Rechtschreibung : Die Sprache gehört dem Volk
Staatliche Regelungsinstanzen wie in Frankreich kennt das föderale Deutschland nicht
Im Sommer feiert die Deutsche Post ein Jubiläum mit einer Sonderbriefmarke: Vor 400 Jahren, am 24. August 1617, entstand mit der "Fruchtbringenden Gesellschaft" die erste deutsche Sprachakademie. Nur 18 Jahre später bildete sich parallel dazu in Frankreich 1635 die "Académie française". Doch während die französische Gesellschaft noch heute ihrer Aufgabe nachgeht, Französisch zu vereinheitlichen und zu pflegen, verschwand die Fruchtbringende Gesellschaft nach nicht einmal 100 Jahren. In Deutschland bildete sich über die Jahrhunderte hinweg im Gegensatz zu Frankreich keine zentrale Einrichtung heraus, die über die Sprache des Landes wacht. Die starke föderale Tradition verhinderte dies nachhaltig.
Doch ist eine solche zentrale Instanz wie in Frankreich überhaupt notwendig? Der Einfluß der Akademie, die im wesentlichen ein Wörterbuch und eine Grammatik herausgibt, gilt als beschränkt. Zudem weisen manche Sprachwissenschaftler gern darauf hin, daß sich Sprache entwickle und also keinerlei staatlicher Regulierung bedürfe. Es stellen sich somit Fragen: Ist Sprachpolitik überhaupt notwendig? Und, wenn ja, von wem und wie sollte sie organisiert werden? Und wie weit darf sie gehen?
Standardsprache Die Willensbildung in einem Staat wie der Bundesrepublik findet in einer Standardsprache statt. Diese sollten möglichst viele Staatsbürger gut sprechen und verstehen, wenn es demokratisch zugehen soll. Größtmögliche Verständlichkeit ist hier das Maß, an dem sich besonders auch die Politiker ausrichten müssen. Außerdem stiftet Sprache Identität, bereichert die Kultur und ist das wichtigste Werkzeug, um sich zu bilden. Eine hochentwickelte Sprache stellt einen kulturellen Wert dar, den es auch mit exekutiven Maßnahmen zu erhalten gilt. Zwar scheiterten bislang alle Versuche, die deutsche Sprache im Grundgesetz zu verankern; der deutsche Staat hat jedoch grundsätzlich ein großes Interesse daran, daß Hochdeutsch als Staatssprache in Wort und Schrift gewahrt wird. Verläßliche Normen sind dafür eine wichtige Grundlage.
Kein Staat kann sich somit aus der Sprachpolitik heraushalten. Ganz gleich, ob er etwas tut oder ob er etwas unterlässt, beides hat Auswirkungen. Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfolgreich Deutschkurse abhalten lässt, dann hat das sprachpolitische Konsequenzen, die den inneren Frieden stärken. Genauso hat es Folgen, wenn das BAMF nicht handelt und Parallelgesellschaften entstehen, in denen kein Deutsch gesprochen wird. Jeder Integrationskurs des BAMF ist also angewandte Sprachpolitik. Der Deutsche Bundestag hat am 27. Juni 2013 einen Forderungskatalog mit sprachpolitischen Maßnahmen aufgestellt (17/14114). Dazu gehört auch die Stärkung der deutschen Sprache innerhalb der EU.
Die Kunst bei jeder sprachpolitischen Maßnahme besteht darin zu entscheiden, wann es sinnvoll ist zu handeln - und wann es besser ist, lieber nichts zu tun. Als unrühmliches Beispiel für sprachpolitische Fehlentscheidungen gilt die Rechtschreibreform. Der Germanist Uwe Grund konnte nachweisen, daß die Schüler seither mehr Fehler machen als vorher. Die Kultusministerkonferenz entzog 1996 der Dudenredaktion das Privileg, maßgeblich in allen orthographischen Fragen zu sein. Die heutige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) war im Jahr 2005 Präsidentin der Kultusministerkonferenz, als diese den "Rat für deutsche Rechtschreibung" gründete und mit der Reform der Reform beauftragte. 2006 bekannte Wanka gegenüber dem "Spiegel": "Die Kultusminister wissen längst, dass die Reform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden."
Auch nach der Rechtschreibreform bekommen staatliche Organe nicht immer Zustimmung für gut gemeinte Eingriffe in die Sprache: etwa beim "Gender Mainstreaming", wenn in der neuen Straßenverkehrsordnung von 2013 die "Verkehrsteilnehmer" zu "am Verkehr Teilnehmende" werden
Staatliches Sprachhandeln kann also auch misslingen. So sollten sich Regierung und Parlament immer dann zurückhalten, wenn das Sprachvolk deren Entscheidungen als gängelnd und bevormundend empfindet, und wenn Sprachregelungen auf die Bürger unnatürlich und lächerlich wirken. Der Staat sollte aber auch eingreifen, sobald es den politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands dient - doch immer eingedenk des Bundestagsbeschlusses zur Rechtschreibreform von 1998, in dem es heißt: "Die Sprache gehört dem Volk."