Gastkommentare - Contra : Seelenlose Rechnerei
das Renteneintrittsalter anheben?
Am besten hat den Begründungszusammenhang für eine weitere Lebensarbeitszeitverlängerung vor wenigen Wochen der Sachverständigenrat beim Bundeswirtschaftsministerium auf den Punkt gebracht. Er schlug vor, das Rentenalter künftig entsprechend dem Anstieg der Lebenserwartung so zu erhöhen, dass zwei Drittel des Zuwachses im Job verbracht werden und ein Drittel in der Rente. Das sei doch ein fairer Deal, so die Befürworter.
Auf dem Papier geht diese Rechnung auf, in der Wirklichkeit nicht. Zwar hat sich die Erwerbsbeteiligung Älterer erhöht, aber von einer Wertschätzung von Arbeitnehmern 63 plus in den Unternehmen kann kaum die Rede sein. Wo sollte der geforderte Kulturwandel auch herkommen, wenn selbst die Rentenversicherung die jährliche Standmitteilung über das persönliche Rentenkonto für Versicherte über 63 nicht mehr verschickt, weil die ja theoretisch schon in Rente gehen könnten.
Schwerer wiegt, dass sich das Leben der meisten Menschen den Durchschnittsberechnungen der Rententheoretiker immer weniger fügt. Dabei geht es weniger um den viel bemühten Dachdecker, der nicht mehr kann. Zu reden ist von der sozialen Kluft, die in den vergangenen 20 Jahren mit dem Ausbau des Niedriglohnsektors gewachsen ist. Wer hier, gemessen am Einkommen, am unteren Ende der Skala sitzt, wird früher chronisch krank und pflegebedürftig als Besserverdiener. Er stirbt auch früher und seine Lebenserwartung ist in der Vergangenheit kaum gestiegen. Es wäre zynisch, diese Menschen auch noch mit höheren Rentenabschlägen dafür zu bestrafen, dass sie mit ihrer kürzeren Lebenszeit die Rentenkassen weniger belasten als langlebige Gutverdiener.