Historie : Der lange Weg zum Ja
Wie die »Ehe für alle« in drei Jahrzehnten in Gesellschaft und Parlament mehrheitsfähig wurde
Drei Jahrzehnte hat Volker Beck im Bundestag für die Gleichstellung Homosexueller gekämpft; kurz vor dem Ende seiner Parlamentszugehörigkeit kann der Grünen-Abgeordnete die Früchte ernten: Nun kommt die "Ehe für alle" und Beck, der 1987 als Schwulenreferent der Grünen-Fraktion begann und 1994 selbst Parlamentarier wurde, ist "tief dankbar" (siehe auch Porträt auf Seite 2).
Das ist auch Stefan Kaufmann. Der Stuttgarter CDU-Abgeordnete adressierte das auch. "Danke Angela Merkel! Wie befreiend!", twitterte der 57-jährige Christdemokrat noch am Montagabend vergangener Woche. Kaufmann ist Mitglied der Lesben und Schwulen in der Union. Kurz zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Ehe für alle zur Gewissensfrage erklärt und damit den Abgeordneten der Union freie Hand bei einer Abstimmung im Parlament gelassen. Vorausgegangen war, dass Grüne, FDP und auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz die Ehe für alle zur Koalitionsbedingung erklärten. "Ich bin aufgewühlt. Ich bin glücklich. Ich bin froh. Ich bin dankbar. Die Eheöffnung kommt.", schrieb Kaufmann bei Twitter nach der CDU/CSU-Fraktionssitzung am Dienstag. Viele in der Union denken freilich anders.
30 Mal vertagt Jahrelang bewegte sich wenig bei dem Thema. Dabei lagen drei Gesetzentwürfe schon lange vor. Grüne und Linke zogen ihre Entwürfe nun zugunsten einer Vorlage des Bundesrates zurück. Die war von der rheinland-pfälzischen Landesregierung Initiiert worden und stammt vom 25. September 2015. Schon im März 2013 hatte die Länderkammer nahezu den gleichen Entwurf an den Bundestag weitergeleitet. Damals nahte das Ende der Legislaturperiode ebenfalls, aber anders als diesmal kam es nicht zur Abstimmung.
In der laufenden Legislaturperiode vertagte der Rechtsausschuss das Thema 30 Mal mit Koalitionsmehrheit. Erst in einem vorletzte Woche veröffentlichten Beschluss wies das Bundesverfassungsgericht Eilanträge der Opposition ab, die damit eine Entscheidung des Ausschusses noch vor der Sommerpause erzwingen wollte. Am vergangenen Mittwoch jedoch gab es rot-rot-grünes Licht im Ausschuss, nachdem sich die SPD entschlossen hatte, gemeinsame Sache mit der Opposition zu machen.
Ende der 1980er Jahre gewannen die Diskussionen zunächst über "eheähnliche Lebensgemeinschaften" an Fahrt. So veranstaltete die SPD-Bundestagsfraktion dazu 1988 ein Hearing und auch auf dem Juristentag in Mainz spielte das Thema eine Rolle. Beflügelt wurden die Diskussionen durch das Vorhaben Dänemarks, wonach sich gleichgeschlechtliche Paare registrieren lassen konnten. Das war ab 1. Oktober 1989 der Fall.
Bundesweite Aufmerksamkeit zog die "Aktion Standesamt" am 19. August 1992 auf sich. Rund 250 lesbische und schwule Paare "stürmten" in rund 100 Gemeinden die Standesämter und bestellten ihr Aufgebot. Prominentestes Paar waren die TV-Entertainerin Hella von Sinnen und Cornelia Scheel, die Tochter des früheren Bundespräsidenten. Die Anträge wurden abgelehnt, es folgten etwa 100 Klagen. Zumindest eine hatte vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main Erfolg und scheiterte in der nächsten Instanz. Ein Jahr später lehnten die Karlsruher Richter den Anspruch gleichgeschlechtlicher Paare auf Eheschließung ab.
Doch die Entwicklung ging weiter. 1994 wurde der Paragraph 175 des Strafgesetzbuchs, der Homosexuelle mehr als 100 Jahre kriminalisierte, aufgehoben. Erst vor wenigen Tagen beschloss der Bundestag die Rehabilitierung und Entschädigung der nach dem Krieg in Ost und West verurteilten Homosexuellen. Von etwa 64.000 Männern, die nach 1949 verurteilt wurden, war dabei die Rede, nur ungefähr 3.000 erleben den historischen Schritt noch mit.
Ein Meilenstein war das unter der rot-grünen Bundesregierung Anfang August 2001 in Kraft getretene Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft. Erstmals konnten lesbische und schwule Paare eine rechtlich anerkannte Verbindung eingehen. Heinz-Friedrich Harre und Reinhard Lüschow gelten als die ersten, die sich am 1. August 2001 trauen ließen. Ein Blitzlichtgewitter empfing sie, als sie am 1. August 2001 das Alte Rathaus in Hannover als frisch vermähltes Paar verließen.
Seitdem haben es Ihnen viele nachgemacht. Laut Statistischem Bundesamt lebten 2015 rund 94.000 Paare in gleichgeschlechtlichen Beziehungen, 57 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Darunter waren 43.000 Paare in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, mehr als dreimal so viel wie im Jahr 2006. Die Vergleiche beziehen sich auf Befragungen beim Mikrozensus, genaue Zahlen zu den Lebenspartnerschaften werden erst seit 2014 erhoben. In dem Jahr gingen 7.112 Paare eine solche Verbindung ein. 2015 waren es 7.401 Paare. Zahlen für 2016 liegen noch nicht vor.
Auch wenn das Gesetz von 2001 historisch genannt werden kann, blieben lesbische und schwule Paare gegenüber der herkömmlichen Ehe in vielen Rechtsbereichen benachteiligt. 2005 folgte in einer Gesetzesnovelle die weitgehende Angleichung an das Eherecht beim Güter- und Unterhaltsrecht, beim Versorgungsausgleich und bei der Hinterbliebenenversorgung. Zugelassen wurde die Stiefkindadoption, also die Annahme eines leiblichen Kindes des Partners. Auch das Antidiskriminierungsgesetz von 2006 stärkte die Rechte Homosexueller.
Danach wurde das Bundesverfassungsgericht Treiber der Entwicklung. Schon 2002 entschieden die Richter, dass die eingetragenen Lebenspartnerschaften nicht gegen den besonderen Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes verstoßen. In mehreren Urteilen zwischen 2009 und 2013 erklärte Karlsruhe die Ungleichbehandlung bei der Hinterbliebenenrente des öffentlichen Dienstes, bei der Erbschaft- und Schenkungssteuer, bei der Grunderwerbsteuer und beim Ehegattensplitting für unwirksam.
Kehrtwende der Kanzlerin Als sich Union und SPD nach der Bundestagswahl 2013 zusammentaten, versprachen sie den Abbau weiterer Ungleichbehandlungen ; die Eheöffnung konnte die SPD nicht durchsetzen. 2014 setzte die Koalition die Sukzessivadoption um, wiederum vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Nun war auch die Adoption von Kindern zugelassen, die von der Partnerin oder dem Partner adoptiert worden war. Die gemeinsame Adoption von Kindern blieb untersagt, eine der letzten großen Benachteiligungen. Kanzlerin Merkel hatte ihr Nein kurz vor der Wahl erklärt. "Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich mich schwer tue mit der völligen Gleichstellung", betonte Merkel in der ARD-"Wahlarena". Sie sei sich nicht sicher, was das Kindeswohl anbelange, sagte sie einem Mann, der mit seinem Partner gern ein Kind adoptieren wollte. Dabei war es Merkel, die einst Guido Westerwelle half, seine Partnerschaft mit dem Sportmanager Michael Mronz öffentlich zu machen. Drei Tage nach ihrem 50. Geburtstag im Jahr 2004 hatte die damalige Fraktionsvorsitzende in das Konrad-Adenauer-Haus geladen. Der Hirnforscher Wolf Singer hielt einen Festvortrag, in der ersten Reihe saß Merkel zwischen ihrem Ehemann Joachim Sauer und Edmund Stoiber. Auch der damalige FDP-Vorsitzende Westerwelle und Mronz waren gekommen. Es war ihr erster gemeinsamer öffentlicher Auftritt, was zunächst wenig Beachtung fand. Westerwelle und Mronz lebten seit einem Jahr zusammen, 2010 gingen sie eine eingetragene Lebenspartnerschaft ein.
Vier Jahre nach Merkels Nein war es wieder ein junger Mann, der sie öffentlich auf das Thema ansprach. "Wann darf ich meinen Freund irgendwann Ehemann nennen, wenn ich ihn denn heiraten möchte?", fragte Ulli Köppe vor einer Woche beim Talk der Frauenzeitschrift "Brigitte" im Berliner Maxim-Gorki-Theater die Regierungschefin. Der "Welt" sagte der 28-Jährige später, es widerstrebe ihm total, nur eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen zu können. Er wolle sich "hinstellen und sagen: Das ist mein Ehemann und nicht nur mein Lebenspartner." Sie habe sich viele Gedanken über das Thema gemacht, antwortete Merkel auf seine Frage. Als "einschneidendes Erlebnis" schilderte sie die Begegnung mit einem lesbischen Paar, das acht Pflegekinder betreut. Wenn das Jugendamt dazu Ja sage, "dann kann ich nicht mehr ganz einfach mit der Frage des Kindeswohls argumentieren."
Nachzügler in Europa Die Ehe für alle ist in Deutschland längst mehrheitsfähig, in Europa ist die Bundesrepublik zum Nachzügler geworden. In Umfragen befürworten drei Viertel der Deutschen, dass Lesben und Schwule heiraten können wie Heterosexuelle auch. Europaweit sind es mittlerweile 13 Staaten, in denen die Ehe für alle und zumeist auch das volle Adoptionsrecht verankert sind, darunter einige, in denen die katholische Kirche eine starke Rolle spielt; weltweit sind es rund 20 Staaten (siehe auch Seite 1).
In den Niederlanden können seit 2001 homosexuelle Ehen geschlossen werden, Belgien folgte ein Jahr später. Auch in Dänemark, Frankreich, Finnland, Großbritannien (außer Nordirland), Irland, Island, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Schweden und Spanien können Schwule und Lesben heiraten. In Slowenien kippten die Bürger mit 63 Prozent ein entsprechendes Gesetz wieder. Sogar zwei europäische Regierungschefs nutzten die neuen Freiheiten. 2010 heiratete die damalige isländische Premierministerin Johanna Sigurdardottir ihre Partnerin, 2015 tat es ihr der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel gleich und ehelichte jenen Mann, mit dem er seit fünf Jahren in eingetragener Lebenspartnerschaft lebte.
Für Guido Westerwelle kommt die Öffnung der Ehe in Deutschland zu spät. Der Außenminister im zweiten Kabinett Merkel starb im vergangenen Jahr an einer Leukämieerkrankung. Andere hingegen können künftig zum Standesamt gehen und ihre Lebenspartnerschaft zur Ehe umwandeln lassen. So etwa Klaus Wowereit, der langjährige Regierende Bürgermeister von Berlin. Er war der erste Spitzenpolitiker, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte. "Ich bin schwul, und das ist auch gut so", rief der SPD-Politiker 2001 auf einem Landesparteitag. Wowereit brach das Eis für andere, seiner Karriere tat es keinen Abbruch.
Beim ehemaligen Hamburger Bürgermeister Ole von Beust lief es etwas anders. Sein damaliger Innensenator Ronald Schill drohte 2003, die Neigung des CDU-Politikers öffentlich zu machen. Von Beust feuerte Schill, es war dann der Vater des Bürgermeisters, der offen darüber sprach. 2004 bekannte von Beust, er sei rückblickend froh darüber gewesen, weil er darauf verweisen könnte, dass sein Vater alles gesagt habe. Seit 2013 lebt von Beust in einer eingetragenen Partnerschaft. In der SPD gehören Umweltministerin Barbara Hendricks sowie der haushaltspolitische Sprecher Johannes Kahrs zu jenen, die ihre Partner bald offiziell Ehefrau und Ehemann nennen können.
Traditionelles Verständnis Die katholische Kirche hält am traditionellen Verständnis der Ehe als lebenslanger Beziehung zwischen Mann und Frau fest. "Wir bedauern, wenn dieser Ehebegriff aufgelöst werden soll und damit die christliche Auffassung von Ehe und das staatliche Konzept weiter auseinandergehen", erklärte Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.
Für Jens Spahn (CDU) passen katholisch, konservativ und schwul zueinander. Nun schließe sich ein logischer Kreis, schrieb der Parlamentarische Finanzsekretär vergangene Woche in einem Zeitungsbeitrag. Der Wunsch, mit seinem Lebensgefährten Kinder zu adoptieren, kann nun wohl rascher Realität werden. "Ich denke, wir wären Ihnen gute, verantwortungsvolle Eltern", hatte Spahn noch im März in einem Interview gesagt.
Der Autor ist freier Journalist im Berlin.