Grüne GENTECHNIK : Schere im Erbgut
Neue Methoden, alter Streit
Ein paar weiße Champignons aus den USA haben weltweit für Empörung bei den Gegnern von Gentechnik in der Landwirtschaft gesorgt. Die Pilze dürfen wie ein gewöhnliches Lebensmittel in den USA verkauft werden, obwohl ihre Herstellung ohne moderne Gentechnik nicht denkbar wäre.
Denn die Champignons besitzen eine Eigenschaft, die viele Konsumenten erfreuen wird: Sie bleiben länger weiß und färben sich nicht mehr braun, wenn sie geschnitten werden. Der Pflanzenforscher Yinong Yang hat mit einer neuen Methode in das Erbgut der Pilze eingegriffen. Er schaltete eine Gruppe von Genen aus, die die Braunfärbung bewirken. Dennoch handelt es sich nach Ansicht des US-Landwirtschaftsministeriums nicht um gentechnisch veränderte Organismen. Das Erbgut der Champignons besitze die gleiche Zusammensetzung wie das seiner natürlichen Verwandten.
Die Grundlage für Yangs Erfolg liegt in zwei Entwicklungen, die den Einsatz der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung in den vergangenen Jahren stark verändert haben. Zum einen haben Forscher das Erbgut Tausender Pflanzen im Detail analysiert. Sie verstehen die Aufgaben einzelner Gene oder von Gruppen von Genen viel besser. Dieses Wissen liefert ganz konkrete Ziele für die Veränderung von Pflanzen.
Zum anderen verfügt die Wissenschaft über ein neues Werkzeug, das Veränderungen am Erbgut deutlich erleichtert. Es trägt den sperrigen Namen Crispr/Cas9 und lässt sich am besten als feine Schere beschreiben, die einen DNA-Strang in einer Zelle an einer vorher bestimmten Stelle zerteilen kann. Wenn die Zelle dann ihre natürlichen Mechanismen nutzt, um diese Bruchstelle zu reparieren, schleust Crispr/Cas9 gleichzeitig die gewünschte Veränderung (Mutation) ein. Das Werkzeug ist zwar nicht perfekt und greift manchmal die falschen Stellen im Genom an. Aber diese Fehler sind überschaubar.
Crispr/Cas9 Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna haben die Möglichkeiten dieses Werkzeugs im August 2012 erstmals beschrieben. Vier Jahre später gehört die Gen-Schere schon zu den Standardverfahren der Biotechnologie. Die Gen-Schere ist schnell, preisgünstig und einfach in der Handhabung. Den kleinen Code, mit dem Crispr/Cas9 das spezifische Ziel der Schere findet, können die Forscher über eine Datenbank direkt im Internet bestellen. Das Instrument eignet sich auch für Forschungslabore mit einem geringen Etat, Mittelständler oder Start-Ups.
Aus der Sicht der Bio-Technologen funktioniert diese Art der Gentechnik nicht anders als die Natur selbst. Bei den klassischen Verfahren durch Kreuzung versuchen die Züchter, bestimmte Eigenschaften einer Pflanze zu verstärken: Sie wollen Mutationen erzeugen, bestimmte Gene aktivieren und andere unterdrücken. Sie machen das, indem sie vielversprechende Elternpflanzen kreuzen. Die Struktur des neuen Erbguts ist aber stark dem Zufall überlassen. "Die gezielten, durch Crispr/Cas9 induzierten Doppelstrangbrüche in der DNA sind viel besser als das brutale Gemetzel der Natur bei ihrer physikalischen Mutagenese", beschreibt Holger Puchta, Leiter des botanischen Instituts am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die Vorzüge. Die Gen-Schere liefert die Produkte der zweiten Generation der Grünen Gentechnik. Sie unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von früheren Ansätzen der sogenannten Trans-Gentechnik: Bisher haben die Wissenschaftler artfremde DNA-Schnipsel in die Pflanzen eingesetzt. So enthält beispielsweise der bekannte Monsanto-Mais zusätzlich ein Gen aus einem Bakterium, dessen Gift den Maiszünsler abtötet. Gentechnik-Gegner haben diese Vermischung zweier Organismen immer mit Argwohn betrachtet. Sie befürchten unberechenbare Folgen für die Natur und gesundheitliche Risiken beim Verzehr der Lebensmittel.
cis-Gentechnik Eine andere wichtige Entwicklung in der Biotechnologie ist die sogenannte cis-Gentechnik. Im Gegensatz zur trans-Gentechnik verwendet die cis-Variante Gene aus der gleichen Art. Die Züchter wollen positive Eigenschaften von alten Sorten direkt auf neue Pflanzen übertragen. Beispiele dafür sind die Resistenz von Kartoffeln oder Äpfeln gegenüber Pilzkrankheiten. Die Wissenschaftler entnehmen den Wildsorten die Gene, die für die Widerstandskraft verantwortlich sind, und setzen sie in die heutigen Pflanzen ein. Das pilzresistente Produkt enthält zwar zusätzliche DNA, aber trotzdem ausschließlich Erbgut, das bei den Artgenossen seit langer Zeit zu finden ist.
Während in den USA Genehmigungen erteilt werden, tut sich Europa schwer, die neuen Entwicklungen rechtlich einzuordnen. Zentraler Streitpunkt ist die Frage: Was soll in Zukunft als "gentechnisch verändert" eingestuft werden? Nach Ansicht von Greenpeace reicht es aus, wenn bei der Züchtung einer neuen Sorte ein gentechnisches Verfahren verwendet wurde. Die Pflanzen sollen dann nach den strengen Auflagen des Gentechnikgesetzes (siehe Beitrag oben rechts) behandelt werden. Die Akademien der Wissenschaften empfehlen dagegen den Blick auf das Produkt: "Für die Risikobewertung sollten die spezifischen Eigenschaften der Züchtungsprodukte im Mittelpunkt stehen." Dieser Streit lähmt die Branche, berichtet der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter. Für die Unternehmen sei es ein untragbares Risiko, ein Produkt auf den Markt zu bringen, von dem nicht bekannt sei, welchen Auflagen es unterliegen werde.
trans-Gentechnik Aber auch die erste Generation der Gentechnik wird weiter entwickelt. In der Schweiz wird demnächst eine Weizensorte im Freiland getestet, die dank eines Gens aus der Gerste im Gewächshaus fünf Prozent höhere Erträge lieferte. Diese in Deutschland nicht beliebte trans-Gentechnik erfreut sich prominenter Befürworter. Im Juni haben 113 Nobelpreisträger die Blockade gegen Gentechnik als ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" bezeichnet. Vermeintliche Umweltschützer hätten wiederholt Fakten geleugnet, Risiken falsch dargestellt und sich gegen Innovationen in der Landwirtschaft gestellt, heißt es in einem offenen Brief. Die Laureaten sehen grüne Gentechnik als Weg zur Sicherung der Welternährung. Ganz konkret fordern sie den Anbau des "Golden Rice". Diese Sorte enthält zusätzliche Gene, die Vitamin A produzieren und damit Mangelernährung bekämpfen sollen.
Der Autor ist freier Wissenschaftsjournalist.