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Tschechien : Favorit in Prag steht unter Verdacht

Wahl-Herausforderung für Tschechien: ANO-Partei von Babis könnte politische Landschaft verändern.

16.10.2017
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2 Min

Von seinem Rekord wird der tschechische Premierminister Bohuslav Sobotka wenig haben: Er ist seit langem der erste Prager Regierungschef, der nicht an einer Vertrauensfrage oder einer Affäre scheitert - und erst der dritte Regierungschef in der tschechischen Geschichte, der sich mehr als drei Jahre im Amt halten konnte. Für seine Sozialdemokraten (CSSD) tritt der 45-Jährige dennoch nicht mehr als Spitzenkandidat an: Nach innerparteilichen Querelen zieht die bisher stärkste Partei mit Außenminister Lubomir Zaoralek in den Wahlkampf.

Auch solche Personalrochaden dürften der CSSD bei der Wahl Ende dieser Woche indes wenig helfen: Nach allen Umfragen könnten sie, wie alle anderen Parteien auch, von der liberal-populistischen Bewegung ANO des Milliardärs Andrej Babis regelrecht überrollt werden. Babis werden 27 Prozent der Wählerstimmen vorhergesagt, die zweitplatzierte CSSD könnte demnach mit lediglich 13,5 Prozent rechnen. Die orthodoxen Kommunisten erhalten in Tschechien traditionell um die zwölf Prozent. Um den Platz als stärkste konservative Kraft wetteifern die Bürgerdemokraten (ODS) sowie die Partei TOP 09 des einstigen Außenministers Karel Schwarzenberg; beide haben allerdings kaum Aussicht, mehr als zehn Prozent zu bekommen. Ins Parlament dürften außerdem die kleinen Christdemokraten einziehen, weiterhin die Piratenpartei sowie die rechtspopulistische Partei SPD.

Ermittlungen Besonders die Personalie Andrej Babis sorgt in Tschechien derzeit für erbitterte Diskussionen. Seine Bewegung, die ganz auf ihn als Parteichef zugeschnitten ist, fungiert derzeit (zusammen mit den Christdemokraten) als Partner einer sozialdemokratisch geführten Dreierkoalition. Babis selbst war bis vor einem halben Jahr Finanzminister und Vize-Premierminister. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Betrugsverdachts gegen ihn; er soll als Unternehmer EU-Subventionen erschlichen haben, die ihm nicht zustanden. Babis selbst stilisiert sich als Opfer einer "Verschwörung der etablierten Parteien" - und weil seine Wahlkampagne ohnehin vor allem darauf abzielt, den Etablierten Paroli zu bieten, bleibt ihm die Gunst vieler Wähler erhalten.

Beobachter gehen von einer komplizierten Regierungsbildung aus. Im Gespräch sind zwei Varianten: Entweder tut sich ANO mit Sozialdemokraten und Christdemokraten zusammen, das wäre eine Fortführung der bisherigen Koalition mit geänderten Kräfteverhältnissen. Beide potenziellen Koalitionspartner allerdings machen dafür zur Bedingung, dass der belastete Babis nicht Premierminister wird. Als zweite Option gilt eine Koalition von ANO mit den Kommunisten und der rechtsnationalen SPD. Kommunisten und Rechtsnationale haben in der strikten Ablehnung der EU und der Forderung nach einer Verstaatlichung von Schlüsselindustrien zumindest einige inhaltliche Gemeinsamkeiten.

Ein Zusammenschluss der demokratischen Parteien, um das zweite Szenario zu verhindern, wird unter Politologen ebenfalls diskutiert. In der Praxis dürften sich dafür allerdings die ausgeprägten programmatischen Unterschiede sowie persönliche Rivalitäten als Hindernis erweisen.

Der Autor berichtet als freier Korrespondent aus Tschechien.