertrauen, eben Gottvertrauen begründen kann.
Der Autor ist Redakteur beim Deutschlandradio Kultur und bei der "taz".