Biotechnologie : Gen-Schere für Pflanzen
Die Crispr/Cas-Methode macht immer widerstandsfähiger
Peter Dabrock steht nicht im Verdacht, ein Lobbyist zu sein. Trotzdem hat der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats eine bemerkenswerte Einschätzung zu einem neuen Werkzeug der Biotechnologie getroffen. "Die Welt unserer Kinder wird eine von Crispr/Cas geprägte Welt sein", sagt der Theologie-Professor. Crispr/Cas - diese Abkürzung steht für ein neues Verfahren zur gezielten Veränderung des Erbguts, das 2012 entdeckt wurde und in kurzer Zeit die Gentechnik erobert hat. Die Methode eignet sich für jeden Typ von DNA: für Menschen, Tiere, Pflanzen. Die Pflanzenzüchter wollen Crispr/Cas einsetzen, um die Eigenschaften von Nutzpflanzen schneller verändern zu können als dies mit herkömmlicher Züchtung möglich ist. Sie wollen die Widerstandsfähigkeit gegen Bakterien, Viren und Pilze erhöhen. Die erste Anwendung von Crispr/Cas hatte allerdings ein anderes Ziel: In den USA sind Champignons zugelassen, die sich nach dem Schneiden nicht mehr bräunlich verfärben.
Der Einsatz von Crispr/Cas lässt sich am besten mit der Verwendung einer Schere vergleichen, die den DNA-Strang an einer vorher bestimmten Stelle zerschneidet. Die Methode nutzt einen natürlichen Prozess. Manche Bakterien verwenden dieses Enzym als Reparaturwerkzeug, wenn ihr Erbgut etwa durch Viren attackiert wurde. Dringt ein Virus in die Zelle ein, baut es ein Stück seiner DNA in das Erbgut seines Opfers ein. Bakterien haben im Laufe der Evolution gelernt, sich mit Crispr/Cas gegen diese Manipulation zu wehren. Das Enzym trägt eine Vorlage, die es mit der aktuellen DNA der Zelle vergleicht. Findet es eine Abweichung, schneidet der Mechanismus den DNA-Strang an dieser Stelle durch. Die Zelle beginnt mit der Reparatur ihres Erbguts und entfernt die fremde DNA. Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier hatten die Idee, den Mechanismus für die Gentechnik zu verwenden. Sie tauschten die natürliche Vergleichsmatrix des Crispr/Cas gegen eine andere aus. Damit können sie genau festlegen, an welcher Stelle die Gen-Schere aktiv wird. Gleichzeitig können die Forscher den Reparaturprozess in ihrem Sinne beeinflussen. Gene können aus- oder eingeschaltet werden, in manchen Fällen soll ein DNA-Fragment einer Wildform eingeschleust werden.
Die Leistungsfähigkeit des neuen Verfahrens ist allgemein anerkannt. Selbst Vertreter des Bio-Landbaus denken über den Einsatz der Gen-Schere gegen Schädlinge nach. Zur Bekämpfung des Mehltaus und der Krautfäule bei Kartoffeln etwa gibt es kaum ökologische Alternativen. Die weltweite Bananen-Produktion wird durch einen Pilz bedroht, dem die Züchter bisher hilflos gegenüberstehen. Resistenz könnte mit den Methoden der Gentechnik erzeugt werden.
Der Einsatz von Crispr/Cas scheint sich dann zu lohnen, wenn die Forscher genau wissen, an welcher Stelle das Erbgut für den gewünschten Effekt verändert werden muss. Dieses Wissen nimmt ständig zu, beispielsweise durch die Erforschung der natürlichen Resistenzen. Seit Jahrzehnten wissen Züchter, dass manche Wildformen der heutigen Nahrungsmittelpflanzen gegen bestimmte Pilze, Bakterien oder Viren immun sind. Diese Eigenschaft ging im Laufe der Züchtung verloren. Die moderne Genetik hat entschlüsselt, welche Gene des Wildtyps für die Widerstandsfähigkeit verantwortlich sind. Während bei der ersten Generation der grünen Gentechnik Erbinformationen von anderen Arten in eine Pflanze eingebaut wurden, soll durch Crispr-Cas der Genpool der eigenen Art besser genutzt werden.
Daraus ergibt sich eine neue Fragestellung - nämlich die, ob durch den Einsatz von Crispr/Cas gentechnisch veränderte Pflanzen entstehen. Die Gen-Schere hinterlässt keine Rückstände im Produkt, eine konventionelle Züchtung könnte das gleiche Ergebnis liefern: Ist die neue Pflanze deshalb ein natürliches Produkt? Oder unterliegt sie den strengeren Regelungen für gentechnisch veränderte Organismen?
Crispr-Cas nimmt eine Sonderstellung unter den Verfahren zur Veränderung des Erbguts ein. Die neue Technik ist schnell, billig und einfach in der Handhabung. Viele neue naturwissenschaftliche Techniken bleiben auf finanziell gut ausgestattete Institute begrenzt, Crispr-Cas ist auch für kleine Labore erschwinglich. Emmanuelle Charpentier hat ihr Verfahren deshalb als "Demokratisierung der Genforschung" bezeichnet. In den USA tobt aber derzeit ein Patentstreit zwischen der Universität Berkeley einerseits und dem Massachusetts Institut of Technology (MIT) und der Harvard University andererseits. Möglicherweise werden für Crispr-Cas doch Lizenzgebühren fällig. Wer unter welchen Bedingungen für den Einsatz der Gen-Schere zahlen muss, ist aber völlig offen.
Der Autor ist freier Wissenschaftsjournalist.