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FuSSBALL : Mit Erdogan an die Tabellenspitze

Einige Clubs machen aus ihrer AKP-Nähe keine Geheimnis und sind damit auch sportlich erfolgreich. Ein personalisiertes Ticketsystem soll derweil regierungskritische…

27.02.2017
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4 Min

Spätestens seit Ende Januar darf sich der Istanbuler Fußballklub Medipol Basaksehir zu den großen Teams der Bosporus-Metropole zählen: Mit Emmanuel Adebayor, bekannt durch Engagements bei Arsenal und Manchester City, hat der Verein nun auch einen in die Jahre gekommenen internationalen Fußballstar in seinen Reihen. Die britische Fußballpresse reagierte irritiert, waren es doch weder die erfolgreichen Istanbuler Clubs Fenerbahçe noch Galatasaray, die den Stürmer vorstellten, sondern der wenig glamouröse Vorstadtverein Basaksehir. Wenig glamourös war auch Adebayors Einstand. Keine jubelnden Fanscharen am Flughafen, stattdessen ein unprätentiöses Foto mit Klubpräsident Göksel Gümüsdag für die sozialen Netzwerke. Bei Heimspielen tauchen im Schnitt nicht einmal 3.000 Zuschauer auf, obwohl eine Dauerkarte teils weniger kostet als der Besuch eines Istanbuler Derbys.

Aufsteiger Der bislang geringe Enthusiasmus für den Verein hat indes wenig Einfluss auf seinen sportlichen Erfolg. Aus den Untiefen der zweiten türkischen Liga kommend, wurde 2015 sofort die Qualifikation für die Europa League erreicht. In der aktuellen Saison spielt Basaksehir um die Meisterschaft mit. Hinter den beachtlichen Ergebnissen stehen finanzstarke Unternehmer aus dem Dunstkreis der Regierungspartei AKP. Hauptsponsor und Namensgeber ist die Krankenhauskette Medipol, dessen Besitzer Fahrettin Koca der Leibarzt von Präsident Recep Tayyip Erdogan sein soll. Auf den Trikots wirbt Makro Insaat, ein Bauunternehmen, das stark von der radikalen Stadterneuerungspolitik in Istanbul unter der AKP profitiert hat. Auch zum türkischen Fußballverband TFF bestehen gute Verbindungen: Klubpräsident Göksel Gümüsdag war für kurze Zeit Vizepräsident des TFF und ist aktuell Vorsitzender der türkischen Fußballklubvereinigung. Zudem ist er mit Erdogans Ehefrau Emine verwandt.

Basaksehirs Vorstoß in die oberen Ränge des türkischen Fußballs ist kein Zufall. Der Wiederaufstieg in die Süper Lig und die Umstrukturierung der ehemaligen Betriebsmannschaft der Istanbuler Stadtverwaltung samt Umzug in den neu gebauten, konservativ geprägten Stadtteil Basaksehir - all das passierte rund ein Jahr nach den Anti-Regierungsprotesten am Istanbuler Taksimplatz im Sommer 2013. Dort bekam der damalige Ministerpräsident Erdogan zum ersten Mal zu spüren, dass seine Politik bei einer Vielzahl von Menschen, vornehmlich in den Metropolen des Landes, auf Widerstand stieß. Eine wichtige Säule des Aufstands waren die Fan- und Ultragruppierungen der drei großen Istanbuler Klubs Fenerbahçe, Galatasaray und Besiktas. Sie waren durch unzählige Straßenkämpfe im Umgang mit der Polizei geschult und stellten sich an die Seite der Protestierenden am Gezi-Park. Die demonstrative Geschlossenheit zwischen den sonst zutiefst verfeindeten Fans sorgte zusätzlich für Euphorie am Taksimplatz.

In Regierungskreisen blieb die Positionierung der Ultras nicht unbemerkt. Fußball war einer der letzten öffentlichen Bereiche, der sich bis dahin erfolgreich dem Einfluss der AKP entzogen hatte. Zunächst wurde versucht, die Fanszene der großen Klubs mit regierungstreuen Leuten zu unterwandern. Als dies misslang, folgten Sanktionen: Politische Äußerungen im Stadion wurden unter Strafe gestellt, Dutzende Fans, die an den Gezi-Protesten teilgenommen hatten, wurden zu Haftstrafen verurteilt. Die Urteile zielten insbesondere auf die linksgerichteten Ultras von Besiktas. Die landesweit bekannten "Çarsi" waren eine treibende Kraft am Taksimplatz und hatten schon zuvor ihre Ablehnung gegenüber dem Erdogan-Regime mehrfach ausgedrückt.

Rund ein Jahr nach den Protesten wurden mit dem Passolig-System personalisierte Tickets eingeführt - der finale Griff nach Kontrolle. Jeder Platz im Stadion war von nun an eindeutig einer Person zuzuordnen, deren persönliche Daten in einer von der Aktif Bank verwalteten Datenbank gespeichert wurden. Die Aktif Bank ist Teil der Çalik Holding, deren Geschäftsführer bis 2015 Berat Albayrak war, Präsident Erdogans Schwiegersohn und derzeitiger Energieminister. Als Reaktion boykottierten die meisten Ultras das System: Das subversive Element war endgültig aus den Stadien verschwunden.

Feldzug Sportlich profitierten in jüngerer Zeit weitere Vereine, die entweder direkte Verbindungen zur Regierung haben, oder zumindest aus ihrer ideologischen Nähe zur AKP keinen Hehl machen. Mit Basaksehir, Konyaspor und Osmanlispor konnten sich in dieser Saison sogar drei Vereine in der Europa League auf der internationalen Bühne präsentieren. Osmanlispor ist an die AKP-regierte Stadtverwaltung Ankaras angegliedert, die durch ihren Oberbürgermeister Melih Gökçek teils noch radikalere Ansichten als die Landespartei vertritt. Vor Osmanlispors Europapokalspiel gegen den griechischen Verein Olympiakos Piräus wünschten die Kollegen aus Basaksehir per Twitter Erfolg für den "Feldzug gegen Byzanz". Osmanlispor bedeutet auf Deutsch soviel wie "Osmanischer Verein". In seiner Selbstdarstellung nutzt der Klub Symbole der unter der Ägide Erdogans romantisierten Anfangszeit des Osmanischen Reiches und lässt schon einmal vor Anpfiff die Fahnen der 16 historischen turkstämmigen Dynastien schwenken.

Ähnlich wie bei Basaksehir befinden sich bei Osmanlispor die Zuschauerzahlen noch auf einem überschaubaren Niveau. Langfristig wollen beide Vereine aber den etablierten Teams Konkurrenz machen und setzen auf eine starke Nachwuchsarbeit - bei Spielern und Fans. Zielgruppe sind junge Fußballenthusiasten, die nicht mit der berüchtigten türkischen Fußballkultur der letzten Dekaden groß geworden sind und aus der Gegend des Vereins stammen. Mittlerweile gibt es sogar schon Ultra-Gruppierungen, die sich das Ziel gesetzt haben, eine friedliche Alternative zu den großen Klubs zu formen. "Friedlich" heißt auch, dass man den Kurs der aktuellen Regierung stützt und dies in den sozialen Medien oder mit Sprechchören kundtut. Strafen drohen den Fans nicht: Für derlei politische Äußerungen ist nun Platz in türkischen Stadien.

Der Autor schreibt als freier Journalist unter anderem für das Fußballmagazin "11 Freunde".