Provenienzforschung : »Wir haben eine moralische Verpflichtung«
Der Kulturmanager Hermann Parzinger über geraubte Kunstwerke und die Schwierigkeiten bei der Suche nach den rechtmäßigen Eigentümern
Herr Parzinger, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hat seit den 1990er Jahren Hunderte Werke restituiert. Wie wird NS-Raubkunst identifiziert?
Wir machen Provenienzforschung auf zweierlei Art. Einerseits einzelfallbezogen, wenn an uns Ansprüche auf die Herausgabe von Kunstwerken oder anderen Kulturgütern gestellt werden. Andererseits gehen wir unabhängig davon systematisch unsere Bestände durch.
Das klingt nach einer aufwendigen Suche.
Bei Millionen von Objekten wie bei der SPK ist das natürlich nicht von heute auf morgen zu bewältigen. Daher ist die Systematik bei der Forschung so wichtig. Wir haben gezielt mit der Prüfung solcher Konvolute begonnen, bei denen die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass sich unter ihnen NS-Raubkunst befindet.
2017 werden wir zum Beispiel das Projekt zur Erforschung der "Sammlung der Zeichnungen" im Kupferstichkabinett abschließen - das sind rund 900 Werke, die zwischen 1933 und 1945 erworben wurden. Einige Werke haben wir als NS-Raubgut identifiziert und restituiert.
Wie zahlreich sind denn eigentlich die Fälle, in denen Ansprüche gestellt werden, die aus Sicht der SPK nicht berechtigt sind?
Die Ansprüche, die an uns gestellt worden sind, waren in den meisten Fällen berechtigt. Und wir haben die Dinge natürlich zurückgegeben. Es gibt nur wenige Fälle, in denen uns das nicht gegeben schien. Manchmal kann man aufgrund der Aktenlage nicht ganz eindeutig sagen: Ist etwas verfolgungsbedingt entzogen worden oder nicht? Wenn sich nach sorgfältiger Prüfung der Verdacht nicht ausräumen lässt, sollte man zu einer Einigung mit den Erben kommen. Wie eine solche Einigung aussieht, hängt vom Einzelfall ab. Die Washingtoner Prinzipien, die seit 1998 gelten, haben diesen Punkt sehr klar gesehen und thematisiert - sie fordern die Suche nach fairen und gerechten Lösungen.
Der Kunsthistoriker Uwe Schneede hat es als erschütternd bezeichnet, dass einige große Museen in Deutschland keine feste Stelle für Provenienzforschung haben. Wie ist die SPK aufgestellt?
Wir sind die mit Abstand größte Kultureinrichtung in Deutschland - mit Museen, Bibliotheken, Archiven - und haben in nahezu allen Einrichtungen auch Provenienzforschungsprojekte. Seit 2008 gibt es bei den Staatlichen Museen zu Berlin eine feste Wissenschaftlerstelle für Provenienzforschung, die auch für die Koordination der verschiedenen Projekte zuständig ist.
Bei der Staatsbibliothek, die ja auch zur SPK gehört, ist die Provenienzforschung in der Abteilung für Historische Drucke angesiedelt; auch dort gibt es eine feste Stelle dafür und daneben Projektstellen. Denn auch wenn es bei den großen Kultureinrichtungen insgesamt wenig feste Stellen für Provenienzforschung gibt, läuft eine ganze Menge über Projektmittel.
Warum dauert es oft so lange, bis NS-Raubkunst zurückgegeben wird?
Es ist eine hochkomplexe Forschung. Die Museen haben ja eine große Verantwortung: Sie können nicht einfach Dinge abgeben, um gut dazustehen. Man muss immer rekonstruieren, wie es wirklich gewesen ist - und das kann ganz unterschiedlich lange dauern. Es ist abhängig davon, welche Quellen verfügbar sind.
Für den Kunsthandel der 1930er und frühen 1940er Jahre gibt es glücklicherweise durchaus Archivunterlagen von Auktionen. Aber man tut sich meistens bei einem bedeutenden Gemälde, einem bekannten Künstler leichter, die Herkunft zu rekonstruieren, als bei Graphiken oder kunstgewerblichen Objekten.
Im Fall der Sammlung des jüdischen Verlegers Rudolf Mosse hat die SPK neun Werke restituiert und zwei davon zurückerworben. Stehen für solche Rückkäufe eigens Mittel zur Verfügung?
Nein, dafür stehen keine eigenen Mittel zur Verfügung. Wie überhaupt öffentliche Museen so gut wie gar keinen Ankaufsetat haben oder nur einen ganz geringen. Für uns war im Fall Mosse nach genauer Prüfung klar, dass die Werke, die in Sammlungen unserer Museen entdeckt wurden, unrechtmäßig entzogen worden sind. Es gab für uns nicht den geringsten Zweifel, dass wir diese Dinge sofort restituieren. Wir hatten dann mit der Erbengemeinschaft, mit der Mosse Foundation, sehr faire Gespräche. Wir haben gesagt, dass wir das eine oder andere Werk gern behalten würden für das Museum und konnten dann die nötigen Mittel einwerben.
Und die Erben sind Ihnen entgegengekommen?
Das war die Fairness der anderen Seite: Sie hätte auf dem Kunstmarkt vielleicht einen etwas höheren Preis erzielt als das, was wir bezahlen konnten. Insofern ist das ein Musterbeispiel: Wir bekennen uns zu unserer moralischen Verpflichtung und in einigen Fällen versuchen wir, in Gesprächen mit den Erben herauszufinden, ob ein Rückerwerb möglich ist.
Mit jedem restituierten Werk verlieren Museen ein wertvolles Exponat. Wie sehr blutet den Verantwortlichen dabei das Herz?
Es ist für die Kuratoren schon manchmal schwierig, sie sind ja eigentlich für den Erhalt der Sammlungen zuständig. Bei uns war vor einigen Jahren das Caspar David Friedrichs Gemälde "Der Watzmann" ein Restitutionsfall - eines der Highlights der Alten Nationalgalerie und eines der bedeutendsten Gemälde dieses Malers, vielleicht der romantischen Malerei des 19. Jahrhunderts insgesamt. Aber da kann einem das Herz noch so bluten: Wir haben eine moralische Verpflichtung. Es ist letztlich NS-Raubkunst, und Museen sollten keine Raubkunst in ihren Hallen haben.
"Der Watzmann" konnte letztlich hängen bleiben.
Wir konnten das Gemälde trotzdem für die Alte Nationalgalerie erhalten, weil die DekaBank es erwarb und der Alten Nationalgalerie als Dauerleihgabe überlassen hat. Wäre das nicht gelungen, hinge das Bild da nicht mehr. Das wäre zwar bedauerlich gewesen. Aber es hätte ja auch nie diesen Weg in unsere Sammlung nehmen dürfen.
Das Gespräch führte Petr Jerabek.
Professor Hermann Parzinger ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.