EUROPARAT : Stolpern über die Fußangeln der »Kaviardiplomatie«
Korruptionsskandal in der Parlamentarischen Versammlung fordert erste Opfer. Klare Kritik an Aserbaidschan
Stella Kyriakides redet Klartext: "Glaubwürdigkeit und Integrität" der Europaratsabgeordneten würden in Zweifel gezogen. Die frisch gewählte Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sieht das "Prinzip der Transparenz" in Gefahr. Mit Blick auf Bestechungsaffären rund um Aserbaidschans "Kaviardiplomatie", die den Staatenbund seit Monaten erschüttern, beklagt die EVP-Politikerin, dass dies alles in der öffentlichen Wahrnehmung die Arbeit der Abgeordneten überlagere.
Auch der SPD-Politiker Frank Schwabe sieht einen "dramatischen Korruptionsskandal", in dem die Versammlung "zu versinken droht". Gelinge es nicht, "jedweden Bestechungsverdacht" auszuräumen, sehe er "schwarz" für die Zukunft des Europaratsparlaments. Das Netzwerk müsse "schonungslos aufgeklärt" werden, fordert der stellvertretende Leiter der Bundestagsdelegation. Auch müsse ein Lobbyregister geschaffen werden, "um Korruption in Zukunft zu unterbinden".
Geschenke gegen Schweigen Die Regierung Aserbaidschans steht in Verdacht, mit Gratis-Reisen an den Kaukasus, Geld sowie Teppichen, Uhren, Kaviar und anderen teuren Geschenken Europaratspolitiker zu gewinnen, um Kritik an autokratischen Zuständen im Land zu verhindern oder einzudämmen. Im Schatten dieser Affäre stand vergangene Woche die Herbsttagung der Versammlung. Deren bisheriger Präsident Pedro Agramunt verschwand von der politischen Bühne. Die Abgeordneten unterwarfen sich einem neuen Verhaltenskodex. Zudem setzten die Parlamentarier mit scharfer Kritik an Aserbaidschan demonstrativ ein Zeichen, dass sie dem Auftrag des Europarats, sich für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen, gegenüber allen Nationen gerecht werden wollen. Nicht wenige Mitglieder der Versammlung hatten zuvor gestaunt, dass ein Appell zur Freilassung politischer Gefangener keine Mehrheit gefunden hatte und aus den Reihen von Wahlbeobachtern zuweilen milde Beurteilungen von Urnengängen am Kaukasus zu hören waren.
Erstmals in der Geschichte des Europarats stand nun die Abwahl eines Parlamentspräsidenten auf der Tagesordnung. Agramunt hatte einen Rücktritt lange verweigert, nun demissionierte der Spanier aus "persönlichen Gründen" dann doch kurz vor der Sitzungswoche, um der Schmach einer Absetzung zu entgehen. Anlass für den Aufstand gegen den EVP-Politiker war zwar eine von Russland arrangierte Reise Agramunts nach Damaskus, bei der er sich mit Diktator Assad ablichten ließ. Agramunt wurde im Palais de l'Europe jedoch vor allem als eine zentrale Figur des Lobby-Skandals zur Persona non grata.
Nachfolgerin Kyriakides, die sich im dritten Wahlgang mit 132 Stimmen gegen den EVP-Kandidaten Emanuelis Zingeris (Litauen, 84 Stimmen) durchsetzte, ist nur für eine kurze Übergangszeit gekürt. Der EVP steht nur noch bis Januar das Präsidentenamt zu, dann sind die Sozialdemokraten an der Reihe, die den Italiener Michele Nicoletti nominiert haben. Kyriakides gehört zur EVP, trat aber als "unabhängige" Bewerberin an. Wegen Zerwürfnissen mit anderen Fraktionen und in den eigenen Reihen um die Besetzung des Präsidentenamts durch die EVP kündigte deren Vorsitzender Axel Fischer seinen Rückzug an. Agramunt ist das bislang prominenteste Opfer des Skandals. Das Europaratsparlament verlassen hat wegen Verwicklungen in den Aserbaidschan-Skandal auch der Belgier Alain Destexhe. In Italien wird der ehemalige EVP-Fraktionschef Luca Volonté von Staatsanwälten verdächtigt, unter der Tarnung einer "Beratertätigkeit" für Aserbaidschan mehr als zwei Millionen Euro erhalten und im Gegenzug im Interesse Bakus agiert zu haben. Eine Straßburger Kommission, die den Bestechungsskandal aufklären soll, ist auch mit der CDU-Abgeordneten Karin Strenz und dem Ex-CSU-Parlamentarier Eduard Lintner befasst. Medienberichte halten beiden vor, als Lobbyisten Aserbaidschans über ein verschachteltes Firmennetzwerk Gelder aus dem Kaukasus erhalten und verteilt zu haben.
Derweil hat das Europaratsparlament einen neuen Verhaltenskodex verabschiedet, der die Abgeordneten zur Offenlegung aller Interessenverflechtungen verpflichtet, und zwar bei jeder der jährlich vier Sitzungswochen. Der Geschäftsordnungsausschuss kann Parlamentarier bei Verdacht überprüfen und Sanktionen verhängen.
Demonstrativ in die Mangel genommen wurde Aserbaidschan. Die Versammlung verschärfte eine noch von Destexhe vorgelegte Resolution. Darin werden nun etwa Misshandlungen in Gefängnissen, die Verhaftung von Bürgerrechtlern und Journalisten und die fehlende Unabhängigkeit der Justiz scharf kritisiert. Mit "effektiven Reformen" müsse endlich "rechtsstaatlichen Normen des Europarats" Geltung verschafft werden. Frank Schwabe ist hoffnungsvoll: "Ein den Werten des Europarats verpflichteter Geist" könne die Straßburger Versammlung "integer machen und zu neuer Stärke führen".